Abstract
Der Geburtsablauf stellt eine interdisziplinäre Herausforderung für Hebammen, ärztliches und pflegerisches Personal dar. Eine regelrechte Geburt verläuft in drei Phasen und beginnt mit den Eröffnungswehen, die die Eröffnungsperiode der Geburt einleiten. Die vollständige Eröffnung des Muttermundes markiert den Beginn der zweiten Phase, der sog. Austreibungsperiode der Geburt, die mit der Geburt des Kindes endet. Die Nachgeburtsperiode schließt den Geburtsvorgang ab und endet mit der vollständigen Geburt der Nachgeburt (Plazenta). Mütterliche oder fetale Indikationen können eine künstliche Einleitung der Geburt notwendig machen. Ausführliche Informationen dazu finden sich im Kapitel Geburtseinleitung.
Zur Beurteilung des regulären Geburtsfortschritts sind die Beobachtung der Wehen und vaginale geburtshilfliche Tastuntersuchungen essentiell. Während Senkwehen und Vorwehen eine beginnende Geburt ankündigen, gehören die Eröffnungswehen bereits zu den Geburtswehen, ebenso wie die nachfolgenden Austreibungswehen. Nach Geburt des Kindes führen die Nachgeburtswehen zur Geburt der Plazenta.
Das Management im Kreißsaal umfasst neben der Versorgung der Mutter auch die Überwachung des Kindes unter der Geburt, bspw. mittels CTG oder Mikroblutuntersuchung. Unter der Geburt auftretende Komplikationen können Maßnahmen zur Geburtsunterstützung oder -beendigung erforderlich machen. Detaillierte Inhalte dazu, inkl. Ablauf der Sectio caesarea, finden sich im Kapitel Operative Geburtshilfe.
Nach der Geburt verbleiben Mutter und Neugeborenes noch für eine gewisse Zeit im Kreißsaal, wo auch mögliche Geburtsverletzungen versorgt werden und i.d.R. die Kindervorsorgeuntersuchung U1 erfolgt. Informationen zur weiteren Betreuung von Mutter und Kind nach der Geburt werden im Kapitel Wochenbett abgehandelt.
Regelrechter Geburtsablauf
Der Geburtsablauf wird in drei Phasen unterteilt:
- Eröffnungsperiode
- Austreibungsperiode
- Nachgeburtsperiode
Eröffnungsperiode (Geburt) [1]
- Definition: Geburtsphase vom Beginn muttermundwirksamer Eröffnungswehen bis zur vollständigen Öffnung des Muttermundes
- Dauer: Ca. 3–12 h, abhängig von der Anzahl früherer Geburten
- Erstgebärende: Ca. 10–12 h
- Mehrgebärende: Ca. 3–8 h
- Wehen: Eröffnungswehen
- Vaginaler Befund
- Eröffnung des Muttermundes (MM) bis zur Vollständigkeit (ca. 10 cm)
- Verkürzung des Zervix (siehe auch: Bishop-Score)
- Ggf. Zeichnungsblutung („Zeichnen“)
- Regelrechter Blasensprung: Am Ende der Eröffnungsperiode
Austreibungsperiode (Geburt) [1][2]
- Definition: Zeitraum zwischen vollständiger Eröffnung des Muttermundes (MM) und vollständiger Geburt des Kindes
- Dauer: I.d.R. 20–60 min, abhängig von der Anzahl früherer Geburten, dem fetalen Gewicht und einer ggf. liegenden PDA [3]
- Erstgebärende: Bis zu 3 h (mit PDA) bzw. 2 h (ohne PDA)
- Mehrgebärende: Bis zu 2 h (mit PDA) bzw. 1 h (ohne PDA)
- Wehen: Austreibungswehen
- Vaginaler Befund: Vollständig eröffneter Muttermund
- Einschneiden: Erscheinen des Kopfes in der Vulva während einer Austreibungswehe
- Durchschneiden: Verbleiben des Kopfes in der Vulva während einer Wehenpause
Nachgeburtsperiode [1]
- Definition: Zeitraum zwischen der Geburt des Kindes und der vollständigen Geburt der Plazenta
- Dauer: Max. 30 min
- Wehen: Nachgeburtswehen
- Blutverlust
- Regelrechter Blutverlust: Ca. 300–400 mL durch Lösung der Plazenta
- Prophylaxe zur Reduktion des Blutverlusts: Oxytocin-Gabe nach Abnabelung des Kindes
- Verstärkte Blutungen: Über 500 mL Blutverlust sind abklärungsbedürftig, bspw. bei Plazentaretention oder Uterusatonie (siehe auch: Intrapartale Blutungen)
- Plazentabeurteilung: Prüfung immer auf folgende Aspekte
- Vollständigkeit: Eine unregelmäßige Oberfläche der Dezidua spricht für Plazentareste im Uterus
- Nebenplazenta: Große Gefäße, die von der Plazenta zu den Eihäuten verlaufen, sprechen für eine im Uterus verbliebene Zweitplazenta
- Weitere Nabelschnurgefäße
Besteht der V.a. eine unvollständige Plazenta oder eine Nebenplazenta, muss manuell nachgetastet und im Verlauf kürettiert werden!
