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Akutes Abdomen
Abstract
Das „akute Abdomen“ beschreibt einen akut schmerzhaften Zustand des Bauchraums und bedarf aufgrund potentieller Lebensgefahr einer schnellen Diagnostik und Therapie. Weitere Leitsymptome dieses Beschwerdekomplexes sind u.a. Abwehrspannung, Störung der Darmperistaltik, Übelkeit sowie allgemeines Krankheitsgefühl ggf. mit Kreislaufeinschränkung (bis hin zum Schock). Zu den häufigsten Ursachen für ein akutes Abdomen zählen: Appendizitis, Cholezystitis und Ileus. Zur raschen Differenzierung der möglicherweise lebensbedrohlichen Ursachen sind neben Anamnese und körperlicher Untersuchung Laboruntersuchungen (Blut und Urin) sowie die Bildgebung (v.a. Sonographie oder CT) wegweisend. Insb. die Bildgebung hat in den letzten Jahren einen immer größeren Stellenwert gewonnen. Die Therapie erfolgt in Abhängigkeit von der Diagnose und kann von konservativen Maßnahmen bis hin zu einer Notfalloperation reichen.
Als eine häufige Notfallindikation in der Notfallambulanz (etwa 10% aller Patienten in der Notaufnahme leiden unter Abdominalschmerzen) stellt das akute Abdomen nach wie vor eine große Herausforderung auch für die interdisziplinäre Zusammenarbeit dar. Das Miteinander der verschiedenen Fachrichtungen in Fragen von Diagnostik und Therapie kommt letztlich v.a. den Patienten zugute.
Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Genese und differentialdiagnostische Erwägungen, während ausführlichere Informationen bei den jeweiligen Krankheitsbildern zu finden sind.
Definition
- Hauptsymptom: Akuter Schmerz im Bauchbereich, der aufgrund seiner Intensität und Bedrohlichkeit notfallmäßig abgeklärt und entsprechend therapiert werden muss
- Weitere Leitsymptome
- Abwehrspannung über dem Abdomen
- Übelkeit und Erbrechen
- Meteorismus und Stuhlveränderungen (z.B. Obstipation)
- Reduzierter Allgemeinzustand
- Kreislaufbeteiligung (bis hin zum Schock)
- Andere mögliche Symptome: Bspw. Fieber, Schonhaltung , Schonatmung , Schmerzprojektion in zugehörige Dermatome
Ein bretthartes Abdomen (Abwehrspannung) und Anzeichen eines Schocks sind besonders starke Warnhinweise einer Dekompensation und erfordern sofortiges Handeln!
Die Bezeichnung „akutes Abdomen“ sagt nichts über die Ursache des Symptomkomplexes aus – die Genese kann vielfältig sein!
Epidemiologie
- Prävalenz von Bauchschmerzen in der Notaufnahme[1]: Etwa 10% aller Patienten, davon wiederum:
- Ca. 20% als akutes Abdomen
- Ca. 30–40% als unspezifische Abdominalbeschwerden
- Häufigste Ursachen des akuten Abdomens[2]
- Akute Appendizitis: Ca. 20% der Fälle
- Gallenkolik, z.B. im Rahmen der Cholezystitis: Ca. 10% der Fälle
- Ileus: Ca. 5% der Fälle
- Altersabhängige Häufigkeiten (siehe hierzu auch: Akutes Abdomen bei besonderen Patientengruppen)
- Ältere Patienten: Vergleichsweise häufiger
- Ileus (z.B. Bridenileus)
- Biliäre Erkrankungen (z.B. Cholezystitis und Cholangitis)
- Stenosierung durch Tumoren (z.B. Kolonkarzinom)
- Gefäßerkrankungen (z.B. Mesenterialischämie und Dissektion)
- Jüngere Patienten: Vergleichsweise häufiger
- Appendizitis
- ♀: Gynäkologische Erkrankungen (z.B. rupturierte Ovarialzysten)
- Ältere Patienten: Vergleichsweise häufiger
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Diagnostik
Allgemein
Bei Patienten mit akutem Abdomen wird aus Klinik, Labordiagnostik und Bildgebung eine Verdachtsdiagnose generiert. Siehe hierzu:
- Anamnese bei akutem Abdomen
- Körperliche Untersuchung bei akutem Abdomen
- Labordiagnostik bei akutem Abdomen
- Bildgebung bei akutem Abdomen
- Ggf. interventionelle/operative Diagnostik
- Endoskopische Diagnostik, insb. Gastroskopie
- Diagnostische Laparoskopie
Siehe für Empfehlungen zum Vorgehen
- Präklinisches Vorgehen am Rettungsort: Akutes Abdomen - Erstmaßnahmen
- Vorgehen in der Notaufnahme: Akutes Abdomen - Notfallambulanz
Aus der Verdachtsdiagnose muss insb. abgeleitet werden, ob eine notfallmäßige OP-Indikation besteht!
