Zusammenfassung
Als Proteinurie wird ein übermäßiges Auftreten von Proteinen im Urin bezeichnet. Oftmals ist sie asymptomatisch, gelegentlich kommt es zu schäumendem Urin oder zu Eiweißmangelödemen. Die Diagnose wird meist mittels Urinteststreifen gestellt, welcher jedoch lediglich größere Mengen an höhermolekularem Protein (Albumin) nachweist. Tritt eine Proteinurie konsistent in mehreren Proben auf, ist sie immer als ernst zu nehmendes Symptom zu betrachten und sollte weitere Diagnostik nach sich ziehen. Ursächlich kommt eine Vielzahl renaler und nicht-renaler Erkrankungen in Betracht. Am häufigsten sind dabei glomeruläre Proteinurien als Hinweis auf eine Schädigung des glomerulären Filters. Tritt die Proteinurie gleichzeitig mit einer Hämaturie auf, spricht man von einem „nephrologischen Notfall“ und es sollte dringend eine weitere Abklärung erfolgen.
Definition
Klassifikation
Die Klassifikation erfolgt anhand der Albuminausscheidung, da diese i.d.R. stellvertretend für die Gesamtproteinurie erfasst wird . [1][2]
Einteilung der Albuminurie nach KDIGO | ||
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Grad [3] | Albuminurie in mg/d (oder Albumin-Kreatinin-Quotient in mg/g) | Bedeutung |
Albuminurie Grad A1 | <30 | Normale bis leicht erhöhte Albuminurie |
Albuminurie Grad A2 (früher: Mikroalbuminurie) | 30–300 | Moderat erhöhte Albuminurie |
Albuminurie Grad A3 (früher: Makroalbuminurie) | >300 | Stark erhöhte Albuminurie |
>2.200 | Nephrotischer Bereich |
Pathophysiologie
Physiologische Proteinausscheidung
- Glomerulärer Filter: Barriere zwischen Blut und Primärharn aus fenestriertem Kapillarendothel, Basalmembran und Podozyten
- Tubulus
- Rückresorption des Großteils zuvor filtrierter Proteine
- Sekretion von Tamm-Horsfall-Protein
- Physiologische Proteinurie: Hauptsächlich sezerniertes Tamm-Horsfall-Protein [1]
- Siehe auch: Glomeruläre Filtrationsbarriere
Physiologischerweise werden täglich bis zu 80 mg Protein über den Urin ausgeschieden!
Mechanismen, die zu einer Proteinurie führen können
- Vermehrtes Aufkommen niedermolekularer Proteine im Serum und Primärharn, das die Rückresorptionskapazität des distalen Tubulus übersteigt → Prärenale Proteinurie („Überlaufproteinurie“)
- Urinbefund: Niedermolekulare Proteine (Myoglobin, Hämoglobin, Bence-Jones-Protein), kein Albumin
- Schädigung des Glomerulums → Glomeruläre Proteinurie (am häufigsten)
- Urinbefund: Albumin, Transferrin, IgG
- Beeinträchtigung der tubulären Rückresorption kleiner, physiologischerweise im Primärharn vorkommender Proteine → Tubuläre Proteinurie
- Urinbefund: Vermehrtes Aufkommen niedermolekularer Proteine (Leitproteine α1-Mikroglobulin und β2-Mikroglobulin) ohne Nachweis großer Proteine
- Bildung oder Sekretion von Proteinen im Tubulussystem oder in den ableitenden Harnwegen → Postrenale Proteinurie
- Urinbefund: Vermehrtes Aufkommen von Tamm-Horsfall-Protein, α2-Makroglobulin oder sekretorischem Immunglobulin (IgM, IgG, IgA) der ableitenden Harnwege
- Häufig kombinierte Schädigung des glomerulären und des tubulären Systems → Glomerulär-tubuläre Mischproteinurie
Pathophysiologisch kann eine Proteinurie prärenalen, glomerulären, tubulären oder postrenalen Ursprungs sein. In der klinischen Praxis wird die glomeruläre Proteinurie jedoch i.d.R. als erstes detektiert, da nur diese im Urinteststreifen nachweisbar ist (Albuminurie)!
Ätiologie
- Prärenale Proteinurie („Überlaufproteinurie“)
- Glomeruläre Proteinurie
- Tubuläre Proteinurie: Interstitielle Nephritis, chronischer Analgetika-Abusus
- Glomerulär-tubuläre Mischproteinurie: Bei Erkrankungen, die Glomeruli und Tubuli betreffen (z.B. Lupus-Nephritis, Amyloidosen, Spätstadium der diabetischen Nephropathie)
- Postrenale Proteinurie: Bei Verletzung oder Entzündung der ableitenden Harnwege
Bei Patient:innen mit Diabetes mellitus und/oder arterieller Hypertonie in der Vorgeschichte ist eine Proteinurie am ehesten auf eine dadurch bedingte Nierenschädigung zurückzuführen!