Wehen
- Definition: Muskelkontraktionen der Gebärmutter zur Austreibung von Kind und Plazenta
- Auswirkungen
- Kompression der Uterus- und Plazentagefäße
- Wehensynchrone Verlangsamung des kindlichen Herzschlags (sog. frühe Dezelerationen im Kardiotokogramm)
- Für Informationen zur vorzeitigen Wehentätigkeit siehe: Vorzeitige Wehentätigkeit
- Für Informationen zur iatrogenen Induktion muttermundwirksamer Wehen siehe: Geburtseinleitung
Wehen: Übersicht | |||
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Wehenform | Zeitpunkt | Charakteristika | |
Schwangerschaftswehen | Alvarez-Wellen |
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Braxton-Hicks-Kontraktionen (Übungswehen) |
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Senkwehen |
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Vorwehen |
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Geburtswehen | Eröffnungswehen |
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Austreibungswehen |
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Nachgeburtswehen |
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Nachwehen |
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Blasensprung
Formen des Blasensprungs
- Früher vorzeitiger Blasensprung: Vor vollendeter 37. SSW (37+0 SSW)
- Vorzeitiger Blasensprung: Vor Beginn der Eröffnungsperiode
- Frühzeitiger Blasensprung: Während der Eröffnungsperiode/-wehen bei noch nicht vollständig eröffnetem Muttermund
- Rechtzeitiger Blasensprung: Am Ende der Eröffnungsperiode/-wehen bei vollständig eröffnetem Muttermund
- Verspäteter Blasensprung: In der Austreibungsperiode einige Zeit nach vollständiger Eröffnung des Muttermundes
- Hoher Blasensprung: Blasensprung oberhalb des inneren Muttermundes, Fruchtwasser geht nur tröpfelnd ab, kann im Vaginalsekret nachgewiesen werden
- Für weitere Informationen zu pathologischen Befunden und Prozedere siehe:
Diagnostik des Blasensprungs [2]
- Vaginale Untersuchung bzw. Spekulumeinstellung: Objektivierung des Blasensprungs
- Nachweis von Fruchtwasser bei unklarem Befund
- Lackmusprobe: Teststreifen, der durch den aufgetragenen Farbstoff Lackmus als pH-Indikator dient
- Spekulumeinstellung: Platzieren des Lackmuspapiers in der Vagina
- Bei Kontakt mit Fruchtwasser: Papier färbt sich blau, da Fruchtwasser leicht alkalisch ist
- Bei Kontakt mit Vaginalsekret: Papier färbt sich rot, da das Vaginalsekret leicht sauer ist
- Nachweis von IGF-bindendem Protein (IGFBP): Nachweis von im Fruchtwasser vorkommendem IGFBP in der Zervix mittels Schnelltest
- Spezifität und Sensitivität: >90%
- Verunreinigung mit mütterlichem Blut vermeiden, da IGFBP auch dort vorkommt und so der Test verfälscht werden kann
- Nachweis von plazentarem α-Mikroglobulin (PAMG-1): Amnisure®
- Spezifität und Sensitivität: Nahezu 100%
- Lackmusprobe: Teststreifen, der durch den aufgetragenen Farbstoff Lackmus als pH-Indikator dient
- Weitere Beurteilung, bspw. Farbveränderungen des Fruchtwassers
Management im Kreißsaal
Vorstellung der Patientin mit fraglichem Geburtsbeginn [1][2]
- Prozedere
- Aufnahmegespräch und Anamnese (insb. mögl. Risikofaktoren)
- Ausführliche Aufklärung der werdenden Eltern über Vorgehen und Möglichkeiten
- Beurteilung des Mutterpasses
- Abklärung/Beurteilung möglicher Kontraindikationen für eine vaginale Geburt (siehe auch: Absolute Sectio-Indikationen und relative Sectio-Indikationen)
- Vaginale geburtshilfliche Tastuntersuchung (VU) und/oder Sonographie (siehe auch: Sonographie in der Schwangerschaft und Fetometrie)
