Abstract
Als ein- oder beidseitige Hörminderung bezeichnet man einen akuten oder langsam progredienten Verlust des Hörvermögens, der in jedem Lebensalter auftreten und verschiedenste Ursachen und Schweregrade haben kann. Diagnostisch relevant sind insbesondere Anamnese, Ohrmikroskopie und Hörtest, die Therapie richtet sich nach der Ursache. Aufgrund der meist starken Beeinträchtigung der Patienten sollten Diagnostik und Therapie zügig erfolgen.
Als Sonderform werden hier die hereditären und pränatal erworbenen Hörstörungen behandelt.
Definition
Formen der Hörminderung
- Schallleitungsschwerhörigkeit = Schallübertragungs- oder Mittelohrschwerhörigkeit
- Schallempfindungsschwerhörigkeit = Innenohrschwerhörigkeit
- Kombinierte Schwerhörigkeit = Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit
Schweregrade der Hörminderung
- Hypakusis = Hörminderung
- Surditas = Ertaubung
Ätiologie
Schallleitungsschwerhörigkeit : Immer Störung der Schallübertragung zur Cochlea
- Ursache im Gehörgang
- Otitis externa
- Tumoren oder Gehörgangsexostosen
- Gehörgangsstenose, Gehörgangsatresie
- Cerumen/Fremdkörper im Gehörgang
- Gehörgangsfraktur
- Ursache im Bereich des Trommelfells
- Trommelfellperforation
- Trommelfellnarben bzw. Z.n.Tympanoplastik
- Myringitis
- Ursache im Mittelohr
- Paukenerguss oder Tubenkatarrh
- Otitis media
- Ossikeldefekt (bspw. durch Cholesteatom, Otosklerose, Fehlbildung, Trauma)
- Mittelohrbarotrauma
Schallempfindungsschwerhörigkeit : Störung der Cochlea oder nachgeordneter Strukturen (Hörnerv oder Hörrinde)
- Kochleäre Ursache: Funktionsstörung der inneren oder äußeren Haarzellen oder deren Verbindung zum Hörnerv
- Presbyakusis
- Hörsturz
- Knalltrauma
- Lärmtrauma (bspw. DJ, Bauarbeiter)
- Innenohrbarotrauma
- Morbus Menière
- Perilymphfistel/Ruptur der Rundfenstermembran
- Retrokochleäre Ursache: Störung der Hörnervenfunktion
- Akustikusneurinom
- Verletzung des Hörnerven (bspw. nach Operation oder Trauma)
- Zoster oticus
- Zentralnervöse Ursache: Störung der Hörbahn und/oder Hörrindenfunktion
- Multiple Sklerose
- Hirntumor
- Verletzung nach Operation oder Trauma
- Z.n. Apoplex
Kombinierte Schwerhörigkeit : Kombination aus Schallleitungs- und Schallempfindungsschwerhörigkeit (Mittelohr und Cochlea)
Anamnese
- Ein- oder beidseitige Hörminderung, bzw. wechselhaftes Hörvermögen?
- Plötzliche Hörminderung auf einer Seite mit oder ohne Tinnitus?
- Seit mehreren Jahren progrediente Hörminderung beidseits?
- Hörminderung nach starker Lärmbelastung ein- oder beidseitig?
- Zusätzlich Ohrenschmerzen?
- Zusätzlich Tinnitus?
- Zusätzlich Drehschwindel?
- Drehschwindel nach schwerer körperlicher Belastung oder Sport?
- Neurologische Symptome
Diagnostik
Basisdiagnostik
-
HNO-Status
- I: Ohrmikroskopie
- II: Naseninspektion mit Spekulum
- IIa: Inspektion des Nasenrachens
- III: Mundhöhle und Rachen
- IV: Laryngoskopie
- V: Palpation äußerer Hals
- Tonschwellenaudiometrie
- Tympanometrie, Stapediusreflexmessung
- Ggf. Vestibularisprüfung
Erweiterte Diagnostik
- Objektive Audiometrie mittels TEOAE , DPOAE oder BERA: Zum Ausschluss von Simulation, Aggravation, psychogener Hörstörung
-
MRT Kopf: Immer bei auffälliger BERA!