Übersicht Proteinurie-Formen
Übersicht Proteinurie-Formen | |||
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Form der Proteinurie | Pathophysiologie | Urinbefund (Proteine) | Ätiologie |
(„Überlaufproteinurie“) |
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Glomeruläre Proteinurie |
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Tubuläre Proteinurie |
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Postrenale Proteinurie |
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Symptomatik
- Häufig asymptomatisch
- Ggf. schäumender Urin
- Ggf. Eiweißmangelödeme und weitere Hinweise auf ein nephrotisches Syndrom
- Ggf. weitere Symptome einer renalen oder systemischen Grunderkrankung
Diagnostik
Urinteststreifen
Indikationen [2]
- Unklare Ödeme
- Schäumender Urin
- Unklar erhöhtes Kreatinin
- Bei V.a. Glomerulopathien
- Bei V.a. Systemerkrankungen mit Nierenbeteiligung (bspw. Vaskulitiden)
- Regelmäßiges Screening bei
- Diabetes mellitus Typ 1 und 2
- Systemerkrankungen mit möglicher Nierenbeteiligung (bspw. SLE, Sjögren-Syndrom)
- Schwangerschaft (Screening auf Präeklampsie)
- Arterielle Hypertonie
- Ggf. nach Gabe nephrotoxischer Substanzen (insb. Chemotherapeutika)
- Zur Verlaufskontrolle bei renalen Erkrankungen und nach Nierentransplantation
- Vorsorgeuntersuchung
Durchführung und Interpretation
- Material: Idealerweise morgendlicher Spontanurin
- Eigenschaften
- Ermöglicht unmittelbaren, semiquantitativen Nachweis von Protein (Albumin) im Urin
- Liefert gleichzeitig Hinweise auf weitere Auffälligkeiten, insb. Hämaturie
- Detektiert nur Albumin (glomeruläre Proteinurie) und dies erst ab Albuminurie Grad A3
- Falsch-positive Befunde möglich, insb. bei Blut- und/oder Fluorbeimengungen oder stark alkalischem Urin
- Interpretation und Vorgehen
- Persistierende Proteinurie immer als Hinweis auf eine glomeruläre Erkrankung zu werten
- Isolierte, gering- bis mittelgradige Proteinurie bei Patient:innen ohne relevante Vorerkrankung: Gilt erst dann als bewiesen, wenn in Proben an 3 verschiedenen Tagen nachweisbar [2]
- Bei Patient:innen mit Hypertonie und/oder Diabetes mellitus: Immer ernstzunehmen, weitere Diagnostik empfohlen
- Proteinurie in Kombination mit Hämaturie: Immer sofort abklärungsbedürftig!
- Für Details siehe auch: Urinteststreifen
Ein Standard-Urinteststreifen weist erst größere Mengen Albumin nach. Daher ist er zur Früherkennung einer Proteinurie bspw. bei Diabetes mellitus nicht geeignet – hierfür sollte ein Micral-Test® zum Einsatz kommen! [2]
Sind im Urinteststreifen Protein und Hämoglobin deutlich positiv, ist unabhängig von der Nierenfunktion von einer ernst zu nehmenden Nierenerkrankung auszugehen und es sollte eine zügige Abklärung erfolgen („nephrologischer Notfall“)!