- Ggf. Verifizieren des Blasensprungs (siehe auch: Nachweis von Fruchtwasser)
- CTG (mind. 30 min)
- Indikation zur Aufnahme bei
- Blasensprung
- Fortgeschrittener Eröffnung des Muttermundes
- Regelmäßigen Wehen (alle 10 min) über mind. 30 min
- Peripartalen Blutungen
- Pathologischem CTG
- Bei Aufnahme der Patientin
- Vorstellung beteiligter Personen (Hebammen, ärztliches und pflegerisches Personal)
- Venöser Zugang und Blutentnahme (Blutbild, Elektrolyte, Gerinnung, ggf. Blutgruppe inkl. Antikörpersuchtest, ggf. HBsAg )
- Anlegen eines Partogrammes
Vorgehen unter Geburt
- Grundsätze
- Zusammenarbeit zwischen Hebammen und ärztlichem Team entscheidend
- Berücksichtigung der werdenden Eltern
- Überwachung und Versorgung der Mutter
- Regelmäßige vaginale geburtshilfliche Tastuntersuchungen
- Beurteilung der Zervixreife (Bishop-Score)
- Bestimmung des Höhenstandes
- Auf regelmäßige Blasenentleerung achten, ggf. Harnblasenentleerung mit transurethralem Blasenkatheter
- Ggf. subpartale antibiotische Therapie
- Ggf. Maßnahmen zur Geburtsunterstützung, bspw. Analgesie unter der Geburt
- Regelmäßige vaginale geburtshilfliche Tastuntersuchungen
- Überwachung des Kindes
- Kontinuierliche Überwachung mittels Kardiotokographie (CTG)
- Bei Komplikationen/Risikogeburten
- Vom Ende der Eröffnungsphase bis zur Geburt des Kindes
- Ggf. Mikroblutuntersuchung bei pathologischem CTG
- Kontinuierliche Überwachung mittels Kardiotokographie (CTG)
- Dokumentation: Ausführlich mittels Partogramm
Die regelmäßige Reevaluation und Zusammenschau der Befunde hilft, mögliche Komplikationen unter der Geburt und Kontraindikationen für eine vaginale Geburt früh zu erkennen!
Vaginale geburtshilfliche Tastuntersuchung (VU)
- Vorbereitung
- Einverständnis der Patientin einholen
- Patientin entspannt in Rückenlage mit angewinkelten Beinen
- Ggf. Entleerung der Blase
- Händedesinfektion
- Anlegen steriler Handschuhe
- Durchführung: Einführen von zwei Fingern in die Vagina und Beurteilung von
- Länge, Lage und Konsistenz der Portio (siehe auch: Bishop-Score)
- Weite des Muttermundes
- Vorangehendem Kindsteil (VT)
- Pfeilnaht und Fontanelle
- Höhenstand des vorangehenden Kindsteils
- Fruchtblase und ggf. Fruchtwasser (am Handschuh)
- Dokumentation der Befunde im Partogramm
Eine tastbare Nabelschnur (Nabelschnurvorfall) gilt als akuter Notfall mit Indikation zur notfallmäßigen Sectio caesarea!
Bishop-Score
- Indikation
- Beurteilung der Geburtsreife des Muttermundes (Zervixreife)
- Bei Geburtseinleitung: Entscheidend für die Art der Geburtseinleitung (siehe auch: Medikamentöse Geburtseinleitung)
- Interpretation
- Bishop-Score <8 Punkte → Unreife Zervix
- Bishop-Score ≥8 Punkte → Reife Zervix
Bishop-Score [1] | ||||
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0 Punkte | 1 Punkt | 2 Punkte | 3 Punkte | |
Lage der Portio | Sakral | Mediosakral | Zentral | — |
Konsistenz der Portio | Derb | Mittel | Weich | — |
Länge der Portio (in cm) | 2 | 1 | 0,5 | 0 |
Weite des Muttermundes (in cm) | Geschlossen | 1 | 2 | 3 |
Höhenstand des vorangehenden Kindsteils in Bezug zur Interspinalebene (in cm) | 2 cm oberhalb der Interspinalebene | 1 cm oberhalb der Interspinalebene | 1 cm unterhalb der Interspinalebene | — |
Subpartale antibiotische Therapie
- Indikationen
- Bei manifestem Triple I
- Bei vaginaler Entbindung
- Je nach Ergebnis des Streptokokken-Abstrichs zur Prophylaxe einer Neugeborenensepsis
- Durchführung: Keine sofortige Antibiose bei Nachweis einer Besiedlung mit Gruppe-B-Streptokokken, sondern erst bei Wehenbeginn oder Blasensprung (subpartal)
