Grundlagen und Geltungsbereich der SOP
Diese SOP gibt einen Überblick zum Vorgehen bei Ertrinken. Zum Vorgehen bei Unterkühlung siehe: Akzidentelle Hypothermie.
- Definitionen [1]
- Nicht-tödliches Ertrinken: Vorgang des Ertrinkens wird unterbrochen und die Person überlebt
- Tödliches Ertrinken: Person verstirbt zu einem beliebigen Zeitpunkt an den Folgen des Ertrinkens
- Sekundäres Ertrinken: Ertrinken als Sekundärfolge einer anderen Pathologie
- Veraltete Begriffe
- Beinahe-Ertrinken: Überleben einer lebensbedrohlichen Submersion um >24 h
- Trockenes Ertrinken: (Beinahe‑)Ertrinken ohne Aspiration
- Nasses Ertrinken: (Beinahe‑)Ertrinken mit Aspiration
- Warmwasser-Ertrinken: (Beinahe‑)Ertrinken bei einer Wassertemperatur >10° C
- Kaltwasser-Ertrinken: (Beinahe‑)Ertrinken bei einer Wassertemperatur <10° C
- Leitsymptome: Bewusstlosigkeit und fehlende Vitalzeichen (Apnoe, kein tastbarer Puls)
- Begleitsymptome: Ggf. Anzeichen für Hypothermie (bspw. kalte, graue Haut)
Präklinisches Management
Basisdiagnostik und -maßnahmen [2][3]
- Eigenschutz beachten!
- Rettung der Person aus dem Wasser
- In horizontaler Lage
- Person dabei möglichst wenig bewegen
- Bewusstsein und Vitalzeichen prüfen
- Bei Bewusstsein: Vorgehen nach dem cABCDE-Schema
- Bei Bewusstlosigkeit bzw. Bewusstseinsstörung und spontaner Atmung (CAVE: Nicht mit Schnappatmung verwechseln!)
- Vorgehen nach dem cABCDE-Schema
- Intubation oder stabile Seitenlage
- Bei Bewusstlosigkeit und fehlenden Vitalzeichen: Sofortiger Beginn der Reanimation, siehe:
- Reanimation - AMBOSS-SOP
- Reanimation von Kindern - AMBOSS-SOP
- Reanimation von Neugeborenen - AMBOSS-SOP
- Besonderheiten bei Reanimation beachten: Siehe Vorgehen bei Kreislaufstillstand durch Ertrinken
- Bei gleichzeitiger Hypothermie: Beachte Vorgehen bei Kreislaufstillstand durch Hypothermie [3]
- HWS-Immobilisierung bei V.a. Verletzung (bspw. nach Kopfsprung in flaches Gewässer)
- Grad des Bewusstseins prüfen
- Atemwegsmanagement [3]
- Sauerstoffgabe
- Bei spontaner Atmung 10–15 L/min O2 über Sauerstoffmaske mit Reservoirbeutel
- Siehe auch: Hinweise zur Sauerstoffgabe im Notfall
- Endotracheale Intubation: Großzügige Indikationsstellung
- Bei Bewusstseinsstörung oder Bewusstlosigkeit
- Bei Oxygenierungsstörung (spO2 <90% trotz Sauerstoffgabe)
- Durchführung siehe: Rapid Sequence Induction - AMBOSS-SOP
- Absaugen des Rachenraums vor Intubation, endotracheales Absaugen nach Intubation (aspirierte bzw. regurgierte Flüssigkeiten und Schaum entfernen)
- Obsolet: Versuche, vor Intubation Wasser oder Schaum aus den Atemwegen zu entfernen
- Maschinelle Beatmung mit FiO2 = 1,0 und PEEP = 5–10 cmH2O
- Anschließend Anlage einer Magensonde, um verschlucktes Wasser zu entfernen
- Zielwerte: spO2 94–98% bzw. paO2 75–100 mmHg [4]
- Sauerstoffgabe
- (Fremd‑)Anamnese, bspw. nach dem SAMPLE-Schema
- Inkl. Hinweisen auf weitere Ursachen für Bewusstseinsstörung (Differenzialdiagnose Badetod)
- Bei Erwachsenen insb. Herz-Kreislauf-Erkrankung mit Myokardinfarkt oder Hirninfarkt
- Bei Jugendlichen und Erwachsenen Drogen-/Alkoholkonsum (siehe auch: Akute Alkoholintoxikation, Differenzialdiagnose Drogenintoxikation)
- Vorerkrankungen (bspw. epileptische Anfälle, Ursachen für Hypoglykämie)
- Badeunfall mit Verletzung der HWS
- Begleitumstände, insb. Wassertemperatur, Dauer der Submersion
- Inkl. Hinweisen auf weitere Ursachen für Bewusstseinsstörung (Differenzialdiagnose Badetod)
- Kontinuierliches Monitoring der Vitalparameter
- Anlage eines peripheren Venenverweilkatheters, alternativ Anlage eines intraossären Zugangs
- Weitere Auskühlung verhindern, bspw.
