Abstract
Die Antikoagulation durch Hemmstoffe der plasmatischen Blutgerinnung ist ein wichtiger Bestandteil insb. der Therapie von tiefer Beinvenenthrombose (bzw. Lungenembolie), Vorhofflimmern und nach mechanischem Herzklappenersatz. Durch die demografische Entwicklung werden diese Erkrankungen, deren Prävalenz mit steigendem Alter zunimmt, zusätzlich an Bedeutung gewinnen. Die richtige praktische Durchführung und die Auswahl geeigneter und für die jeweilige Indikation zugelassener Substanzen ist in der klinischen Praxis essenziell. Neben Kenntnissen in der Pharmakologie der Antikoagulantien inklusive ihrer speziellen Nebenwirkungen, Kontraindikationen und Wechselwirkungen sind praktische Hinweise im Rahmen einer Erstverordnung und ggf. die Überwachung einer Therapie wichtige praktisch-klinische Fähigkeiten.
Zum Einsatz kommen neben oralen Antikoagulantien auch nicht-orale Antikoagulantien, die insb. in der Eindosierungsphase einer Antikoagulation bedeutsam sind.
Indikationen für eine Therapie mit Antikoagulantien
Gebräuchliche Antikoagulantien nach Indikationen
Substanz/Gruppe | Phlebothrombose/Lungenembolie | Thromboembolieprophylaxe bei Vorhofflimmern | Mechanischer Herzklappenersatz | |
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Nicht-orale Antikoagulantien | ||||
✓ | ✓ | ✓ | ||
Niedermolekulare Heparine (NMH) | Certoparin (z.B. Mono-Embolex®) | ✓ | ✓ | (✓) |
Dalteparin (z.B. Fragmin®) | ||||
Enoxaparin (z.B. Clexane®) | ||||
Nadroparin (z.B. Fraxiparin®) | ||||
Reviparin (z.B. Clivarin®) | ||||
Tinzaparin (z.B. Innohep®) | ||||
Pentasaccharide | Fondaparinux (z.B. Arixtra®) | ✓ | (✓) | ∅ |
Vitamin-K-Antagonisten (VKA) | ||||
Phenprocoumon (z.B. Marcumar®) | ✓ | ✓ | ✓ (Therapie der 1. Wahl) | |
Warfarin (z.B. Coumadin®) | ||||
Direkte orale Antikoagulantien | ||||
Orale Xa-Inhibitoren | Apixaban (z.B. Eliquis®) | ✓ | ✓ | ∅ |
Edoxaban (z.B. Lixiana®) | ||||
Rivaroxaban (z.B. Xarelto®) | ||||
Orale Thrombin-Inhibitoren | Dabigatran (z.B. Pradaxa®) | ✓ | ✓ | ∅ |
Weitere Indikationen für eine Therapie mit Antikoagulantien
Neben den vier klassischen Indikationen (Vorhofflimmern, mechanischer Herzklappenersatz, Lungenembolie und Phlebothrombose) gibt es eine Vielzahl an Erkrankungen, die ebenfalls eine therapeutische Antikoagulation erforderlich machen können. Hierfür muss die Indikationsstellung unter Berücksichtigung der jeweiligen Erkrankung und individueller Faktoren erfolgen. Folgend sind beispielhaft einige mögliche Indikationen aufgelistet:
- Kardiale Erkrankungen
- Kardiale Thromben
- Vorhofthrombus bei Vorhofflimmern
- Ventrikelaneurysma nach Myokardinfarkt oder bei dilatativer Kardiomyopathie
- Persistierendes Foramen ovale (Schlaganfall-Rezidivprophylaxe)
- Pulmonale Hypertonie, insb. chronisch-thromboembolische pulmonale Hypertonie (CTEPH)
- Sonderfall: Thrombozytenaggregationshemmung und orale Antikoagulation bei KHK
- Kardiale Thromben
- Gefäßerkrankungen
- Venenthrombosen
- Karotis- und Vertebralisdissektion (z.B. bei frei flottierendem Thrombus oder rezidivierenden embolischen Infarkten) zur Sekundärprävention
- Hohes Verschlussrisiko eines infrainguinalen oder femoropoplitealen Venenbypass bei pAVK
- Thrombophilie mit hohem Rezidivrisiko (z.B. Antiphospholipid-Syndrom)
Therapeutische Antikoagulation in der Notfallmedizin
- Indikationen für eine Antikoagulation im Notfall (bis zur möglichst kausalen Intervention)
- Akute arterielle Verschlüsse
- Verdacht auf Lungenembolie
- Als Begleittherapie bei Indikation zur Notfall-Lysetherapie mit Fibrinolytika (Indikationsstellung sehr streng!)