- Streptokokken-Status positiv: Subpartale antibiotische Therapie
- Streptokokken-Status unbekannt: Subpartale antibiotische Therapie bei Vorliegen mind. eines Risikofaktors
- Drohende Frühgeburt <37+0 SSW
- Blasensprung vor ≥18 h
- Mütterliches Fieber ≥38,0 °C
- Symptomatische oder asymptomatische GBS-Bakteriurie während der Schwangerschaft
- Neugeborenes mit symptomatischer GBS-Infektion in der Vergangenheit
- Streptokokken-Status negativ (innerhalb der letzten 5 Wochen vor Geburt): Keine subpartale antibiotische Therapie, sofern nicht Symptome der Mutter eine Indikation darstellen
- Mittel der Wahl
- Penicillin G
- Bei Penicillinallergie: Cefazolin
Mikroblutuntersuchung (MBU) des Kindes [1]
- Definition: Entnahme kleiner Blutmenge aus dem kindlichen Skalp zur venösen Blutgasanalyse (Fetalblut)
- Voraussetzung: Erfolgter Blasensprung bzw. Amniotomie
- Indikation: Suspektes oder pathologisches Kardiotokogramm unter Geburt
- Kontraindikationen
- Geschlossener Muttermund
- Infektionen der Mutter (Hepatitis, HIV, Herpes simplex)
- Frühgeburtlichkeit <34. SSW
- Gerinnungsstörungen des Kindes
- Ende der Austreibungsperiode
- Vorbereitung und Durchführung
- Steriles Material
- Lanzette
- Zwei Kornzangen
- Amnioskop
- Kleine und große Tupfer
- Handschuhe
- Unsteriles Material
- Paraffinöl
- Kapillarröhrchen
- Vorbereitung
- Aufbau des notwendigen sterilen Materials auf einem kleinen Tisch neben dem Kreißbett
- Positionierung der OP-Leuchte
- Nach Möglichkeit Lagerung der Patientin in Steinschnittlage im Kreißbett
- Aufklärung der Patientin über die bevorstehende Untersuchung, Vorführen des Amnioskops
- Durchführung
- Vaginale Tastuntersuchung zur Beurteilung der Muttermundöffnung
- Vorsichtiges Einführen des Amnioskops bis zum kindlichen Kopf
- Öffnen des Amnioskops durch Entfernen des Innenteils, Überprüfung der Sicht auf den kindlichen Kopf
- Reinigung des Kopfes mit in Kornzange eingespanntem, großem Tupfer
- Auftragen von Paraffinöl auf den kindlichen Kopf mit in Kornzange eingespanntem, kleinem Tupfer
- Vorsichtige Stichinzision der Kopfhaut mittels Lanzette (neben der Geburtsgeschwulst!)
- Auffangen des Bluttropfens mittels in Kornzange eingespanntem Kapillarröhrchen
- Durchführung einer Blutgasanalyse
- Steriles Material
- Fehlerquellen
- Aspiration von Fruchtwasser oder mütterlichem Blut
- Entnahme aus ausgeprägtem Geburtsgeschwulst
- Technische Fehler (Luft in der Probe, zu lange Lagerung, Gerätefehler)
Beurteilung und Konsequenzen einer Mikroblutuntersuchung [1][4] | ||
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pH-Wert | Interpretation | Weiteres Vorgehen |
≥7,30 |
|
|
7,25–7,29 |
|
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7,21–7,24 |
|
|
≤7,20 |
|
|
Vorgehen postpartal
- Verbleiben von Mutter und Kind im Kreißsaal für ca. 2 h
- Bonding, erstes Anlegen an die Brust nach ca. 20–30 min
- Regelmäßige Kontrolle der vaginalen Blutung und der Höhe des Uterusfundus postpartal
- Ggf. Versorgung von Geburtsverletzungen
- Mobilisation der Mutter vor oder während Entlassung bzw. Verlegung auf Station
- Versorgung des Neugeborenen und Kindervorsorgeuntersuchung (U1) i.d.R. durch die Hebamme
- Für weitere Informationen zum Wochenbett siehe auch
Mögliche Komplikationen unter der Geburt
Der Geburtsablauf ist komplex und Komplikationen können in jeder Phase der Geburt unter Umständen auch unerwartet auftreten. Die folgenden Inhalte können demnach nur einen Überblick über mögliche Komplikationen bieten. Der klinische Blick und die interdisziplinäre Zusammenarbeit sind dabei unerlässlich!
