Abstract
Mehrlingsschwangerschaften sind einerseits ein besonderes Ereignis für werdende Eltern, andererseits stellen sie auch eine besondere Herausforderung für werdende Mütter, Geburtshelfer und Ärzte dar. Die Mehrlingsschwangerschaft wird in diesem Zusammenhang als Risikoschwangerschaft betrachtet, da beinahe für alle möglichen Schwangerschaftskomplikationen ein erhöhtes Risiko besteht (z.B. Frühgeburtlichkeit, schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, Präeklampsie).
Zu unterscheiden sind Schwangerschaften mit eineiigen Zwillingen, die durch Teilung einer befruchteten Eizelle in zwei Embryonalanlagen entstehen, von zweieiigen Zwillingen, die durch die Befruchtung von 2 Eizellen durch 2 Spermien entstehen. Bei eineiigen Zwillingen kann es (wenn sie sich eine Plazenta teilen = monochorial) zu einem fetofetalen Transfusionssyndrom kommen, bei dem eine Blutverbindung zwischen den Zwillingen besteht, die für beide von Nachteil sein kann.
Epidemiologie
- Mehrlingsgeburten: Die Häufigkeit wird mit der Hellin-Regel angegeben
- Zwillinge: ca. 1 : 85
- Drillinge: ca. 1 : 852 = 1 : 7225
- Vierlinge ca. 1 : 853 = 1 : 614125
- usw.
- Mehrlingsschwangerschaften: Mehrlingsschwangerschaften haben ein deutlich erhöhtes Abortrisiko, so dass die Häufigkeit von Mehrlingsschwangerschaften deutlich höher liegt als die Anzahl an Mehrlingsgeburten
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Klassifikation
Eineiige vs. zweieiige Zwillinge
Eineiige Zwillinge (monozygote Zwillinge) | Zweieiige Zwillinge (dizygote Zwillinge) | |
---|---|---|
Häufigkeit | ⅓ aller Zwillingsschwangerschaften | ⅔ aller Zwillingsschwangerschaften |
Entstehung | Teilung einer befruchteten Eizelle in zwei Embryonalanlagen | Befruchtung von 2 Eizellen durch 2 Spermien |
Genetik der Individuen | Genetisch identische Individuen | Genetisch unterschiedliche Individuen |
Chorionhöhle und Amnionsack | Unterschiedlich (s. unten) | stets dichorial-diamniot |
Besonderheiten bei der Entwicklung eineiiger Zwillinge
Zweieiige Zwillingsschwangerschaften sind stets dichorial-diamniot. Bei einer Schwangerschaft mit eineiigen Zwillingen kann es dagegen abhängig vom Teilungszeitpunkt der Eizelle in 2 Embryonalanlagen zu verschiedenen Verläufen kommen.
Beschreibung | Teilungszeitpunkt der Eizelle | Häufigkeit bei eineiigen Zwillingen | |
---|---|---|---|
Dichorial-diamniot | Jeder eineiige Zwilling hat eine eigene Fruchthöhle und Plazenta | Innerhalb der ersten 3 Tage nach Konzeption | ca. 29% |
Monochorial-diamniot | Die eineiigen Zwillinge teilen sich eine Plazenta, haben aber eine eigene Fruchthöhle | Teilung zwischen Tag 3 bis Tag 8 nach Konzeption | ca. 70% |
Monochorial-monoamniot | Die eineiigen Zwillinge teilen sich die Plazenta und Fruchthöhle | Teilung zwischen Tag 8 bis Tag 13 nach Konzeption | ca. 1% |
Monochorial-monoamniot (siamesische Zwillinge) | Die Zwillinge teilen sich die Plazenta und Fruchthöhle und sind miteinander verwachsen | Teilung ab Tag 14 nach Befruchtung | <0,1% |
Diagnostik
Körperliche Untersuchung
- Größerer Uterus und Bauchumfang als es dem Schwangerschaftsalter entsprechen würde
- Ggf. ist es möglich, durch Tasten festzustellen, dass es sich um eine Mehrlingsschwangerschaft handelt
Sonographie
- Nachweis mehrerer Feten
- Differenzierung zwischen monochorialer und dichorialer Zwillingsschwangerschaft in der Frühschwangerschaft
- Dichoriale Zwillinge: Lambda-sign
- Monochoriale Zwillinge: T-sign
Vorsorgeuntersuchungen
Mehrlingsschwangerschaften werden zu den Risikoschwangerschaften gezählt, daher erfolgen häufigere Vorsorgeuntersuchungen:
- Bis zur 28. SSW: Alle 14 Tage
- Ab der 28. SSW: Wöchentliche Vorsorgeuntersuchung inklusive CTG und sonographischer Kontrollen des fetalen Wachstums
Komplikationen
Erhöhtes Risiko
Mehrlingsschwangerschaften haben ein erhöhtes Risiko für eine Vielzahl von Schwangerschaftskomplikationen. Beinahe jede gefürchtete Komplikation hat bei Mehrlingsschwangerschaften ein erhöhtes Risiko.
