Zusammenfassung
Die juvenile idiopathische Arthritis ist ein Oberbegriff für rheumatische Erkrankungen des Kindes, die vor dem 16. Lebensjahr beginnen und eine Dauer der Gelenkentzündung von mindestens sechs Wochen aufweisen. Die häufigste der sieben Formen stellt die Oligoarthritis mit asymmetrischem Befall von bis zu vier Gelenken dar, wobei sehr häufig das Kniegelenk betroffen ist. In etwa der Hälfte der Fälle ist im Verlauf der vordere Augenabschnitt entzündet (Uveitis anterior), sodass regelmäßige Spaltlampenuntersuchungen durch den Ophthalmologen durchzuführen sind. Die gefürchtete systemische Arthritis (Morbus Still) geht mit hohem Fieber einher und kann die inneren Organe betreffen. Die Diagnose wird jeweils rein klinisch gestellt, wobei Laborwerte wie Entzündungsparameter, Rheumafaktoren, antinukleäre Antikörper und gegebenenfalls HLA-B27 mit beachtet werden. Therapeutisch stehen alle Medikamente zur Verfügung, die auch bei der rheumatoiden Arthritis zum Einsatz kommen können – dabei beschreiben NSAR, intraartikuläre Glucocorticoide und gegebenenfalls Methotrexat die wichtigsten Therapiebestandteile. Systemische Glucocorticoide werden allerdings wegen der Gefahr von Wachstumsstörungen möglichst vermieden.
Epidemiologie
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Idiopathisch
- Immunologische Prädisposition (verschiedene HLA-Assoziationen)
- Vermutet wird eine Triggerung durch virale und bakterielle Infektion
Klassifikation
Klassifikation und Überblick über die juvenilen idiopathischen Arthritiden
- Grundvoraussetzungen: Mindestdauer der Symptome ≥6 Wochen, Symptombeginn vor dem 16. Lebensjahr
Erkrankung | Häufigkeitsgipfel Geschlechterverteilung % der JIA | Definition | Gelenkbefall | Extraartikuläre Manifestationen | Labor | Therapie | |||||
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Oligoarthritis Veraltet: Frühkindliche Oligoarthritis |
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Seronegative Polyarthritis |
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Seropositive Polyarthritis |
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Systemische Arthritis (Morbus Still) |
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Juvenile Psoriasis-Arthritis |
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Enthesitis-assoziierte Arthritis Veraltet: HLA-B27-assoziierte späte Oligoarthritis |
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Undifferenzierte Arthritis |
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*Die Auftretenswahrscheinlichkeit einer Uveitis anterior steigt mit dem Vorhandensein antinukleärer Antikörper (ANA) Diese Auflistung ist angelehnt an die von der ILAR veröffentlichten Klassifikationskriterien der juvenilen idiopathischen Arthritis. Die ausführliche Klassifikation beinhaltet zusätzlich Ausschlusskriterien für jede der einzelnen Subgruppen und würde in ihrer Gesamtausführung den hier gegebenen Rahmen sprengen. |
Die im Rahmen juveniler idiopathischer Arthritiden auftretende Uveitis anterior kann insbesondere bei chronischem Verlauf mit einem äußerlich unauffälligen Auge einhergehen und daher erst in der Spaltlampenuntersuchung sicher diagnostiziert werden. Aufgrund des Erblindungsrisikos haben das ophthalmologische Screening und die Therapie dieser Komplikation somit eine besondere Bedeutung!
Pathophysiologie
Chronische Entzündungsreaktion der Synovia → Hyperplasie der Gelenkkapsel → Bindegewebige Wucherung (Pannus) → Greift Knorpel an → Funktionsverlust des Gelenks
Symptomatik
- Allgemein
-
Arthritische Beschwerden
- Gelenkschwellung oder ≥2 der folgenden Symptome: Eingeschränkte Beweglichkeit, Rötung oder schmerzhafte Bewegung und Überwärmung (= Definition einer Arthritis)
- Morgensteifigkeit, Schonhaltung
- Weinerlichkeit, Müdigkeit, Leistungsknick
-
Arthritische Beschwerden
Diagnostik
- Klinische Untersuchung: Zur Diagnosestellung und Evaluation extraartikulärer Manifestationen
- Bei Assoziation mit Uveitis anterior: Regelmäßige augenärztliche Kontrollen
- Insb. bei systemischer Arthritis: Kardiologische Diagnostik
- Labordiagnostik: CRP, BSG, Leukozyten, ANA, Rheumafaktoren, ggf. HLA-B27
- Bildgebung [1]
- Sonografie: Gelenkerguss
- MRT (ggf. als Ganzkörper-MRT): Synovitis, Osteitis
Die juvenile idiopathische Arthritis ist eine klinische Diagnose!