Mütterliche Komplikationen
Protrahierte Geburt
- Definition: Verzögerung des Geburtsverlaufes, mögliche zeitliche Definition [2]
- Eröffnung des Muttermundes (MM) <1 cm/h in der Eröffnungsperiode
- Tiefertreten des vorangehenden Kindsteils <1 cm/h in der Austreibungsperiode
- Prozedere
- Abhängig von Ursache, Geburtsfortschritt, fetalem und maternalem Zustand
- Vergleichbar mit Diagnostik und Prozedere bei Geburtsstillstand
Geburtsstillstand
- Definition: Fehlender Geburtsfortschritt über Stunden [2][3]
- Eröffnungsperiode: Kein Geburtsfortschritt nach
- >2 h bei unvollständig eröffnetem Muttermund oder
- >4 h bei Z.n. Blasensprung, MM >6 cm und adäquater Wehentätigkeit oder
- >6 h bei Z.n. Blasensprung, MM >6 cm und Wehenaugmentation mittels Oxytocin
- Austreibungsperiode:
- Erstgebärende: Dauer >3 h (mit PDA) bzw. >2 h (ohne PDA)
- Mehrgebärende: Dauer >2 h (mit PDA) bzw. >1 h (ohne PDA)
- Eröffnungsperiode: Kein Geburtsfortschritt nach
- Mögliche Ätiologie
- Wehenschwäche
- Kopf-Becken-Missverhältnis
- Lage-, Einstellungs- und Haltungsanomalien: Schräg-/Querlage, Asynklitismus, Deflexionshaltungen
- Makrosomie
- Periduralanästhesie (PDA)
- Diagnostik [5]
- Temperatur, ggf. Labor (Infektionsrisiko↑ bei längerem Geburtsverlauf)
- CTG-Überwachung und Beurteilung, ggf. MBU
- Ausschluss eines geburtsunmöglichen Befundes
- Vaginale geburtshilfliche Tastuntersuchung, Bestimmung des Höhenstandes
- Abdominale Palpation: 4. Leopold-Handgriff, 5. Leopold-Handgriff (Zangemeister-Handgriff)
- Abdominale Sonographie
- Prozedere: Individuell abhängig von Ursache, Geburtsfortschritt, fetalem und maternalem Zustand!
- Unterstützung der Gebärenden, Entspannung, Umlagerung, Bewegung
- Bei Wehenschwäche: Ggf. Wehenaugmentation mittels Oxytocin
- Bei Einstellungsanomalien siehe: Hoher Geradstand des Kopfes, tiefer Querstand des Kopfes
- Weitere Maßnahmen zur Geburtsunterstützung
- Vaginal operative Entbindung siehe: Operative Geburtshilfe
- Operative Maßnahmen siehe:
Die Maßnahmen bei einer protrahierten Geburt bzw. einem Geburtsstillstand richten sich nach der Ursache, dem fetalen und maternalen Zustand sowie dem Geburtsfortschritt!
Blutungen unter der Geburt
- Intrapartale Blutung
- Vorzeitige Plazentalösung
- Uterusruptur
- Prozedere siehe: Therapie der Uterusruptur
Fetale Komplikationen
- Pathologisches CTG
- Pathologische Mikroblutuntersuchung (siehe: Beurteilung und Konsequenzen einer Mikroblutuntersuchung)
- Nabelschnurvorfall
- Schulterdystokie
Analgesie unter der Geburt
Nicht-medikamentöse Maßnahmen [6]
Medikamentöse Maßnahmen
- Spasmolytika , z.B. Buscopan® (Off-Label Use)
- Vorteile: Entspannung des Muttermundes, Spasmolyse
- Nachteil: Ggf. systemische Auswirkung auf den Fötus [7]
- Lachgas als Gemisch aus 50% Distickstoffmonoxid und 50% O2 [8][9]
- Kontraindikationen: Herzinsuffizienz, Emphysem, Pneumothorax, Vitamin-B12- oder Folsäuremangel
- Vorteile: Schmerzlindernde Wirkung, keine Beeinflussung der Uteruskontraktion
- Nachteile: Wird von manchen Patientinnen nicht toleriert, Schwindel, Übelkeit, Erbrechen
- Beachte: Bei der Anwendung kann es zu Atemwegskomplikationen kommen
- Meptazinol als starkes Opioid-Analgetikum
- Pethidin
- Kontraindikationen: Schwere respiratorische Insuffizienz, Einnahme von MAO-Hemmern innerhalb der letzten 14 Tage
- Vorteile: Gute Analgesie und Spasmolyse
- Nachteile: Gefahr der Atemdepression bei Mutter und Kind, Sedierung der Mutter, CTG-Veränderungen (herabgesetzte Oszillationsfrequenz im CTG)
Regionalanästhesie in der Geburtshilfe [10]
Für allgemeine Informationen siehe auch: Regionalanästhesie
Periduralanästhesie (PDA) [11]
- Indikationen
- Patientinnenwunsch
- Protrahierte Geburt
- Beckenendlage
- Gemini
- Frühgeburt <32. SSW
- Totgeburt
- Operative Entbindung, bspw. Sectio caesarea
- Verbesserung der uteroplazentaren Durchblutung, bspw. bei Präeklampsie [12]
- Kontraindikationen
- Allgemeine Kontraindikationen für rückenmarksnahe Regionalanästhesie
