Zusammenfassung
Das Nierenzellkarzinom geht vom Epithel der Nephronen aus und ist die häufigste maligne Neoplasie der Niere. Die Herkunft ist ungeklärt, Risikofaktoren sind bekannt. Entdeckt werden die Tumoren meist zufällig oder im symptomatischen, metastasierten Stadium bei weitestgehend symptomloser Primärerkrankung. Therapeutisch steht die operative Tumorentfernung im Vordergrund. Erst bei Irresektabilität oder fortgeschrittener Metastasierung kommt eine systemische Therapie mit Interferon-α, Tyrosinkinase-, mTor- und Multikinasehemmstoffen zum Einsatz, jedoch ohne klassische Chemotherapeutika, da diese beim Nierenzellkarzinom unwirksam sind. Beschränkt sich das Karzinom auf das Nierenparenchym, ist die Prognose sehr gut.
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Definition
-
Vom Tubulusepithel ausgehendes Adenokarzinom der Niere
- Klarzelliges und papilläres Nierenzellkarzinom vom proximalen Tubulus
- Chromophobes Nierenzellkarzinom vom kortikalen Sammelrohr
Epidemiologie
- Häufigster maligner Nierentumor
- 3% aller Tumorerkrankungen
- Geschlechterverhältnis: ♂ > ♀ (1,5:1)
- Häufigkeitsgipfel im 60.–70. Lebensjahr
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Risikofaktoren
- Psychosozial
- Nikotinabusus
- Niedriger Sozialstatus
- Grunderkrankungen
- Genetisch
- Familiäre Vorerkrankungen
- Genetische Syndrome
- Von-Hippel-Lindau-Syndrom (Mutation im VHL-Tumorsuppressorgen mit Fehlregulation von HIF)
- Birt-Hogg-Dubé-Syndrom
- Hereditäres papilläres Nierenzellkarzinom (HPRCC)
- Tuberöse Sklerose
- Hereditäre Leiomyomatose
- Toxine
- Trichlorethen (Entfettungsmittel)
- Cadmium
- Blei
Klassifikation
Histologische Klassifikation
- Klarzelliger Typ (Klarzelliges Nierenzellkarzinom): Ca. 80%
- Papillärer (chromophiler) Typ: Ca. 10%: Charakteristisch sind die namensgebenden, sich fingerförmig darstellenden Tumorpapillen
- Chromophober Typ: Ca. 5%
- Entartetes Onkozytom: Ca. 5%
- Sammelrohrkarzinom (Ductus-Bellini-Karzinom): Ca. 1%
- Medulläres Karzinom : Ca. 1%
- Muzinös tubuläres und spindelzelliges Karzinom: Ca. 1%
Papilläre und chromophobe Nierenzellkarzinome sind häufiger als das klarzellige Nierenzellkarzinom auf die Niere begrenzt und haben insgesamt eine bessere Prognose!
TNM-Klassifikation maligner Tumoren (7. Edition, 2010)
TNM | Ausdehnung |
---|---|
T1 | Tumor begrenzt auf die Niere, Tumorgröße <7 cm (T1a: <4 cm; T1b: 4–7 cm) |
T2 | Tumor begrenzt auf die Niere, Tumorgröße >7 cm (T2a: 7–10 cm; T2b: >10 cm) |
T3 | Perirenale- oder Gefäßinfiltration, jedoch innerhalb Gerota-Faszie und ohne ipsilateralen Nebennierenbefall
|
T4 | Infiltration über Gerota-Faszie hinaus oder ipsilateraler Nebennierenbefall |
N1 | Regionärer Lymphknotenbefall: Ein Lymphknoten |
N2 | Regionärer Lymphknotenbefall: Mehrere Lymphknoten |
M1 | Fernmetastasen |
Symptomatik
- Meist keine Symptome
Mögliche Symptome
- Nephrologische Symptome
- Makrohämaturie
- Flankenschmerzen
- Pyelonephritis
- Tastbarer Oberbauchtumor
- Bei Knochenmetastasen: Pathologische Frakturen und/oder Knochenschmerzen
- Unspezifische Allgemeinsymptome wie Abgeschlagenheit, Fieber, Nachtschweiß
- Paraneoplastische Syndrome
- Polyglobulie/Polycythämie: Durch Produktion von Erythropoetin
- Bspw. Hyperkalzämie durch die Bildung Parathormon-ähnlicher Peptide (PTHrP)
- Stauffer-Syndrom: Paraneoplastisches Syndrom, bei dem es u.a. zu Leberwerterhöhungen (v.a. alkalische Phosphatase) und Gerinnungsstörungen kommt. Die Ursache ist unbekannt, nach erfolgter Nephrektomie kommt es jedoch zur Besserung der Werte.