Unfraktioniertes Heparin (UFH)
Therapeutische Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin (UFH) | |
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Laborkontrolle vor Therapie | Bestimmung der PTT (Ausgangswert vor der Therapie) |
Startdosierung | 5000–10000 IE i.v. als Bolus, alternativ Berechnung individuell mit 70–80 IE pro kg Körpergewicht |
Perfusor-Dosierung | Heparin-Perfusor (500 IE/mL) mit einer Dosis von 15–20 IE pro kg Körpergewicht pro Stunde fortführen |
Berechnung der Dosierung | Bei 70 kg Körpergewicht beträgt die Erhaltungsdosis demnach zwischen 1050 IE und 1400 IE pro Stunde → Perfusor demnach auf 2,4 mL/h einzustellen (Bereich zwischen 2,1 und 2,8 mL/h) |
Therapiesteuerung | Steuerung nach PTT → Ziel 60–92 s (1,5–2,5-fache Verlängerung des Ausgangswertes) |
Anpassung der Perfusor-Infusionsrate nach PTT | |
PTT <48 s | Bolus wie zum Therapiebeginn und Dosissteigerung um 4 IE pro kg Körpergewicht pro Stunde |
PTT 48–60 s | Bolus in halber Dosierung wie zum Therapiebeginn und Dosissteigerung um 2 IE pro kg Körpergewicht pro Stunde |
PTT 60–92 s | Nichts ändern! |
PTT 92–120 s | Dosisreduktion um 2 IE pro kg pro Stunde |
PTT >120 s | Perfusor 1 h pausieren, danach Fortführung mit Dosisreduktion um 3 IE pro kg Körpergewicht pro Stunde |
Laborkontrollen unter der Therapie | |
PTT | Alle 6 h |
AT-III | Bestimmen, wenn die PTT keine zu erwartenden Änderungen zeigt. |
- Häufige Probleme bei der Therapie mit unfraktioniertem Heparin
- Schlechte Steuerbarkeit: Heparin kann trotz Beachtung gängiger Regeln sehr schlecht steuerbar sein
- Hoher personeller Aufwand: Blutentnahmen alle 6 h binden Zeit und Personal
- Eingeschränkter Komfort: Bei einer dauerhaften intravenösen Infusion muss eine Therapie stationär erfolgen
Niedermolekulares Heparin (NMH)
Therapeutische Antikoagulation mit niedermolekularen Heparinen (NMH) | ||
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Wirkstoffe | Dosierung | Dosisanpassung Niereninsuffizienz bei NMH |
Certoparin (z.B. Mono-Embolex®) |
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Dalteparin (z.B. Fragmin®) |
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Enoxaparin (z.B. Clexane®) |
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Nadroparin (z.B. Fraxiparin®) |
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Reviparin (z.B. Clivarodi®) |
| |
Tinzaparin (z.B. Innohep®) |
| |
Pentasaccharide | ||
Fondaparinux (z.B. Arixtra®) |
| |
Laborkontrollen bei therapeutischer Antikoagulation mit NMH | ||
Anti-Xa-Test |
|
Vitamin-K-Antagonisten (VKA)
Therapeutische Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) | |
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INR-Zielbereiche nach Indikation |
|
Grundsätze |
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Phenprocoumon (z.B. Marcumar®) | |
Eindosierung und Weiterbehandlung |
|
Warfarin (z.B. Coumadin®) | |
Eindosierung und Weiterbehandlung |
|
Laborkontrollen | |
INR-Kontrolle |
|
Direkte orale Antikoagulantien (DOAK)
Wirkstoffe | Dosierung | Dosisanpassung (bei Niereninsuffizienz) [1][2] | Wichtige Interaktionen |
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Direkte Xa-Inhibitoren | |||
Apixaban (z.B. Eliquis®) |
|
|
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Rivaroxaban (z.B. Xarelto®) |
|
|
|
Edoxaban (z.B. Lixiana®) |
|
|
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Direkte Thrombin-Inhibitoren | |||
Dabigatran (z.B. Pradaxa®) |
|
|
|
Laborkontrollen |
|
Weitere Indikationseinschränkungen
DOAK sind in einer Vielzahl denkbarer Indikationen für eine Antikoagulation noch nicht ausreichend untersucht und daher nicht zugelassen.
