Zusammenfassung
Das Multiple Myelom (MM) ist eine Plasmazellneoplasie, die monoklonale Immunglobuline produziert. I.d.R. sind Personen ab dem ca. 70. Lebensjahr betroffen. Diese können asymptomatisch sein oder eine Leistungsminderung, Gewichtsverlust oder Knochenschmerzen aufweisen. Im Verlauf treten häufig Komplikationen wie eine Nierenschädigung, Osteolysen mit Spontanfrakturen oder Hyperkalzämien auf.
Diagnostisch zeigen die monoklonalen Immunglobuline (Paraproteine) in der Serumelektrophorese einen sog. M-Gradienten. Außerdem müssen die Paraproteine quantifiziert und der Immunglobulinsubtyp festgestellt werden (häufig IgG oder IgA). Nach einer ausführlichen Labordiagnostik, einer Ganzkörper-CT und einer Knochenmarkpunktion können dann Endorganschäden festgestellt werden, die das Multiple Myelom von seinen Vorstufen, der monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) und dem sog. Smouldering Myeloma, abgrenzen.
Die Indikation zur Therapie wird anhand der SLiM-CRAB-Kriterien gestellt. Bei geeigneten fitten Personen wird eine Induktionstherapie mit darauf folgender Hochdosischemotherapie inkl. Stammzelltransplantation, Konsolidierung und anschließender Erhaltungstherapie angestrebt. Rezidive sind häufig. Die Prognose kann mithilfe von Scores anhand der Tumorlast und chromosomaler Aberrationen abgeschätzt werden.
Epidemiologie
- Geschlecht: ♂ > ♀
- Alter: Neuerkrankungen am häufigsten zwischen 70 und 79 Jahren
- Inzidenz: 8/100.000/Jahr
Auch wenn die Inzidenz des Multiplen Myeloms relativ gering ist, liegt die Prävalenz infolge der häufigen Rezidive bzw. dem Bestehen einer Resterkrankung deutlich höher!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Heterogene Erkrankung: Ursache unklar, am ehesten multifaktorielle Genese
- Entstehung: Über Vorstufen des Multiplen Myeloms (MGUS, Smouldering Myeloma)
- Risikofaktoren
- Monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz
- Höheres Lebensalter
- Männliches Geschlecht
- Familiäre Häufung
- Afroamerikanische Vorfahren
- Exposition gegenüber potenziellen Schadstoffen
- Chromosomale Aberrationen: Einfluss auf Entstehung und Progress
- Primäre Aberrationen
- Trisomien (ca. 40%): Insb. Chromosomen 3, 7, 9, 11, 15 und 17
- Translokationen (ca. 40%): Insb. unter Beteiligung des Gens, das für die Schwerkette des Immunglobulins (IgH) auf Chromosom 14 kodiert
- Insb. t(11;14), t(4;14), t(14;16), t(6;14) oder t(14;20)
- Sekundäre Aberrationen
- Deletionen, insb. del(1p), del(13), del(17p)
- RAS-Mutationen
- Translokation mit Beteiligung von MYC (sog. MYC-Rearrangements)
- Primäre Aberrationen
Chromosomale Aberrationen beeinflussen die Ausprägung, den Verlauf und die Prognose des Multiplen Myeloms!
