Abstract
Die Pyelonephritis ist eine infektiöse Erkrankung des Nierenbeckens in Mitbeteiligung des Nierenparenchyms meist infolge eines aufsteigenden bakteriellen Infekts der Harnblase. Typische Symptome sind Flankenschmerzen und Schüttelfrost in Verbindung mit dysurischen Beschwerden und Fieber. Entscheidend ist eine frühzeitige antibiotische Therapie zur Vermeidung einer Ausbreitung des Infekts und Urosepsis. Bei Säuglingen und Kleinkindern kann die Abgrenzung einer Pyelonephritis von einer Urozystitis schwierig bis unmöglich sein, für das Vorgehen siehe: Harnwegsinfektionen im Kindesalter.
Definition
- Eine Pyelonephritis ist die bakterielle Entzündung der Nierenbeckenstrukturen und geht i.d.R. mit Fieber, Flankenschmerzen und Nierenlagerklopfschmerz einher
Ätiologie
- Geschlecht: ♀ > ♂
- Meist gehen bakterielle Infekte der Harnblase (Urozystitis) voraus
- Erreger
-
Enterobacteriaceae (Gram-negative Stäbchen)
- Escherichia coli (ca. 70% der Fälle)
- Proteus mirabilis
- Klebsiellen
-
Enterobacteriaceae (Gram-negative Stäbchen)
Symptome/Klinik
-
Fieber, Schüttelfrost
- Undulierendes Fieber unter/trotz antibiotischer Therapie
- Flankenschmerzen, meist einseitig
- Dysurie
Diagnostik
- Körperliche Untersuchung: Nierenklopfschmerz
- Laboruntersuchungen
- Urin-Stix: Meist Leukozyturie und Mikrohämaturie
- Urinkultur zum Keimnachweis mit Resistogramm
- Blutuntersuchung: Entzündungsparameter, Retentionsparameter, Blutkultur
- Sonographie der Nieren und der Harnblase
Ausschluss einer komplizierten Harnwegsinfektion
- Indikation: Insb. bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen
- Definition: Kompliziert ist eine Infektion der Harnwege bei jeglicher struktureller oder funktioneller Abnormalität des Urogenitaltraktes; darunter fallen
- Vesikoureteraler Reflux
- Neurogene Harnblasenentleerungsstörung
- Jegliche Form der Obstruktion: Urolithiasis bzw. subvesikale Obstruktionen (z.B. bei Prostatitis)
- Weitere Risikofaktoren für das Vorliegen komplizierter Harnwegsinfektionen
- Blasenkatheter oder andere Fremdmaterialien (z.B. Harnleiterschienen)
- Postoperative Zustände am Urogenitaltrakt (Neoblase, Ileum-Conduit, Nierentransplantation etc.)
- Restharnmenge >100 mL
- Schädigungen des Urogenitalsystems infolge Bestrahlungen (z.B. bei Zervixkarzinom)
Ergänzende Diagnostik bei unklarer Genese
- Kontrastmittel-CT des Abdomens/Urogramm zur Darstellung der Abflussverhältnisse
- Miktionsurethrogramm zur Verifizierung eines vesikoureteralen Reflux
- Urodynamik zum Ausschluss einer neurogenen Harnblasenentleerungsstörung oder subvesikalen Obstruktion
- Statische DMSA-Nierenfunktionsszintigraphie zur Bestimmung der Nierenrestleistung im Seitenvergleich
Pathologie
- Destruktive interstitielle Nephritis: Eitrige Entzündung des Interstitiums mit Destruktion des Parenchyms, der Nierentubuli und manchmal des Nierenbeckens.
Differentialdiagnosen
- Akute Cholezystitis
- Sigmadivertikulitis
- Adnexitis
- Pathologien des Bewegungsapparates
- Pankreatitis
- Basale Pneumonie
- Pleuritis
- Akute Appendizitis
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differentialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeine Überlegungen
- Indikation: Die Diagnosestellung einer Pyelonephritis rechtfertigt immer den Einsatz einer antibiotischen Therapie!