- Thrombosen ungewöhnlicher Lokalisation (z.B. Pfortaderthrombose)
- Hochgradig eingeschränkte Niereninsuffizienz (Vorgehen s. oben)
- Schwangerschaft
- Karzinom (laufende Studien)
- Pat. mit Leberfunktionsstörung
- Pat. mit schlechter Compliance
- Zur Sekundärprophylaxe im Rahmen eines Antiphospholipid-Syndroms (Siehe hierzu auch: Rote-Hand-Brief zu DOAK)
Bei Personen mit guter Einstellung unter Vitamin-K-Antagonisten ist ein Wechsel auf direkte orale Antikoagulanzien nicht unbedingt notwendig!
Antikoagulation bei HIT Typ II
- Indikation: Verhinderung (weiterer) akuter thrombembolischer Komplikationen
- Durchführung
- 5–7 Tage Behandlung mit den alternativen Antikoagulantien
- Im Verlauf Umstellung auf eine orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten (z.B. Phenprocoumon)
Möglichkeiten der therapeutischen Antikoagulation bei nachgewiesener Heparin-induzierter Thrombozytopenie Typ II | ||
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Wirkstoffe | Therapieeinleitung | Fortführung der Therapie |
Argatroban (z.B. Argatra®) |
| |
Danaparoid (z.B. Orgaran®) |
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Alternative (off label use) | ||
Fondaparinux z.B. (Arixtra®) |
| |
Bivalirudin (z.B. Angiox®) |
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Antikoagulation während der Schwangerschaft
Problemdefinitionen
- Schwangerschaft als zusätzlicher thrombophiler Risikofaktor
- Teratogenität, Kontraindikationen und mangelnde Daten zur Anwendung der Antikoagulantien in der Schwangerschaft
- Fehlende Zulassung: Aufklärung, genaue Dokumentation und Besprechung der Problematik mit der schwangeren Patientin sind unerlässlich
- Fehlende Ideallösungen: In bestimmten Indikationen bestehen keine risikoarmen Lösungen, nur Kompromisse sind praktikabel
- Absolut kontraindizierte Antikoagulantien in der Schwangerschaft: Direkte orale Antikoagulantien (Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban)
- Risiken für Mutter und Ungeborenes sind zu berücksichtigen
- Risiko peripartaler Blutungen unter Antikoagulation
Phlebothrombose und Lungenembolie
- Therapie der 1. Wahl: Niedermolekulares Heparin in therapeutischer Dosierung
- Rezidivprophylaxe
- I.d.R. ist die Anwendung prophylaktischer Dosierungen von NMH ausreichend
- Alternative: Fondaparinux in therapeutischer Dosierung
- Relativ kontraindiziert: Vitamin-K-Antagonisten (Marcumar)
- Nur nach strenger Risikoaufklärung und wenn andere Therapien nicht in Frage kommen einsetzbar
Vorhofflimmern mit Risikofaktoren
- Indikation zur Antikoagulation streng stellen: Es gelten die gleichen Grundsätze wie bei nicht schwangeren Patientinnen
- Kardioversion bei akutem Vorhofflimmern: Elektrische Kardioversion oder medikamentöse Kardioversion mit Flecainid in der Schwangerschaft möglich
- Wenn Antikoagulation unumgänglich
- Niedermolekulare Heparine bevorzugen, peripartal Pausierung oder Perfusortherapie mit unfraktioniertem Heparin
- Alternative
- NMH in 1. Trimenon und im letzten Monat der Schwangerschaft
- Zwischenzeitlich Vitamin-K-Antagonisten mit INR-Ziel 2–2,5
Mechanischer Herzklappenersatz
- Schwierige Entscheidungsgrundlagen
- Maternale versus kindliche Risiken: Unter Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten sind Fehlbildungen möglich. Die Rate an Thrombosen bei mechanischem Klappenersatz ist in der Schwangerschaft aber unter Vitamin-K-Antagonisten am geringsten.