Es zählt die Zusammenschau der diagnostischen Befunde! Einzelne klassische Befunde können auf spezifische Ursachen hinweisen, ihr Fehlen darf aber nicht zum verfrühten Ausschluss einer Diagnose verleiten!
Anamnese
Schmerzanamnese
Bei der Schmerzanamnese kann man sich am „OPQRST“-Schema orientieren, um keinen wichtigen Aspekt zu vergessen
- Beginn (Onset): Bspw.
- Plötzlich einsetzend: U.a. bei Perforation (bspw. eines Ulcus ventriculi), Obstruktion (bspw. bei Ileus) oder arterieller Ischämie (Initialschmerz bei Mesenterialinfarkt), Hodentorsion
- Schleichender Beginn: Häufig bei Appendizitis
- Verstärkende bzw. lindernde Faktoren (Provokes/Palliates): Bspw.
- Schonhaltung/Schonatmung: Häufig bei peritonitischem Entzündungsschmerz
- Rastlosigkeit/Bewegungsunruhe: Häufig bei Kolikschmerz
- Verstärkung im Stehen: Hernien
- Verstärkung im Liegen: Pankreatitis
- Verstärkung bei tiefer Atmung: Pleuritis
- Schmerzzunahme bei Nahrungsaufnahme/Alkoholkonsum: Häufig bei Pankreatitis
- Qualität und Charakter (Quality): Siehe hierzu
- Ausstrahlung (Radiates): Bspw.
- Siehe für typische Lokalisationen: Ursachen des akuten Abdomens nach Schmerzort
- Schmerzwanderung von einer epigastrischen Lokalisation in den rechten Unterbauch: Häufig bei Appendizitis
- Schulterschmerzen: Häufig bei Cholezystitis
- Gürtelförmige Ausstrahlung in die Seiten und den Rücken: Häufig bei Pankreatitis
- Ausstrahlung in Leiste, Schamlippen oder Hoden: Häufig bei Urolithiasis
- Stärke (Severity): Objektivierung des Schmerzniveaus, bspw. anhand einer Schmerzskala
- Zeitlicher Verlauf (Time)
- Wellenartige Schmerzspitzen (Kolik): Häufig bei Uro- oder Nephrolithiasis, auch bei Ileus
- Schmerzfreies Intervall nach starkem initialem Schmerz, im Anschluss erneute Verschlechterung: Häufig bei Mesenterialischämie (sog. „fauler Frieden“)
- Kontinuierliche Schmerzzunahme: Häufig bei entzündlicher Genese, bspw. Appendizitis
- Siehe auch für typische Verläufe nach Schmerztyp: Schmerztypen im Rahmen eines akuten Abdomens
Subjektiv empfundener Schmerz und Bedrohlichkeit der Erkrankung müssen nicht immer miteinander korrelieren – auch hinter relativ moderaten Schmerzen können hochakute Befunde stecken!
Schmerztypen im Rahmen eines akuten Abdomens
Manche Krankheitsbilder zeigen charakteristische Schmerzformen und -verläufe, aufgrund derer eine Verdachtsdiagnose gestellt werden kann.
Perforationsschmerz |
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Kolikschmerz |
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Entzündungsschmerz |
|
Schmerzqualitäten im Rahmen eines akuten Abdomens [3]
Je nach Lokalisation und zugrundeliegender Genese können verschiedene Schmerzqualitäten unterschieden werden.