Vorstufen des multiplen Myeloms
Monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS)
Allgemeines
- Definition: Nachweis von Paraprotein im Serum oder Urin (monoklonale Immunglobuline und/oder Leichtketten) ohne erhöhte Plasmazellinfiltration im Knochenmark (<10%), klinische Symptome oder Therapiebedarf
- Bedeutung: I.d.R. laborchemischer Zufallsbefund und Vorläufer für
- Plasmazellneoplasien (am häufigsten)
- B-Zell-Lymphome (bspw. Morbus Waldenström, CLL)
- AL-Amyloidose
- Epidemiologie: Prävalenz zwischen dem 45. und 75. Lebensjahr ca. 3%
- Subtypen: Abhängig vom monoklonalen Immunglobulin
Diagnostik
- Nachweis des Paraproteins
- Serumelektrophorese inkl. Immunfixation
- Quantitative Messung der Immunglobuline
- Freie Leichtketten im Serum inkl. Kappa-/Lambda-Quotient
- Weitere Labordiagnostik bei V.a. MGUS
- Blutbild inkl. Differenzialblutbild
- Kreatinin
- β2-Mikroglobulin
- NT-proBNP
- Albumin, Gesamteiweiß im Serum
- Eiweiß und Albumin im Urin
- Bei weiterem V.a. MGUS: Abgrenzung zu Smouldering Myeloma und Multiplen Myelom
- Anamnese und körperliche Untersuchung, insb. auf CRAB-Kriterien
- Ggf. weitere Diagnostik
- Knochenmarkpunktion
- Bildgebung: Ganzkörper-CT (ohne Kontrastmittel), alternativ MRT
- Prüfung der Diagnosekriterien
- Nachweis von Paraproteinen, jedoch
- Monoklonale Immunglobuline <30 g/L im Serum und
- Monoklonale Leichtketten <500 mg/24 h im Urin
- Und keine Endorganschäden durch die Plasmazellneoplasie, siehe: CRAB-Kriterien
- Und im Knochenmark <10% Plasmazellen
- Nachweis von Paraproteinen, jedoch
- Bei nicht erfüllten Kriterien: Differenzialdiagnosen prüfen, insb. bei Endorganschäden ohne Erfüllung der Kriterien für ein Smouldering Myeloma oder ein Multiples Myelom
- AL-Amyloidose
- Monoklonale Gammopathie klinischer (bspw. renaler) Signifikanz
Therapie und Kontrolluntersuchung
- Therapie: Watch and Wait
- Regelmäßige Kontrolluntersuchungen
- Ziel: Ausschluss behandlungsbedürftiger Grunderkrankung
- Zeitpunkt: Nach 6 Monaten, weitere Intervalle abhängig von Risikofaktoren
- Durchführung
- Anamnese und körperliche Untersuchung
- Quantitative Bestimmung des Paraproteins
- Leichtketten-Quotient im Serum
- Ggf. jährliche Bildgebung
- Ganzkörper-MRT oder
- Ganzkörper-CT, MRT Wirbelsäule und Becken
- Weitere Diagnostik, ggf. Biopsie
MGUS - Prognose (Rechner)
Smouldering Myeloma
- Synonyme: Asymptomatisches Myelom, schwelendes Myelom
- Definition: Vorstufe des Multiplen Myeloms
- Abgrenzung zum MGUS: Höhere Plasmazellinfiltration im Knochenmark bzw. höhere Paraproteinproduktion
- Abgrenzung zum Multiplen Myelom: Keine Endorganschäden
- Diagnostik
- Initial: Siehe Diagnostik des Multiplen Myeloms
- Im Verlauf: Regelmäßige Kontrollen zur Prüfung des Übergangs in ein Multiples Myelom
- Prüfung der Diagnosekriterien
- Nachweis von Paraproteinen
- Monoklonale Immunglobuline ≥30 g/L im Serum und
- Monoklonale Leichtketten ≥500 mg/24 h im Urin
- Und keine Endorganschäden durch die Plasmazellneoplasie, siehe: CRAB-Kriterien
- Und im Knochenmark 10–≤60% Plasmazellen
- Nachweis von Paraproteinen
- Therapieindikation: Übergang in ein Multiples Myelom bzw. Smouldering Myeloma mit hohem Risiko [8]
- Identifikation des hohen Risikos: Positive SLiM-CRAB-Kriterien
- Siehe auch: Smouldering Myeloma - Risiko (Rechner)
- Siehe auch: Therapie des Multiplen Myeloms
- Identifikation des hohen Risikos: Positive SLiM-CRAB-Kriterien
Smouldering Myeloma - Risiko (Rechner)
Pathophysiologie
- Monoklonale Plasmazellneoplasie → Produktion von (dysfunktionalen) monoklonalen Immunglobulinen und/oder Leichtketten, sog. Paraproteinen
- Folgen der Paraproteinproduktion
- Ablagerungen von Immunkomplexen → Organschäden (bspw. Leichtkettennephropathie mit Nierenschädigung, AL-Amyloidose)
- Dysfunktionale Immunglobuline → Rezidivierende Infektionen (bspw. Antikörpermangelsyndrom)
- Große Mengen an Immunglobulinen → Veränderte Fließeigenschaft des Blutes (bspw. Hyperviskositätssyndrom)
- Osteoklastenaktivierung: Durch Plasmazellklon, vermittelt u.a. über IL-6 und RANK-L
- Fokale oder diffuse Osteolysen → Osteopenie/-porose, pathologische Frakturen
- Mobilisierung von Calcium aus dem Knochen → Hyperkalzämie und Kalziurie → Exsikkose und akute Nierenschädigung
- Verdrängung des Knochenmarks: Durch Plasmazellklon
- Anämie → Leistungsminderung
- Leukopenie → Rezidivierende Infektionen
- Thrombozytopenie → Blutungsneigung
- Folgen der Paraproteinproduktion
Symptomatik
Variabler Verlauf
- Asymptomatisch (ca. 25%)
- Oligosymptomatisch/subakut (am häufigsten, bspw. unspezifische Symptome wie Gewichtsverlust, Fatigue)
- Schwer krank/hochakut (seltener, bspw. Multiorganversagen mit Nierenschädigung, Infektionen)
Allgemeine Symptome
-
Knochenschmerzen (ca. 60%)
- Insb. stammnah
- Häufig Rückenschmerzen
- Leistungsminderung (ca. 40%)
- Ungewollter Gewichtsverlust (ca. 25%)
- Rezidivierende Infektionen (ca. 10–20%)
- Schäumender Urin
Vergrößerte Lymphknoten sind für ein Multiples Myelom untypisch, obwohl es sich um ein B-Zell-NHL handelt!
