Zusammenfassung
Die aplastische Anämie (AA) umfasst eine heterogene Gruppe erworbener und kongenitaler Knochenmarkinsuffizienzen mit unterschiedlicher Ätiologie. Die erworbenen aplastischen Anämien entstehen meist idiopathisch oder auch nach Exposition gegenüber einem exogenen Trigger (z.B. Medikamente, Viren). Pathophysiologisch wird dabei eine T-Zell-vermittelte Autoimmunreaktion als Ursache vermutet. Davon abzugrenzen sind die selteneren, angeborenen Knochenmarkinsuffizienzen (sog. kongenitale aplastische Syndrome), die sich im Rahmen komplexer Störungen i.d.R. bereits im Kindesalter manifestieren. Bei allen Formen kommt es zum Untergang hämatopoetischer Stammzellen und dadurch zu einer verminderten Bildung von Blutzellen.
Klinisch präsentiert sich die aplastische Anämie v.a. infolge der Erythrozytopenie mit den typischen Symptomen einer Anämie, je nach Ausprägung aber auch mit Symptomen einer Leukozytopenie (Infektneigung) und/oder Thrombozytopenie (Blutungsneigung). Oft handelt es sich um eine Zufallsdiagnose, wobei Patienten im Rahmen der hausärztlichen Routinediagnostik meist mit einer normochromen, normozytären Anämie auffallen. Neben einer ausführlichen Berufs- und Medikamentenanamnese ist für die Diagnosestellung eine Knochenmarkbiopsie und -aspiration notwendig. Ergeben sich klinisch Hinweise auf eine angeborene Störung (bspw. Haut- oder Skelettanomalien), erfolgt eine weiterführende molekulargenetische Diagnostik. Die Therapie ist abhängig von der Ursache und umfasst je nach klinischer Ausprägung Strategien von „watch and wait“ über eine immunsuppressive Therapie bis hin zur allogenen Stammzelltransplantation.
Epidemiologie
Ätiologie
Erworbene aplastische Anämie [1]
Auch wenn der pathophysiologische Mechanismus noch nicht vollständig verstanden ist, legen einige Untersuchungen nahe, dass exogene Noxen (z.B. Medikamente oder Viren) bei prädispositionierten Patienten eine autoimmune zytotoxische T-Zell-Reaktion triggern können, die sich gegen hämatopoetische Stammzellen richtet. [2]
- Idiopathisch: >80%
- Medikamentös/toxisch: ca. 20% [3]
- Penicillamin
- Medikamente zur Entzündungshemmung: Insb. Gold, aber auch NSAR, Diclofenac, Indometacin
- Antibiotika: Sulfonamide , Cotrimoxazol, Chloramphenicol
- Anfallssuppressiva: Carbamazepin, Phenytoin
- Thyreostatika: Carbimazol, Thiouracil
- Antidiabetika: Tolbutamid
- Malariamedikamente: Chloroquin
- Benzol
- Postinfektiös: <5%
- Parvovirus B19, Hepatitisviren [4] , EBV, CMV und HIV
Eine Knochenmarkinsuffizienz infolge ionisierender Strahlung oder obligat myelotoxischer Substanzen stellt definitionsgemäß keine aplastische Anämie dar!
Angeborene aplastische Anämie
Die hereditären Formen der aplastischen Anämie treten meist im Kindesalter auf und gehen typischerweise mit Haut-, Skelett- und Organanomalien einher. Es werden jedoch auch atypische Verlaufsformen beobachtet, die sich im jungen Erwachsenenalter manifestieren und aufgrund eines weniger typisch ausgeprägten klinischen Bildes zunächst für eine erworbene aplastische Anämie gehalten werden. Zur Therapie der kongenitalen aplastischen Syndrome bei Erstmanifestation im Kindesalter wird in diesem Kapitel nicht weiter eingegangen, dazu sollten pädiatrische Leitlinien beachtet werden.