Vorgehen bei positivem Proteinnachweis im Urinteststreifen
Fokussierte Anamnese
- Grunderkrankungen: Insb. Diabetes mellitus und Hypertonie, Autoimmunerkrankungen , chronische oder akute Infektionen
- Reiseanamnese
- Medikamenteneinnahme
Eine Proteinurie ist sowohl mit einem erhöhten Risiko für eine akute und chronische Nierenschädigung als auch mit einem erhöhten allgemeinen kardiovaskulären Risiko verbunden und sollte daher stets abgeklärt werden! [2][7]
Körperliche Untersuchung
- Mit Fokus auf Ödeme/Gewichtszunahme , Blutdruck , Hauterscheinungen , Hepato-/Splenomegalie , Untersuchung von Herz und Lunge
- Blutdruckmessung
Quantifizierung der Proteinausscheidung
- Verfahren
- Bestimmung des Protein-Kreatinin- bzw. Albumin-Kreatinin-Quotienten im Urin
- Aus morgendlichem Spontanurin
- I.d.R. bevorzugte Methode [2]
- 24-h-Sammelurin
- Vorteil: Zirkadiane Schwankungen der Proteinausscheidung werden umgangen
- Nachteil: Aufwendig und fehleranfällig, insb. im ambulanten Bereich schwer durchführbar [1]
- Bestimmung des Protein-Kreatinin- bzw. Albumin-Kreatinin-Quotienten im Urin
- Interpretation [1]
- Deutliche Diskrepanz zwischen Protein- und Albuminausscheidung : Verdacht auf Leichtkettenerkrankung (bspw. Multiples Myelom)
- Albuminurie Grad A1: I.d.R. kein Krankheitswert
- Albuminurie Grad A2 und A3 (<3,5 g/d)
- Differenzialdiagnosen: U.a. diabetische oder hypertensive Nephropathie, Glomerulonephritis, benigne Proteinurie, Myelomniere , tubulointerstitielle oder nephrotoxische Nephropathien
- Vorgehen: Wenn persistierend und bei Vorerkrankungen (insb. Diabetes mellitus u./o. Hypertonie) → Weitere Diagnostik empfohlen
- Albuminurie Grad A3 im nephrotischen Bereich (>3,5 g/d): Immer von renaler Erkrankung auszugehen → Weitere Diagnostik empfohlen [1]
- 70–80% primäre renale Grunderkrankung (z.B. Glomerulonephritis)
- 20–30%: Grunderkrankung mit sekundärer renaler Beteiligung (z.B. Diabetes mellitus, SLE)
- Siehe: Nephrotisches Syndrom - Diagnostik
Neben der glomerulären Schädigung haben auch das Serumalbumin, die GFR und das Ausmaß der tubulären Rückresorption Einfluss auf das Ausmaß der Proteinurie. Diese Faktoren sollten immer mitberücksichtigt werden, insb. um eine scheinbar sinkende Proteinurie durch eine sinkende GFR nicht fehlzuinterpretieren!
Weitere Diagnostik
Bei auch laborchemisch nachgewiesener Albuminurie sollten zur weiteren Abklärung erfolgen:
- Eiweißdifferenzierung im Urin
- Ziel: Zuordnung der Proteinurie zum betroffenen Nierenkompartiment (glomerulär vs. tubulär vs. gemischt)
- Durchführung
- Isolierte Bestimmung von IgG, Albumin, α1-Mikroglobulin (jeweils als Quotient mit Kreatinin) im Urin
- Urin-Elektrophorese
- Interpretation siehe: Übersicht Proteinurie-Formen
- Urinmikroskopie (Urinsediment)
- Ziel: Pathogenetische Zuordnung der Proteinurie (glomerulär vs. tubulointerstitiell, nephrotisch vs. nephritisch)
- Durchführung: Nur sinnvoll, wenn Analyse innerhalb weniger Stunden nach Abnahme möglich
- Interpretation
- Akanthozyten oder Erythrozytenzylinder: Hinweis auf glomeruläre Ursache (meist Glomerulonephritis) → Rasche Abklärung erforderlich! [1]
- Leukozyten(zylinder): Hinweis auf tubulointerstitielle Ursache
- Urinsediment unauffällig (isolierte Proteinurie): Bei benigner Proteinurie, prärenaler Proteinurie (bspw. bei Multiplem Myelom), renaler Grunderkrankung in frühem Stadium
- Blutentnahme
- Beurteilung der Nierenfunktion: Kreatinin, Harnstoff, Harnsäure, Elektrolyte
- Proteinstatus: Gesamtprotein und Albumin im Serum
- Hinweise auf Grunderkrankungen
- HbA1c
- CRP
- Blutbild
- Ggf. Serum-Elektrophorese bei V.a. Leichtkettenerkrankung
- Spezifische serologische Diagnostik : Umfasst u.a. Abklärung auf Lupus-Nephritis und andere immunkomplexvermittelte Erkrankungen und Vaskulitiden [1]
- Immunglobuline: Kryoglobuline
- Autoantikörper: ANCA, cANCA, pANCA, ANA, Anti-dsDNA-Antikörper, C4-Nephritisfaktor, Antikörper gegen die glomeruläre Basalmembran (Anti-GBM-Antikörper)
- Serologien für Streptokokken (Antistreptolysin-Antikörper), Hepatitis B und C , HIV , Syphilis
- Komplementfaktoren: C3, C4, CH50
- Ggf. Sonografie der Nieren
- Schrumpfniere bei chronischer Nierenerkrankung
- Leicht vergrößerte Nieren können auf eine interstitielle Nephritis oder Glomerulonephritis hinweisen
- Nierenbiopsie [1]
- Ziel: Diagnosesicherung
- Indikation
- Wenn therapierbare glomeruläre Erkrankung vermutet und nicht-renale Ursache ausgeschlossen (insb. diabetische oder hypertensive Nephropathie)
- Bei rascher Progredienz (zunehmende Proteinurie und/oder GFR-Verschlechterung) zeitnahe Durchführung
Eine neu aufgetretene Proteinurie bei Patient:innen mit Diabetes mellitus und/oder Hypertonie sollte immer eine Vorstellung in der Nephrologie nach sich ziehen. Bei höhergradiger Proteinurie insb. mit zusätzlicher Hämaturie und/oder Nierenfunktionsverschlechterung sollte immer eine umgehende Abklärung (im Zweifel stationäre Einweisung) erfolgen!