- Geburtshilfliche Notfallsituationen
- Bei Störungen der Blutgerinnung: Strenge Risiko-Nutzen Abwägung
- Durchführung siehe: Vorgehen bei Periduralanästhesie
- Vorteile
- Kaum systemische, medikamentöse Belastung für Mutter und Kind
- Weitgehende Erhaltung der Motorik durch sog. Walking Epidural
- Nachteile
- Gefahr der Hypotonie durch Sympathikolyse
- Mitpressen in der Austreibungsperiode erschwert
- Ggf. eigenständige Blasenentleerung nicht mehr möglich,
- Einschränkung der Mobilität der Mutter
- Siehe auch: Komplikationen bei rückenmarksnaher Regionalanästhesie
Pudendusblockade
- Definition: Leitungsanästhesie durch Blockade des N. pudendus → Ausschaltung des Geburtsschmerzes im Bereich von Introitus vaginae, Labien und Damm
- Ausschaltung des Geburtsschmerzes
- Indikation: Analgesie unter der Geburt, insb. in der Austreibungsperiode oder bei vaginal operativer Entbindung
- Durchführung bei der Frau
- Mit Zeigefinger und Mittelfinger Palpation der Spina ischiadica von vaginal
- Einführen der Injektionsnadel über eine Führungskanüle
- Punktionsstelle 1 cm kaudal, medial der Spina ischiadica
- Aspirationskontrolle zum Ausschluss der intravasalen Lage
- Infiltration von 10 mL Lokalanästhetikum (z.B. Scandicain 1%) auf jeder Seite
- Vorteile
- Pressdrang bleibt unbeeinflusst
- Kaum systemische Nebenwirkungen
- Nachteile
- Wehenschmerz wird nicht ausgeschaltet
- Singleshot-Verfahren (begrenzte Wirkdauer)
Handgriffe zur Unterstützung der Geburt
- Kristeller-Handgriff: Umfassen des Fundus mit den Händen und Ausüben stetigen Drucks nach unten während der Wehe [13]
- Ritgen-Handgriff: Bei verzögerter Kopfgeburt Greifen und Hochdrücken des kindlichen Kinns durch das Gewebe des Hinterdamms (zwischen Anus und Steiß)
- Operative Methoden der Geburtsunterstützung (bspw. Zangenextraktion und Vakuumextraktion) werden im Kapitel Operative Geburtshilfe abgehandelt
Geburtsverletzungen
Verletzungen von Labien, Zervix oder Scheide
- Einteilung
- Labienriss
- Zervixriss: Insb. durch Pressen gegen den nicht vollständig eröffneten Muttermund
- Scheidenriss: Insb. bei Zangenentbindung
- Klitorisverletzung (ca. 3%)
- Therapie: Bei starker Blutung operative Versorgung unter adäquater Anlage (siehe auch: Versorgung von Geburtsverletzungen)
Dammriss
Da der Damm bei der Geburt unter starker Spannung steht, gehört der Dammriss zu den häufigsten Geburtsverletzungen; dabei kommt es je nach Ausprägung zum Einreißen der Damm- und Scheidenhaut, der Beckenbodenmuskulatur sowie des M. sphincter ani externus. Ein Dammriss tritt bei bis zu 30% aller vaginalen Geburten auf.
Einteilung
Schweregrad des Dammrisses | Beschreibung | |
---|---|---|
I° | Riss von Kutis und Subkutis ohne Beteiligung der Dammmuskulatur | |
II° | Riss der Dammmuskulatur ohne Beteiligung des M. sphincter ani externus | |
III° | IIIa° | M. sphincter ani externus <50% durchtrennt |
IIIb° | M. sphincter ani externus >50% durchtrennt | |
IIIc° | M. sphincter ani externus komplett durchtrennt | |
IV° | Zusätzliche Beteiligung des Rektums |
- Sonderform „Buttonhole Tear“: Riss der Analschleimhaut bei intaktem M. sphincter ani externus
Risikofaktoren für höhergradige Dammrisse (III° und IV°)
- Geburtsgewicht >4.000 g
- Erstgebärende
- Vaginal-operative Entbindung
- Mediane Episiotomie
- Schulterdystokie
- Geburt in tiefer Hocke oder Steinschnittlage
- Anwendung des Kristeller-Handgriffs
Therapie
- Nähen der gerissenen Strukturen mit anschließender digital-rektaler Untersuchung zur Kontrolle der Wundversorgung
- Nach Versorgung
- Ggf. Antibiotikagabe und Laxantien zur Stuhlregulierung bei ausgeprägten Verletzungen
- Antiphlogistika und lokale Kühlung zur Abschwellung
- Für weitergehende Informationen zur Therapie siehe auch: Versorgung von Geburtsverletzungen
Episiotomie
Als Episiotomie bezeichnet man die operative Erweiterung des Geburtskanals. Die Indikation ist individuell zu stellen und wird heutzutage restriktiver gestellt als noch vor einigen Jahren .