- Ausschluss eines Akustikusneurinoms oder anderer intrakranieller Raumforderungen
- Ausschluss neurologischer Erkrankungen (bspw. Multiple Sklerose, Schlaganfall)
- Serologie
- Borrelien, Herpesviren, Influenza- und Adenoviren, Varizella-Zoster-Virus, ggf. Masernvirus, Mumpsvirus
- Cholesterin, ggf. Triglyceride, LDL und HDL
- Doppler-Sonografie der Hals- und Intervertebralgefäße: Zum Ausschluss von Durchblutungsstörungen
- Blutdruckmessung (insb. bei Hörsturz mit pulssynchronem Tinnitus): Ausschluss einer arteriellen Hypertonie, ggf. MR-Angio
- Orthopädisches Konsil: Ausschluss einer HWS bedingten Ursache
Diagnostisches und therapeutisches Prozedere
Anamnestisch nur akute Hörminderung
Verdachtsdiagnose Cerumen obturans
- Befund: Verlegung des Gehörgangs mit Cerumen
- Therapie:
- Mechanische Entfernung durch einen HNO-Arzt (durch Warmwasser-Spülung oder instrumentell durch Kürette oder Häkchen)
- Falls mechanische Entfernung nicht möglich: Topische Anwendung auflösender Substanzen (z.B. Otowaxol®)
Verdachtsdiagnose Hörsturz
- Befunde
- Reizloses Trommelfell
- Weber-Versuch: Lateralisation des Tons in das gesunde Ohr
- Rinne-Versuch: beidseitig positiv
- Ggf. Kombination mit Tinnitus
- Therapie
Verdachtsdiagnose Paukenerguss
- Befunde
- Trommelfell gerötet, ggf. Luftbläschen hinter dem Trommelfell
- Weber lateralisiert in das betroffene Ohr
- Rinne positiv im gesunden Ohr, negativ im betroffenen Ohr
- Therapie
- Abschwellende Nasentropfen
- Anschließend Tubentraining durch passives Valsalva-Manöver
Anamnestisch akute Hörminderung plus Ohrenschmerzen
Verdachtsdiagnose Otitis externa
- Befunde
- Therapie
- Ciprofloxacin-Ohrentropfen
- Ofloxacin-Augentropfen (Off Label Use)
- siehe auch: Therapie der Otitis externa
Verdachtsdiagnose Otitis media
- Befund
- Reizloser Gehörgang und gerötetes Trommelfell oder Bläschen auf dem Trommelfell (bei Grippeotitis)
- Weber lateralisiert in das betroffene Ohr
- Rinne positiv im gesunden Ohr, negativ im betroffenen Ohr
- Therapie
- Abschwellende Nasentropfen (z.B. Otriven®)
- Ggf. antibiotische Therapie (siehe: Therapie der Otitis media)
Anamnestisch seit längerem Ein- oder beidseitige Hörminderung
Verdachtsdiagnose Presbyakusis, hereditäre Schwerhörigkeit oder Lärmtrauma
- Befund
- Progrediente beidseitige Schwerhörigkeit insbesondere der hohen Töne
- Reizloser Gehörgang und reizloses Trommelfell
- Weber mittig oder in besser hörendes Ohr lateralisiert
- Rinne beidseitig positiv
- Bei Lärmschwerhörigkeit typischerweise C5-Senke
- Therapie
- Hörgeräteversorgung ein- oder beidseitig [1]
- Bei vollständiger Ertaubung: Ggf. Versorgung mit CI (Cochlea-Implantat)
Anamnestisch Hörminderung und Schwindel
Verdachtsdiagnose M. Menière
