Abstract
Pulsoxymetrie und Blutgasanalyse (BGA) sind diagnostische Basisverfahren mit einem großen Anwendungsspektrum. Beide geben Hinweise auf den aktuellen Zustand der Lungenfunktion (Ventilation und Gasaustausch) und sind somit bspw. bei akuter Luftnot indiziert. Die BGA liefert darüber hinaus weitere Informationen zur Homöostase des Körpers durch Analyse der Elektrolyte, des Säure-Basen-Haushaltes, des Blutzuckers und der Hämoglobin- und Lactatkonzentration.
Bei der Pulsoxymetrie handelt es sich um ein nicht-invasives Verfahren. Durch Anbringen eines Sensors am Finger oder Ohrläppchen wird die Haut durchleuchtet und spektralphotometrisch (also durch Messung der Absorption bzw. Remission von Licht einer bestimmten Wellenlänge) die periphere kapilläre Sauerstoffsättigung bestimmt. Der ermittelte Wert (spO2) wird auch als partielle oder funktionelle Sauerstoffsättigung bezeichnet und entspricht in etwa der Sauerstoffsättigung im arteriellen Blut (saO2). Zudem wird die Pulsfrequenz gemessen.
Für die Blutgasanalyse ist eine Blutentnahme erforderlich, es handelt sich dementsprechend um ein invasives Verfahren. Je nach Indikation und Fragestellung kann die Blutprobe arteriell, venös oder kapillär gewonnen werden. Art und Umfang der bestimmten Werte sind geräteabhängig. Generell kann zwischen direkt gemessenen und abgeleiteten (d.h. berechneten) Parametern unterschieden werden.
Definition
- Pulsoxymetrie: Nicht-invasives diagnostisches Verfahren zur Bestimmung der peripheren kapillären Sauerstoffsättigung (spO2) sowie der Pulsfrequenz mithilfe eines speziellen Spektralphotometers (sog. Pulsoxymeter)
- Prinzip: Perkutane Durchleuchtung mit Licht einer bestimmten Wellenlänge → Hämoglobin absorbiert mehr oder weniger Licht, je nachdem wie stark es mit Sauerstoff beladen ist → Messung des absorbierten/remittierten Lichts erlaubt Rückschluss auf den Anteil von Oxyhämoglobin am Gesamthämoglobin des Blutes
- Gleichzeitig Bestimmung der Pulsfrequenz möglich
- Blutgasanalyse (BGA): Invasives diagnostisches Verfahren zur Beurteilung der Lungenfunktion (Ventilation und Gasaustausch) sowie zur Analyse der Elektrolyte, des Säure-Basen-Haushaltes, des Blutzuckers und der Hämoglobin- und Lactatkonzentration
- Prinzip: Blutentnahme (kapillär, arteriell oder venös) und direkte Analyse durch Messgerät
- Art und Umfang der bestimmten Werte geräteabhängig
- Möglichkeit zur Aufdeckung einer osmolalen Lücke
Indikation
- Pulsoxymetrie
- Monitoring der Atmung
- Schnelle, nicht-invasive Überprüfung der Sauerstoffversorgung
- Blutgasanalyse
- Früherkennung kardiovaskulärer oder pulmonaler Erkrankungen
- Verlaufskontrolle chronischer pulmonaler Erkrankungen (COPD, interstitielle Lungenparenchymerkrankungen)
- Indikationen in der Intensiv- und Notfallmedizin
- Verdacht auf Hyperkapnie (bspw. bei COPD → Überwachung der O2-Therapie)
- Bei Hyperventilation (zum Beispiel als Hinweis auf Lungenembolie)
- Sauerstoffsättigung <94%
- Bestimmung, Abklärung und Monitoring des pH-Werts
- Schnelle Hämoglobinbestimmung
- Überwachung einer Beatmungstherapie
-
Präoperative Diagnostik
- Pulmonale Risikopatienten mit Vorerkrankungen der Lunge: Lungenkarzinom, COPD
Ablauf/Durchführung
- Pulsoxymetrie: Pulsoxymeter anbringen, Position des Sensors am Fingernagel (alternativ: Ohrläppchen oder Zehennagel)
- Blutgasanalyse: Blutentnahme mit einem speziellen Blutentnahmeröhrchen, je nach Situation
- Arteriell: Arterielle Blutentnahme oder Anlage eines arteriellen Katheters
- Kapillär: Ohrläppchen mit hyperämisierender Salbe einreiben, 10 min warten, dann Punktion mit einer Lanzette
- Venös: Venöse Blutentnahme aus einer peripheren Vene oder Anlage eines periphervenösen Zugangs
Interpretation/Befund
Pulsoxymetrie
- Normwert: Sauerstoffsättigung (spO2) 95–99%
- Interpretation
- Beachte: Reaktionszeit auf Änderung ca. 10–20 s, keine Messung im Schock möglich, Abfall der spO2 erst bei paO2 <100 mmHg
- Falsch-hohe Werte: Hohe Konzentration an Carboxyhämoglobin (Nikotinabusus!) oder Methämoglobin
- Falsch-niedrige Werte: Hypotonie, Hypothermie, verminderte Perfusion (Vasopressoren), Nagellack (Ausnahme: rote Farbe), intermittierende nicht-invasive Blutdruckmessung (Druck der Blutdruckmanschette)
Pulsoxymetrie: Interpretation pathologischer Werte | ||
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spO2 | paO2 | |
Mäßige Hypoxygenation | 90–94% | 80 mmHg |
Mittelgradige Hypoxygenation | 85–89% | 60 mmHg |
Hochgradige Hypoxygenation | <85% | <50 mmHg |
Bei Kohlenstoffmonoxidvergiftung zeigen normale Pulsoxymeter falsch-hohe Werte an, da das CO-Hämoglobin nicht vom oxygenierten Hämoglobin unterschieden werden kann!
