ambossIconambossIcon

Schilddrüsenchirurgie

Letzte Aktualisierung: 16.11.2023

Abstracttoggle arrow icon

Eine komplette oder teilweise Resektion der Schilddrüse kann aufgrund unterschiedlicher Krankheitsbilder der Schilddrüse (bspw. Malignome, Hyperthyreose oder mechanische Komplikationen durch große Struma) indiziert sein. Präoperativ sollte eine euthyreote Stoffwechsellage eingestellt werden, insb. um eine thyreotoxische Krise zu vermeiden. Neben einer Hypothyreose und allgemeinen Operationskomplikationen wie Blutungen und Infektionen kann es zu Verletzungen des N. laryngeus recurrens sowie zur Ausbildung eines postoperativen Hypoparathyreoidismus (durch Entfernung der Nebenschilddrüsen) kommen. Letzterer wird durch eine Substitution von Calcium und Calcitriol therapiert. Bei einer Nachblutung muss aufgrund des Risikos für einen Atemstillstand eine umgehende operative Revision erfolgen.

Definitiontoggle arrow icon

In der Schilddrüsenchirurgie werden verschiedene Operationstechniken angewendet, die sich v.a. im Resektionsausmaß unterscheiden.

  • Enukleation: Knoten wird aus seiner Kapsel geschält
  • Knotenexzision: Knoten wird mit einem Saum unveränderten Schilddrüsengewebes entfernt
  • Isthmusresektion: Prätracheales Schilddrüsengewebe wird entfernt
  • Subtotale Hemithyreoidektomie: Ein Schilddrüsenlappen wird entfernt, wobei ein Parenchymrest von 1–4 mL belassen wird
  • Fast-totale Hemithyreoidektomie: Ein Schilddrüsenlappen wird entfernt, wobei ein Parenchymrest von <1 mL belassen wird
  • Hemithyreoidektomie: Ein Schilddrüsenlappen wird mit dem Schilddrüsenisthmus entfernt
  • Operation nach Riedel-Hartley–Dunhill: Ein Schilddrüsenlappen wird komplett und der kontralaterale Schilddrüsenlappen teilweise entfernt, wobei ein Parenchymrest von 1–4 mL am oberen Pol oder dorsal belassen wird
  • Subtotale Thyreoidektomie: Beide Schilddrüsenlappen werden entfernt, wobei beidseitig ein Parenchymrest von 1–4 mL belassen wird
  • Fast-totale Thyreoidektomie: Beide Schilddrüsenlappen werden entfernt, wobei ein Parenchymrest von <2 mL belassen wird
  • Thyreoidektomie: Beide Schilddrüsenlappen, der Isthmus und der Lobus pyramidalis werden entfernt

Indikationtoggle arrow icon

Operationsverfahren

Patient:innen sollten immer auch über alternative Therapieoptionen wie bspw. die Radioiodtherapie aufgeklärt werden!

Anatomische Grundlagentoggle arrow icon

Gefäße

Nerven

  • R. externus n. laryngei superioris: Über-, hinter- oder durchkreuzt Äste des oberen Gefäßpols und die A. thyreoidea superior von kranial [1]
  • N. laryngeus recurrens : Nähert sich rechts und links unterschiedlich der Rückseite des unteren Schilddrüsenpols an
    • Rechts: Schräg von laterokaudal
    • Links: Steil von kaudal
    • Über-, hinter- oder durchkreuzt die (Äste der) A. thyreoidea inferior kapselnah
    • Zwischen Trachea und Ösophagus
  • N. vagus: In der Gefäßscheide zwischen A. carotis communis und V. jugularis interna

Nebenschilddrüsen

Gefährdete Strukturen in der Schilddrüsenchirurgie

Gefährdete Strukturen bei Operationen der Schilddrüse
Lokalisation der OP Gefäße Nerven Nebenschilddrüsen
Oberer Pol
  • A. thyreoidea superior
  • Oberer Gefäßpol
  • R. externus n. laryngei superioris
  • Variablen möglich
Lateraler Rand
  • Obere und untere
Rückseite
  • A. thyreoidea inferior
Unterer Pol
  • A. thyreoidea inferior
  • Unterer Gefäßpol
  • Untere

Vorbereitungtoggle arrow icon

Ablauf/Durchführungtoggle arrow icon

Unmittelbare Vorbereitung

  • Lagerung
    • Rückenlage, Kissen unter Schulterpartie, leichte Oberkörperhochlagerung
    • Kopf rekliniert, ggf. Kopfschale
    • Kompressen oder Uhrglasverband zum Schutz der Augen
    • Tubus sicher und außerhalb des OP-Gebietes fixiert
  • Abwaschen: Kein iodhaltiges Desinfektionsmittel
  • Abdecken: Freiliegende Grenzstrukturen

Für ein symmetrisches Ergebnis der Narbe ist darauf zu achten, dass der Kopf vor dem Hautschnitt unbedingt gerade gelagert ist!