- Gynäkomastie, Cushing-Syndrom, Hirsutismus, Thrombozytose
Verlaufs- und Sonderformen
Bei einem Nierenzellkarzinom ist der Verlauf der Erkrankung stark abhängig vom Zeitpunkt der Diagnose (Früherkennung → kurative operative Therapie mit sehr guter Prognose vs. metastasiertes Stadium → schlechte Prognose).
Eine Sonderform eines malignen Nierentumors ist der im Kindesalter auftretende Wilms-Tumor (Nephroblastom).
Stadien
Stadieneinteilung der UICC (Union for International Cancer Control, 7. Edition, 2010)
Diagnostik
- Körperliche Untersuchung: Mit besonderem Augenmerk auf
- Abdominelle Raumforderung
- Zeichen einer unteren Einflussstauung (durch Beteiligung der V. cava inferior): z.B. lageunabhängige Varikozele oder beidseitige Beinödeme
- Urin-Stix: Eine Hämaturie ist im Rahmen eines Nierenzellkarzinoms möglich
- Bildgebung
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Sonografie der Nieren (Früherkennung)
- (Konturüberschreitende) Raumforderung
- Variable Echogenität, teilweise inhomogen (z.B. solide und liquide Anteile)
- Weitergehende Oberbauch-Sonografie zur Metastasensuche
- Kontrastmittel-CT des Abdomens zur OP-Planung: Kontrastmittel-Enhancement mit hypo- und hyperdensen Zonen sowie möglichen Verkalkungen
- Kontrastmittel-CT des Thorax zum Staging
- Alternativ bei Kontraindikationen gegen Kontrastmittel-CT oder Verdacht auf Tumorzapfen in der V. cava: MRT Abdomen/Thorax
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Sonografie der Nieren (Früherkennung)
- Laborkontrolle
- Retentionsparameter
- Präoperative Abklärung (siehe: Perioperatives Management)
- Calcium, Leberwerte
- Tumorbiopsie: Bei unklaren Befunden (entgegen früherer Empfehlung nicht kontraindiziert)
Differenzialdiagnosen
- Metastasen anderer Tumoren
- Urothelkarzinom des Nierenbeckens
- Abszesse
- Granulome im Rahmen rheumatologischer Erkrankungen
- Komplizierte Nierenzysten
- Urogenitaltuberkulose
Angiomyolipom
- Definition: Benigner Nierentumor (enthält Gefäße, Muskel- und Fettgewebe)
- Häufiger bei Frauen im mittleren Lebensalter und bei tuberöser Sklerose (hier oftmals multipel)
- Diagnostik
- Sonografie: Kapselnahe, runde, echoreiche (wie Pyelon) und scharf abgrenzbare Raumforderung
- Ggf. CT zur sicheren Beurteilung
Onkozytom
Das Onkozytom ist ein benigner epithelialer Tumor, der histologisch durch große, eosinophile, mitochondrienreiche Tumorzellen (die Onkozyten genannt werden) charakterisiert ist. Er kann nicht nur in der Niere, sondern auch in der Schilddrüse, in Speicheldrüsen, in der Hypophyse und in weiterem Gewebe vorkommen.
