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Aplastische Anämie

Letzte Aktualisierung: 3.9.2024

Zusammenfassungtoggle arrow icon

Die aplastische Anämie (AA) umfasst eine heterogene Gruppe erworbener und kongenitaler Knochenmarkinsuffizienzen mit unterschiedlicher Ätiologie. Die erworbenen aplastischen Anämien entstehen meist idiopathisch oder auch nach Exposition gegenüber einem exogenen Trigger (z.B. Medikamente, Viren). Pathophysiologisch wird dabei eine T-Zell-vermittelte Autoimmunreaktion als Ursache vermutet. Davon abzugrenzen sind die selteneren, angeborenen Knochenmarkinsuffizienzen (sog. kongenitale aplastische Syndrome), die sich im Rahmen komplexer Störungen i.d.R. bereits im Kindesalter manifestieren. Bei allen Formen kommt es zum Untergang hämatopoetischer Stammzellen und dadurch zu einer verminderten Bildung von Blutzellen.

Klinisch präsentiert sich die aplastische Anämie v.a. infolge der Erythrozytopenie mit den typischen Symptomen einer Anämie, je nach Ausprägung aber auch mit Symptomen einer Leukozytopenie (Infektneigung) und/oder Thrombozytopenie (Blutungsneigung). Oft handelt es sich um eine Zufallsdiagnose, wobei Patienten im Rahmen der hausärztlichen Routinediagnostik meist mit einer normochromen, normozytären Anämie auffallen. Neben einer ausführlichen Berufs- und Medikamentenanamnese ist für die Diagnosestellung eine Knochenmarkbiopsie und -aspiration notwendig. Ergeben sich klinisch Hinweise auf eine angeborene Störung (bspw. Haut- oder Skelettanomalien), erfolgt eine weiterführende molekulargenetische Diagnostik. Die Therapie ist abhängig von der Ursache und umfasst je nach klinischer Ausprägung Strategien von „watch and wait“ über eine immunsuppressive Therapie bis hin zur allogenen Stammzelltransplantation.

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Epidemiologietoggle arrow icon

  • Inzidenz: 2–3/1.000.000 pro Jahr
  • Altersgipfel: Zwei Häufigkeitsgipfel
    • 10–25 Jahre
    • >60 Jahre
  • Geschlechterverhältnis: =

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Ätiologietoggle arrow icon

Erworbene aplastische Anämie [1]

Auch wenn der pathophysiologische Mechanismus noch nicht vollständig verstanden ist, legen einige Untersuchungen nahe, dass exogene Noxen (z.B. Medikamente oder Viren) bei prädispositionierten Patienten eine autoimmune zytotoxische T-Zell-Reaktion triggern können, die sich gegen hämatopoetische Stammzellen richtet. [2]

Eine Knochenmarkinsuffizienz infolge ionisierender Strahlung oder obligat myelotoxischer Substanzen stellt definitionsgemäß keine aplastische Anämie dar!

Angeborene aplastische Anämie

Die hereditären Formen der aplastischen Anämie treten meist im Kindesalter auf und gehen typischerweise mit Haut-, Skelett- und Organanomalien einher. Es werden jedoch auch atypische Verlaufsformen beobachtet, die sich im jungen Erwachsenenalter manifestieren und aufgrund eines weniger typisch ausgeprägten klinischen Bildes zunächst für eine erworbene aplastische Anämie gehalten werden. Zur Therapie der kongenitalen aplastischen Syndrome bei Erstmanifestation im Kindesalter wird in diesem Kapitel nicht weiter eingegangen, dazu sollten pädiatrische Leitlinien beachtet werden.

Die kongenitalen aplastischen Syndrome gehen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines MDS einher. Für einige Syndrome sind auch Zweitneoplasien, insb. das Auftreten einer AML, beschrieben!