- Anamnese: Anfallsweise Drehschwindel mit Tinnitus; im Verlauf progredienter Hörverlust
- Befund
- Reizloser Gehörgang und reizloses Trommelfell
- Zunächst fluktuierender Hörverlust, im Verlauf meist progredienter Hörverlust bis zur Ertaubung
- Oft zunächst nur tiefe Frequenzen betroffen
- In 10–15% beidseitig
- Während des Anfalls: Starker Drehschwindel und Spontannystagmus
- In Videonystagmografie (VNG): Kalorische Untererregbarkeit des betroffenen Vestibularorgans
- Therapie
- Akuttherapie symptomatisch, siehe auch: Therapie Morbus Menière
- Langfristige Therapie: Verschiedene operative und konservative Therapieansätze, da die Ursache der Erkrankung noch nicht eindeutig geklärt ist
- Bspw. Betahistin (z.B. Betahistin AL®), Off-Label Use [2]
- Für weitere Informationen siehe auch: Morbus Menière
Verdachtsdiagnose Perilymphfistel oder Innenohrbarotrauma
- Anamnese: Plötzlicher Hörverlust,Tinnitus und starker Drehschwindel mit Übelkeit und Erbrechen
- Bei Perilymphfistel: Nach starkem Pressen (bspw. Geburt) oder Tragen schwerer Lasten, aber auch traumatisch oder postoperativ (bspw. nach Stapesplastik) möglich
- Bei Barotrauma: Bspw. nach Tauchgang oder Fliegen mit Problemen beim Druckausgleich
- Befund
- Reizloser Gehörgang und reizloses Trommelfell, ggf. Paukenerguss
- CT des Felsenbeins: Ggf. Luft in Cochlea und Bogengängen
- Intraoperativ: Ggf. sichtbare Ruptur des runden oder ovalen Fensters
- Therapie
- Sofortige Vorstellung in einer HNO-Klinik!
- Tympanoskopie und operative Abdeckung des runden, in seltenen Fällen des ovalen Fensters
Verdachtsdiagnose Akustikusneurinom [3]
- Befunde
- Reizloses Trommelfell
- Weber lateralisiert in das gesunde Ohr
- Rinne beidseitig positiv
- Innenohrschwerhörigkeit auf der betroffenen Seite, meist in Kombination mit Tinnitus
- In Videonystagmografie (VNG): Untererregbarkeit der betroffenen Seite
- MRT-Schädel: Nachweis des Akustikusneurinoms
- Therapie [3]
Verdachtsdiagnose Schlaganfall
- Befunde
- Reizloses Trommelfell
- Ein- oder beidseitige Hörminderung
- Wortfindungsstörungen, ggf. Schluckstörungen
- Ggf. weitere Hirnnervenausfälle
- Therapie
- Notfallmäßiger Transport in neurologische Klinik!
- Für Therapieinformationen siehe: Schlaganfall
Angeborene (hereditäre) Hörstörungen
Isolierte Schwerhörigkeit
- Ätiologie: Verschiedene Erbgänge möglich
- Alter: Häufig Erstmanifestation im Kindes- oder frühen Erwachsenenalter
- Therapie: Je nach Progression der Hörminderung, bspw. Hörgeräteversorgung, Cochlea-Implantat
Hereditäre Hörstörungen im Rahmen eines Syndroms (assoziiert mit weiteren Fehlbildungen) [3][4]
Es gibt über 100 Syndrome, die eine Innenohrschwerhörigkeit beinhalten. Hier werden nur einige Syndrome dargestellt, bei denen die Schwerhörigkeit ein Leitsymptom ist.