Um eine pulsoxymetrisch gemessene Sauerstoffsättigung von etwa 98% zu erreichen, ist ein Sauerstoffpartialdruck von etwa 100 mmHg nötig!
Blutgasanalyse (BGA) [1][2][3]
Orientierende Normwerte
Orientierende Normwerte der Blutgasanalyse | ||
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Arterielle Blutgasanalyse | Venöse Blutgasanalyse | |
pO2 |
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pCO2 |
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pH |
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Aktuelles Bicarbonat (HCO3−) |
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Standardbicarbonat (HCO3−) |
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Base Excess (BE) |
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Sauerstoffsättigung |
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Sauerstoffgehalt |
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Elektrolyte | ||
Blutzucker |
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Lactat |
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Hämoglobin | ||
Hämatokrit | ||
Osmolalität |
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Die Werte einer kapillären Blutgasanalyse stimmen größtenteils mit denen einer arteriellen Blutgasanalyse überein, nur der kapilläre pO2 ist im Mittel um ca. 5 mmHg niedriger! [1]
Die Normwerte der Blutgasanalyse sind nicht einheitlich definiert und zudem häufig von patientenspezifischen Charakteristika wie bspw. Alter oder Geschlecht abhängig!
Interpretation
- Respiratorische Insuffizienz
- paO2↓ = Hypoxämische respiratorische Insuffizienz (alt: Respiratorische Partialinsuffizienz)
- paO2↓ und paCO2↑ = Hyperkapnische respiratorische Insuffizienz (alt: Respiratorische Globalinsuffizienz)
- Unter Belastung paO2↓ = Latente respiratorische Insuffizienz
- Osmolale Lücke: (Tatsächlich gemessene Osmolalität) - (theoretisch errechnete Osmolalität) > 5 mosmol/kg H2O →
- Berechnung: Es existieren verschiedene Verfahren/Formeln; prinzipiell werden die wichtigsten osmotisch aktiven Teilchen (u.a. Na+, Glucose, Harnstoff, Lactat; ggf. auch Alkohol) in die Berechnung der (theoretisch erwarteten) Gesamtosmolalität einbezogen
- Bspw. anhand der Smithline-Gardner-Formel: Geschätzte Plasma-Osmolalität = 2 × [Na+] + [Glucose] + [Harnstoff]
- Interpretation: Eine (erhöhte) osmolale Lücke zeigt, dass zusätzliche, osmotisch wirksame Teilchen im Plasma vorhanden sind
- Berechnung: Es existieren verschiedene Verfahren/Formeln; prinzipiell werden die wichtigsten osmotisch aktiven Teilchen (u.a. Na+, Glucose, Harnstoff, Lactat; ggf. auch Alkohol) in die Berechnung der (theoretisch erwarteten) Gesamtosmolalität einbezogen
Verschiebungen des Säure-Basen-Haushaltes
Die metabolischen Folgen der Verschiebungen des Säure-Basen-Haushalts und deren pathophysiologische Grundlagen werden im Kapitel Säure-Basen-Haushalt abgehandelt (siehe: Folgen bei pH-Abweichung).