Viszeraler Schmerz | Somatischer (peritonealer) Schmerz | |
---|---|---|
Lokalisierbarkeit | Schlecht bis kaum lokalisierbar, häufig eher tiefer liegend | Genau lokalisierbar mit späterer Ausdehnung |
Schmerzcharakter | Meist dumpf bis krampfartig, diffus und weniger stark | Stark, schneidend, später scharf-brennend |
Schmerzdauer | Intermittierend, an Intensität zu- und abnehmend | Dauerschmerz mit kontinuierlicher Zunahme und Ausstrahlung in andere Körperregionen |
Körperhaltung | Motorische Unruhe und Rastlosigkeit | Schonhaltung (z.B. Rumpfbeugung) |
Erleichterung | Bewegung | Ruhe |
Weitere Anamnese
Die weitere Anamnese erfolgt in Abhängigkeit der Schwere des Krankheitszustandes, ggf. als fokussierte Notfallanamnese . Anamnestische Informationen dienen der Formulierung einer Verdachtsdiagnose, wobei ein frühzeitiger Schluss der Diagnostik vermieden werden muss! Häufige Befunde wichtiger Verdachtsdiagnosen sind exemplarisch aufgeführt.
- Übelkeit und Erbrechen
- Stuhlgang: Bspw.
- Meteorismus: Häufiges Symptom, bspw. im Rahmen eines Ileus
- Diarrhö: Möglicherweise infektiöse Ursache
- Obstipation: Möglicherweise Bauchschmerz durch Koprostase
- Teerstuhl oder blutiger Stuhl: Hinweis auf gastrointestinale Blutung
- Acholischer Stuhl: Hinweis auf Cholestase
- Zeitpunkt der letzten Mahlzeit: Besonders wichtig, wenn evtl. eine Intervention oder Operation notwendig wird
- Miktion: Bspw.
- Dysurie, Pollakisurie, Hämaturie: Hinweis auf Harnwegsinfekt oder Urolithiasis
- Braunfärbung des Urins: Hinweis auf Cholestase
- Allergien: Insb. gegen Medikamente und Nahrungsmittel
- Medikation : Hinweise auf Vorerkrankungen und ggf. medikamentöse Ursachen des akuten Abdomens, bspw.
- NSAR, Glucocorticoide: Magen- und Darmulzera
- Antikoagulantien und Thrombozytenaggregationshemmer: Erhöhtes Risiko gastrointestinaler Blutungen oder bspw. eines Bauchwandhämatoms sowie Hinweis auf kardiovaskuläre Vorerkrankungen
- Opioide: Schwere Obstipation als Schmerzursache
- Antibiotika: Pseudomembranöse Kolitis
- Laxantien: Hinweis auf Obstipation/stenosierenden Darmprozess
- Voroperationen: Voroperationen (insb. im Bauchraum) geben Hinweise auf Vorerkrankungen und können ätiologisch relevant sein, bspw.
- Postoperative Komplikationen: Anastomoseninsuffizienz, Bridenileus
- Anamnestischer Ausschluss einer Cholezystitis bei bereits cholezystektomierten Patienten
- Vorangegangenes (Bauch‑)Trauma : Leber-, Milz-, Nieren- und Darmruptur, intraabdominale Blutung (z.B. durch Mesenterialgefäßabriss)
- Besondere Ereignisse: Bspw.
- Fettreiche Mahlzeiten oder Alkoholexzess: Mögliche Auslöser einer Pankreatitis oder Cholezystolithiasis
- Risikofaktoren und Vorerkrankungen: Bspw.
- Alkoholabusus: Erhöhtes Risiko für Pankreatitis, Gastritis und gastrointestinale Blutungen
- Bekannte Divertikulose: Akute Divertikulitis
- Bekannte Tumorerkrankung: Mechanischer Ileus durch Raumforderung
- KHK und Vorhofflimmern: Risiko für Mesenterialischämie
- Lebererkrankungen, z.B. Leberzirrhose: Ösophagusvarizenblutung oder spontane bakterielle Peritonitis
- Gynäkologische Anamnese (Frauen): Bspw.
- Zyklusanomalien (Dysmenorrhö) oder ausbleibende Menstruationsblutung: Hinweis auf eine mögliche Schwangerschaft
- Übel riechender Ausfluss: Hinweis für sexuell übertragbare Krankheiten wie Chlamydieninfektion mit abdomineller Komponente
- Subjektive Krankheitstheorie: Es sollte gefragt werden, wie sich der Patient selbst seine Beschwerden erklärt
- Reise- und Umgebungsanamnese
- Kontakt zu erkrankten Personen: Hinweise auf eine mögliche Magen-Darm-Infektion
- Reisen in Endemiegebiete: Virales hämorrhagisches Fieber, Malaria
- Familienanamnese: Insb. als Hinweise auf erbliche Erkrankungen, bspw.