- Dosiseffekt: Auch niedrige Tagesdosierungen von Phenprocoumon (<3 mg) und Warfarin (<5 mg) weisen schon ein geringeres, aber doch beachtliches fetales Komplikationsrisiko auf (10–15%)
- Prothesenthrombosen unter NMH: Thrombosen der mechanischen Herzklappen sind unter Antikoagulation mit niedermolekularen Heparinen eindeutig häufiger als unter der Therapie mit Vitamin-K-Antagonisten (ca. 10% bei NMH versus 4% bei VKA)
- Maternale versus kindliche Risiken: Unter Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten sind Fehlbildungen möglich. Die Rate an Thrombosen bei mechanischem Klappenersatz ist in der Schwangerschaft aber unter Vitamin-K-Antagonisten am geringsten.
- Therapeutische Möglichkeiten
- Option 1 - Vitamin-K-Antagonisten fortführen: Angestrebt wird dann die für die jeweilige Prothesenform empfohlene INR im unteren Zielbereich
- Option 2 - NMH nur im ersten Trimenon: Danach Umstellung auf Vitamin-K-Antagonisten bis SSW 36
- Direkte orale Antikoagulantien sind in der Schwangerschaft keine Option
- IMMER verschärftes Monitoring der Antikoagulation notwendig
Antikoagulation und Geburt
- Stopp der Antikoagulation vor der Geburt
- Vitamin-K-Antagonisten: Bei Einsatz von Vitamin-K-Antagonisten Umstellung auf Heparine ab SSW 36
- Niedermolekulare Heparine: Stopp 24 h vorher bei therapeutischer Dosierung
- Unfraktioniertes Heparin: Stopp 8–12 h vor Geburt bei subkutaner Anwendung, bei intravenöser Anwendung genügt ein Stopp 4–6 h vorher
- Wiederbeginn einer Antikoagulation
- Natürliche Geburt: 12 h nach der Geburt
- Sectio caesarea: 24 h nach der Geburt
- Entfernung eines Periduralkatheters: 4 h nach der Geburt
Antagonisierung der Antikoagulation
Spezifische Maßnahmen bei Blutungen unter Antikoagulation richten sich v.a. nach der Schwere der Blutung! Für unspezifische Sofortmaßnahmen bei schwerer Blutung siehe auch: Notfallmanagement - Critical Bleeding, Notfallmanagement - Circulation und Hämorrhagischer Schock - AMBOSS-SOP.
Einschätzen der Schwere der Blutung
- Nicht-lebensbedrohliche Blutung: Hämodynamisch stabil
- Lebensbedrohliche Blutung: Hämodynamisch instabil
- Bspw. jede intrakranielle Blutung
Antagonisierung von UFH und Antagonisierung von NMH [5][6]
Antidot und Dosierung: Protamin
- Wirkstoff: Protaminhydrochlorid
- Handelsname: Bspw. Protamin ME 1000 IE/mL Injektionslösung®
- Darreichungsform: 1 Ampulle (5 mL) enthält 50 mg (5.000 IE) Protaminhydrochlorid
- Wirkung: 1 mL der Lösung (10 mg Protaminhydrochlorid) neutralisiert etwa 1.000 IE UFH, Faustregel: 1 IE Protamin neutralisiert 1 IE UFH
- Dosierung: Richtet sich nach Schwere der Blutung, Zeitpunkt, Art und Menge der letzten Heparin-Gabe
- Protaminhydrochlorid
- Bei erhöhtem Risiko für anaphylaktische Reaktionen
- Langsame Gabe des Antidots als Tropfinfusion
- Prophylaxe durch vorherige kombinierte Gabe von H1- und H2-Antihistaminikum, bspw. Clemastin und Ranitidin
- Wirkstoff: Protaminsulfat
- Handelsname: Bspw. Protaminsulfat LEO Pharma 1.400 Heparin-Antidot IE/mL Injektionslösung und Infusionslösung®
- Darreichungsform: 1 Ampulle (5 mL) enthält 50 mg (7.000 IE) Protaminsulfat
- Wirkung: 1 mL der Lösung (10 mg Protaminsulfat) neutralisiert etwa 1.400 IE UFH
- Dosierung: Richtet sich nach Schwere der Blutung, Zeitpunkt, Art und Menge der letzten Heparin-Gabe
Protaminsulfat hat eine kurze HWZ, ggf. sind wiederholte Gaben nötig!
Indikationen
-
Antagonisierung von UFH oder NMH bei
- Notfalloperationen, gefäßchirurgischen Maßnahmen (operativ oder interventionell)
- Überdosierung von Heparinen, Heparin-induzierten Blutungen (bspw. bei Nierenersatztherapie)
- Extrakorporaler Zirkulation durch Einsatz einer Herz-Lungen-Maschine (bspw. kardiopulmonale Bypass-Operation, ECMO)
Gabe von Protamin nur in schweren Fällen erwägen!