- Nasse Kleidung ausziehen
- Passive Wiedererwärmung, bspw. Rettungsdecke anlegen
- Siehe auch: Akzidentelle Hypothermie: Passive Wiedererwärmung
- Ausschluss von Begleitverletzungen, bspw. mittels Trauma-Check
Eine unerwartete, schnelle Verschlechterung des Zustands kann jederzeit auftreten aufgrund der Aspiration (Reizung der Atemwege, Bildung eines reaktiven Lungenödems)!
Eine Hypothermie muss verhindert werden, da sie bei reanimationspflichtigen Pat. die Prognose verschlechtert (trotz ihres sonstigen neuroprotektiven Effekts)!
Weitere präklinische Maßnahmen [2]
- Lagerung: Immobilisierung und Vakuummatratze erwägen
- Dokumentation: Wichtige Punkte aus der (Fremd‑)Anamnese und Untersuchung inkl.
- GCS, Körperkerntemperatur
- Wassertemperatur, Dauer der Submersion
- Dauer zwischen Bergung und Beginn der Reanimation
- Behandlung epileptischer Anfälle mit einer Dauer > 5 min siehe: Status epilepticus - AMBOSS-SOP
- Volumengabe: Insb. bei Wiedererwärmung angewärmte Vollelektrolytlösungen verabreichen
- Transport zum Krankenhaus: Immer indiziert!
- Zielkrankenhaus: Je nach Situation, bspw. bei Hypothermie und Herz-Kreislauf-Stillstand bevorzugt Krankenhaus mit Möglichkeit zur ECMO
- Transportmittel: Je nach Situation Rettungshubschrauber, Rettungsfahrzeug oder Boot
Entscheidend sind eine rasche Erstversorgung mit unverzüglicher Therapie der Hypoxämie sowie der schnelle Transport ins Krankenhaus! [3]
Vorgehen bei Kreislaufstillstand durch Ertrinken [5][6][7]
- Besonderheiten bei der Reanimation
- Ablauf: 5 initiale Beatmungen, dann Beginn der Thoraxkompressionen nach normalem Schema
- Initiale Beatmung kann bereits im Wasser beginnen
- Thoraxkompressionen nicht bereits im Wasser beginnen (ineffizient!)
- Häufig Schnappatmung präsent, darf nicht mit normaler, spontaner Atmung verwechselt werden!
- Brust abtrocknen vor Defibrillation
- Ablauf: 5 initiale Beatmungen, dann Beginn der Thoraxkompressionen nach normalem Schema
- Im Verlauf der Reanimation [2]
- Prüfen neurologischer Veränderungen: Mydriasis, entrundete Pupillen, Pupillenreflexe?