Franceschetti-Syndrom
- Kurzbeschreibung: Bilaterale otomandibuläre Dysplasie, ggf. Gesichtshypoplasie
- Synonyme: Dysostosis mandibulofacialis, Treacher-Collins-Syndrom, Franceschetti-Klein-Syndrom
- Epidemiologie: Prävalenz 1:50.000 Neugeborene
- Manifestationsalter: Neugeborenenalter
- Ätiologie: Autosomal-dominant vererbte Erkrankung mit 90%iger Penetranz und variabler Expressivität, in 60% De-novo-Mutation
- Klinik
- Sehr variable Ausprägung
- Meist Mikrotie oder Anotie und/oder Gehörgangsatresie und Fehlbildung der Ossikel → Schallleitungsschwerhörigkeit
- In 30% Innenohrschwerhörigkeit
- Hypoplasie des Mittelgesichts (insb. von Jochbogen, Oberkiefer und Unterkiefer mit Retrognathie)
- Hohes Gaumendach, ggf. Gaumenspalte
- Einschränkung des Mundöffnens → Probleme beim Atmen und Essen
- Nach außen abwärts gerichtete Lidachsen, Kolobom der Unterlider mit fehlenden Wimpern
- Ggf. Anomalien von Herz oder Wirbelsäule
- I.d.R. normale Intelligenz und Lebenserwartung
- Therapie
- Bei Innenohrschwerhörigkeit: Hörgeräteversorgung
- Bei Gehörgangsatresie: Versorgung mit Knochenleitungshörern, ab dem 2. Lebensjahr knochenverankerte Hörgeräte
- Bei Ohrmuscheldysplasie: Operative Ohrmuschelaufbauplastik oder knochenverankerte Ohrepithesen
- I.d.R. Eingriffe an Mittelgesicht und Augenlidern
Crouzon-Syndrom
- Kurzbeschreibung: Kraniosynostose, Dysplasie von Ohren, Augenpartie und Gesicht
- Synonyme: Dysostosis craniofacialis
- Epidemiologie: Prävalenz 1–9:1.000.000 Neugeborene
- Manifestationsalter: Neugeborenen- bis Kleinkindalter
- Ätiologie: Autosomal-dominant vererbte Erkrankung, ggf. De-novo-Mutation
- Mutation in einem der Fibroblasten-Wachstumsfaktor-Gene
- Klinik
- Gehörgangsatresie oder Fehlbildung der Ossikel → Kombinierte Schwerhörigkeit
- Kraniosynostose → Turmschädel
- Exophthalmus
- Hypoplastischer Oberkiefer mit Unterkieferprognathie (in Relation)
- Ggf. Arnold-Chiari-Malformation
- I.d.R. normale Intelligenz
- Therapie
- Bei Innenohrschwerhörigkeit: Hörgeräteversorgung
- Bei Gehörgangsatresie: Versorgung mit Knochenleitungshörern, ab dem 2. Lebensjahr knochenverankerte Hörgeräte
- Ggf. Tympanoplastik mit Ersatz der Gehörknöchelchen
- Frühzeitige neurochirurgische Therapie der Kraniosynostose und des Exophthalmus
- Häufig Eingriffe des Mittelgesichts
Klippel-Feil-Syndrom
- Ätiologie: Genaue Pathophysiologie unklar
- Wahrscheinlich autosomal-dominant oder autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung
- Klinik
- Innenohrschwerhörigkeit bis Gehörlosigkeit
- Ggf. Schallleitungsschwerhörigkeit durch Fehlbildung der Ossikel
- Fusion der Halswirbelkörper
-
Fakultative Symptome
- Fehlbildungen des Harntraktes (ca. 30%)
- Angeborener Herzfehler (ca. 15%)
- Therapie
- Fehlbildung der Halswirbelsäule i.d.R. nicht therapiebedürftig
- Bei Innenohrschwerhörigkeit: Hörgeräteversorgung
- Ggf. Tympanoplastik bei Ossikelfehlbildung
- Ggf. Therapie von Herzfehlern und/oder Fehlbildungen des Harntraktes
Usher-Syndrom
- Ätiologie: 4 verschiedene Typen mit unterschiedlichem Erbgang (autosomal-rezessiv oder X-chromosomal)
- Klinik
- Innenohrschwerhörigkeit, in den meisten Fällen von Geburt an
- Retinitis pigmentosa; Beginn je nach Typ der Erkrankung, frühestens im Kindesalter
- Therapie: Je nach Schweregrad der Hörminderung Hörgeräteversorgung oder Cochlea Implantat
Alport-Syndrom
- Ätiologie: 6 verschiedene Typen (I-VI) mit unterschiedlichem Erbgang (autosomal-dominant oder X-chromosomal)
- Alter: Erstmanifestation meist erst ab dem 10. Lebensjahr
- Klinik
- Symmetrische beidseitige Innenohrschwerhörigkeit
- Häufig auch beidseitige Untererregbarkeit des Vestibularorgans
- Chronisch progrediente Nephritis
- Typ I, II und VI leiden außerdem unter Augenanomalien (bspw. Linsentrübungen, Katarakt, Veränderungen des Augenhintergrundes und Lentikonus )
- Therapie
