Abstract
Hyperparathyreoidismus (HPT) definiert einen übermäßigen Anstieg des Nebenschilddrüsenhormons Parathormon (PTH) im Serum, das neben Vitamin D ein zentraler Faktor in der Regulation des Calciumstoffwechsels ist. Der Hyperparathyreoidismus kann in drei Unterformen unterschieden werden: Die primäre Form ist vorwiegend auf Adenome sowie seltener auf Epithelkörperchenhyperplasien im Bereich der Nebenschilddrüse zurückzuführen und bedingt eine Hyperkalzämie. Die sekundäre Form besteht in der regulatorischen Erhöhung des PTH als Reaktion auf chronisch erniedrigte Calciumspiegel (z.B. Vitamin-D-Mangel, Niereninsuffizienz, Malassimilationssyndrom). Die seltenere tertiäre Variante beschreibt eine auftretende Hyperkalzämie bei lange bestehendem sekundärem Hyperparathyreoidismus aufgrund einer inadäquat hohen PTH-Freisetzung.
Eine Klinik ist bei allen Unterformen nicht obligat, aber möglich. In voller Ausprägung kommt es beim primären Hyperparathyreoidismus zu Nephrolithiasis, Knochenschmerzen und Ulcus ventriculi („Stein-, Bein- und Magenpein“). Diagnostisch sind die relevanten Laborparameter Calcium, Phosphat und PTH zu bestimmen. Der primäre Hyperparathyreoidismus muss bei symptomatischem Verlauf operativ therapiert werden, bei moderatem, asymptomatischem Verlauf kann ein konservatives, beobachtendes Verhalten gewählt werden. Bei der sekundären Form steht die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund, eine Alimentation von Vitamin D und Calcium wird kombiniert.
Definition
- Primärer Hyperparathyreoidismus (pHPT): Erhöhter PTH-Spiegel, der auf eine Überfunktion der Nebenschilddrüse zurückzuführen ist
- Sekundärer Hyperparathyreoidismus (sHPT): Erhöhter Parathormonspiegel, der Folge eines erniedrigten Calciumspiegels ist
- Tertiärer Hyperparathyreoidismus (tHPT): Autonome Überproduktion von Parathormon als Folge einer Überstimulierung bei langjährigem sekundärem Hyperparathyreoidismus → Hyperkalzämie im Rahmen eines sekundären Hyperparathyreoidismus
Epidemiologie
- Primärer Hyperparathyreoidismus: ♀ > ♂ (3:1)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Primärer Hyperparathyreoidismus
- Adenome der Nebenschilddrüse (ca. 85%)
- Solitär (ca. 80%)
- Multipel (ca. 5%)
- Pathologie der Epithelkörperchen (ca. 15%)
- Hyperplasie (ca. 15%)
- Selten Karzinome
- MEN-Syndrome (multiple endokrine Neoplasien – selten)
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
- Renale Genese: Renale Osteopathie im Rahmen einer chronischen Niereninsuffizienz
- Nicht-renale Genese
- Enteral
- Calcium- und/oder Vitamin-D-Mangel im Rahmen eines Malassimilationssyndroms
- Hepatisch
- Mangelndes Sonnenlicht
- Enteral
Tertiärer Hyperparathyreoidismus
- Hyperkalzämie im Rahmen eines sekundären Hyperparathyreoidismus
Pathophysiologie
Physiologische Parathormonsekretion
Vermehrte Parathormonsekretion
- Primärer Hyperparathyreoidismus
- Sekundärer Hyperparathyreoidismus
- Verstärkte PTH-Biosynthese aufgrund einer reaktiven Hyperplasie der Nebenschilddrüsen, die durch eine Hypokalzämie und/oder Hyperphosphatämie induziert wird
- Bei renaler Genese
- Im Rahmen einer chronischen Niereninsuffizienz kommt es durch eine gestörte Phosphatausscheidung zu einer Hyperphosphatämie, die eine direkte Stimulation der PTH-Sekretion bewirkt. Gleichzeitig bedingt die Niereninsuffizienz eine verminderte Aktivierung von Vitamin D . Ein Vitamin-D-Mangel wiederum führt durch eine geringere Calciumresorption aus dem Darm und eine ebenfalls verminderte Rückresorption aus dem Harn zu einer Hypokalzämie, die dann auch wieder eine Stimulation der PTH-Sekretion bewirkt
- Die erhöhte PTH-Sekretion führt zu einem verstärkten Knochenabbau; das resultierende Krankheitsbild wird als renale Osteopathie bezeichnet
Beim primären Hyperparathyreoidismus kann eine Hyperplasie der Nebenschilddrüse Ursache sein. Beim sekundären Hyperparathyreoidismus entsteht sie hingegen reaktiv!
Symptome/Klinik
Primärer Hyperparathyreoidismus
Mehr als die Hälfte der Patienten ist asymptomatisch oder hat nur unspezifische Beschwerden!