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Klassifikationtoggle arrow icon

Klassifikation aplastischer Anämien
Retikulozyten Neutrophile Granulozyten Thrombozyten Obligate Zusatzkriterien
Mäßig schwere aplastische Anämie (nSAA = „non-severe AA“)

<20 Giga/L

<1.000/μL

<50.000/μL

Schwere aplastische Anämie (SAA = „severe AA“)

<500/μL

<20.000/μL

Sehr schwere aplastische Anämie (vSAA = „very severe AA)

<200/μL

≥2 Blutkriterien (und obligate Zusatzkriterien) müssen erfüllt sein
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Symptomatiktoggle arrow icon

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Diagnostiktoggle arrow icon

Grundlegende Diagnostik

Anamnese und körperliche Untersuchung

Primärdiagnostik

Diagnosekriterien

Befund
Blutbild
Untersuchung des Knochenmarks
  • Hypoplasie oder Aplasie des Knochenmarks : Häufig „fleckförmige“ Panmyelopathie
  • Keine neoplastischen Zellen vorhanden
  • Keine Zeichen einer Fibrose

Ausschlussdiagnostik

Weiterführende Diagnostik

Bei Erstdiagnose – und insb. bei klinischen Hinweisen – sollten die wichtigsten hereditären Aplasien ausgeschlossen werden!

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Therapietoggle arrow icon

Grundlegende Therapieüberlegungen

Übersicht der Therapieoptionen bei AA

Schweregrad Therapie
Mäßig schwere aplastische Anämie (nSAA)

Keine Therapieindikation: Watch and wait

Bei Therapieindikation*: Antithymozytenglobulin (ATG) + Ciclosporin

Schwere aplastische Anämie (SAA) oder sehr schwere aplastische Anämie (vSAA)

≥50 Jahre: Antithymozytenglobulin (ATG) + Ciclosporin

<50 Jahre: Nach Möglichkeit allogene Stammzelltransplantation

*Eine Therapieindikation besteht bei schwerer Zytopenie mind. einer Zellreihe und regelmäßigem Transfusionsbedarf, einer Gefährdung durch Infekte und/oder Blutungen sowie bei Progress einer nSAA in eine SAA.

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Supportive Therapie bei aplastischer Anämietoggle arrow icon

Infektionsprophylaxe

Für ausführliche Informationen siehe auch: Infektionsprophylaxe bei Neutropenie, Fieber in Neutropenie: Empirische Therapie und Supportive Therapie bei onkologischen Erkrankungen.

Blutungsprophylaxe

Transfusionen bei aplastischer Anämie

Für die Entscheidung zur Transfusion gibt es keine „harten“ Grenzwerte. Stattdessen sollten individuelle Risiken und Symptome des Patienten berücksichtigt werden. Ziel ist es, Komplikationen zu vermeiden und Lebensqualität sowie Belastbarkeit zu verbessern!

Bei wiederholten Transfusionen besteht die Gefahr der Alloimmunisierung, der Entwicklung einer GvHD sowie der Eisenüberladung, weshalb eine restriktive Transfusionsstrategie verfolgt werden sollte!

Potenzielle Nebenwirkungen wiederholter Transfusionen

Bestrahlung von Blutprodukten

  • Dosis: 30 Gy
  • Ziel: Vermeidung einer transfusionsassoziierten GvHD und/oder Allosensibilisierung
  • Indikationen

Therapie der Eisenüberladung

  • Zeitpunkt: Meist erst 4–6 Monate nach Einleitung der Immunsuppression notwendig
  • Indikation: Serumferritin-Spiegel >1.000 ng/mL bei andauernder Transfusionsbedürftigkeit
  • Therapie: Deferasirox und Deferoxamin
  • Bei Eisenüberladung nach Remission auch Therapie mithilfe von Aderlässen möglich

Die supportive Therapie ist für Patienten mit aplastischer Anämie – unabhängig vom Alter oder Schweregrad der Erkrankung – entscheidend für die Überlebenswahrscheinlichkeit!

