Zusammenfassung
Der Morbus Wilson ist eine autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselerkrankung, die unter anderem durch eine gestörte Kupferausscheidung über die Galle eine Akkumulation des Metalls im Körper bewirkt. Folge sind leberspezifische (Hepatitis, Leberzirrhose) sowie neurologisch-psychiatrische (Demenz, Parkinsonoid) Symptome, die oft in Kombination zu der Verdachtsdiagnose führen. Diagnostisch sollten die Kupferausscheidung im 24-Stunden-Sammelurin und die Konzentration des Caeruloplasmins (Transportprotein) im Serum bestimmt werden. Zudem kann bei unklaren Fällen eine Probebiopsie der Leber einen erhöhten Kupferanteil zeigen. Die Therapie besteht in einer kupferarmen Diät sowie der frühzeitigen Gabe von Chelatbildnern (z.B. D-Penicillamin). Unter Therapie ist die Prognose günstig.
Epidemiologie
- Manifestation: Zwischen 5. und 40. Lebensjahr
- Prävalenz: Ca. 1:30.000
Jede unklare, nicht infektiöse Lebererkrankung und jede unklare extrapyramidale Bewegungsstörung vor dem 45. Lebensjahr sollten an einen Morbus Wilson denken lassen!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Genetisch bedingte Erkrankung: Ursächlich sind Mutationen im Wilson-Gen
- Über 350 Mutationen im Wilson-Gen bekannt
- Autosomal-rezessiver Erbgang
Pathophysiologie
- Dysfunktion des Wilson-Proteins
- Unzureichende Inkorporation von Kupfer in Caeruloplasmin
- Verminderung der biliären Kupfer-Ausscheidung
- Folge: Erhöhung des freien Kupfers im Serum und Ablagerungen von Kupfer in der Leber, in der Kornea, im ZNS (Basalganglien, Hirnstamm, Kleinhirn) und den Erythrozyten
Symptomatik
Da der Morbus Wilson eine Systemerkrankung ist, können die Symptome sehr heterogen sein.
- Leber
- Fettleber → Hepatitis (fulminant/akut/chronisch) → Leberzirrhose
- Hepatische Enzephalopathie: u.a. vermehrte Schläfrigkeit und evtl. Asterixis (Flapping Tremor)
- Nervensystem
- Neurologische Symptome
- Meist akinetisch-rigides Parkinson-Syndrom
- Auch choreatisch-hyperkinetische Bewegungsstörung möglich
- Dysarthrie
- Dysphagie
- Tremor
- Neuropsychiatrische Symptome
- Initial Wesensveränderungen: Affektlabilität, Aggressivität und Reizbarkeit, paranoid-halluzinatorische Syndrome möglich
- Später: Gleichgültige oder euphorische Demenz
- Neurologische Symptome
- Auge: Kayser-Fleischer-Kornealring
- Weitere: Hämolytische Anämie, Kardiomyopathie, Osteopenie, Arthropathie, Hypersplenismus, Nierenfunktionsstörungen
Diagnostik
Klinische Untersuchung
- Hepato(spleno)megalie
- Spaltlampenuntersuchung: Kayser-Fleischer-Kornealring
- Parkinson-Syndrom mit Rigor, Tremor und Akinese
Labor
- Caeruloplasmin im Serum↓
- Ggf. auch normal oder erhöht (da Akute-Phase-Protein)
- Gesamt-Kupfer im Serum↓
- Freies Kupfer im Serum↑
- Kupferausscheidung im 24-Stunden-Sammelurin↑
- Unspezifisch: Transaminasen↑
MRT
- Kranielles MRT
- Ablagerungen im Putamen und Thalamus
- Evtl. spezielle Anordnung der Kupferablagerungen im Mittelhirn (sog. Face-of-the-giant-panda-Sign)
Leberbiopsie
- Kupfergehalt im Leberbiopsat >250 μg/g Trockengewicht
- Sicherung der Diagnose bei unklarer Befundkonstellation
Weitere Zusatzuntersuchungen bei Unsicherheit der Diagnose
- Intravenöser Radiokupfer-Test: Gabe des kurzlebigen Kupfer-Isotops 64Cu und Beobachtung seiner Kinetik
- Penicillamin-Belastungstest: Starker Anstieg der Kupferausscheidung im 24-h-Sammelurin
- Genetische Testung: Über 350 verschiedene Mutationen bekannt → Genetische Testung für Routinediagnostik nicht praktikabel
Pathologie
- Leberbiopsat mit Kupfer-Färbung (Rhodanin- oder Timms-Silber-Färbung): Hepatische Kupferkonzentration↑
Differenzialdiagnosen
- Morbus Parkinson
- Alle chronischen Lebererkrankungen mit zunächst unklaren Transaminasenerhöhungen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Chelatbildner :
- D-Penicillamin: Mittel der Wahl zur Initialtherapie von symptomatischen Patienten
- Trientine (Triethylentetramin): Im Vergleich zu D-Penicillamin weniger Nebenwirkungen
Eine Therapie mit Chelatbildnern muss einschleichend über 3 bis 6 Monate begonnen werden, da eine zu rasche Mobilisation des Kupfer-Depots zu einer neurologischen Verschlechterung führen kann!
- Zinksalze :
- Zinkacetat/-sulfat-Einsatz bei präsymptomatischen Patienten und in der Schwangerschaft
- Kupferarme Diät
- Regelmäßige Kontrolluntersuchungen
- Bei fulminantem Leberversagen: Lebertransplantation
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- E83.-: Störungen des Mineralstoffwechsels
- E83.0: Störungen des Kupferstoffwechsels
- Menkes-Syndrom (kinky hair) (steely hair)
- Wilson-Krankheit
- E83.0: Störungen des Kupferstoffwechsels
- F02.-:* Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- F02.8*: Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheitsbildern
-
Demenz (bei):
- Epilepsie (G40.-†)
- hepatolentikulärer Degeneration [M. Wilson] (E83.0†)
- Hyperkalziämie (E83.5-†)
- Hypothyreose, erworben (E01.-†, E03.-†)
- Intoxikationen (T36-T65†)
- Lewy-Körper-Krankheit (G31.82†)
- Multipler Sklerose (G35.-†)
- Neurosyphilis (A52.1†)
- Niazin-Mangel [Pellagra] (E52†)
- Panarteriitis nodosa (M30.0†)
- systemischem Lupus erythematodes (M32.-†)
- Trypanosomiasis (B56.-†, B57.-†)
- Urämie (N18.-†)
- Vitamin-B12-Mangel (E53.8†)
- zerebraler Lipidstoffwechselstörung (E75.-†)
-
Demenz (bei):
- F02.8*: Demenz bei anderenorts klassifizierten Krankheitsbildern
- N16.-:* Tubulointerstitielle Nierenkrankheiten bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- N16.3*: Tubulointerstitielle Nierenkrankheiten bei Stoffwechselkrankheiten
- Tubulointerstitielle Nierenkrankheiten bei:
- Glykogenspeicherkrankheit (E74.0†)
- Wilson-Krankheit (E83.0†)
- Zystinose (E72.0†)
- Tubulointerstitielle Nierenkrankheiten bei:
- N16.3*: Tubulointerstitielle Nierenkrankheiten bei Stoffwechselkrankheiten
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.