- Fanconi-Anämie [5]
- Vererbung: Meist autosomal-rezessiv
- Mutation: Bspw. in den Fanconi-Anämie-Genen FANCA, FANCB, FANCC etc., aber auch BRCA1, BRCA2 oder RAD1
- Klinik: Panzytopenie, Organ- und Skelettanomalien, abnorme Hautpigmentierung, faziale Dysmorphien
- Dyskeratosis congenita (Telomeropathie) [6]
- Mutation: Bspw. im Telomerase-Komplex, führt zur Verkürzung der Telomere
- Klinik
- Symptomtrias aus abnormer Hautpigmentierung, Nageldystrophie und orale Leukoplakie
- Lungen- und/oder Leberfibrose [7]
- Wenig symptomatische Late-onset-Verlaufsformen möglich
- Shwachman-Bodian-Diamond-Syndrom [8]
- Vererbung: Autosomal-rezessiv
- Mutation: SBDS-Gen
- Klinik: Exokrine Pankreasinsuffizienz, Knochenmarkinsuffizienz, Skelettanomalien, Kleinwüchsigkeit
- Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)
Die kongenitalen aplastischen Syndrome gehen mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung eines MDS einher. Für einige Syndrome sind auch Zweitneoplasien, insb. das Auftreten einer AML, beschrieben!
Klassifikation
Klassifikation aplastischer Anämien | ||||
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Retikulozyten | Neutrophile Granulozyten | Thrombozyten | Obligate Zusatzkriterien | |
Mäßig schwere aplastische Anämie (nSAA = „non-severe AA“) | <20 Giga/L | <1.000/μL | <50.000/μL |
|
Schwere aplastische Anämie (SAA = „severe AA“) | <500/μL | <20.000/μL |
| |
Sehr schwere aplastische Anämie (vSAA = „very severe AA) | <200/μL |
| ||
≥2 Blutkriterien (und obligate Zusatzkriterien) müssen erfüllt sein |
Symptomatik
- Klinisches Bild der Bi- oder Trizytopenie in unterschiedlicher Ausprägung
- Anämie: Blässe, Müdigkeit, Schwäche
- Leukopenie (insb. Neutropenie): Hohes Fieber bei schweren bakteriellen Infektionen (z.B. Rachen- und Mundulzera, nekrotisierende Gingivitis, nekrotisierende Tonsillitis wie Angina agranulocytotica, Pneumonie, Phlegmone)
- Thrombozytopenie: Petechien, verlängerte Blutungen, Spontanblutungen (insb. Haut- und Schleimhautblutungen)
- Akute Hepatitis in der Anamnese: Bei circa 5% der Patienten [9]
- Hinweise auf kongenitale Knochenmarksdysplasien
- Pigmentanomalien der Haut (z.B. Hyperpigmentierungen, Cafe-au-Lait-Flecken etc.)
- Leukoplakien der Mundschleimhaut
- Dystrophien der Finger- und Zehennägel
- Dyskeratosen
- Wachstumsstörungen, Organ- und Skelettanomalien, faziale Dysmorphien
- Symptome einer Lungenfibrose und/oder Leberzirrhose
- Exokrine Pankreasinsuffizienz
- Hämolytische Krisen, ggf. mit braunem Urin
Diagnostik
Grundlegende Diagnostik
Anamnese und körperliche Untersuchung
- Anamnese: Umfassende Berufs- und Medikamentenanamnese!
- Klinische Untersuchung
- Klinisches Bild der Bi- oder Trizytopenie in unterschiedlicher Ausprägung
- Hinweise auf kongenitale Knochenmarksdysplasien
- Hinweise auf andere hämatologisch oder onkologisch bedingte Zytopenien: Lymphknotenvergrößerung, Hepatomegalie, Splenomegalie
Primärdiagnostik
- Blutuntersuchungen: Bizytopenie oder Trizytopenie (Panzytopenie)
- Blutbild und Differenzialblutbild
- Häufig normozytäre, normochrome Anämie
- Verminderte Vorläuferzellen (absolute Retikulozytenzahl vermindert , keine Granulozytenvorläufer, keine Riesenthrombozyten)
- Keine unreifen Blasten
- Blutbild und Differenzialblutbild
- Durchführung einer Knochenmarkpunktion: Knochenmarkaspiration und Knochenmarkbiopsie
Diagnosekriterien
Befund | |
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Blutbild |
|
Untersuchung des Knochenmarks |
|
Ausschlussdiagnostik
- Laboruntersuchungen
- Hämolyseparameter: LDH, Haptoglobin, Bilirubin, optional Hämosiderin im Urin
- Gerinnungsparameter: Quick-Wert, PTT, Fibrinogen
- Proteinanalytik: Gesamteiweiß, Serumelektrophorese
- Leberwerte: AST, ALT, AP
- Nierenwerte: Kreatinin, Harnsäure