- Häufig stärkere Schwangerschaftsbeschwerden wie Hyperemesis gravidarum
- Frühgeburtlichkeit, Zervixinsuffizienz, vorzeitige Wehentätigkeit, vorzeitiger Blasensprung
- Abort, evtl. auch Abort nur eines Zwillings im ersten Trimenon
- Schwangerschaftsinduzierte Hypertonie, Präeklampsie, Eklampsie
- Plazentainsuffizienz, Hypotrophie und intrauterine Mangelversorgung eines oder beider/aller Kinder
- Plazenta praevia
- Geburtskomplikationen: Verlängerte Eröffnungsphase/Geburtsverlauf , vorzeitige Plazentalösung nach der Geburt des ersten Zwillings, Nabelschnurvorfall u.a.
- Uterusatonie
- Fetofetales Transfusionssyndrom („Schneeweißchen-und-Rosenrot“-Syndrom )
- Kurzbeschreibung: Bei monochorialen Zwillingsschwangerschaften kann es zu plazentaren Verbindungen zwischen den beiden Zwillingen kommen. Wenn das Blut in einer festen Flussrichtung von einem der Zwillinge zu dem anderen fließt, kommt es zu einer fetofetalen Transfusion vom Donor zum Akzeptor, wodurch beide Zwillinge gefährdet werden.
- Der Akzeptor ist durch eine Polyglobulie gefährdet. Bei einer diamnioten Schwangerschaft kommt es beim Akzeptor zudem zu einem Polyhydramnion.
- Der Donor ist durch Anämie, Dehydratation und verzögertes Wachstum gefährdet. Bei einer diamnioten Schwangerschaft kommt es beim Donor zudem zu einem Oligohydramnion.
- Kurzbeschreibung: Bei monochorialen Zwillingsschwangerschaften kann es zu plazentaren Verbindungen zwischen den beiden Zwillingen kommen. Wenn das Blut in einer festen Flussrichtung von einem der Zwillinge zu dem anderen fließt, kommt es zu einer fetofetalen Transfusion vom Donor zum Akzeptor, wodurch beide Zwillinge gefährdet werden.
Mehrlingsschwangerschaften erfordern aufgrund des erschwerten Geburtsvorgangs häufiger eine Entbindung mittels Sectio caesarea (Kaiserschnitt)!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
O30.-: Mehrlingsschwangerschaft
- Exklusive: Komplikationen, die für eine Mehrlingsschwangerschaft spezifisch sind (O31.‑)
- O30.0: Zwillingsschwangerschaft
- O30.1: Drillingsschwangerschaft
- O30.2: Vierlingsschwangerschaft
- O30.8: Sonstige Mehrlingsschwangerschaft
- O30.9: Mehrlingsschwangerschaft, nicht näher bezeichnet
- Mehrlingsschwangerschaft o.n.A.
O31.-: Komplikationen, die für eine Mehrlingsschwangerschaft spezifisch sind
- Exklusive: Doppelfehlbildung [zusammengewachsene Zwillinge] als Ursache für ein Missverhältnis zwischen Fetus und Becken (O33.7); Geburtshindernis (O64-O66); Lage- und Einstellungsanomalien eines oder mehrerer Feten (O32.5); Protrahierte Geburt des zweiten Zwillings, Drillings usw. (O63.2)
- O31.0: Fetus papyraceus
- Fetus compressus
- O31.1: Fortbestehen der Schwangerschaft nach Fehlgeburt eines oder mehrerer Feten
- O31.2: Fortbestehen der Schwangerschaft nach intrauterinem Absterben eines oder mehrerer Feten
- O31.8: Sonstige Komplikationen, die für eine Mehrlingsschwangerschaft spezifisch sind
P01.-: Schädigung des Fetus und Neugeborenen durch mütterliche Schwangerschaftskomplikationen
- P01.5: Schädigung des Fetus und Neugeborenen bei Mehrlingsschwangerschaft
- Drillingsschwangerschaft
- Zwillingsschwangerschaft
Z37.-:! Resultat der Entbindung
- Z37.0!: Lebendgeborener Einling
- Z37.1!: Totgeborener Einling
- Z37.2!: Zwillinge, beide lebendgeboren
- Z37.3!: Zwillinge, ein Zwilling lebend-, der andere totgeboren
- Z37.4!: Zwillinge, beide totgeboren
- Z37.5!: Andere Mehrlinge, alle lebendgeboren
- Z37.6!: Andere Mehrlinge, einige lebendgeboren
- Z37.7!: Andere Mehrlinge, alle totgeboren
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.