Indikationen
- Notwendigkeit der Kopfgeburt innerhalb der nächsten 3–4 Wehen (z.B. aufgrund eines pathologischen CTG)
- Straffer Damm, großer Kindskopf
- Schulterdystokie
- Ggf. bei vaginal-operativer Entbindung
- Ggf. bei Beckenend-, Stirn-, Gesichts- oder Kinnlage
- Umstritten: Durchführung zur Prävention eines höhergradigen Dammrisses [14]
Durchführung
- Ggf. Infiltration des Damms mit Lokalanästhetikum
- Einführen der Schere mit der stumpfen Seite in die Vagina
- Durchführung des Schnitts vor („vorzeitige Episiotomie) oder in der Presswehe („rechtzeitige Episiotomie“)
Mögliche Schnittführungen
Die Durchführung des Schnittes kann in drei unterschiedliche Richtungen erfolgen.
- Mediane Schnittführung
- Schnitt
- In direkter Verbindungslinie zwischen Vagina und Anus
- Durchtrennung von Haut und Bindegewebe
- Vorteile: Vergleichsweise wenig Beschwerden postpartal
- Nachteile
- Erhöhtes Risiko für höhergradige Dammrisse
- Nur durch Sphinkterotomie erweiterbar
- Schnitt
- Mediolaterale Schnittführung: Meistgewählte Schnittführung
- Schnitt
- Vom unteren Rand der Vagina diagonal in Richtung der einen Gesäßhälfte
- Durchtrennung von Haut, Bindegewebe und Muskulatur
- Vorteile
- Bei Bedarf erweiterbar
- Geringeres Risiko für höhergradige Dammrisse
- Nachteile
- Stärkerer Blutverlust
- Höhere Rate an Wundheilungsstörungen
- Schnitt
- Laterale Schnittführung: Nur noch selten durchgeführt
- Schnitt
- Von der seitlichen Begrenzung des Geburtskanals in Richtung Oberschenkel
- Durchtrennung von Haut, Bindegewebe und Muskeln
- Vorteil: Größtmögliche Erweiterung des Geburtskanals
- Nachteile
- Höchste Rate an Wundheilungsstörungen
- Höhere Rate an Dyspareunie
- Schnitt
Reißt der Schnitt nach einer medianen Schnittführung weiter, geschieht dies in Richtung Anus. Dadurch kann es zu Verletzungen von Sphinkter und Darm kommen!
Versorgung von Geburtsverletzungen
Zeitpunkt und Setting
- Nach Geburt der Plazenta
- I.d.R. im Kreißsaal
Vorbereitung
- Lagerung der Patientin in Steinschnittlage
- Steriles Tuch unter dem Gesäß und auf dem Bauch der Patientin
- Gründliche Wundreinigung mit Octenisept
- Legen einer ausreichenden Analgesie : Lokalanästhesie bspw. mit Mepivacain
- Notwendiges Instrumentarium: Nadelhalter, Pinzette, Schere, ausreichend Tupfer, Nahtmaterial, bei höhergradigen Dammrissen: Allis-Klemmen
Indikationen
- Alle stark blutenden Geburtsverletzungen
- Höhergradige Geburtsverletzungen
- Querriss der Labien
- Beteiligung der Klitoris
Durchführung
Bei der Naht der Geburtsverletzung ist im Sinne einer optimalen Wundheilung darauf zu achten, möglichst wenig Nahtmaterial und Knoten zu verwenden. Sind mehrere Strukturen verletzt, erfolgt i.d.R. zunächst die Naht der Scheide, gefolgt von der Dammnaht und der Versorgung der Labien und Klitoris. Bei höhergradigen Dammrissen werden vorher die betroffenen Strukturen des Rektums und ggf. Zervixrisse versorgt.