- CRP
- Blutzucker
- Ferritin , Folsäure und Vitamin B12
- Antinukleäre Antikörper, quantitative Immunglobuline , Anti-DNA-Antikörper
- Blutgruppenbestimmung, direkter Antiglobulin-Test
- Infektionsserologie
- Parvovirus B19
- Hepatitis A, B, C und E
- EBV, CMV
- HIV
- Bildgebung
- Röntgen-Thorax
- Sonografie des Abdomens
Weiterführende Diagnostik
- Molekulargenetische Untersuchungen: Insb. bei V.a. kongenitale Ursachen
- Zytogenetik: Chromosomenbruchanalyse (Ausschluss Fanconi-Anämie)
- Bei positivem Befund: Mutationsanalyse der Fanconi-Anämie-Gene
- Flow-FISH-Technik: Telomer-Längenbestimmung (Ausschluss Telomeropathie)
- Bei positivem Befund: Mutationsanalyse von TERT, hTERC, DKC1, RTEL1, TIN2, ggf. Telomerasekomplex-Komponenten
- Testung der Telomerlänge beim Spender, falls Stammzellspende durch Familienspender geplant ist
- Bestimmung der Elastase im Stuhl: Analyse der exokrinen Pankreasfunktion (Ausschluss Shwachman-Bodian-Diamond-Syndrom)
- Bei positivem Befund: Mutationsanalyse im SBDS-Gen
- Zytogenetik: Chromosomenbruchanalyse (Ausschluss Fanconi-Anämie)
- Durchflusszytometrie: Analyse GPI-verankerter Proteine (Ausschluss PNH)
- HLA-Typisierung
- Bei Indikation zur allogenen Stammzelltransplantation (HLA Klasse I und II)
- Bei ungenügendem Thrombozytenanstieg nach Transfusion (HLA-A und HLA-B) zur Auswahl HLA-passender Thrombozytenspender
Bei Erstdiagnose – und insb. bei klinischen Hinweisen – sollten die wichtigsten hereditären Aplasien ausgeschlossen werden!
Therapie
Grundlegende Therapieüberlegungen
- Therapieziele: Induktion einer Remission und/oder Vermeidung chronischer Transfusionsbedürftigkeit
- Therapieoptionen je nach Schweregrad der aplastische Anämie
- Watch and wait
- Supportive Therapie: Infektionsprophylaxe, Blutungsprophylaxe, Transfusionen (siehe: Supportive Therapie bei aplastischer Anämie)
- Medikamentöse Immunsuppression (siehe: Immunsuppressive Therapie bei aplastischer Anämie)
- Stammzelltransplantation (siehe: Allogene Stammzelltransplantation bei aplastischer Anämie)
- Therapieindikationen
- Therapieplanung
- Abhängig von (biologischem) Alter, Komorbiditäten, Schweregrad der Erkrankung, Grad der HLA-Übereinstimmung eines potenziellen Spenders und Patientenwunsch
- Aufgrund der Seltenheit der Erkrankung wird eine Teilnahme am europäischen Register der EBMT empfohlen, ein Einschluss in Studien sollte erwogen werden
- Vorstellung in einem spezialisierten Zentrum
Übersicht der Therapieoptionen bei AA
Schweregrad | Therapie |
---|---|
Mäßig schwere aplastische Anämie (nSAA) | Keine Therapieindikation: Watch and wait |
Bei Therapieindikation*: Antithymozytenglobulin (ATG) + Ciclosporin | |
Schwere aplastische Anämie (SAA) oder sehr schwere aplastische Anämie (vSAA) | ≥50 Jahre: Antithymozytenglobulin (ATG) + Ciclosporin |
<50 Jahre: Nach Möglichkeit allogene Stammzelltransplantation | |
*Eine Therapieindikation besteht bei schwerer Zytopenie mind. einer Zellreihe und regelmäßigem Transfusionsbedarf, einer Gefährdung durch Infekte und/oder Blutungen sowie bei Progress einer nSAA in eine SAA. |
Supportive Therapie bei aplastischer Anämie
Infektionsprophylaxe
- Grundsätzlich: Umkehrisolation, Luftfiltration
- Bei hohem Infektionsrisiko
- Antibiotische Prophylaxe mit Fluorchinolonen, bspw. Ciprofloxacin oder Levofloxacin [10]
- Antimykotischen Prophylaxe bei prolongierter schwerer Neutropenie oder bei allogener SZT mit Posaconazol, Voriconazol oder Fluconazol [11]
- PCP-Prophylaxe: Unter ATG-Therapie erwägen
- CMV-Prophylaxe: Unter Alemtuzumab-Therapie erwägen
Für ausführliche Informationen siehe auch: Infektionsprophylaxe bei Neutropenie, Fieber in Neutropenie: Empirische Therapie und Supportive Therapie bei onkologischen Erkrankungen.