Spezifischere Symptome
- Verdrängung der Blutbildung
- Anämie: Fatigue, Kopfschmerzen, Leistungsschwäche
- Leukopenie: Infektneigung
- Thrombozytopenie: Blutungsneigung
- Lokalisierte/diffuse Osteolysen
- Pathologische Frakturen
- Schmerzen
- Nervale Kompression, inkl. spinale Kompression
- Funktionseinschränkungen
- Hyperkalzämie bis zur hyperkalzämischen Krise
- Exsikkose und Bewusstseinsstörungen
- Siehe auch: Symptome der Hyperkalzämie
- Nierenfunktionsverschlechterung [9] (sog. Myelomniere, Myelomnephropathie) : Oft multifaktoriell und durch verschiedene pathophysiologische Vorgänge, u.a.
- Cast-Nephropathie (häufigste Ursache)
- Große Menge an Leichtketten fällt nach Filtration in der Niere mit anderen Proteinen aus (sog. Casts) → Verstopfung der Nierentubuli → Akute Tubulusnekrose → Fibrose
- Direkte Wirkung der freien Leichtketten → Apoptoseinduktion und Entzündungsinduktion
- Hyperkalzämie (zweithäufigste Ursache)
- Hyperkalzurie → Nephrokalzinose sowie Exsikkose → Akute (auch prärenale) Nierenschädigung
- Leichtketten-Glomerulopathie: Ablagerung von Leichtketten als Amyloid (AL-Amyloidose) oder nicht-amyloidtypische Ablagerungen im Glomerulum
- Infiltration der Niere durch das Multiple Myelom (selten)
- Therapieassoziiert, u.a. durch NSAR, Chemotherapie
- Cast-Nephropathie (häufigste Ursache)
- Polyneuropathie, bspw. paraproteinämische Polyneuropathie
- Antikörpermangelsyndrom: Rezidivierende Infektionen
- Hyperviskositätssyndrom (selten): Durch Paraproteine
- Venöse Thromboembolien
- AL-Amyloidose (ca. 10%), siehe auch:
Verlaufs- und Sonderformen
Plasmozytom
- Definition: Lokal begrenzte Form des Multiplen Myeloms (sog. solitäre Plasmazellvermehrung), die primär ossär oder extraossär auftritt und in ein Multiples Myelom übergehen kann
- Häufigkeit: 3–5% aller Plasmazellneoplasien
- Lokalisation
- Ossär (ca. 70–80%)
- Extraossär/extramedullär (ca. 20–30%)
- Diagnostik: Inkl. Ausschluss eines Multiplen Myeloms
- Diagnosekriterien
- Bioptisch gesicherte solitäre Läsion
- Klonale Plasmazellen im Knochenmark: Kein Nachweis oder <10%
- CRAB-Kriterien/Amyloidose: Keine auf die Plasmazellneoplasie zurückführbaren Endorganschäden
- Bei ossärer Lokalisation: Ganzkörper-MRT oder FDG-PET/CT
- Diagnosekriterien
- Therapie: Alleinige Strahlentherapie
- Mit 40–50 Gy, mind. 2 cm Sicherheitssaum
- Bei Wirbelkörperbestrahlung: Angrenzende Wirbelkörper mitbestrahlen
- Nachbestrahlung nach initialer OP
- Prognose: Besser als bei Multiplem Myelom, günstige Prognose bei lokaler Radiotherapie
Das Plasmozytom soll diagnostisch aufgrund einer unterschiedlichen Therapie und Prognose vom Multiplen Myelom unterschieden werden!