Zugang

  • Kocher-Kragenschnitt mit Skalpell, ca. 4–5 cm
    • 2–3 cm oberhalb des Jugulums
    • Vorhandenen Hautlinien oder ggf. Halsfalten folgen
  • Platysma durchtrennen mit Diathermie, ggf. Blutstillung
  • Vorsichtig (scharfe) Haken an den Wundränder einsetzen
  • Oberflächliche Halsvenen mit Durchstechungsligaturen der Stärke 3-0 durchtrennen
  • Wundränder mobilisieren
    • Haut mit scharfen Haken nach ventral spannen
    • Vorsichtig stumpf und unterminierend abpräparieren, bspw. mit Kompresse oder Stieltupfer
  • Gerade infrahyoidale Halsmuskulatur spalten mit Overholt-Klemme, ggf. Skalpell
    • In der Mittellinie
    • Muskulatur vorsichtig mit runden Wundhaken von der Schilddrüsenkapsel abdrängen
  • In Ausnahmefällen : Gerade Halsmuskulatur mit Diathermie oder Skalpell quer durchtrennen

Alternative Zugänge [1][10]

  • Voraussetzungen: Große Erfahrung, unilateraler Knoten ≤3 cm, betroffener Schilddrüsenlappen <6 cm bzw. <30 mL, kein Malignomverdacht
  • Kontraindikationen: Große/retrosternale Strumen, Malignität, Rezidive, Z.n. OP/Bestrahlungen im Bereich des Zugangs
  • Techniken
    • Minimalinvasive zervikale Technik: Minimalinvasive videoassistierte Thyreoidektomie (MIVAT)
    • Extrazervikale Techniken
      • Axillo-bilateraler Brustkorbzugang (ABBA oder BABA)
      • Transaxilläre Roboter-assistierte Thyreoidektomie (TRAT)
      • Transoraler Zugang (TOETVA)
      • Retroaurikulärer Zugang
  • Vorteile: Besseres kosmetisches Ergebnis, Komplikationsraten vergleichbar zur konventionellen Technik

Präparation der Schilddrüse

  1. V. thyroidea media (sog. Kocher-Vene) aufsuchen, darstellen und zwischen Ligaturen durchtrennen
    • Alternativ: Vorgehen von kranial mit Versorgen des oberen Gefäßpols vor der Kocher-Vene
  2. Mit Finger oder kleinem Stieltupfer seitlich einsteigen, um die Schilddrüse zu mobilisieren, gründliche Blutstillung, ggf. mit Ligaturen
  3. Schilddrüse mit einer Kompresse fassen und vorsichtig nach kaudal luxieren
  4. Obere Polgefäße (vereinigtes Venengeflecht und A. thyroidea superior) aufsuchen, darstellen und kapselnah zwischen Ligaturen durchtrennen
  5. Ggf. vorhandenen Lobus pyramidalis abpräparieren
  6. A. thyreoidea inferior aufsuchen, darstellen und zwischen Ligaturen durchtrennen
  7. Lig. suspensorium thyroideae lösen
  8. Untere Polgefäße aufsuchen, darstellen und kapselnah zwischen Overholt-Klemmen und Ligatur durchtrennen
  9. Schilddrüsenisthmus teils scharf, teils stumpf mobilisieren und Trachea schonen
  10. Blutstillung
  11. Schilddrüsenisthmus zwischen Overholt-Klemmen durchtrennen und Schilddrüsenlappen entnehmen
  12. Durchstechungsligatur des verbliebenen Isthmusanteils
  13. Bei geplanter Thyreoidektomie: Vorgehen auf der kontralateralen Seite wiederholen

Um eine Nervenschädigung zu vermeiden, sollten Präparation und insb. Ligatur der oberen sowie unteren Polgefäße stets kapselnah erfolgen und der Nerv immer unter Beobachtung sein!

Eine Dokumentation der Erfassung des Nervenverlaufs und der Nebenschilddrüsen wird aus rechtlichen Gründen empfohlen!

Eine ungenügende Blutstillung bei der Präparation der Schilddrüse kann zu lebensgefährlichen Nachblutungen führen!