Körperliche Untersuchung
Generell wird bei jedem Patienten eine komplette körperliche Untersuchung mit Fokus auf das Abdomen durchgeführt. Häufige Befunde wichtiger Verdachtsdiagnosen sowie besonders relevante Aspekte sind exemplarisch aufgeführt.
Vitalparameter
- Blutdruck und Herzfrequenz: Hypotonie und Tachykardie als Hinweise eines Schocks (Siehe: Schockindex)
- Temperatur: Fieber als Zeichen eines entzündlichen Geschehens
- Atemfrequenz und Sauerstoffsättigung: Tachypnoe und SpO2↓, bspw. als Hinweis auf
- Septischen Krankheitsverlauf
- Kardiovaskuläre oder pulmonale Differentialdiagnosen
Tachykardie, Hypotonie und Blässe sind Zeichen eines (beginnenden) Schocks!
Allg. Inspektion des Patienten
- Allgemeinzustand
- Körperhaltung
- Schonhaltung : Hinweis auf Peritonitis
- Unruhig, sich umherwälzend: Hinweis auf Kolik
- Allgemeines Hautkolorit
- Ikterus: Hinweis auf Cholestase
- Blässe: Bspw. als
- Zeichen eines drohenden hypovolämen oder septischen Schocks
- Anemia of chronic disease
Abdomenuntersuchung
- Inspektion
- OP-Narben
- Frische OP-Narben: Postoperative Komplikation wie Bridenileus, Anastomoseninsuffizienz oder Peritonitis
- Alte OP-Narben: Hinweis auf Vorerkrankungen, Bridenileus
- Vorwölbungen: Inkarzerierte Hernie
- Weiteres: U.a. Cullen-Zeichen oder Grey-Turner-Zeichen bei Pankreatitis
- OP-Narben
- Auskultation
- Hyperperistaltik: Hinweis auf Gastroenteritis oder Diarrhö
- Sog. „Pressstrahlgeräusch“: Hinweis auf ein partielles Hindernis bzw. eine Stenose
- Fehlende Darmgeräusche : Hinweis auf paralytischen Ileus, bei vielen weiteren abdominellen Erkrankungen in einem fortgeschrittenen Stadium möglich
- Hochgestellte, sog. „klingende“ Darmgeräusche, ggf. im Wechsel mit fehlenden Darmgeräuschen: Hinweis auf mechanischen Ileus (z.B Bridenileus, Tumor, Inkarzeration)
- Perkussion
- Klingender, tympanitischer Klopfschall über dem gesamten Abdomen: Meteorismus
- Gedämpfter Klopfschall: Freie abdominelle Flüssigkeit
- Palpation
- Druckschmerz
- Typische Schmerzpunkte: Bspw.
- Zu Verdachtsdiagnose je nach schmerzhaftem Quadranten siehe: Ursachen des akuten Abdomens nach Schmerzort
- Abwehrspannung und Loslassschmerz: Zeichen einer peritonealen Reizung bzw. Peritonitis
- Tastbare Resistenzen: Koprostase, tumoröse Raumforderungen, Pankreaspseudozysten, überfüllte Harnblase bei Harnstau
- Druckschmerz
- Digital rektale Untersuchung: Bei V.a. akutes Abdomen obligatorisch!
- Palpationsschmerz: Douglas-Schmerz bei Appendizitis
- Frischblut oder Teerstuhl am Fingerling: Gastrointestinale Blutung
- Tastbare Kotsteine: Obstipation
- Vorwölbung im Douglas-Raum: Abszess oder Flüssigkeit im Douglas-Raum
- Tastbare Raumforderung: Hinweis auf Rektumkarzinom
Eine digital-rektale Untersuchung sollte bei jedem Patienten mit akutem Abdomen erfolgen!
Die körperliche Untersuchung sollte in ständigem Kontakt mit dem Patienten durchgeführt werden, um Reaktionen deuten und besonders schmerzhafte Abschnitte des Abdomens möglichst vorsichtig untersuchen zu können!
Weitere körperliche Untersuchung [4] [5]
Die weitere Untersuchung dient einerseits der Identifikation extraabdomineller Differentialdiagnosen, andererseits kann sie auch bei abdomineller Ursache wichtige Hinweise liefern, z.B. auf relevante Grunderkrankungen.