- Je nach Schweregrad der Hörminderung Hörgeräteversorgung oder Cochlea Implantat
- Therapie der Niereninsuffizienz
- Ggf. ophthalmologische Mitbehandlung
Pendred-Syndrom
- Ätiologie: Autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung
- Klinik
- Innenohrschwerhörigkeit beidseitig
- Häufig auch Untererregbarkeit des Vestibularorgans
- Eu- oder hypothyreote Struma
- Therapie
- Frühzeitige Substitution mit Thyroxin, hierdurch wird auch das Hörvermögen stabilisiert
Waardenburg-Syndrom
- Ätiologie: Autosomal-dominant vererbte Erkrankung
- Klinik
- Mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit
- Pigmentstörungen (graue Haarsträhnen, frühes Ergrauen der Haare, hellblaue Augenfarbe)
- Gesichtsdysmorphie mit Lateralisation beider Augen und breiter Nasenwurzel
- Therapie
- Hörgeräteversorgung, in seltenen Fällen Cochlea Implantat
- Immer Anbieten einer humangenetischen Beratung
Goldenhar-Syndrom
- Ätiologie: Unbekannt, wahrscheinlich autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung
- Klinik
- Einseitige Gesichtshypoplasie
- Auf der betroffenen Seite kombinierte Schwerhörigkeit, häufig Mikrotie und Gehörgangsatresie
- Therapie: Plastische Rekonstruktion von Ohrmuschel und ggf. Gehörgang und Mittelgesicht
Jervell-Lange-Nielsen-Syndrom
- Ätiologie: Autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung
- Mutation im KCNQ-1- oder KCNE-1-Gen
- Klinik
- Innenohrschwerhörigkeit
- Long-QT-Syndrom mit hohem Risiko schwerer Herzrhythmusstörungen und Herztod
- Therapie
- Cochlea-Implantat
- ICD (Details siehe: Angeborenes Long-QT-Syndrom)
Fehlbildungen von Ohrmuschel, Gehörgang und Mittelohr
Ohrmuscheldysplasien [3]
- Definition: Fehlbildung oder Fehlen von Teilen der Ohrmuschel
- Vorkommen
- Kann isoliert oder im Rahmen von Syndromen auftreten
- Kann ein oder beide Ohren betreffen
- Klinik/Befund: 4 Schweregrade
- Grad I: Verschiedene Anteile der Ohrmuschel sind noch erkennbar
- Grad II: Länglicher Strang mit Knorpelanteilen (Mikrotie)
- Grad III: Rudimente der Ohrmuschel (Mikrotie)
- Grad IV: Komplettes Fehlen der Ohrmuschel (Anotie)
- Therapie
- Grad I: Operativ, z.B. Otopexie (= Ohranlegeplastik)
- Grad II: Je nach Ausprägung kann ein Versuch der operativen Rekonstruktion erfolgen
- Ab Grad III: Ohrepithese (= z.B. aus Silikon geformtes künstliches Ohr)
Gehörgangsstenose [3]
- Definition: Angeborene oder erworbene (durch Entzündung, Trauma) Verengung des äußeren Gehörgangs. Als Gehörgangsatresie bezeichnet man einen kompletten Verschluss des Gehörgangs. Dieser kann bindegewebig und/oder knöchern sein
- Vorkommen
- Kann isoliert oder im Rahmen von Syndromen auftreten
- Kann ein oder beide Ohren betreffen
- Klinik/Befund: Schallleitungsschwerhörigkeit (ein- oder beidseitig)
- Typen nach Weerda
- Typ A: Gehörgangsverengung
- Typ B: Durch eine Atresieplatte vom Mittelohr getrennter Gehörgang
- Typ C: Fehlen des Gehörgangs
- Typen nach Weerda
- Therapie
- Initial: Versorgung mit einem Knochenleitungshörgerät
- Im Verlauf: Knochenverankertes Hörgerät, später evtl. operative Gehörgangsrekonstruktion (ab dem 5. Lebensjahr)
Mittelohrfehlbildungen
- Definition: Fehlbildung der Ossikelkette. Der Stapes ist dabei häufiger betroffen als Hammer oder Amboss. In 15% der Fälle findet sich auch ein atypischer Verlauf des N. facialis
- Vorkommen
- Tritt meist im Rahmen eines Syndroms auf, selten isoliert
- Kann ein oder beide Ohren betreffen
- Klinik/Befund: Schallleitungsschwerhörigkeit (ein- oder beidseitig)
- Therapie
- Initial: Versorgung mit einem Knochenleitungshörgerät
- Im Verlauf: Implantation eines Hörgerätes (aktives Mittelohrimplantat) bzw. operative Rekonstruktion der Gehörknöchelchen (Tympanoplastik)
Prä- und perinatal erworbene Hörstörungen
Zu den prä- und perinatal erworbenen Hörstörungen gehören alle kongenitalen Pathologien, die nicht genetisch bedingt sind.