Verschiebungen des Säure-Basen-Haushaltes: Alkalose und Azidose | |||||||
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Respiratorische Azidose | Respiratorische Alkalose | Metabolische Azidose | Metabolische Alkalose | ||||
pH* | ↓ | ↑ | ↓ | ↑ | |||
pCO2 | ↑ | ↓ | n/↓ (Kompensation) | n/↑ (Kompensation) | |||
HCO3− | n/↑ (Kompensation) | n/↓ (Kompensation) | ↓ | ↑ | |||
Ursachen | Hypoventilation | Hyperventilation | Hypoxämie, Niereninsuffizienz, Hypovolämie (z.B. durch Blutverlust) u.a. | Erbrechen (Magensaftverlust), Hyperaldosteronismus u.a. | |||
*Bei einer kompletten Kompensation kann der pH auch normwertig sein. Man spricht dennoch von einer kompensierten Alkalose bzw. Azidose. |
Tipps zum Vorgehen
- Betrachtung des pH
- Betrachtung pCO2 (=Säure, respiratorisch) und HCO3− (=Base, metabolisch) zur Ursachenklärung: Veränderung eines dieser Parameter erklärt die pH-Verschiebung und damit die Genese
- Kompensation: Die Kompensation erfolgt immer im nicht ursächlichen Schenkel, d.h.: Respiratorische Genese → Metabolische Kompensation, und umgekehrt
- Gemischte/kombinierte Störungen: Sind sowohl pCO2 als auch HCO3− in Richtung Azidose (pCO2↑ und HCO3−↓) bzw. Alkalose (pCO2↓ und HCO3−↑) verändert, handelt es sich um eine kombinierte respiratorische und metabolische Störung
- Gleichgewichtsreaktion: CO2 + H2O ↔︎ H2CO3 ↔︎ H+ + HCO3−
- Bildet wesentliche Grundlage für Entgleisungen oder Kompensationen
- Beispiel
- Respiratorische Azidose = Hypoventilation → CO2↑ → H+↑ → Azidose
- Mechanismus der metabolischen Kompensation = Renal vermehrte Bicarbonatretention → HCO3−↑ → H+ wird gebunden → geringere Azidose
Anionenlücke
- Bedeutung/Indikation: Errechneter Parameter zur weiteren Abklärung einer metabolischen Azidose. Eine vergrößerte Anionenlücke spricht für eine "Additionsazidose"
- Kurzbeschreibung: Die Summe der Kationen und Anionen im Blut ist gleich (elektrische Neutralität). Die Kationen werden überwiegend durch Natrium (Na+) repräsentiert, die Anionen durch Bicarbonat und Chlorid (HCO3−, Cl−). Weiterhin gibt es in beiden Fraktionen zusätzliche Bestandteile , wobei diese physiologisch in der Anionenfraktion größer sind. Subtrahiert man die Bicarbonat- und Chloridkonzentration von der Natriumkonzentration, erhält man die Differenz der Anionen- zur Kationenfraktion, die auch als Anionenlücke bezeichnet wird.
- Berechnung: Anionenlücke = Na+ - (HCO3− + Cl−)
- Normbereich: 7 ± 4 mmol/L (also 3–11 mmol/L) , ggf. auch labormethodenabhängig 12 ± 4 mmol/L (also 8–16 mmol/L)
- Diskriminierender Wert: Bei einer Anionenlücke >16 mmol/L ist mit großer Sicherheit von einer Additionsazidose (s.u.) auszugehen.
- Alternativ (mit Berücksichtigung von Kalium): (Na+ + K+) - (HCO3− + Cl-)
- Normbereich: 11 ± 4 mmol/L bzw. 16 ± 4 mmol/L
- Interpretation
- Normale Anionenlücke = „Bicarbonatverlust“
- Mögliche Ursachen
- Endogen: Diarrhö, Galle- oder Pankreasfistel , renal tubuläre Azidose
- Exogen: Medikamente (Carboanhydrasehemmer), Zufuhr von Säuren, deren Anion Chlorid ist (z.B. HCl)
- Mögliche Ursachen
-
Vergrößerte Anionenlücke = „Additionsazidose“
- Mögliche Ursachen
- Endogen: Lactatazidose , Ketoazidose , Niereninsuffizienz/Urämie
- Exogen: Vergiftung durch Salicylsäure, Ethanol, Methanol, Ethylenglykol (in Frostschutzmittel enthalten)
- Mögliche Ursachen
- Störfaktoren: Hypalbuminämie (Verringerung der Anionenlücke), Hyperphosphatämie (Vergrößerung der Anionenlücke)
- Normale Anionenlücke = „Bicarbonatverlust“
Merkwort für Ursachen einer vergrößerten Anionenlücke „Kuss-Maul“: Ketonkörper, Urämie, Salicylsäure, Methanol, Äthylenglykol (bzw. Ethylenglykol), (Urämie), Lactat
Sauerstoffbindungskurve
- Beschreibt die Abhängigkeit der O2-Sättigung vom O2-Partialdruck, d.h. die Bindungsaffinität des Hämoglobins (Hb) zu O2
- Hb-Bindungsaffinität wird von äußeren Faktoren moduliert, die zu einer Links- bzw. Rechtsverschiebung der Sauerstoffbindungskurve führen können
Rechtsverschiebung
- Interpretation: Sauerstoffbindung an Hämoglobin schwächer → Begünstigte O2-Abgabe an Gewebe
- Ursachen einer Rechtsverschiebung
- pCO2↑
- Temperatur↑
- pH↓
- 2,3-Bisphosphoglycerat↑
Linksverschiebung
- Interpretation: Sauerstoffbindung an Hämoglobin stärker → Geringere O2-Abgabe an Gewebe
- Ursachen einer Linksverschiebung
- pCO2↓
- Temperatur↓
- pH↑
- 2,3-Bisphosphoglycerat↓
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Blutgasanalyse
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