- Klinische Untersuchung der Lunge: Bspw. nicht-abdominelle Differentialdiagnosen wie Lungenarterienembolie, basale Pneumonie, Pleuritis
- Körperliche Untersuchung in der Kardiologie: Kardiologische Differentialdiagnosen, insb. Myokardinfarkt
- Bei Frauen: Gynäkologische Mitbeurteilung: Bei Frauen zusätzlich zum Schwangerschaftstest immer erwägen, insb. bei
- Plötzlich einsetzendem Unterleibsschmerz: Stieldrehung des Ovars, rupturierte Ovarialzyste, Extrauteringravidität
- Kontinuierlich zunehmendem Unterleibsschmerz und Fieber: Salpingitis, Tuboovarialabszess
- Bekannter Schwangerschaft: Schwangerschaftskomplikationen, Wehen
- Bei Männern: Inspektion der Hoden, ggf. urologische Mitbeurteilung erwägen (Siehe hierzu auch: Hodentorsion - Diagnostik)
- Plötzlich einsetzender Schmerz mit Maximum in Unterbauch und Leiste, zusätzlich Hodenschmerz, -schwellung, -rötung: Hinweise auf Hodentorsion
Labor
Blutuntersuchung
- Arterielle Blutgasanalyse
- Kleines Blutbild: U.a. Anämie, Leukozytose/-penie möglich , reaktive Thrombozytose
- Entzündungsparameter: Typische Konstellation aus CRP/Leukozyten↑ bei entzündlicher Genese , Procalcitonin↑ bei Sepsis
- Laktat↑: U.a. Hinweis auf Mesenterialischämie oder (septischen) Schock
- Blutzucker↑ : Bspw. Hinweis auf eine Ketoazidose
- Elektrolyte: Verschiebungen sind recht häufig, z.B. im Rahmen von Erbrechen, Medikamenteneinnahme oder Vorerkrankungen
- Nierenwerte: Kreatinin↑ und Harnstoff↑ u.a. bei (schwerer) Niereninsuffizienz
- Gerinnungsparameter (Quick/INR, PTT): U.a.
- Abschätzung der Gerinnungssituation als OP-Vorbereitung
- Hinweis auf Medikamenteneinnahme (z.B. orale Antikoagulation)
- Beginnende DIC (z.B. bei septischem Schock)
- Leberwerte und Cholestaseparameter
- Transaminasen↑ als Zeichen der Leberzellschädigung jeglicher Genese: ALT und AST
- AP↑, γ-GT↑, Bilirubin↑ bei Cholestase
- GLDH↑: Bspw. Hinweis auf schwere Hepatitis
- Pankreasenzyme: Lipase↑ und (Pankreas‑)Amylase↑ als Hinweis auf Pankreatitis
- Schwangerschaftstest: Bei allen Frauen im gebärfähigen Alter indiziert!
- β-HCG↑: Hinweis auf Extrauteringravidität oder Schwangerschaftskomplikation
- TSH: Wichtiger Marker als Screening der Hyperthyreose vor geplanter CT mit Kontrastmittelgabe
Weitere Blutuntersuchungen je nach Fragestellung/Fokus
- Herzenzyme: Bei differentialdiagnostischem V.a. Myokardinfarkt
- D-Dimere↑: U.a.
- Parameter einer Verbrauchskoagulopathie, z.B. im Rahmen des septischen Schocks
- Hinweis auf Lungenarterienembolie als Differentialdiagnose
- Kreuzblut: Bestimmung der Blutgruppe und Bereitstellung von Erythrozytenkonzentraten
- Blutkulturen: Bei V.a. systemisches, inflammatorisches Krankheitsbild
- Hämolysezeichen: LDH↑ und Haptoglobin↓ bei V.a. Sichelzellkrise
- Nachweis veränderter Hämoglobinmoleküle als definitive Diagnostik im Verlauf mit Hb-Elektrophorese
Ein laborchemischer Schwangerschaftsausschluss gehört bei Frauen im gebärfähigen Alter zur Standarddiagnostik!