Hinweise zur Anwendung
- Antagonisierung von UFH: Sehr kurze HWZ, bei akuten Blutungen kann es unter Umständen ausreichen, die Infusion zu unterbrechen
- Antagonisierung von NMH: Keine vollständige Antagonisierung von NMH durch Protamin möglich
- Anti-Faktor-II-Aktivitäten von NMH werden durch Protaminhydrochlorid schnell und fast vollständig aufgehoben
- Anti-Faktor-Xa-Aktivitäten von NMH werden durch Protaminhydrochlorid unvollständig aufgehoben
- Bei lebensbedrohlicher Blutung unter NMH: Zusätzliche Gabe von rekombinantem FVIIa
- Wirkmechanismus: Neutralisation von Heparinen durch Komplexbildung → Keine gleichzeitige Gabe anderer Substanzen über denselben i.v. Zugang, insb. Antibiotika wie Cefazolin oder Kontrastmittelgabe
- Koagulationstests: Kontrolle zur Überwachung der Antagonisierung und Dosisanpassung
- Aktivierte Gerinnungszeit (Activated Clotting Time, ACT), aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), Anti-Xa- und Protamin-Titrationstest
- Zeitpunkt: Durchführung ca. 5–10 min nach Gabe von Protamin
- Nebenwirkungen: Bei Überdosierung u.a. gerinnungshemmend, Auslösen von anaphylaktischen Reaktionen
- Engmaschige Überwachung der Vitalparameter während der Gabe
- Behandlung eines etwaigen Schocks gewährleisten
- Keine Daten zur Anwendung
- Bei Kindern, Schwangeren und während der Stillzeit
- Keine klaren Empfehlungen zur Dosisanpassung bei älteren Pat.
Antagonisierung von NMH mit Protaminhydrochlorid | |
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Wirkstoff | Effekt von 1 mg bzw. 100 IE Protamin ME 1.000 IE/mL® |
Certoparin (z.B. Mono-Embolex®) | Neutralisiert 200 IE Certoparin bzgl. der verlängerten aPTT, Thrombin, Blutungszeit |
Dalteparin (z.B. Fragmin®) | Neutralisiert 100 IE Dalteparin bzgl. der verlängerten aPTT |
Enoxaparin (z.B. Clexane®) | Neutralisiert 0,01 mL Anti-IIa Enoxaparin |
Nadroparin (z.B. Fraxiparin®) | Neutralisiert 160 IE Anti-Xa Nadroparin |
Reviparin (z.B. Clivarin®) | Neutralisiert 82 IE Anti-Xa Reviparin |
Tinzaparin (z.B. Innohep®) | Neutralisiert 100 IE Anti-Xa Tinzaparin |
Sofort die Heparin-Gabe unterbrechen bei Auftreten schwerer Blutungen!
Die Antagonisierung von Heparinen sollte bspw. anhand der Thrombinzeit überwacht werden. Sobald der neutralisierende Effekt ausreichend ist, muss die Infusion des Antidots gestoppt werden, um eine Überdosis von Protamin zu vermeiden!
Antagonisierung von VKA [7][8][9][10]
Antidot und Dosierung: Vitamin K
- Wirkstoff: Phytomenadion (synthetisches Vitamin K1)
- Handelsname: Bspw. Konakion®
- Darreichungsform: 1 Ampulle (1 mL) enthält 10 mg Vitamin K
- Wirkung: Vitamin-K-abhängige Synthese von Gerinnungsfaktoren
- Dosierung: Richtet sich nach Schwere der Blutung und Art des VKA
Indikationen
- Blutungen aufgrund Vitamin-K-Mangels, bspw. durch zu hohe Dosierung von Cumarinderivaten
- CAVE: Langsame Antagonisierung bzw. verzögerter Wirkeintritt
Hinweise zur Anwendung
- Für kurzfristige Gerinnungsnormalisierung bspw. Kombination mit
- PPSB
- FFP, siehe auch: Transfusion von Plasmakonzentraten - AMBOSS-SOP
- Rekombinantem Faktor VIIa
- Kombination mit Colestyramin bei Phenprocoumon
- Bei Pat. mit Resorptionsstörungen : Niedrigdosierte parenterale Gabe von Vitamin K
Zur Antagonisierung von Phenprocoumon kann zusätzlich Colestyramin verabreicht werden (Unterbrechung des enterohepatischen Kreislaufs)!