Solitäre Plasmozytome sprechen sehr gut auf Bestrahlung an, was die Strahlentherapie zur Therapie der Wahl macht!
Plasmazellleukämie
- Definition: Form des Multiplen Myeloms mit zusätzlich >2 × 109/L oder >20% zirkulierenden monoklonalen Plasmazellen im Blut
- Häufigkeit: 2–5% aller Multiplen Myelome
- Therapie: Analog zur Therapie des Multiplen Myeloms
- Ggf. bei jungen Personen eine allogene Stammzelltransplantation erwägen
- Prognose: Ungünstig
Stadien
R-ISS (Revised International Staging System) [2][10]
- Bedeutung
- Stadieneinteilung zur risikostratifizierten Therapie
- Prognoseabschätzung bei Erstdiagnose
Revised International Staging System (R-ISS) | ||
---|---|---|
Stadium | Parameter | 5-Jahres-Überleben |
I |
|
|
II |
|
|
III |
|
|
R-ISS (Rechner)
R2-ISS (Second Revision of the International Staging System) [11]
- Bedeutung: Prognoseabschätzung bei Erstdiagnose (insb. für das Stadium II nach R-ISS)
Second Revision of the International Staging System (R2-ISS) | |||
---|---|---|---|
1. Bestimmung | |||
Risikofaktor | Punkte | ||
ISS-Stadium II | 1 | ||
ISS-Stadium III | 1,5 | ||
del(17p) | 1 | ||
LDH↑ | 1 | ||
t(4;14) | 1 | ||
1q+ | 0,5 | ||
2. Interpretation | |||
Stadium | Gesamtpunktzahl | 5-Jahres-Überleben | Progressionsfreies Überleben |
Low Risk | 0 | Ca. 90% | Ca. 70 Monate |
Intermediate-low Risk | 0,5–1 | Ca. 75% | Ca. 45 Monate |
Intermediate-high Risk | 1,5–2,5 | Ca. 55% | Ca. 30 Monate |
High Risk | 3–5 | Ca. 40% | Ca. 20 Monate |
Diagnostik
Anamnese und körperliche Untersuchung
- Vollständige Symptomatik des Multiplen Myeloms inkl. Symptome der Polyneuropathie
-
Allgemeinzustand und körperliche Fitness/Gebrechlichkeit
- Vorerkrankungen und Komorbiditäten
- Karnofsky-Index bzw. ECOG
- Expositionsanamnese
- Sozialanamnese
Labordiagnostik
- Differenzialblutbild (maschinell und mikroskopisch): Ggf. Panzytopenie
- Nierenwerte und Elektrolyte: Ggf. Nierenfunktionseinschränkung, Hyperkalzämie
- β2-Mikroglobulin im Serum, LDH
- Serumalbumin, Gesamteiweiß: Gesamteiweiß↑
- Serumelektrophorese/Kapillarelektrophorese: Monoklonale Gammopathie mit M-Gradienten
- Immunfixation : Bestimmung des Immunglobulinsubtyps des Paraproteins, bspw. IgG kappa (am häufigsten) [12]
- Freie Kappa- und Lambda-Leichtketten im Serum (quantitativ) : Inkl. Leichtketten-Quotient (Kappa-/Lambda-Quotient)
- Immunglobuline im Serum (quantitativ): Je nach Paraproteinsubtyp erhöht, ggf. Antikörpermangelsyndrom
- Aus dem Urin
- Spontanurin: Albumin-Kreatinin-Ratio
- 24-h-Urin
- Gesamteiweiß↑
- Eiweißelektrophorese inkl. Immunfixation
- Freie Kappa- und Lambda-Leichtketten: Ggf. Nachweis von Bence-Jones-Protein
- Ggf. ergänzend
- Durchflusszytometrie aus peripherem Blut (hämatologisches Labor, bei V.a. Plasmazellleukämie)
- Direkter Coombs-Test (bei Hämolyse)
- Eiweißelektrophorese aus Liquor (bei V.a. ZNS-Befall)
- NTproBNP (bei V.a. AL-Amyloidose)
- Nephrologisches Konsil/Nierenbiopsie (bei renaler Beteiligung zur Abgrenzung anderer Nierenerkrankungen)
- BSG: Typischer Befund ist die Sturzsenkung