Urindiagnostik
- Urinstatus: Insb. bei V.a. eine Infektion der Harnwege oder unklarem Infekt, V.a. Nieren-/Harnleitersteine oder Porphyrie
- Abnorme Verfärbung
- Makrohämaturie: Bspw. bei Harnwegsinfektion
- Dunkel verfärbter Urin: Cholestase
- Rötliche Farbe: Möglicher Hinweis auf Porphyrie oder Erythrozyten/Hämoglobin-Beimengungen
- Leukozyten positiv: V.a. Entzündung im Bereich von Niere und ableitenden Harnwegen
- Hämoglobin, Erythrozyten und/oder Myoglobin positiv: U.a. bei Harnwegsinfektionen, Nephro- bzw. Urolithiasis, Nephritiden oder Tumoren
- Nitrit positiv: Hinweis auf einen bakteriellen Harnwegsinfekt
- Bilirubin positiv: Intra-/posthepatische Cholestase
- Ketone positiv: Ketoazidose bei Pseudoperitonitis diabetica
- Siehe auch: Urindiagnostik
- Abnorme Verfärbung
- Urinkultur: Bei V.a. Harnwegsinfektion oder unklarem Infektfokus
- Weitere: δ-Aminolävulinsäure↑ und Porphobilinogen↑ bei V.a. Porphyrie
Bildgebung
Abdomensonographie
- Indikation: Bildgebung der 1. Wahl!
- Ausnahme: Primäres CT-Abdomen bei hochgradigem klinischem und anamnestischem V.a. Mesenterialischämie!
- Durchführung
- Siehe für den Untersuchungsablauf: AMBOSS-Sonokurs
- Bei Traumapatienten als Notfallsonographie
Wichtige Befunde
Im Folgenden sind besonders häufige Sonographiebefunde dargestellt, auf die beim akuten Abdomen besonders geachtet werden sollte. Dabei sind die wichtigsten Befunde dargestellt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Für eine ausführliche Darstellung einzelner Verdachtsdiagnosen siehe im Diagnostikteil des jeweiligen Fachkapitels.
- Ubiquitär: Freie Luft? Freie Flüssigkeit? Aszites?
- Traumapatienten: Freie Flüssigkeit? Ruptur oder Lazeration eines Organs? Rippenfrakturen?
- Siehe auch: E-FAST
- Oberbauch
- Cholelithiasis, Cholezystitis und Cholangitis: Veränderungen an Gallenblase (Wandverdickung) bzw. Gallenwegen, ggf. Konkrementnachweis
- Siehe auch: Befundkonstellationen bei biliären Erkrankungen
- Pankreatitis: Echoarmes, ödematöses Parenchym, ggf. mit freier Flüssigkeit, evtl. Nekrosestraßen oder Pankreaspseudozysten
- Siehe auch: Pankreatitis - Diagnostik
- Urolithiasis: Harnstau, ggf. direkter Steinnachweis
- Siehe auch: Urolithiasis - Diagnostik
- Aortendissektion: Doppeltes Lumen in der Farbduplexsonographie
- Siehe auch: Aortendissektion - Diagnostik
- Cholelithiasis, Cholezystitis und Cholangitis: Veränderungen an Gallenblase (Wandverdickung) bzw. Gallenwegen, ggf. Konkrementnachweis
- Unterbauch
- Appendizitis: Wandverdickung, Durchmesser↑ und Nicht-Komprimierbarkeit der Appendix, Kokarden-Phänomen, ggf. freie Flüssigkeit bei Perforation
- Siehe auch: Sonographie bei V.a. Appendizitis
- Divertikulitis: Echoarme Verdickung des Sigmas, direkter Divertikel-Nachweis, echoarme Abszessknoten, ggf. freie Flüssigkeit oder Luft bei Perforation
- Siehe auch: Divertikulitis - Diagnostik
- Ileus: Darmschlingen erweitert, Strickleiter-Phänomen, Pendelperistaltik (mechanischer Ileus) oder fehlende Peristaltik (paralytischer Ileus)
- Siehe auch: Ileus - Diagnostik
- Mesenterialinfarkt: Abgangsstenosen in der Farbduplexsonographie, freie Flüssigkeit, stehende Darmschlingen
- Siehe auch: Mesenterialinfarkt - Diagnostik
- Gynäkologische Pathologien, insb. Stieldrehung des Ovars, rupturierte Ovarialzyste und Extrauteringravidität: Freie Flüssigkeit im kleinen Becken? Pathologika im Bereich des Ovars bzw. der Tuben (Zysten, Tumore oder Hinweise auf EUG)?