Maßnahmen bei erhöhter INR unter Therapie mit VKA [7][8][9] | ||||
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INR | Blutung | Gabe von VKA | Gabe von Vitamin K | Weitere Maßnahmen |
<5 | Keine oder leichte Blutung |
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≥5–<9 |
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| ||
>9 |
|
| ||
? | Schwere Blutung |
| ||
Lebensbedrohliche Blutung |
|
Antagonisierung von DOAK [1][7][10]
Antidot und Dosierung
- Rivaroxaban und Apixaban: Andexanet alfa
- Initiale Dosis
- Niedrige Dosis: Bei Rivaroxaban mit letzter Einnahme vor >7 h oder Apixaban
- Hohe Dosis: Bei Rivaroxaban mit letzter Einnahme vor <7 h (oder unbekanntem Zeitpunkt der Einnahme)
- Erhaltungsdosis
- Niedrige Dosis: Bei Rivaroxaban mit letzter Einnahme vor >7 h oder Apixaban
- Hohe Dosis: Bei Rivaroxaban mit letzter Einnahme vor <7 h (oder unbekanntem Zeitpunkt der Einnahme)
- Initiale Dosis
- Edoxaban: Bisher kein spezifisches Antidot zugelassen
- Dabigatran: Idarucizumab
Indikationen
- Lebensbedrohliche bzw. nicht beherrschbare Blutungen
- Notfall-OP oder dringliche Operation
- Bestimmte diagnostische Maßnahmen (bspw. Liquorpunktion)
- Ggf. systemische Thrombolyse (Einzelfallentscheidung) [7]
Eine Intoxikation mit DOAK ohne Blutung ist keine Indikation für eine Antagonisierung!
Hinweise zur Anwendung
- Anamnese: Wirkstoff, Dosierungsschema, Zeitpunkt der letzten Einnahme von DOAK
- Diagnostik
- Blutbild, Elektrolyte (Natrium, Kalium), Kreatinin, GFR, Hämoglobin, Gerinnungsstatus, bestenfalls DOAK-Plasmalevel
- Engmaschige Überwachung bis zum Sistieren der Blutung
- Bei nicht bedrohlichen Blutungen: Ggf. keine spezifische Therapie notwendig
- Renale Elimination von DOAK → Diurese aufrechterhalten
- Rahmenbedingungen der Gerinnung beachten
- Anhand der HWZ Dauer einschätzen bis zur Normalisierung der Hämostase
- Siehe auch: Perioperativer Umgang mit DOAK
- Keine Daten zum zusätzlichen Nutzen: Aktivierte PPSB, rVIIa
- Bei Überdosierung von DOAK: Aktivkohle-Gabe
- Nach Sistieren der Blutung: DOAK niedrigdosiert wieder beginnen
- Rote-Hand-Briefe zu Ondexxya® (Andexanet alfa)
- Wirkkontrolle über klinische Parameter, nicht über Messung der Anti-FXa-Aktivität [11]
- Anwendung vor einer Heparinisierung (bspw. intraoperativ) wegen Gefahr des Heparin-Wirkverlusts vermeiden [12]
Maßnahmen je Schwere der Blutung unter Therapie mit DOAK [7] | |||||
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Blutung | Gabe von DOAK | Gabe des Antidots bei Dabigatran, Apixaban und Rivaroxaban | Weitere Maßnahmen | ||
Leichte Blutung |
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Schwere Blutung |
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Lebensbedrohliche oder organgefährdende Blutung |
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Bei lebensbedrohlichen Blutungen unter DOAK-Einnahme gilt es, schnellstmöglich die antikoagulatorische Wirkung aufzuheben!
Andexanet alfa ist bisher nicht zugelassen als Antidot für Edoxaban aufgrund der lückenhaften Studienlage! Der Wirkmechanismus legt jedoch eine Wirksamkeit nahe.
Gegenüberstellung gebräuchlicher Antikoagulantien
Applikationsformen | HWZ | Einschränkung bei Niereninsuffizienz | Monitoring | Antidot | Vorteile/Nachteile | ||
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Phenprocoumon (z.B. Marcumar®) |
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Warfarin (z.B. Coumadin®) |
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Rivaroxaban (z.B. Xarelto®) |
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Apixaban (z.B. Eliquis®) |
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Dabigatran (z.B. Pradaxa®) |
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