- Definition: Benigner Tumor bis 10 cm Größe, ausgehend vom Nierenparenchym
- Pathohistologie
- Makroskopie: Brauner Tumor mit zentraler, sternförmiger Vernarbung
- Mikroskopie: Körnig-eosinophiles Plasma mit dicht gepackten, vergrößerten Mitochondrien
- Therapie
- Überwachung
- Nephron-schonende Entfernung bei Größenzunahme → Verdacht auf Umwandlung in Nierenzellkarzinom
- Prognose: Onkozytom selbst nicht invasiv, Umwandlung in Nierenzellkarzinom jedoch möglich
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Kurative Therapie
Eine kurative Therapie besteht immer in der chirurgischen Entfernung des Tumors.
- Bei Resektabilität
- Stadium I: Parenchymsparende Nierenteilresektion
- Stadium II–III: Radikale Nephrektomie
- Bei Lymphknotenbefall: Zusätzlich Lymphknotendissektion
- Bei Einzelniere oder anderen Risiken für eine Niereninsuffizienz: Parenchymsparende Nierenteilresektion
- Stadium IV: Radikale Nephrektomie ± Metastasenchirurgie ± Resektion von Tumorzapfen in der V. cava inferior
- Bei Irresektabilität: Neoadjuvante Systemtherapie + anschließende Nephrektomie ± Metastasenchirurgie
- Zur Anwendung kommen z.B. Interferon-α (Immuntherapie), Multikinase-Inhibitoren (Sorafenib), Tyrosinkinase-Inhibitoren (Sunitinib, Pazopanib) oder mTOR-Inhibitoren (Everolimus, Temsirolimus) sowie Anti-VEGF-Antikörper (Bevacizumab)
Das Nierenzellkarzinom weist eine hohe Resistenz gegenüber Chemotherapeutika auf, weshalb diese in der Therapie keine Anwendung finden!
Palliative Therapie
- Bei Vorliegen von Fernmetastasen ist meist ein palliatives Therapiekonzept angezeigt
- Symptomkontrolle insb. von Knochen-, Leber-, Lungen- und Hirnmetastasen steht dabei im Vordergrund
- Verfahren
- Zielgerichtete Therapie (bspw. mit einem Immuncheckpoint-Inhibitor und einem Tyrosinkinase-Inhibitor, z.B. Nivolumab plus Cabozantinib, bzw. mit risikobasierten Alternativen wie z.B. dem Tyrosinkinase-Inhibitor Sunitinib)
- Symptomatische Bestrahlung bei Hirn- oder Knochenmetastasen
- Kryotherapie
- Radiofrequenzablation
- High-intensity focused ultrasound (HIFU)
Nachsorge
- Je nach Rezidivrisiko jährliche Ultraschall-, MRT- oder CT-Thorax/Abdomen-Untersuchungen
- Bei metachroner Metastasierung
- Solitäre Metastasen: Lokale Therapie (bei kurativem Therapieansatz operative Resektion erwägen)
- Oligometastasierung in einem Organsystem oder irresektable Metastasen: Hochdosierte Radiotherapie oder Radiochirurgie nach individueller Befundschau
Komplikationen
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- 5-Jahres-Überlebensrate: Insgesamt ca. 75%
- Stadium I: >90%
- Stadium II: ca. 85%
- Stadium III: ca. 60–70%
- Stadium IV: ca. 15%
- In <5% der Fälle: Spontane Regression von Metastasen nach zytoreduktiver Tumornephrektomie
Die Prognose des Nierenzellkarzinoms hat sich in den letzten Jahren verbessert, da durch die häufigere Durchführung bildgebender Verfahren (insb. Sonografie) die Tumoren bereits früher erkannt werden!
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Nierenzellkarzinom
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- C64: Bösartige Neubildung der Niere, ausgenommen Nierenbecken
- Exklusive: Nierenbecken(C65), Nierenbeckenkelche (C65)
- C65: Bösartige Neubildung des Nierenbeckens
- Inklusive: Nierenbeckenkelche, Nierenbecken-Ureter-Übergang
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.