Knochenmarkpunktion
- Durchführung einer Knochenmarkpunktion inkl. Knochenmarkaspiration und Knochenmarkbiopsie
- Untersuchung des Materials
- Knochenmarkaspirat (hämatologisches Labor)
- Zytologie: Anteil der Plasmazellen im Knochenmark (Infiltrationsgrad) und Morphologie einzelner Zellen
- Plasmazellnester (lockerer Verband monoklonaler Tumorzellen)
- Radspeichenkerne: Einzelne Chromatinklumpen in der Zellkernperipherie
- Perinukleäre Aufhellungen
- FISH: Nachweis chromosomaler Aberrationen, i.d.R. aus Knochenmarkaspirat
- Untersuchung auf Hochrisiko-Zytogenetik bei Multiplem Myelom
- Translokationen (4;14), t(14;16), t(14;20) oder
- Deletion del(17p)
- Ggf. bei fehlender Hochrisiko-Zytogenetik: Untersuchung auf weitere Aberrationen
- Untersuchung auf Hochrisiko-Zytogenetik bei Multiplem Myelom
- Ggf. Durchflusszytometrie
- Überexpression von CD38, CD138, CD56
- Verlust von CD19, CD45, CD27 und CD81
- Zytologie: Anteil der Plasmazellen im Knochenmark (Infiltrationsgrad) und Morphologie einzelner Zellen
- Knochenmarkbiopsie (Pathologie)
- Histopathologie: Anteil der Plasmazellen im Knochenmark (Infiltrationsgrad)
- <30%: Abgrenzung zu MGUS und asymptomatischem Multiplen Myelom
- ≥30%: Spricht für ein Multiples Myelom
- Immunhistochemie
- Quantifizierung des Paraproteins
- Ggf. Nachweis einer Leichtkettenrestriktion
- Ggf. CD56, Cyclin D1
- Knochenmarkaspirat (hämatologisches Labor)
Bildgebung
- Low-Dose-Ganzkörper-CT: Zum Nachweis von Schäden am mineralisierten Knochen (Osteolysen; lokale oder diffuse Destruktionen des spongiösen oder kortikalen Knochens) und zur Einschätzung etwaiger Komplikationen
- Häufig betroffene Knochen: Becken, Femur, Humerus, Schädel
- Myelomtypische Befunde
- Herde mit muskeläquivalenten Dichtewerten im Knochenmark
- Ggf. Arrosion des Endosts (sog. endostales Scalloping)
- Ggf. Destruktion der angrenzenden Kortikalis
- Ggf. umschriebene Destruktion der Spongiosa ohne Randsklerose
- Ggf. pathologische Frakturen
- Ggf. sekundär extraossärer Befall
- Ggf. ergänzende Untersuchung
- Ganzkörper-MRT (insb. bei unauffälligem CT bzw. solitärem skelettalen Herd ): Zum Nachweis von Myelomherden im Knochenmark
- Myelomtypische Befunde
- T1-hypointense, T2- und DWI-hyperintense Herde im Knochenmark >5 mm
- Ggf. Arrosion des Endosts
- Ggf. Destruktion der angrenzenden Kortikalis
- Ggf. primär oder sekundär extraossäre Herde
- Alternativ: MRT-Becken + MRT-Wirbelsäule
- FDG-PET/CT: Zum Nachweis von Myelomherden unabhängig von einer Knochenschädigung
- Fokal vermehrte FDG-Aufnahme mit Korrelat im CT
- Diffus vermehrte FDG-Aufnahme im Knochenmark
- Röntgen: Konventioneller Röntgen-Skelettstatus nach Pariser Schema (ggf. Schrotschussschädel)
- Szintigrafie: Zur Differenzialdiagnostik
- Ganzkörper-MRT (insb. bei unauffälligem CT bzw. solitärem skelettalen Herd ): Zum Nachweis von Myelomherden im Knochenmark
Bei pathologischen Frakturen, (drohenden) Instabilitäten oder spinaler Kompression sollte eine chirurgische Mitbeurteilung erfolgen!