Naht der Scheide
Wichtig ist die Darstellung und exakte Adaptation des Hymenalsaums und Introitus, um die korrekte Rekonstruktion des Damms und der Scheide zu ermöglichen.
- Nahtmaterial: Vicryl 3-0
- Durchführung
- Darstellung des kranialen Wundendes durch Einführen und Spreizen der Finger oder mithilfe eines Spekulums
- Anfang der Naht oberhalb des kranialen Wundwinkels
- Abstand zwischen den Stichen ca. 1 cm
- Fortlaufende Naht bis zum Hymenalsaum und Abschluss mittels chirurgischem Knoten
Naht des Damms
- Nahtmaterial: Vicryl 3-0
- Durchführung: Ggf. mehrschichtiges Vorgehen notwendig; 1. Schicht: Muskulatur, 2. Schicht: Haut
- Naht der Dammmuskulatur
- Fortlaufende Naht vom Introitus Richtung dorsal
- Insb. im Bereich des Centrum tendineum, direkt unterhalb des Introitus, nach lateral ausladend stechen
- Hautnaht
- Intrakutane Hautnaht zurück zum Introitus mit demselben Faden
- Tiefes Unterstechen des Hymenalsaums
- Querstich und chirurgischer Knoten hinter dem Hymenalsaum
- Naht der Dammmuskulatur
Naht von Labien und Klitoris
- Nahtmaterial: Vicryl 4-0
- Durchführung: Lockere Einzelknopfnähte im Abstand von 5–10 mm
Naht der Rektumvorderwand und des Sphinkters
Ein Dammriss III° und IV° sollte aus forensischen Gründen durch einen Arzt auf Facharztniveau versorgt werden.
- Nahtmaterial: Vicryl 3-0 oder 4-0
- Durchführung
- Antibiotikaprophylaxe
- Naht der Rektumvorderwand
- Großzügiges Greifen des perirektalen Bindegewebes, der Muskularis und der Submukosa von proximal nach distal bzw. von innen nach außen unter Aussparung oder Miterfassen der Rektumschleimhaut
- Einzelknopfnähte oder fortlaufende Naht
- Abstand zwischen den Stichen ca. 0,5 cm
- Abschluss am äußeren Rand der Analhaut
- Überprüfung der Naht durch digital-rektale Tastuntersuchung
- Handschuhwechsel
- Naht des Sphinkters
- Darstellen der Enden des M. sphincter ani externus mithilfe der Allis-Klemmen
- Naht überlappend: 4 stark ausladende Einzelknopfnähte in PISA-Technik (posteriore, inferiore, superiore und anteriore Einzelknopfnaht)
- Weiteres Vorgehen: Naht von Scheide, Dammmuskulatur und Haut (s.o.)
Naht der Zervix
- Nahtmaterial: Vicryl rapid 1 CT-1
- Durchführung
- Spekulumeinstellung der Zervix und des Muttermundes
- Fassen der Muttermundslippe mit atraumatischen Klemmen zur besseren Darstellbarkeit
- Naht mittels Einzelknopfnähten
- Erste Naht: Im Sinne einer Haltenaht an der Zirkumferenz des Muttermundes, Fäden mithilfe einer Klemme auf Zug halten
- Zweite Naht: Knapp oberhalb des kranialen Wundwinkels
- Weitere Einzelknöpfe dazwischen (von kranial nach kaudal)
- Entfernen der Haltenaht
Nachbereitung
- Digital-rektale Tastuntersuchung
- Zum Ausschluss übersehener rektaler Verletzungen
- Zur Kontrolle des Sphinkters
- Zum Ausschluss der Durchstechung des Rektums von vaginal
- Weitere Maßnahmen
Patienteninformationen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
O34.-: Betreuung der Mutter bei festgestellter oder vermuteter Anomalie der Beckenorgane
- O34.2: Betreuung der Mutter bei Uterusnarbe durch vorangegangenen chirurgischen Eingriff
- Betreuung der Mutter bei Narbe durch vorangegangene Schnittentbindung
- Exklusive: Vaginale Entbindung nach vorangegangener Schnittentbindung o.n.A. (O75.7)
Entbindung
- O80: Spontangeburt eines Einlings
- Inklusive
- Keine oder minimale geburtshilfliche Maßnahmen
- Normale Entbindung
- Spontangeburt aus Schädellage
- Spontane Vaginalgeburt eines Einlings
- Inklusive
- O81: Geburt eines Einlings durch Zangen- oder Vakuumextraktion
- Exklusive: Misslungener Versuch einer Vakuum- oder Zangenextraktion (O66.5)
- O82: Geburt eines Einlings durch Schnittentbindung [Sectio caesarea]
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.