Blutungsprophylaxe
- Thrombozytenaggregationshemmer strikt vermeiden!
- Ciclosporin-Interaktion beachten
- Ggf. Menolyse
- Ggf. Thrombozytentransfusion (siehe: Transfusionen bei aplastischer Anämie)
Transfusionen bei aplastischer Anämie
- Grundlegend
- Restriktive Transfusionsstrategie (insb. bei geplanter allogener Stammzelltransplantation)!
- Verwendung leukozytendepletierter Blutprodukte
- Sofortige Transfusion bei schweren Blutungen vom WHO Grad 3 oder 4
- Indikation zur Thrombozytentransfusion
- Prophylaktisch: Zur Vermeidung von schweren Blutungskomplikationen
- Transfusion ab <20.000/μL: Bei Patienten mit Blutungszeichen, Fieber >38 °C, Infektionen, schweren Blutungen in der Vergangenheit oder Alloimmunisierung
- Transfusion ab <5.000/μL: Bei stabilen (ambulanten) Patienten ohne o.g. Risikofaktoren (Voraussetzung: Blutbildkontrollen mind. 1x/Woche und rasche Transfusion bei Blutungszeichen möglich)
- Tranexamsäure zusätzlich: Bei klinisch relevanten Blutungen und unzureichendem Anstieg nach Thrombozytensubstitution
- Unter ATG-Therapie: Anheben der Thrombozytenzahl auf 50.000/μL vor Therapiebeginn
- Vor invasiven Eingriffen
- Prophylaktisch: Zur Vermeidung von schweren Blutungskomplikationen
- Indikation zur Erythrozytentransfusion: Verbesserung der Anämiesymptomatik
- Indikation zur Granulozytentransfusion: Ggf. bei lebensbedrohlichen Infektionen und schwerer Neutropenie
Für die Entscheidung zur Transfusion gibt es keine „harten“ Grenzwerte. Stattdessen sollten individuelle Risiken und Symptome des Patienten berücksichtigt werden. Ziel ist es, Komplikationen zu vermeiden und Lebensqualität sowie Belastbarkeit zu verbessern!
Bei wiederholten Transfusionen besteht die Gefahr der Alloimmunisierung, der Entwicklung einer GvHD sowie der Eisenüberladung, weshalb eine restriktive Transfusionsstrategie verfolgt werden sollte!
Potenzielle Nebenwirkungen wiederholter Transfusionen
-
Alloimmunisierung gegen erythrozytäre/thrombozytäre Antigene
- Erhöhtes Risiko einer Transplantatabstoßung nach allogener Stammzelltransplantation: Daher keine gerichteten Transfusionen von verwandten Spendern bei geplanter Transplantation
- Eisenüberladung
Bestrahlung von Blutprodukten
- Dosis: 30 Gy
- Ziel: Vermeidung einer transfusionsassoziierten GvHD und/oder Allosensibilisierung
- Indikationen
- Während ATG-Therapie und solange Lymphozytenzahlen <1.000/μL
- Während intensiver immunsuppressiver Therapie
- Bei geplanter allogener Stammzelltransplantation
- Immer bei Gabe von HLA-selektierten Thrombozytenkonzentraten
- Immer bei Gabe von Granulozytenkonzentraten
Therapie der Eisenüberladung
- Zeitpunkt: Meist erst 4–6 Monate nach Einleitung der Immunsuppression notwendig
- Indikation: Serumferritin-Spiegel >1.000 ng/mL bei andauernder Transfusionsbedürftigkeit
- Therapie: Deferasirox und Deferoxamin
- Bei Eisenüberladung nach Remission auch Therapie mithilfe von Aderlässen möglich
Die supportive Therapie ist für Patienten mit aplastischer Anämie – unabhängig vom Alter oder Schweregrad der Erkrankung – entscheidend für die Überlebenswahrscheinlichkeit!