Differenzialdiagnosen
- Proteinurie im Rahmen systemischer Erkrankungen
- Proteinurie im Rahmen von Glomerulonephritiden
- Isolierte Proteinurie ohne Hinweis auf Nierenschädigung
- Bedeutung: Isolierte Proteinurie von <1 g/d, die nur intermittierend auftritt, kann ohne Krankheitswert sein
- Vorkommen: Meist jüngere Menschen betroffen
- Ursachen
- Funktionelle Proteinurie: Fieber, starke körperliche oder emotionale Belastungen, schlafbezogene Atmungsstörungen, Herzinsuffizienz
- Orthostatische Proteinurie: Auftreten nur im Stehen
- Vorgehen
- Kontrolluntersuchungen: Mind. an 3 verschiedenen Tagen, idealerweise innerhalb von 6–8 Wochen
- Wenn nicht persistent und keine weiteren Auffälligkeiten: Keine diagnostische oder therapeutische Konsequenz
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Studientelegramme zum Thema
- Studientelegramm 302-2025-2/3: Anti-Nephrin-Antikörper: Schuldig im Sinne der Anklage
- Studientelegramm 272-2023-3/3: Alles im FLOW – GLP1-Analoga bei chronischer Nierenerkrankung
- Studientelegramm 247-2023-2/3: Mind the Gap: Screeningparameter für das Multiple Myelom?
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- R80: Isolierte Proteinurie
- Inklusive: Albuminurie o.n.A., Bence-Jones-Proteinurie, Proteinurie o.n.A.
- Exklusive: Proteinurie: isoliert, mit Angabe morphologischer Veränderungen (N06.‑); orthostatisch (N39.2); persistierend (N39.1); Schwangerschafts- (O12.1)
- N06.-: Isolierte Proteinurie mit Angabe morphologischer Veränderungen
- N39.-: Sonstige Krankheiten des Harnsystems
- N39.1: Persistierende Proteinurie, nicht näher bezeichnet
- Exklusive: Als Komplikation bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett (O11-O15); Mit Angabe morphologischer Veränderungen (N06.‑)
- N39.2: Orthostatische Proteinurie, nicht näher bezeichnet
- Exklusive: Mit Angabe morphologischer Veränderungen (N06.‑)
- N39.1: Persistierende Proteinurie, nicht näher bezeichnet
- O12.-: Gestationsödeme und Gestationsproteinurie [schwangerschaftsinduziert] ohne Hypertonie
- O12.1: Schwangerschaftsproteinurie
- O12.2: Schwangerschaftsödeme mit Proteinurie
Morphologische Veränderungen bei glomerulären Krankheiten
- 0: Minimale glomeruläre Läsion
- Minimal changes glomerulonephritis
- 1: Fokale und segmentale glomeruläre Läsionen
- Fokal und segmental:
- Hyalinose
- Sklerose
- Fokale Glomerulonephritis
- Fokal und segmental:
- 2: Diffuse membranöse Glomerulonephritis
- 3: Diffuse mesangioproliferative Glomerulonephritis
- 4: Diffuse endokapillär-proliferative Glomerulonephritis
- 5: Diffuse mesangiokapilläre Glomerulonephritis
- Membranoproliferative Glomerulonephritis, Typ I und III, oder o.n.A.
- 6: Dense-deposit-Krankheit
- 7: Glomerulonephritis mit diffuser Halbmondbildung
- Extrakapilläre Glomerulonephritis
- 8: Sonstige morphologische Veränderungen
- Proliferative Glomerulonephritis o.n.A.
- 9: Art der morphologischen Veränderung nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.