Hörstörungen durch pränatale Infektionen [5]
- Rötelnembryopathie
- Übertragung
- Tröpfcheninfektion
- Bei Infektion in der Schwangerschaft: Diaplazentare Übertragung auf das Kind möglich
- Klinik
- Innenohrschwerhörigkeit bis Taubheit beidseitig
- Herzfehler
- Blindheit (Katarakt)
- Übertragung
- Zytomegalie
- Übertragung
- Kontakt zu Körperflüssigkeiten (bspw. Blut, Speichel, Tränenflüssigkeit, Urin, Genitalsekret und Muttermilch)
- Bei Erstinfektion in der Schwangerschaft: Diaplazentare Übertragung auf das Kind möglich (insb. im ersten Trimenon Gefahr von bleibenden Schäden)
- Klinik
- Fortschreitende Degeneration des Innenohres bis zur Gehörlosigkeit, diese kann sich auch erst im Verlauf des Lebens entwickeln
- Wachstumsstörung
- Intelligenzminderung
- Leber- und Milzvergrößerung
- Blutgerinnungsstörungen
- Übertragung
- Toxoplasmose
- Übertragung
- Insb. Kontakt mit Katzenkot oder kontaminierter Erde
- Verzehr von rohem Fleisch infizierter Tiere oder ungewaschenem, rohem Gemüse/Obst
- Bei Erstinfektion in der Schwangerschaft: Diaplazentare Übertragung auf das Kind möglich
- Infektion bei Transplantation
- Klinik
- Innenohrschwerhörigkeit
- Augenschäden
- Hydrozephalus
- Übertragung
- Weitere pränatale Infektionen, die eine Hörstörung verursachen können: Masern, Listeriose, Lues, Poliomyelitis, Zoster und Coxsackie-Virus-Infektion
Hörstörungen durch teratogene Medikamente
- Auftreten heute nur noch selten
-
Teratogene Medikamente mit ototoxischer Wirkung (bspw. Aminoglycoside und Chinin)
- Für weitere Informationen siehe auch: Embryotox
- Bekanntester Fall: Thalidomid (Contergan®)
Hörstörungen durch Asphyxie
- Ätiologie: Schädigung des Innenohres durch Plazentainsuffizienz oder Sauerstoffmangel unter der Geburt
- Klinik: Ausprägung der Hörminderung korreliert mit Dauer des Sauerstoffmangels – von gering ausgeprägter Hochtonschwerhörigkeit für Frequenzen >4 kHz bis zur kompletten Gehörlosigkeit
Hörstörungen durch Frühgeburtlichkeit [6]
- Bei ca. 10% der Frühgeborenen tritt eine Hörstörung auf, Risikofaktoren sind insb.