- Siehe auch: Vaginale Sonographie
- Appendizitis: Wandverdickung, Durchmesser↑ und Nicht-Komprimierbarkeit der Appendix, Kokarden-Phänomen, ggf. freie Flüssigkeit bei Perforation
Die Kombination aus Abdomensonographie und CT-Abdomen ist der CT allein deutlich überlegen!
Röntgen-Diagnostik
Abdomenübersichtsaufnahme
- Indikation: Insb. bei V.a. Hohlorganperforation und Darmobstruktion/Ileus
- Durchführung
- Als a.p.-Aufnahme im Stehen (alternativ: Rückenlage)
- Linksseitenlage
- Mögliche Befunde
- Hohlorganperforation
- Freie Luft außerhalb der Darmlumina als indirektes Zeichen
- Darmwanddefekt als direkter Nachweis
- Weiteres Vorgehen: Es besteht OP-Indikation, praktisch jedoch meist großzügige Indikationsstellung zur Abdomen-CT für genauere Lokalisationsdiagnostik
- Darmobstruktion
- Fremdkörper-/Konkrementnachweis: Bspw.
- Kotsteine
- Röntgendichte Harn- bzw. Cholelithiasis
- Fremdkörper, bspw. verschluckte Gegenstände (insb. bei Kindern)
- Hohlorganperforation
Röntgen-Thorax-Aufnahme
- Indikation: Ausschluss thorakaler Pathologien, insb. (basale) Pneumonie oder Pleuritis
- Durchführung: In 2 Ebenen, d.h. p.a. und seitliche Aufnahme (alternativ: in Rückenlage)
- Befunde bei Pneumonie, Pleuritis: Pneumonische Infiltrate, Pleuraerguss
CT-Abdomen
- Indikation
- Als Folgeuntersuchung nach Sonographie- bzw. Röntgendiagnostik bei
- Eingeschränkter Beurteilbarkeit
- Komplexen Pathologien
- Notwendigkeit genauerer Lokalisationsdiagnostik, insb. zur OP-Planung
- Initiale CT-Angiographie mit intravenöser Kontrastmittelgabe bei hochgradigem V.a. akute Mesenterialischämie (Klinik + Anamnese)
- Als Folgeuntersuchung nach Sonographie- bzw. Röntgendiagnostik bei
- Durchführung
- Nativ-CT: Bei vielen Verdachtsdiagnosen ausreichend sensitiv
- Kontrastmittel-CT:
- Intravenöses Kontrastmittel: Insb. bei V.a. Gefäßpathologien (als CT-Angiographie) oder Pathologien von Leber und Pankreas
- Orales und/oder rektales Kontrastmittel: Je nach Fragestellung einzusetzen, hierbei Verwendung von wasserlöslichem Kontrastmittel
- Ggf. Ergänzung durch Thorax-CT, zum Ausschluss thorakaler Differentialdiagnosen (bspw. Aortendissektion oder Lungenarterienembolie)
Bei Patienten mit Verdacht auf spontane oder iatrogene Perforation eines Hohlorgans soll in der Notaufnahme primär eine Computertomographie (CT) durchgeführt werden! (DGIM - Klug entscheiden in der Notaufnahme)
MRT-Abdomen
- Indikation
- Keinen Stellenwert in der Standarddiagnostik
- Ausnahme: Patienten, bei denen die Sonographie nicht wegweisend war und auf eine Strahlenexposition verzichtet werden muss
Ursachen des akuten Bauchschmerzes nach Schmerzort
Oberbauch | |||||
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Rechtsseitig | Links- und/oder rechtsseitig | Linksseitig | |||
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|
| |||
Unterbauch | |||||
Rechtsseitig | Links- und/oder rechtsseitig | Linksseitig | |||
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Diffuse/variable Lokalisation in Ober- und/oder Unterbauch | |||||
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Häufige Befundkonstellationen des akuten Abdomen
Häufige Befundkonstellationen des akuten Abdomens [2] | |||
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Anamnestische Hinweise | Klinische Untersuchung | Weitere Diagnostik | |
Akute Appendizitis |
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Akute Cholezystitis |
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Mesenterialischämie |
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Gynäkologische Ursachen |
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Inkarzerierte Hernie |
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Ileus |
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Akute Pankreatitis |
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Nierenkolik |
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Ulcus ventriculi/duodeni |
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Divertikulitis |
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Hämatologische Ursachen |
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Ein möglicher septischer Krankheitsverlauf und die postoperative (sekundäre) Peritonitis sind mit einer hohen Letalität assoziiert und sollten deshalb immer mit bedacht werden!