Differenzialdiagnosen
Übersicht der Differenzialdiagnosen
- Traumatisch/orthopädisch
- Ermüdungsfraktur
- Osteonekrose/Chondronekrose
- Onkologisch
- Benigner Knochentumor
- Maligner Knochentumor
- Knochenmetastasen (bspw. bei Neuroblastom) [2]
- Systemische maligne Erkrankung, insb. akute lymphatische Leukämie [3]
- Infektiologisch
- Subakute/chronische Osteomyelitis
- Lyme-Arthritis
- Bakterielle Arthritis
- Rheumatisch
- Neurologisch: Muskeldystrophien/Myopathien [2]
- Metabolische Erkrankungen: Stoffwechsel-/Speichererkrankungen [2]
Chronische nicht-bakterielle Osteitis (CNO) [4]
- Einordnung: Autoinflammatorische Erkrankung des Knochens
- Überschneidung mit dem SAPHO-Syndrom
- Epidemiologie: Selten
- Inzidenz: <1/100.000 Kinder jährlich [5]
- Meist bei älteren Kindern oder Jugendlichen
- Pathophysiologie: Überwiegend multifokale sterile Entzündungsherde
- Symptomatik
- Leitsymptom: Chronischer Knochenschmerz >6 Wochen [6]
- Meist multifokal: Insb. an den Metaphysen der langen Röhrenknochen, Wirbelsäule, Becken und Schulter
- Seltener unifokal (ca. 25%): Insb. Mandibula, Clavicula
- Begleitsymptome
- Gelenkbeschwerden/Arthritis (bis zu 40%)
- Entzündliche Hautveränderungen
- Leitsymptom: Chronischer Knochenschmerz >6 Wochen [6]
- Verlauf: Meist chronisch-rezidivierend über mehrere Jahre
- Verlaufsform: Chronisch-rekurrierende multifokale Osteomyelitis (CRMO)
- Diagnostik: Ausschlussdiagnose [6]
- Therapie: Primär NSAR [6]
- Ggf. zusätzlich konventionelle DMARDs, biologische DMARDs oder Bisphosphonate
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Generell stehen alle Medikamente zur Verfügung, die auch bei der rheumatoiden Arthritis eingesetzt werden können (siehe Rheumatoide Arthritis). Es sind aber nicht alle Medikamente bei Kindern zugelassen.
- Standardmedikamente: NSAR, intraartikuläre Glucocorticoide und Methotrexat
- Besonderheiten
- Basistherapie (DMARD, disease-modifying anti-rheumatic drugs)
- Wie bei Erwachsenen ist bei hoher Krankheitsaktivität die frühstmögliche Therapie mit Basistherapeutika wünschenswert
- Die Auswahl des Basistherapeutikums ist individuell verschieden. Meist ist das am wenigsten toxische Methotrexat Mittel der Wahl
- Bei nicht ausreichender Wirksamkeit ist der Einsatz von Biologicals empfohlen
- NSAR: Indometacin hat eine sehr starke therapeutische Wirkung, aber auch relativ starke Nebenwirkungen
- Glucocorticoide
- Systemisch selten eingesetzt aufgrund ihrer katabolen Wirkung (Osteoporose, Wachstumsstörungen)
- Je jünger das Kind, desto zurückhaltender sind Glucocorticoide zu verabreichen
- Eine vorübergehende systemische Therapie ist bei schwerem Krankheitsverlauf (insbesondere Organbefall) indiziert
- Lokal intraartikulär bei aktivierter Arthritis: Insbesondere Triamcinolon(-hexacetonid)
- Systemisch selten eingesetzt aufgrund ihrer katabolen Wirkung (Osteoporose, Wachstumsstörungen)
- Basistherapie (DMARD, disease-modifying anti-rheumatic drugs)
Die Therapie der juvenilen idiopathischen Arthritis sollte immer durch eine Physiotherapie begleitet werden!