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Immunsuppressive Therapie bei aplastischer Anämietoggle arrow icon

Indikationen [7]

  • Patienten mit nSAA und Gefährdung durch schwere Zytopenie mind. einer Zellreihe
  • Patienten mit SAA/vSAA >50 Jahre
  • Patienten mit SAA/vSAA <50 Jahren ohne geeigneten Stammzellspender

Ein Therapieansprechen zeigt sich meist erst nach 3–4 Monaten und häufig bleibt eine komplette Normalisierung des Blutbildes aus!

Erstlinientherapie [7]

Zweitlinientherapie [7]

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Allogene Stammzelltransplantation bei aplastischer Anämietoggle arrow icon

Die Stammzelltransplantation stellt die einzige definitive Therapieoption dar und wird insb. bei jüngeren und fitten Patienten mit schwerer aplastischer Anämie eingesetzt. Bereits bei hinreichendem V.a. eine aplastische Anämie sollte frühzeitig die Indikationsstellung geprüft und die Spendersuche eingeleitet werden, da mit längerer Zeitdauer zwischen Diagnosestellung und Transplantation die Mortalitätsrate steigt (unabhängig von einer vorausgegangenen immunsuppressiven Therapie!). [17]

Grundlagen [7]

  • Indikation: SAA/vSAA <50 Jahren
    • Als Primärtherapie: Bei Vorliegen eines geeigneten Spenders (HLA-identer Geschwisterspender, alternativ ggf. MUD mit 10/10-Übereinstimmung) und geeignetem Allgemeinzustand des Patienten
    • Als Sekundärtherapie: Nach Versagen mind. eines Zyklus immunsuppressiver Therapie
      • Wenn z.B. Alter oder Zustand des Patienten zunächst gegen eine Stammzelltransplantation sprechen
      • Wenn kein geeigneter Spender gefunden wird (haploidenter Spender)
  • Spenderauswahl
    • 1. Wahl: HLA-identer Geschwisterspender
    • 2. Wahl: HLA-kompatibler nicht-verwandter Spender (10/10-Übereinstimmung )
    • 3. Wahl: Haploidenter verwandter Spender (Eltern, Geschwister)
  • Material: Knochenmarkstammzellspende

Ausschlaggebend für die Entscheidung zur Stammzelltransplantation sind das Vorhandensein eines geeigneten Spenders, der Allgemeinzustand sowie die Komorbiditäten des Patienten!

HLA-identer Geschwisterspender [7]

HLA-kompatibler unverwandter Spender (Matched Unrelated Donor, MUD) [7]

  • Voraussetzung: HLA-Übereinstimmung, idealerweise 10/10-Übereinstimmung
  • Indikation
    • Primärtherapie: Bisher kein Konsens, am ehesten bei jungen Patienten <20 (bis 30) Jahre mit vSAA und 10/10-Übereinstimmung
    • Sekundärtherapie: Bei Patienten ≤40 Jahre mit SAA/vSAA nach Versagen mind. eines Zyklus immunsuppressiver Therapie und wenn kein verwandter Stammzellspender verfügbar
  • Konditionierung
  • GvHD-Prophylaxe: Ciclosporin + Methotrexat

Haploidenter Familienspender [7]

  • Material: Knochenmarkstammzellspende eines verwandten Spenders mit nur haploidentem HLA-Typ (Elternteil oder Geschwisterkind)
  • Indikation (Sekundärtherapie): Bei SAA/vSAA nach Versagen mind. eines Zyklus immunsuppressiver Therapie und wenn kein HLA-identer Geschwisterspender und auch kein „matched unrelated donor“ verfügbar
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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Hämatologisch oder onkologisch bedingte Zytopenien

Therapiebedingte Aplasie

Sonstige

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Nachsorgetoggle arrow icon

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Prognosetoggle arrow icon

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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