- Renal
- Ossär
- Knochen- und Gelenkschmerzen
- Chondrokalzinose
- Subperiostale Resorptionslakunen , Akroosteolysen
- Röntgenologisch: Diffuse Osteopenie, Verkalkungen des Gelenkknorpels
- Osteodystrophia cystica generalisata von Recklinghausen (= eingeblutete Resorptionszysten = braune Tumoren) eher selten
- Schädel: Verlust der normalen Dreischichtung der Schädelkalotte, granuläre Zeichnung (sog. „Pfeffer-und-Salz“-Schädel)
- Gastrointestinal
- Appetitlosigkeit, Übelkeit, Obstipation
- Seltener Ulcus ventriculi/duodeni , Pankreatitis
- Psyche
- Depressive Verstimmung bis hin zur manifesten Depression
„Stein-, Bein- und Magenpein“!
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
- Symptome einer möglichen Grunderkrankung (z.B. chronische Niereninsuffizienz)
- Symptome/Klinik
- Muskelschwäche (Watschelgang)
- Diffuse Knochenschmerzen (Rippen-, Hüft-, Knie-, Sprunggelenke)
- Spontanfrakturen
- Röntgen
- Insb. Befunde an Händen und Wirbelsäule im späteren Verlauf nachweisbar
- Subperiostale Resorptionszonen, ggf. auch subchondrale Resorptionszonen (Pseudoerweiterung des Gelenks)
- Kortikalis-Auflockerungen, verwaschene Knochenstruktur
- Querstreifung der Wirbel
- Insb. Befunde an Händen und Wirbelsäule im späteren Verlauf nachweisbar
- Hyperphosphatämie als unabhängiger Risikofaktor für die Entstehung kardiovaskulärer Erkrankungen
Klinische Beschwerden des sHPT nur in 5–10% der Fälle!
Diagnostik
Während beim primären (und tertiären) Hyperparathyreoidismus eine Erhöhung des Calciums im Serum zu erwarten ist, zeichnet sich der sekundäre Hyperparathyreoidismus häufig durch eine Hypokalzämie aus!
Überblick der Laborparameter beim Hyperparathyreoidismus | ||||
---|---|---|---|---|
Serumcalcium | Serumphosphat | Alkalische Phosphatase | Parathormon (PTH) | |
Primärer (und tertiärer) Hyperparathyreoidismus | ↑ | ↓ | ↑ | ↑ |
n/↓ | n/↑ | ↑ | ↑ | |
Tertiärer Hyperparathyreoidismus↑ | ↑ | ↑ | ↑ | ↑ |
- Für weitere Differenzialdiagnosen siehe: Laborkonstellation Knochenerkrankungen
Hyperkalzämische Krise (bei primärem und tertiärem HPT) möglich!
Therapie
Primärer Hyperparathyreoidismus
- Operativ
-
Der pHPT ist generell durch eine rechtzeitige Entfernung der Epithelkörperchen (total oder isoliert adenomatös vergrößerte Anteile) heilbar. Indiziert ist eine Operation bei jedem symptomatischen pHPT
- Wenn alle Epithelkörperchen adenomatös verändert sind, erfolgt eine totale Parathyreoidektomie mit Reimplantation von Anteilen der explantierten Nebenschilddrüse im Bereich des M. sternocleidomastoideus oder M. brachioradialis (7/8-Resektion: 1/8 wird autolog reimplantiert). Bei erneutem pHPT kann so operativ ein schneller Zugang gefunden werden
-
Der pHPT ist generell durch eine rechtzeitige Entfernung der Epithelkörperchen (total oder isoliert adenomatös vergrößerte Anteile) heilbar. Indiziert ist eine Operation bei jedem symptomatischen pHPT
- Konservativ
- Viel trinken, Osteoporoseprophylaxe, moderate Vitamin-D- (400–600 IE/Tag) und Calciumaufnahme (1.000 mg/Tag) sowie regelmäßige Verlaufskontrollen alle drei Monate
Sekundärer Hyperparathyreoidismus
- Behandlung der Grunderkrankung
- Substitution von aktivem Calcitriol und ggf. Calcium
- Siehe auch: Therapie der chronischen Niereninsuffizienz
Tertiärer Hyperparathyreoidismus
- Ggf. chirurgische Entfernung der Nebenschilddrüsenanteile
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 43-2018-1/3: Therapie des sekundären Hyperparathyreoidismus: Neue Medikamente, aber alte Fragen
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2022
- E21.-: Hyperparathyreoidismus und sonstige Krankheiten der Nebenschilddrüse
- Exklusive: Osteomalazie: im Erwachsenenalter (M83.‑), im Kindes- und Jugendalter (E55.0)
- E21.0: Primärer Hyperparathyreoidismus
- Hyperplasie der Nebenschilddrüse
- Osteodystrophia fibrosa cystica generalisata [von-Recklinghausen-Krankheit des Knochens]
- E21.1: Sekundärer Hyperparathyreoidismus, anderenorts nicht klassifiziert
- Exklusive: Sekundärer Hyperparathyreoidismus renalen Ursprungs (N25.8)
- E21.2: Sonstiger Hyperparathyreoidismus
- Tertiärer Hyperparathyreoidismus
- Exklusive: Familiäre hypokalziurische Hyperkalziämie (E83.58)
- E21.3: Hyperparathyreoidismus, nicht näher bezeichnet
- E21.4: Sonstige näher bezeichnete Krankheiten der Nebenschilddrüse
- E21.5: Krankheit der Nebenschilddrüse, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2022, DIMDI.