- Supportive Therapie mit Flüssigkeitssubstitution (Vollelektrolytlösungen)
- Bei Harnverhalt, Restharn oder Pyurie: Einlage eines transurethralen Dauerkatheters zur sicheren und prompten Harnableitung
Empirische Therapie der unkomplizierten Pyelonephritis (milder Verlauf)
- 1. Wahl: Fluorchinolone (oral)
- Alternativ: Cephalosporine
- Ceftibuten
- oder Cefpodoxim
- Alternativen bei nachgewiesener Sensibilität des Erregers
Empirische Therapie der unkomplizierten Pyelonephritis (schwerer Verlauf)
Der schwere Verlauf wird über das Vorhandensein systemischer Symptome wie hohem Fieber, Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Übelkeit und Erbrechen definiert.
- Allgemeine Überlegungen
- Bei hospitalisierten Patienten oder bei Symptomen, die eine orale Gabe erschweren (z.B. Erbrechen/Übelkeit) intravenöse Therapie, nach klinischer Besserung Umstieg auf orale Therapie
- Dauer der Therapie i. d. R. 7–14 Tage
- Nach Identifizierung des Erregers sollte die empirische Therapie überdacht und ggf. angepasst werden
- 1. Wahl
- Cephalosporine der 3. Generation [1][2]
- Cefotaxim
- oder Ceftriaxon
- Fluorchinolone [1][2]
- (Acyl)Aminopenicilline mit Betalaktamaseinhibitoren
- Cephalosporine der 3. Generation [1][2]
- Möglicher Kombinationspartner
- Aminoglykoside kombiniert mit Beta-Laktam-Antibiotika: Bei schweren Verläufen als therapeutische Option (keine Monotherapie!)
Empirische Therapie komplizierter Infektionen der Harnwege
- Allgemeine Überlegungen
- Eine unkomplizierte Urozystitis des Mannes kann analog behandelt werden; die Abgrenzungsproblematik von komplizierter und unkomplizierter Zystitis bei Männern hat somit kaum therapeutische Relevanz
- Bei hospitalisierten Patienten intravenöse Therapie, nach klinischer Besserung Umstieg auf orale Therapie (Sequenztherapie)
- Nach Identifizierung des Erregers sollte die empirische Therapie überdacht und ggf. angepasst werden
- Dauer der Therapie i. d. R. 7–14 Tage
- Berücksichtigung folgender Punkte bei der Wahl des Antibiotikums [2]
- Ort der Erwerbung der Infektion (ambulant vs. nosokomial)?
- Antibiotische Vorbehandlung?
- Katheterisierung?
- Empirische Initialtherapie [1][2]
- Renal ausgeschiedene Fluorchinolone, insb. Ciprofloxacin
- oder Cephalosporine der Gruppe IIIa
- oder Aminopenicilline plus Betalaktamaseinhibitoren
- Ausweitung der Therapie entsprechend des individuellen Risikoprofils (Insb. bei nosokomial erworbenen oder katheterassoziierten Harnwegsinfekten): Gabe von Breitspektrumantibiotika unter Berücksichtigung lokaler Resistenzmuster [2]
- Cephalosporine der Gruppe IIIb (wirksam gegen Pseudomonas aeruginosa) als zusätzliche Therapie zu Ciprofloxacin
- oder Acylaminopenicilline plus Betalaktamaseinhibitor(wirksam gegen Pseudomonas aeruginosa sowie Enterokokken bei katheterassoziierten Infekten) als zusätzliche Therapie zu Ciprofloxacin
- oder Carbapeneme
- Ertapenem (keine ausreichende Pseudomonas-Wirksamkeit)
- Meropenem (wirksam gegen Pseudomonas aeruginosa) als zusätzliche Therapie zu Ciprofloxacin
Kalkulierte Therapie der Urosepsis
Komplikationen
Chronifizierung
- Rezidivierende bakterielle Pyelonephritiden (Ask-Upmark-Niere in Folge einer chronisch-destruierenden tubulo-interstitiellen Nephritis)
- Schrumpfniere