- Weiteres Vorgehen anhand der prognostisch relevanten Faktoren
- Vorliegen von günstigen Faktoren
- Reanimation fortsetzen
- Transport in Krankenhaus mit möglichem Einsatz einer ECMO
- Vorliegen von ungünstigen Faktoren
- Abbruch der Reanimation erwägen
- Im Zweifel: Reanimation fortsetzen, Transport in Krankenhaus mit möglichem Einsatz einer ECMO
- Vorliegen von günstigen Faktoren
- Hypothermie als Ursache des Kreislaufstillstands bedenken, siehe: Vorgehen bei Kreislaufstillstand durch Hypothermie
- Abbruch der Reanimation: Bei sicheren Todeszeichen oder Verletzungen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind
Prognostisch relevante Faktoren [8] | ||
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Günstig | Ungünstig | |
Dauer der Submersion | <5 min | >5 min |
Dauer bis zum Beginn des Basic Life Supports | <10 min | >10 min |
Dauer der Reanimation | <25 min | >25 min |
Lebensalter | <14 Jahre | >14 Jahre |
Glasgow Coma Scale | >5 | <5 |
Arterielle Blutgasanalyse: pH-Wert | >7,1 | <7,1 |
Klinisches Management
Überwachung
- Dauer: Abhängig von der klinischen Symptomatik [9][10][11][12]
- Ort: Notfallambulanz, Intensiv- oder Überwachungsstation
- Indikation: Alle Personen nach Ertrinkungsunfall (auch bei initial fehlender neurologischer oder pulmonaler Symptomatik)
- Ziel: Komplikationen aufgrund der zerebralen Hypoxie oder Aspiration verhindern bzw. früh erkennen und behandeln
Diagnostik [2][3][13]
- Körperliche Untersuchung inkl. Auskultation der Lunge: Hinweise auf Lungenödem?
- Labordiagnostik
- Apparative Diagnostik
- Röntgen-Thorax: Lungenödem, Atelektase, im Verlauf Anzeichen einer Aspirationspneumonie?
- Bronchoskopie: Schädigung der Atemwege?
- EKG: Veränderungen im Rahmen der Hypothermie (Herzrhythmusstörungen, Osborn-Welle)?
- Ggf. intensivmedizinische Versorgung inkl.
- Kontinuierlichem Monitoring der Vitalparameter
- ZVK-Anlage
- Anlage eines arteriellen Katheters
- Monitoring der Körperkerntemperatur
- Bilanzierung: Anlage eines Blasenkatheters
- Bei V.a. zerebrale Hypoxie
Therapie [2][3][4]
Die spezifische Therapie richtet sich immer nach der klinischen Situation und variiert daher stark. Sie kann u.a. folgende Aspekte umfassen:
- Hypothermie: Passive und aktive Wiedererwärmung
- Respiratorische Insuffizienz: Maschinelle Beatmung (vorzugsweise lungenprotektive Beatmung) oder nicht-invasive Beatmung
- Aspiration (von Magensaft oder stark kontaminierter Flüssigkeit): Prophylaktische Antibiotikatherapie
- Atelektase: Gabe von Surfactant
- Pneumonie: Therapie der Aspirationspneumonie
Komplikationen
- Tod durch Ertrinken
- Verzögerter Tod infolge der Submersion (Eintritt >24 h nach Ereignis)
- Neurologische Schäden, Hirnödem infolge der zerebralen Hypoxie (hypoxisch-ischämische Enzephalopathie)
- Komplikationen infolge der Aspiration
- Atelektasen (durch Denaturierung von Surfactant)
- Lungenödem (bei ca. 40%)
- Aspirationspneumonie (bei ca. 15%)
- ARDS
- Multiorganversagen aufgrund der Hypoxie [14]
- Komplikationen infolge der Hypothermie (bspw. Herzrhythmusstörungen)
Der klinische Verlauf wird vorrangig bestimmt durch pulmonale Komplikationen, die Prognose dagegen vom neurologischen Status zum Zeitpunkt der Aufnahme!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.