Vorgehen bei Lymphknotendissektion

Vorgehen bei intraoperativem Schnellschnitt

  • Indikationen: Prä- oder intraoperativer Malignitätsverdacht, fast-totale Thyreoidektomie
  • Abgabe und Versand: Unmittelbar nach Resektion
  • Narkoseausleitung: Erst nach Ergebnisübermittlung

Wundverschluss

Ausleitung

Postoperatives Managementtoggle arrow icon

Aufwachraum und Station

Druckgefühl, Husten, Weichteilschwellung, Dyspnoe oder Asphyxie können Zeichen einer lebensbedrohlichen Nachblutung sein, die ein unmittelbares Eröffnen der Operationswunde erfordert!

Auf Stationen zur postoperativen Versorgung nach Schilddrüsenchirurgie sollte immer ein steriles Wundset griffbereit sein!

Poststationär

  • Bei fortbestehendem Calciummangel
    • Regelmäßige Kontrolle des Serumcalciums
    • Ggf. Anpassung/Reduktion der Medikation
  • Schilddrüsenspezifische Medikation
    • Meist unmittelbar postoperativ fortsetzen/initiieren
    • Regelmäßige Kontrollen erstmals nach 4–6 Wochen

Komplikationentoggle arrow icon

Nach jeder Schilddrüsenoperation können allgemeine postoperative Komplikationen auftreten. Insb. nach Rezidivoperationen ist das Komplikationsrisiko allerdings besonders hoch, da in diesen Fällen der N. laryngeus recurrens und die Nebenschilddrüsen schwerer zu identifizieren sind.

Blutung nach Schilddrüsenchirurgie [14]

  • Epidemiologie: Nach 1–2% der Operationen
  • Auftreten: Meist in den ersten postoperativen 8 h
  • Symptome
    • Zervikales Druckgefühl, Schluckbeschwerden
    • Atemnot, Kurzatmigkeit, Stridor, Atemstillstand [15][16]
    • Tachykardie, Hypotonie
  • Therapie
    • Anästhesiologische Unterstützung anfordern
    • Unverzügliches Eröffnen der Wunde, ggf. bettseitig
    • Revisions-OP

Nachblutungen nach Schilddrüsenchirurgie können zu einer lebensbedrohlichen Hemmung des Atemantriebs führen!

Das Planen einer Revisions-OP ersetzt nicht das unverzügliche Eröffnen der OP-Wunde!

Ein steriles Wundset zum Eröffnen der Naht sollte auf jeder nachbehandelnden Station griffbereit sein!

Störungen des Calciumstoffwechsels [17]

Bei Behandlung mit Digitalis-Präparaten niemals Calcium i.v. verabreichen, da dies ein Kammerflimmern auslösen könnte!

Wundinfektion

Parese des N. laryngeus recurrens [1][22]

Substitutionspflichtige Hypothyreose

  • Häufigkeit: Bei subtotaler Resektion in etwa 80%, bei fast-totaler Resektion in nahezu 100% der Fälle
  • Therapie: L-Thyroxin-Substitution meist unmittelbar postoperativ fortsetzen/initiieren , regelmäßige Kontrollen erstmals nach 4–6 Wochen

Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Alternative Methodentoggle arrow icon

  • Verfahren
  • Indikationen: Bei Malignitätsausschluss grundsätzlich analog zu chirurgischen Verfahren , insb. bei Patientenwunsch nach nicht- oder minimal-invasiven Verfahren
  • Limitationen, bspw.
    • Volumen
    • Schmerzhaftigkeit
    • Komplikationen

Besondere Patientengruppentoggle arrow icon

Kinder und Jugendliche

  • Besonderheiten
    • Ektope Thymusanteile können in der Schilddrüse vorkommen
    • Niedrigere Remissionsrate bei Autoimmunthyreopathien unter thyreostatischer Therapie
  • Präoperative Diagnostik: Großzügige Indikation zur präoperativen Feinnadelpunktion
  • Indikationen zur Thyreoidektomie
    • Persistierende Erkrankung trotz konservativer Therapie
    • Nachweis prädisponierender Mutationen (MEN 2, FMTC): Präventive Thyreoidektomie
    • Schilddrüsenknoten nach externer Strahlentherapie im Halsbereich
    • Kongenitale Hormonsynthesestörungen
    • Grundsätzlich wie bei Erwachsenen, siehe: Schilddrüsenchirurgie-Indikation
  • Therapie: Operation als bevorzugtes Verfahren
  • Postoperativ: Engmaschige Kontrolle von Hormonsubstitution, ggf. Calcium- und Vitamin-D-Medikation