Diagnosekriterien des Multiplen Myeloms
- Nachweis von Paraproteinen
- Monoklonale Immunglobuline im Serum nachweisbar und
- Monoklonale Leichtketten im Urin nachweisbar
- Und Endorganschäden durch die Plasmazellneoplasie, sog. CRAB-Kriterien
- Bone Lesions (Knochenläsionen): >1 Osteolyse (Röntgen, CT oder PET/CT) und/oder
- Anemia: Anämie mit Hämoglobin <10 g/dL (oder >2 g/dL unter Normwert) und/oder
- Renal Insufficiency: Niereninsuffizienz mit Kreatinin >177 μmol/L oder Kreatinin-Clearance <40 mL/min und/oder
- Calcemia: Hyperkalzämie >110 mg/L (oder >10 mg/L über Normwert)
- Und im Knochenmark ≥10% Plasmazellen
Diagnostik vor Therapieeinleitung
Differenzialdiagnosen
- Immunglobulin-Ablagerungskrankheiten
- Primäre Amyloidose
- Systemische Leicht- und Schwerketten-Ablagerungskrankheiten
- Plasmazellneoplasien mit assoziiertem paraneoplastischen Syndrom
- POEMS-Syndrom: Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, Monoklonale Gammopathie und Haut (Skin)-Läsionen
- Definitionskriterien
- Obligate Kriterien: Polyneuropathie und monoklonale Gammopathie
- Mind. 2 Major-Kriterien: Sklerotische Knochenläsionen, Morbus Castleman, erhöhte VEGF-Spiegel
- Mind. 2 Minor-Kriterien: Organomegalie, Wassereinlagerungen, Endokrinopathie, Hautveränderungen, Papillenödem, Thrombozytose oder Polyzythämie
- Weitere Symptome
- Häufig paraneoplastische Syndrome
- Angiofollikuläre Lymphknotenhyperplasien: Bei 10–30%
- Therapie
- Lokale Bestrahlung: Bei ≤3 isolierten Läsionen
- Therapie des Multiplen Myeloms: Bei disseminiertem Befall
- Definitionskriterien
- TEMPI-Syndrom
- POEMS-Syndrom: Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, Monoklonale Gammopathie und Haut (Skin)-Läsionen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Therapieindikationen
- Voraussetzungen
- Multiples Myelom
- Smouldering Myeloma mit hohem Risiko
- Prüfung anhand der SLiM-CRAB-Kriterien: Plasmazellinfiltration >10% im Knochenmark und mind. 1 der folgenden Kriterien
- Sixty: Monoklonale Plasmazellen im Knochenmark ≥60%
- Light Chain: Freie Leichtketten ≥100 mg/L und Leichtketten-Quotient ≥100
- MRT: Fokale Läsion >5 mm im Ganzkörper-MRT
- Calcium: Calcium im Serum↑ (>0,25 mmol/L oberhalb des oberen Normwertes oder >2,75 mmol/L)
- Renal: Kreatinin-Clearance↓ (<40 mL/min) oder Serumkreatinin↑ (>2,0 mg/dL)
- Anämie: Hb-Wert↓ (<10 g/dL oder >2,0 g/dL unterhalb des Normwertes)
- Bone: Osteolyse(n)
Therapieplanung
- Ausführliche Aufklärung von Patient:innen und Angehörigen
- Therapieplanung in Tumorboard an spezialisiertem Zentrum
- Optimale Therapie: Induktion, dann Hochdosistherapie inkl. autologer Stammzelltransplantation
- Individuelle Entscheidung unter Berücksichtigung von
- Patientenwunsch
- Komorbiditäten
- Biologischem Alter
- Studieneinschluss prüfen
- Prüfung der Transplantationsfähigkeit (bei Erstdiagnose und erneut nach 2–3 Zyklen )
- Fitness: Einschätzung anhand myelomspezifischer Scores (R-MCI, IMWG-FI)
- Altersgrenze: Ca. 70 Jahre
Alle Patient:innen, bei denen potenziell eine autologe Stammzelltransplantation durchgeführt werden kann, sollten in einem Transplantationszentrum vorgestellt werden!