Komplikationen
- Allgemein
- Gelenkdestruktion mit (Sub‑)Luxation
- Temporäre Wachstumsbeschleunigung der betroffenen Seite mit asymmetrischem Längenwachstum möglich
- Bei chronischem Verlauf Wachstumsstillstand durch vorzeitigen Epiphysenschluss
- Sehstörungen durch chronische Uveitis anterior
- Systemische Arthritis (Morbus Still)
- Makrophagenaktivierungssyndrom in 10–15% [7]
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
Der Verlauf der juvenilen idiopathischen Arthritis ist individuell sehr unterschiedlich und damit sehr schwer vorauszusagen. Alle Formen können einen leichten aber auch einen schwerwiegenden Verlauf mit starken physischen Einschränkungen nehmen. Allgemein gilt: Je früher die Kinder erkranken und je länger die Entzündungsaktivität in den Gelenken anhält, desto stärker sind die Wachstumsstörungen.
- Oligoarthritis: Meist günstiger Verlauf; in ca. 10% Übergang in ausgeprägte symmetrische Polyarthritis mit ungünstiger Prognose
- Seronegative Polyarthritis: Ernste Erkrankung mit individuell unterschiedlichem Verlauf, aber hohem Risiko für bleibende Funktionseinschränkungen
- Seropositive Polyarthritis: Persistierende Erkrankung, verläuft in Schüben, Gefahr rasch fortschreitender Gelenkzerstörungen
- Faktoren für schweren Verlauf einer Polyarthritis:
- Junges Alter bei Erstdiagnose
- Rheumafaktoren positiv oder Rheumaknoten
- Anti-CCP-AK positiv
- Befall von vielen Gelenken
- Faktoren für schweren Verlauf einer Polyarthritis:
- Systemische Arthritis (Morbus Still)
- Faktoren für schweren Verlauf:
- Polyarthritis
- Fieber >3 Monate
- Hohe Entzündungsparameter
- Faktoren für schweren Verlauf:
- Juvenile Psoriasis-Arthritis: Meist günstiger Verlauf
- Enthesitis-assoziierte Arthritis: Meist günstiger Verlauf, die Remissionsrate liegt bei ca. 10% pro Jahr
Meditricks
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Juvenile idiopathische Arthritis
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- M08.-: Juvenile Arthritis
- Inklusive: Arthritis bei Kindern, Beginn vor Vollendung des 15. Lebensjahres, mit einer Dauer von mehr als 3 Monaten
- Exklusive: Felty-Syndrom (M05.0‑), Juvenile Dermatomyositis (M33.0)
- M08.0-: Juvenile chronische Polyarthritis, adulter Typ [0–9]
- Juvenile chronische Polyarthritis vom Erwachsenentyp der chronischen Polyarthritis, mit oder ohne Rheumafaktor-Nachweis
- M08.1-: Juvenile Spondylitis ankylosans [0–9]
- Exklusive: Spondylitis ankylosans bei Erwachsenen (M45.0‑)
- M08.2-: Juvenile chronische Arthritis, systemisch beginnende Form [0–9]
- Still-Krankheit o.n.A.
- Exklusive: Adulte Form der Still-Krankheit (M06.1‑)
- M08.3: Juvenile chronische Arthritis (seronegativ), polyartikuläre Form
- Juvenile chronische Polyarthritis, Oligoartikulär beginnende Form, im Verlauf polyartikulär [extended oligoarthritis]
- M08.4-: Juvenile chronische Arthritis, oligoartikuläre Form [0–9]
- Exklusive: im Verlauf polyartikulär [extended oligoarthritis] (M08.3)
- M08.7-: Vaskulitis bei juveniler Arthritis [0–9]
- M08.8-: Sonstige juvenile Arthritis [0–9]
- M08.9-: Juvenile Arthritis, nicht näher bezeichnet [0–9]
- M09.-*: Juvenile Arthritis bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Exklusive: Arthritis bei Whipple-Krankheit (M14.8-*)
- M09.0-*: Juvenile Arthritis bei Psoriasis (L40.5†) [0–9]
- M09.1-*: Juvenile Arthritis bei Crohn-Krankheit [Enteritis regionalis] (K50.-†) [0–9]
- M09.2-*: Juvenile Arthritis bei Colitis ulcerosa (K51.-†) [0–9]
- M09.8-*: Juvenile Arthritis bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten [0–9]
Lokalisation der Muskel-Skelett-Beteiligung
- 0 Mehrere Lokalisationen
- 1 Schulterregion
- 2 Oberarm
- 3 Unterarm
- 4 Hand
- 5 Beckenregion und Oberschenkel
- 6 Unterschenkel
- 7 Knöchel und Fuß
- 8 Sonstige
- 9 Nicht näher bezeichnete Lokalisation
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.