- Terminale Niereninsuffizienz bei beidseitigem Befall, Einzelniere oder anderer Pathologie der kontralateralen Niere
Urosepsis
- Lebensbedrohliche Organdysfunktion infolge einer dysregulierten Immunantwort auf eine Harnwegsinfektion
- Siehe: Urosepsis
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Besondere Patientengruppen
Pyelonephritis gravidarum (Schwangerschaftspyelonephritis)
- Ursache: Einfluss von Progesteron in der Schwangerschaft führt zu Weitstellung der Ureteren mit erleichterter Keimaszension; betroffen ist dabei vor allem die rechte Niere
- Epidemiologie: Häufigste Erkrankung im 1. Trimenon
- Ätiologie
- Bei bis zu 10% der Schwangeren findet sich eine asymptomatische Bakteriurie
- Die weiten Ureteren und der erhöhte Glucosegehalt im Urin der Schwangeren bewirken eine vereinfachte Aszension
- Therapie (siehe auch: Antibiotika in der Schwangerschaft)
- Bei unkomplizierten Fällen ohne schweren Verlauf: Orale antibiotische Therapie, z.B. mit
- Amoxicillin/Clavulansäure
- oder Cephalosporinen der 3. Generation (Cefpodoxim , Ceftibuten )
- Bei komplizierten bzw. schweren Verläufen: Vorgehen wie bei schwerer Pyelonephritis, Bevorzugung der in der Schwangerschaft unter strengem Nutzen-Risiko anwendbaren Beta-Laktam-Antibiotika
- Insb. Fluorchinolone sind kontraindiziert
- Bei unkomplizierten Fällen ohne schweren Verlauf: Orale antibiotische Therapie, z.B. mit
Jede asymptomatische Bakteriurie muss im Rahmen einer Schwangerschaft behandelt werden (einschließlich Urinkultur und testgerechter Anpassung der Medikation)!
Die Anwendung von Fluorchinolonen und Cotrimoxazol in der Schwangerschaft ist kontraindiziert!
Kinder
- Unterscheidung von Pyelonephritis und Urozystitis bei kleineren Kindern und Säuglingen nicht sicher möglich
- Verlauf bei Schulkindern und Jugendlichen ähnlich wie bei Erwachsenen
- Für Details zum Vorgehen siehe: Harnwegsinfektionen im Kindesalter
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- N10: Akute tubulointerstitielle Nephritis
- Inklusive: Akut:
- infektiöse interstitielle Nephritis
- Pyelitis
- Pyelonephritis
- Soll der Infektionserreger angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer (B95–B98) zu benutzen.
- Inklusive: Akut:
- N11.-: Chronische tubulointerstitielle Nephritis
- Inklusive: Chronisch:
- infektiöse interstitielle Nephritis
- Pyelitis
- Pyelonephritis
- Soll der Infektionserreger angegeben werden, ist eine zusätzliche Schlüsselnummer (B95–B98) zu benutzen.
- Inklusive: Chronisch:
- N11.0: Nichtobstruktive, mit Reflux verbundene chronische Pyelonephritis
- Pyelonephritis (chronisch) in Verbindung mit Reflux (vesikoureteral)
- Exklusive: Vesikoureteraler Reflux o.n.A. (N13.7)
- N11.1: Chronische obstruktive Pyelonephritis
- N11.8: Sonstige chronische tubulointerstitielle Nephritis
- Nichtobstruktive chronische Pyelonephritis o.n.A.
- N11.9: Chronische tubulointerstitielle Nephritis, nicht näher bezeichnet
- Chronisch:
- interstitielle Nephritis o.n.A.
- Pyelitis o.n.A.
- Pyelonephritis o.n.A.
- Chronisch:
- N12: Tubulointerstitielle Nephritis, nicht als akut oder chronisch bezeichnet
- Inklusive: Interstitielle Nephritis o.n.A., Pyelitis o.n.A., Pyelonephritis o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.