Medikamentöse und zelluläre Therapien
- Proteasom-Inhibitoren: Bortezomib (V), Carfilzomib (K)
- Anti-CD38-Antikörper: Daratumumab (Dara), Isatuximab (isa)
- Immunmodulierende Substanzen (IMiDs) : Thalidomid (T), Lenalidomid (R)
- Glucocorticoide : Dexamethason (d), Prednisolon (P)
- Zytostatika: Bspw. Melphalan (M), Cyclophosphamid (C), Bendamustin
- CAR-T-Zell-Therapie : Idecabtagen vicleucel, Ciltacabtagene-Autoleucel
Transplantationsfähige Personen
- Intensive Induktionstherapie : Bortezomib-haltige drei- oder Vierfachkombination
- Dreifachkombinationen: Bspw. VCD, VTD, VRD
- Vierfachkombinationen (sog. Quadrupeltherapie, besseres Outcome): Bspw. Dara-VRd bzw. Dara-Rd, Dara-VTd, Dara-VCD [13]
- Bei Hochrisiko-Zytogenetik bei Multiplem Myelom und hoher Tumorlast: Ggf. Isa-KRd [14]
- Mobilisation: Ggf. Plerixafor und G-CSF
- Stammzellentnahme (Apherese): Nach 4–6 Zyklen Induktionstherapie
- Hochdosischemotherapie mit Melphalan
- Unabhängig vom Ansprechen in der Induktionstherapie
- Dosis: 200 mg/m2 KOF
- Autologe Stammzelltransplantation: Wiederherstellung der Hämatopoese
- Ggf. zweite Hochdosistherapie und Stammzelltransplantation (sog. Tandemtransplantation) im Abstand von 3 bis 6 Monaten
- Ggf. bei jungen Personen mit Hochrisiko-Zytogenetik: Allogene Stammzelltransplantation erwägen
- Konsolidierung: Kombinationstherapie abhängig von jeweiliger Induktionstherapie
- Erhaltungstherapie
- Monotherapie
- Bei Standardrisiko: Lenalidomid für mind. 2 Jahre bzw. bis zum Progress
- Bei initialem Kreatinin >2 mg/dL und/oder del(17): Alternativ Bortezomib (Off-Label Use)
- Kombinationstherapie mit Lenalidomid: Dara-R [13]
- Monotherapie
Nicht-transplantationsfähige Personen
- Induktionstherapie: Drei- oder Vierfachkombination , bspw.
- Daratumumab/Bortezomib/Melphalan/Prednisolon (Dara-VMP)
- Bortezomib/Lenalidomid/Dexamethason (VRd)
- Kontinuierliche Erhaltungstherapie bis zum Progress: Bspw. Lenalidomid, Daratumumab
Die Transplantationsfähigkeit sollte nach 2–3 Zyklen erneut evaluiert werden!
Lokale Strahlentherapie und/oder chirurgische Intervention
- Indikationen
- Osteolytische Knochenläsionen und/oder unkontrollierte Schmerzen: Lokale Strahlentherapie
- Pathologische oder drohende Frakturen: Ggf. stabilisierende chirurgische Intervention, anschließende Strahlentherapie
- Spinale Kompression: Lokale Strahlentherapie und/oder chirurgische Intervention
- Bestrahlung: Mit niedriger Dosis, bspw. 8–20 Gy, z.T. einmalige Bestrahlung möglich
Bei pathologischen Frakturen, (drohenden) Instabilitäten oder spinaler Kompression sollte eine chirurgische und/oder strahlentherapeutische Konsultation erfolgen!
Supportive Therapie
- Körperliches Training: Auch während Primärtherapie empfohlen
- Ggf. antiresorptive Therapie: Bei Osteolysen, ggf. bei Osteopenie oder Osteoporose
- Bisphosphonat
- Zoledronsäure oder
- Pamidronsäure oder
- RANKL-Inhibitor
- Zusätzlich Vitamin D und Calcium , insofern keine Hyperkalzämie vorliegt(!)