- Geburtsgewicht unter 1.500 g
- Hyperbilirubinämie
- Schwere intrakranielle Blutungen
Therapie der Innenohrschwerhörigkeit: Hörgeräteversorgung und Cochlea-Implantat
Innenohrschwerhörigkeit: Hörgeräteversorgung [1]
- Die Indikation und die Hörgeräteverordnung müssen von einem HNO-Facharzt gestellt werden
- Voraussetzungen zur ein- oder beidseitigen Hörgeräteversorgung
- Hörverlust des betroffenen Ohres im Tonschwellenaudiogramm >30 dB in mind. einer Frequenz zwischen 0,5 und 4 kHz
- UND Verstehensquote im Freiburger Sprachverständlichkeitstest auf dem besser hörenden Ohr bei 65 dB ≤80%
- Zusätzlich muss der Patient einen APHAB-Bogen ausfüllen, in dem die Beeinträchtigung des Patienten durch die Hörminderung im alltäglichen Leben erfasst wird
- Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann der HNO-Facharzt eine Hörgeräteverordnung ausstellen. Mit dieser stellt sich der Patient beim Hörgeräteakustiker vor, der mit dem Patienten das passende Gerät auswählt und einstellt
- Hat sich der Patient für ein Hörgerät entschieden, erfolgt eine Bestätigung der Zweckmäßigkeit des Hörgerätes durch den HNO-Facharzt
- Bei vollständiger Ertaubung: Ggf. Versorgung mit CI (Cochlea-Implantat)
Innenohrschwerhörigkeit im Kindesalter
- Sind die Voraussetzungen gegeben und die Indikation gestellt, sollte bei einem Kind so schnell wie möglich die Versorgung mit einem Hörgerät erfolgen, um eine sprachliche Entwicklungsverzögerung zu verhindern. Bei kleineren Kindern dient zur Diagnostik die Schwellen-BERA
Beidseitige Ertaubung
- Cochlea-Implantat: Elektrische Hörprothese bei Ausfall des Innenohrs bei noch intaktem Hörnerv
- Voraussetzung: Hörnerv und Hörbahn intakt
- Indikation
- Beidseitige kochleäre Taubheit
- Hörreste, die trotz Hörgerät für ein Sprachverständnis und einen Spracherwerb nicht ausreichen
- Es sollte (wenn möglich) eine beidseitige Cochlea-Implantat-Versorgung erfolgen
- Komplikationen: Z.B. Läsion des N. facialis (sehr selten)
Patienteninformationen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
Q16.-: Angeborene Fehlbildungen des Ohres, die eine Beeinträchtigung des Hörvermögens verursachen
- Exklusive: Angeborene Schwerhörigkeit oder Taubheit (H90.‑)
- Q16.0: Angeborenes Fehlen der Ohrmuschel
- Q16.1: Angeborene(s) Fehlen, Atresie und Striktur des (äußeren) Gehörganges
- Atresie oder Striktur des knöchernen Gehörganges
- Q16.2: Fehlen der Tuba auditiva (angeboren)
- Q16.3: Angeborene Fehlbildung der Gehörknöchelchen
- Verschmelzung der Gehörknöchelchen
- Q16.4: Sonstige angeborene Fehlbildungen des Mittelohres
- Angeborene Fehlbildung des Mittelohres o.n.A.
- Q16.5: Angeborene Fehlbildung des Innenohres
- Anomalie: Corti-Organ, häutiges Labyrinth
- Q16.9: Angeborene Fehlbildung des Ohres als Ursache einer Beeinträchtigung des Hörvermögens, nicht näher bezeichnet
- Angeborenes Fehlen eines Ohres o.n.A.
Q17.-: Sonstige angeborene Fehlbildungen des Ohres
- Exklusive: Präaurikuläre Zyste (Q18.1)
- Q17.0: Akzessorische Ohrmuschel
- Q17.1: Makrotie
- Q17.2: Mikrotie
- Q17.3: Sonstiges fehlgebildetes Ohr
- Spitzohr
- Q17.4: Lageanomalie des Ohres
- Ohrtiefstand
- Exklusive: Halsanhang (Q18.2)
- Q17.5: Abstehendes Ohr
- Q17.8: Sonstige näher bezeichnete angeborene Fehlbildungen des Ohres
- Angeborenes Fehlen des Ohrläppchens
- Q17.9: Angeborene Fehlbildung des Ohres, nicht näher bezeichnet
- Angeborene Anomalie des Ohres o.n.A.