Quellentoggle arrow icon

  1. S2k-Leitlinie Operative Therapie benigner Schilddrüsenerkrankungen.Stand: 5. Dezember 2021. Abgerufen am: 23. Dezember 2022.
  2. Moalem et al.:Treatment and Prevention of Recurrence of Multinodular Goiter: An Evidence-based Review of the LiteratureIn: World Journal of Surgery. Band: 32, Nummer: 7, 2008, doi: 10.1007/s00268-008-9477-0 . | Open in Read by QxMD p. 1301-1312.
  3. Agarwal, Aggarwal:Is Total Thyroidectomy the Surgical Procedure of Choice for Benign Multinodular Goiter? An Evidence-Based ReviewIn: World Journal of Surgery. Band: 32, Nummer: 7, 2008, doi: 10.1007/s00268-008-9579-8 . | Open in Read by QxMD p. 1313-1324.
  4. Obermaier: Breitner - Chirurgische Operationslehre. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH 2008, ISBN: 978-3-437-24830-6.
  5. Fachinformation - Unacid 2.000 mg/1.000 mg.. Abgerufen am: 27. Januar 2022.
  6. Fachinformation - Cefuroxim.. Abgerufen am: 27. Januar 2022.
  7. Fachinformation - Metronidazol.. Abgerufen am: 27. Januar 2022.
  8. Fachinformation - Clinda-saar 600 mg Injektionslösung.. Abgerufen am: 11. März 2022.
  9. Schumpelick et al.: Operationsatlas Chirurgie. Georg Thieme Verlag 2021, ISBN: 978-3-132-43847-7.
  10. Karakas, Maurer: Operationstechnik: Alternative Zugangswege zur Schilddrüse (MIVAT, ABBA, TRAT, TOETVA). Springer 2021, ISBN: 978-3-662-61724-3, p. 1-15.
  11. Rothmund: Praxis der Viszeralchirurgie. 2. Auflage Springer 2007, ISBN: 978-3-540-22717-5.
  12. Timmermann et al.:Schilddrüsenchirurgie: Neuromonitoring zur Schonung des Nervus recurrensIn: Deutsches Ärzteblatt. Band: 101, Nummer: 19, 2004, p. 1341-1345.
  13. Brunner et al.:Lehrfilm Facharztweiterbildung: Hemithyreoidektomie mit Neuromonitoring des N. laryngeus recurrensIn: Zentralblatt für Chirurgie - Zeitschrift für Allgemeine, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie. Band: 144, Nummer: 06, 2019, doi: 10.1055/a-1024-4662 . | Open in Read by QxMD p. 525-529.
  14. Pontin:Postoperative Bleeding After Thyroid Surgery: Care InstructionsIn: SiSli Etfal Hastanesi Tip Bulteni / The Medical Bulletin of Sisli Hospital. 2019, doi: 10.14744/semb.2019.95914 . | Open in Read by QxMD.
  15. Schopf et al.:New insights into the pathophysiology of postoperative hemorrhage in thyroid surgery: An experimental study in a porcine modelIn: Surgery. Band: 164, Nummer: 3, 2018, doi: 10.1016/j.surg.2018.05.022 . | Open in Read by QxMD p. 518-524.
  16. von Ahnen et al.:Pathophysiology of airway obstruction caused by wound hematoma after thyroidectomy: an ex vivo studyIn: European Surgery. Band: 47, Nummer: 3, 2015, doi: 10.1007/s10353-015-0318-8 . | Open in Read by QxMD p. 123-126.
  17. Führer et al.:Euthyreote Struma mit und ohne Knoten – Diagnostik und TherapieIn: Deutsches Ärzteblatt. Band: 109, Nummer: 29–30, 2012, doi: 10.3238/arztebl.2012.0506 . | Open in Read by QxMD.
  18. S1-Leitlinie Hypoparathyreoidismus und Pseudohypoparathyreoidismus.Stand: 30. Juni 2022. Abgerufen am: 23. Januar 2023.
  19. Calciumgluconat 10% MPC Injektionslösung - Fachinformation.. Abgerufen am: 17. März 2022.
  20. Fachinformation - Rocaltrol 0.25 ug Weichkapseln (Calcitriol enteral).. Abgerufen am: 18. Januar 2023.
  21. Fachinformation - ONE-ALPHA (Alfacalcidol 1 μg enteral).. Abgerufen am: 18. Januar 2023.
  22. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie von Störungen der Stimmfunktion (Dysphonien).Stand: 31. Dezember 2022. Abgerufen am: 23. Januar 2023.

Icon of a lockNoch 3 weitere Kapitel kostenfrei zugänglich

Du kannst diesen Monat noch 3 Kapitel kostenfrei aufrufen. Melde dich jetzt an, um unbegrenzten Zugang zu erhalten.
 Evidenzbasierte Inhalte, von festem ärztlichem Redaktionsteam erstellt & geprüft. Disclaimer aufrufen.