Akutes Abdomen bei besonderen Patientengruppen
Akutes Abdomen bei besonderen Patientengruppen [6] | |
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Kinder/Jugendliche |
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Ältere Patienten |
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Schwangere |
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HIV-Patienten |
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Differentialdiagnosen
Beim Leitsymptom „Bauchschmerzen“ besteht die Herausforderung darin, in einem breiten Spektrum möglicher Ursachen das notfallmäßig behandlungsbedürftige akute Abdomen von unspezifischen oder chronischen Bauchschmerzursachen abzugrenzen.
Für weitere differentialdiagnostische Überlegungen siehe auch:
- Ursachen des akuten Abdomens nach Schmerzort
- Häufige Befundkonstellationen des akuten Abdomens
- Akutes Abdomen bei besonderen Patientengruppen
Unspezifische Abdominalbeschwerden (Non-specific abdominal Pain = NSAP)[7]
- Definition: Chirurgische Arbeitsdiagnose bei Bauchschmerzen ohne akut nachweisbare Ursache und
- Bestehen der Symptomatik seit minimal 6 Stunden und max. 1 Woche
- Ausschlussdiagnose: Fehlender Nachweis einer zugrundeliegenden Genese nach körperlicher Untersuchung und Abdomensonographie
- Epidemiologie: Sehr häufige Ursache für akute Bauchschmerzen
- Diagnostik: Es liegen per definitionem kein Fieber, keine Leukozytose und kein Peritonismus vor!
- Unnötige Diagnostik wenn möglich vermeiden
- Anamnese bez. Anzeichen eines Reizdarmsyndroms
- Bei wiederholtem Auftreten bzw. Wechsel von Art und Intensität der Beschwerden erneute Basisdiagnostik
- Differentialdiagnose: Funktionelle Beschwerden, z.B. von Darm (Colon irritabile) oder Magen (nicht-ulzeröse Dyspepsie) ausgehend
- Assoziiert mit äußeren Faktoren (z.B. belastende Lebensereignisse, Stress im Alltag oder Krankheitsängste bei nicht indizierter Diagnostik)
- Persönlichkeitsaspekte: Z.B. intensives Krankheitsverhalten und ausgeprägte Ängstlichkeit
- Genetische Prädisposition
- Therapie: I.d.R. nicht notwendig, da selbstlimitierend
Funktionelle Bauchschmerzen und unspezifische Abdominalschmerzen können fließende Übergänge aufweisen!
Nicht jeder unspezifische Bauchschmerz mündet in ein funktionelles Beschwerdebild - insb. bei einer Dynamik von Intensität und Art der Beschwerden von Episode zu Episode sollte die Ausschlussdiagnostik ggf. einmalig erweitert erfolgen!
„Red Flags“ bei Bauchschmerzen
- Warnhinweise, die gefährliche Verläufe nahelegen
- Kreislaufinstabilität, Schocksymptomatik
- Immer unverzügliche Diagnostik anstreben, ggf. explorative Laparotomie
- U.a. Zeichen einer inneren Blutung oder einer akuten Ischämie
- Plötzlich aufgetretene, anhaltende Schmerzen mit Progredienz, ggf. Peritonismus: Immer vital bedrohliche Genese in Betracht ziehen!
- Neurologisches Defizit: U.a. Zeichen einer intraabdominellen Blutung (z.B. bei Ruptur eines Bauchaortenaneurysma bzw. posttraumatisch) oder endokrinologischer Ursachen (z.B. Addison-Krise)
- Hohes Fieber: U.a. Zeichen einer (beginnenden) Peritonitis, z.B. bei Hohlorganperforation
- Leukozytose
- Wind-/Stuhlverhalt: U.a. Zeichen eines Ileus oder eines intraabdominellen Abszesses
- Rektale Blutung: Bspw. bei Divertikulitis als Divertikelblutung oder als Zeichen einer Mesenterialischämie
- Kardiovaskuläre Vorerkrankungen: Erhöhtes Risiko u.a. für vaskuläre Ursachen (Aneurysmen abdomineller Gefäße, Mesenterialischämie bei
- Kreislaufinstabilität, Schocksymptomatik