Q18.-: Sonstige angeborene Fehlbildungen des Gesichtes und des Halses
- Exklusive: Angeborene Fehlbildung der Schädel- und Gesichtsschädelknochen (Q75.‑), Dentofaziale Anomalien [einschließlich fehlerhafter Okklusion] (K07.‑), Fehlbildungssyndrome mit vorwiegender Beteiligung des Gesichtes (Q87.0), Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalte (Q35-Q37), Persistenz des Ductus thyreoglossus (Q89.2), Zustände, die unter Q67.0-Q67.4 klassifiziert sind, Zyklopie (Q87.0)
- Q18.0: Branchiogene(r) Sinus, Fistel und Zyste
- Branchiogenes Überbleibsel
- Q18.1: Präaurikuläre(r) Sinus und Zyste
- Fistel: aurikulär, angeboren, zervikoaurikulär
- Prätragale(r) Sinus und Zyste
- Q18.2: Sonstige branchiogene Fehlbildungen
- Branchiogene Fehlbildung o.n.A.
- Halsanhang
- Otozephalie
- Q18.3: Flügelfell des Halses
- Q18.4: Makrostomie
- Q18.5: Mikrostomie
- Q18.6: Makrocheilie
- Lippenverdickung, angeboren
- Q18.7: Mikrocheilie
- Q18.8: Sonstige näher bezeichnete angeborene Fehlbildungen des Gesichtes und des Halses
- Medial: Fistel, Sinus, Zyste (an Gesicht und Hals)
- Q18.9: Angeborene Fehlbildung des Gesichtes und des Halses, nicht näher bezeichnet
- Angeborene Anomalie o.n.A. an Gesicht und Hals
Q75.-: Sonstige angeborene Fehlbildungen der Schädel- und Gesichtsschädelknochen
- Exklusive: Angeborene Fehlbildung des Gesichtes o.n.A. (Q18.‑), Angeborene Fehlbildungssyndrome, die unter Q87.- klassifiziert sind, Dentofaziale Anomalien [einschließlich fehlerhafter Okklusion] (K07.‑), Muskel-Skelett-Deformitäten des Kopfes und des Gesichtes (Q67.0-Q67.4), Schädeldefekte in Verbindung mit angeborenen Gehirnanomalien, wie z.B.: Anenzephalie (Q00.0), Enzephalozele (Q01.‑), Hydrozephalus (Q03.‑), Mikrozephalie (Q02)
- Q75.0: Kraniosynostose
- Akrozephalie, Oxyzephalie, Trigonozephalie
- Unvollständige Verschmelzung von Schädelknochen
- Q75.1: Dysostosis craniofacialis
- Q75.2: Hypertelorismus
- Q75.3: Makrozephalie
- Q75.4: Dysostosis mandibulofacialis
- Q75.5: Okulo-mandibulo-faziales Syndrom
- Q75.8: Sonstige näher bezeichnete angeborene Fehlbildungen der Schädel- und Gesichtsschädelknochen
- Angeborene Stirndeformität, Fehlen von Schädelknochen, angeboren, Platybasie
- Q75.9: Angeborene Fehlbildung der Schädel- und Gesichtsschädelknochen, nicht näher bezeichnet
- Angeborene Anomalie: Gesichtsschädelknochen o.n.A., Schädel o.n.A
Q76.-: Angeborene Fehlbildungen der Wirbelsäule und des knöchernen Thorax
- Q76.1: Klippel-Feil-Syndrom
- Verschmelzung von Halswirbelkörpern
Q87.-: Sonstige näher bezeichnete angeborene Fehlbildungssyndrome mit Beteiligung mehrerer Systeme
- Q87.0: Angeborene Fehlbildungssyndrome mit vorwiegender Beteiligung des Gesichtes
- Akrozephalopolysyndaktylie-Syndrome
- Akrozephalosyndaktylie-Syndrome [Apert]
- Freeman-Sheldon-Syndrom [Whistling-face-Syndrom]
- Goldenhar-Syndrom
- Kryptophthalmus-Syndrom
- Moebius-Syndrom
- Orofaziodigitale Syndrome
- Robin-Syndrom
- Zyklopie
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.