Immunsuppressive Therapie bei aplastischer Anämie
Indikationen [7]
- Patienten mit nSAA und Gefährdung durch schwere Zytopenie mind. einer Zellreihe
- Patienten mit SAA/vSAA >50 Jahre
- Patienten mit SAA/vSAA <50 Jahren ohne geeigneten Stammzellspender
Ein Therapieansprechen zeigt sich meist erst nach 3–4 Monaten und häufig bleibt eine komplette Normalisierung des Blutbildes aus!
Erstlinientherapie [7]
- Standardkombinationstherapie
- (Pferde‑) Antithymozytenglobulin (ATG)
- Ciclosporin
- Corticosteroide
- Sonderfälle
- Dyskeratosis congenita: Androgentherapie (bspw. Danazol) [12]
- Fanconi-Anämie: Androgentherapie (bspw. Danazol) [13]
Zweitlinientherapie [7]
- Indikation: Therapierefraktärität oder Rezidiv
- Therapieoptionen
- Stammzelltransplantation (siehe: Allogene Stammzelltransplantation bei aplastischer Anämie)
- Wiederholung der immunsuppressiven Kombitherapie
- Alternativ Eltrombopag [14]
- Zulassung aktuell nur für die erworbene aplastische Anämie bei Therapierefraktärität ohne Möglichkeit zur allogenen Stammzelltransplantation
- Studien zum Einsatz als zusätzlicher Kombinationspartner in der (Primär- und Zweitlinien‑)Therapie der SAA zeigten ein verbessertes Therapieansprechen und erhöhte Remissionsraten [15][16]
Allogene Stammzelltransplantation bei aplastischer Anämie
Die Stammzelltransplantation stellt die einzige definitive Therapieoption dar und wird insb. bei jüngeren und fitten Patienten mit schwerer aplastischer Anämie eingesetzt. Bereits bei hinreichendem V.a. eine aplastische Anämie sollte frühzeitig die Indikationsstellung geprüft und die Spendersuche eingeleitet werden, da mit längerer Zeitdauer zwischen Diagnosestellung und Transplantation die Mortalitätsrate steigt (unabhängig von einer vorausgegangenen immunsuppressiven Therapie!). [17]
Grundlagen [7]
- Indikation: SAA/vSAA <50 Jahren
- Als Primärtherapie: Bei Vorliegen eines geeigneten Spenders (HLA-identer Geschwisterspender, alternativ ggf. MUD mit 10/10-Übereinstimmung) und geeignetem Allgemeinzustand des Patienten
- Als Sekundärtherapie: Nach Versagen mind. eines Zyklus immunsuppressiver Therapie
- Wenn z.B. Alter oder Zustand des Patienten zunächst gegen eine Stammzelltransplantation sprechen
- Wenn kein geeigneter Spender gefunden wird (haploidenter Spender)
- Spenderauswahl
- Material: Knochenmarkstammzellspende
Ausschlaggebend für die Entscheidung zur Stammzelltransplantation sind das Vorhandensein eines geeigneten Spenders, der Allgemeinzustand sowie die Komorbiditäten des Patienten!