- Bisphosphonat
- Infektionsprophylaxe
- Zusätzlich zu Standardimpfungen
- Ggf. antiinfektiöse Prophylaxe: Abhängig von Therapieplan und individuellen Risikofaktoren
- Ggf. Immunglobulinsubstitution: Bei Antikörpermangelsyndrom mit rezidivierenden Infekten
- Thromboembolieprophylaxe: Bei Therapie mit Thalidomid, Lenalidomid oder Pomalidomid in Kombination mit Chemotherapie und/oder Dexamethason
- Risikoabhängige Therapie
- Risikofaktoren
- Tumor-assoziiert: Fortgeschrittenes Stadium, Initialdiagnose
- Therapie-assoziiert: Chemo-/Radio-/Hormontherapie, IMiDs, EPO, Transfusionen, PVK, OP-Dauer >1 h
- Patienten-assoziiert: Hohes Alter, Ethnie , Komorbiditäten , stattgehabte Thrombose/Embolie, niedriger ECOG, genetische Prädisposition
- Biomarker-assoziiert: Thrombozyten ≥350.000/μL, Leukozyten >11.000/μL, Hb >10 g/dL
- Therapie von Begleitsymptomatik
- Anämie
- Diarrhö: Gallensäurebinder bei Lenalidomid-induzierter Diarrhö
- Schmerztherapie: Unabhängig vom Stadium, keine NSAR
- Psychoonkologische Therapie: Ambulant und stationär ab Diagnosestellung
- Angebot von Selbsthilfegruppen
- Palliative Therapie: Ab Diagnosestellung, unabhängig vom Stadium oder Therapiedurchführung
- Ggf. spezialisierte Palliativversorgung : Bei hoher Komplexität aufgrund des Vorliegens mehrerer Red Flags
Nachsorge
- Anschlusstherapien
- Onkologische Rehabilitation: Soll allen Personen angeboten werden
- Individualisierte Ergo- und Physiotherapie
- Bei peripherer Neuropathie
- Kraft- und Ausdauertraining
- Neurozeptives und/oder sensomotorisches Training, Balancetraining, Funktions- und physikalische Therapie
- Diagnostik
- Anamnese, körperliche Untersuchung
- Labordiagnostik alle (3–)6 Monate
- Blutbild
- Immunfixation des Serums und Urins
- Messung des Paraproteins im Serum
- Kreatinin- und Calciumkonzentration
- Kontrolle eGFR (nach CKD-EPI) mind. alle 6 Monate
- Keine routinemäßige Ganzkörper-CT/-MRT bzw. Knochenmarkpunktion ohne entsprechende Symptomatik
- Ggf. Kontrolle der Begleiterkrankungen inkl. Toxizitäten nach Therapie
- Ggf. Gabe von Bisphosphonat/Denosumab
- Anhaltende Immunsuppression berücksichtigen
- Impfungen kontrollieren, ggf. erneute Grundimmunisierung nach Stammzelltransplantation
- Ggf. antivirale Prophylaxe
- Ggf. Immunglobuline bei Antikörpermangelsyndrom substituieren
- Früherkennung: Sekundärneoplasien durch Krebsvorsorgeuntersuchungen
Prognose
- I.d.R. gutes Ansprechen auf Erstlinientherapie
- Rezidive innerhalb weniger Jahre häufig
- Lebenserwartung und Krankheitsverlauf sehr variabel und abhängig von Prognosefaktoren
- Ungünstig
- Hohe Tumorlast
- Hochrisiko-Zytogenetik
- Frührezidiv (<12 Monate)
- Günstig
- Junges Alter
- Hoher ECOG
- Gutes Ansprechen auf Erstlinientherapie
- Ungünstig
- Individuelle Prognoseabschätzung siehe: Stadien des Multiplen Myeloms
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 247-2023-2/3: Mind the Gap: Screeningparameter für das Multiple Myelom?
- Studientelegramm 76-2019-3/3: Cast-Nephropathy - Neue Evidenz aus EuLite
- Studientelegramm 15-2018-2/4: Leitlinien Update der „American Society of Clinical Oncology“ zur Rolle der Bisphosphonate und ähnlicher Substanzen beim Multiplen Myelom
- Studientelegramm 12-2018-3/3: Langzeitprognose von Patienten mit monoklonaler Gammopathie unklarer Signifikanz
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Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Multiples Myelom (Video frei verfügbar)
Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- C90.-: Plasmozytom und bösartige Plasmazellen-Neubildungen
- Die folgenden fünften Stellen sind bei der Kategorie C90 zu benutzen:
- 0:
- Ohne Angabe einer kompletten Remission
- Ohne Angabe einer Remission
- In partieller Remission
- 1: In kompletter Remission
- 0:
- C90.0-: Multiples Myelom
- Kahler-Krankheit
- Medulläres Plasmozytom
- Myelomatose
- Plasmazellmyelom
- Exklusive: Solitäres Plasmozytom (C90.3‑)
- C90.1-: Plasmazellenleukämie
- Plasmazytische Leukämie
- C90.2-: Extramedulläres Plasmozytom
- C90.3-: Solitäres Plasmozytom
- Lokalisiert-bösartiger Plasmazellentumor o.n.A.
- Plasmozytom o.n.A.
- Solitäres Myelom
- Die folgenden fünften Stellen sind bei der Kategorie C90 zu benutzen:
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.