HLA-identer Geschwisterspender [7]
- Konditionierung: Bspw. mit Cyclophosphamid + ATG + Fludarabin
- GvHD-Prophylaxe: Ciclosporin + Methotrexat
HLA-kompatibler unverwandter Spender (Matched Unrelated Donor, MUD) [7]
- Voraussetzung: HLA-Übereinstimmung, idealerweise 10/10-Übereinstimmung
- Indikation
- Konditionierung
- Cyclophosphamid + Fludarabin + ATG
- Ggf. zusätzliche Ganzkörperbestrahlung
- GvHD-Prophylaxe: Ciclosporin + Methotrexat
Haploidenter Familienspender [7]
- Material: Knochenmarkstammzellspende eines verwandten Spenders mit nur haploidentem HLA-Typ (Elternteil oder Geschwisterkind)
- Indikation (Sekundärtherapie): Bei SAA/vSAA nach Versagen mind. eines Zyklus immunsuppressiver Therapie und wenn kein HLA-identer Geschwisterspender und auch kein „matched unrelated donor“ verfügbar
Differenzialdiagnosen
Hämatologisch oder onkologisch bedingte Zytopenien
- Pure Red Cell Aplasia (PRCA)
- Kongenitale amegakaryozytäre Thrombozytopenie (CAMT)
- Primäre Myelofibrose, hypoplastische(s) AML/MDS
- Haarzellleukämie oder Lymphome
- Schwere megaloblastäre Anämie
- Knochenmarkinfiltration durch solide Tumoren
Therapiebedingte Aplasie
- Aplasie nach obligat myelotoxischer Chemotherapie
- Aplasie nach Exposition ionisierender Strahlung
Sonstige
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Nachsorge
- Unter ATG-Therapie
- Täglich Thrombozytenkontrolle
- 2×/Woche Differenzialblutbild, Gerinnung
- Unter Ciclosporin-Therapie: Spiegelbestimmung
- Regenerationsphase
- 1–2×/Woche Blutbildkontrolle
- 1×/Monat Statuskontrolle, Zellzählung, Differenzialblutbild
- 1×/Jahr oder bei suspekten Blutbildveränderungen: Knochenmarksuntersuchung
Prognose
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- D60.-: Erworbene isolierte aplastische Anämie [Erythroblastopenie] [pure red cell aplasia]
- Inklusive: Isolierte aplastische Anämie (erworben) (beim Erwachsenen) (bei Thymom)
- D60.0: Chronische erworbene isolierte aplastische Anämie
- D60.1: Transitorische erworbene isolierte aplastische Anämie
- D60.8: Sonstige erworbene isolierte aplastische Anämien
- D60.9: Erworbene isolierte aplastische Anämie, nicht näher bezeichnet
- D61.-: Sonstige aplastische Anämien
- Exklusive: Agranulozytose (D70.‑)
- D61.0: Angeborene aplastische Anämie
- Blackfan-Diamond-Anämie
- Familiäre hypoplastische Anämie
- Fanconi-Anämie
-
Isolierte aplastische Anämie:
- angeboren
- im Kindesalter
- primär
- Panzytopenie mit Fehlbildungen
- D61.1-: Arzneimittelinduzierte aplastische Anämie
- Arzneimittelinduzierte Panzytopenie
- D61.10: Aplastische Anämie infolge zytostatischer Therapie
- D61.18: Sonstige arzneimittelinduzierte aplastische Anämie
- D61.19: Arzneimittelinduzierte aplastische Anämie, nicht näher bezeichnet
- D61.2: Aplastische Anämie infolge sonstiger äußerer Ursachen
- D61.3: Idiopathische aplastische Anämie
- D61.8: Sonstige näher bezeichnete aplastische Anämien
- D61.9: Aplastische Anämie, nicht näher bezeichnet
- Hypoplastische Anämie o.n.A.
- Knochenmarkinsuffizienz
- Panmyelopathie
- Panmyelophthise
- D62: Akute Blutungsanämie
- Inklusive: Anämie nach intra- und postoperativer Blutung
- Exklusive: Angeborene Anämie durch fetalen Blutverlust (P61.3)
- D63.-:* Anämie bei chronischen, anderenorts klassifizierten Krankheiten
- D64.-: Sonstige Anämien
- Exklusive: Refraktäre Anämie: mit Blastenüberschuss [RAEB] (D46.2); mit Blastenüberschuss in Transformation (C92.0‑); mit Ringsideroblasten (D46.1); ohne Ringsideroblasten (D46.0); o.n.A. (D46.4)
- D64.0: Hereditäre sideroachrestische [sideroblastische] Anämie
- X-chromosomal-gebundene hypochrome sideroachrestische Anämie
- D64.1: Sekundäre sideroachrestische [sideroblastische] Anämie (krankheitsbedingt)
- D64.2: Sekundäre sideroachrestische [sideroblastische] Anämie durch Arzneimittel oder Toxine
- D64.3: Sonstige sideroachrestische [sideroblastische] Anämien
-
Sideroachrestische Anämie:
- pyridoxinsensibel, anderenorts nicht klassifiziert
- o.n.A.
-
Sideroachrestische Anämie:
- D64.4: Kongenitale dyserythropoetische Anämie
- D64.8: Sonstige näher bezeichnete Anämien
- Infantile Pseudoleukämie
- Leukoerythroblastische Anämie
- D64.9: Anämie, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.