Abstract
Die Granulomatose mit Polyangiitis (früher: Morbus Wegener) ist ein rheumatologisches Krankheitsbild. Sie geht mit granulomatösen Veränderungen der Atemwege und mit einer nekrotisierenden Entzündung der kleinen und mittleren Gefäße einher. Es besteht eine Assoziation zu cANCA-Autoantikörpern. Im lokalisierten Erststadium leiden die Patienten oft unter einer chronischen Sinusitis, Rhinitis oder Otitis media, ohne von der Schwere der Erkrankung zu wissen. Während die Granulomatose mit Polyangiitis früher durch die im Verlauf entstehende Organbeteiligung ohne Therapie immer tödlich verlief (oft innerhalb von wenigen Monaten), ist heutzutage die Lebenserwartung durch den Einsatz von remissionsinduzierenden Therapien mit Cyclophosphamid bzw. Rituximab deutlich höher. Rezidive sind jedoch häufig.
Der Begriff Morbus Wegener wird von rheumatologischen Fachgesellschaften u.a. aufgrund Wegeners Rolle als Arzt während der Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr empfohlen (siehe dazu auch in diesem Kapitel: Geschichte der Namensgebung).
Epidemiologie
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Unbekannt [1][2]
Klassifikation
- Klassifikationssysteme: In der Literatur bestehen unterschiedliche Klassifikationssysteme, deren Kenntnis zum Verständnis klinischer Studien erforderlich sein kann
- Vereinfachte Therapieempfehlungen: Neuere Therapieempfehlungen vereinfachen die therapeutische Entscheidungsfindung, indem sie als ausschlaggebendes Kriterium das Vorliegen lebensbedrohlicher Organdysfunktionen bzw. die Gefahr irreversibler Organschäden ansetzen
Klinische Subgruppen nach EUVAS
Subgruppe | Systemische Manifestation außerhalb Respirationstrakt | Lebensbedrohliche Organdysfunktion | Weitere definierende Merkmale | Serum-Kreatinin |
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Lokalisiert | ∅ | ∅ |
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Frühes systemisches Stadium | ✓ | ∅ |
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Generalisiert | ✓ | ✓ (beginnendes Organversagen) |
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Schwer | ✓ | ✓ (Organversagen manifest) |
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Refraktär | ✓ | ✓ |
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Klinische Subgruppen nach WGET bzw. VCRC
Subgruppe | Systemische Manifestation außerhalb Respirationstrakt | Lebensbedrohliche Organdysfunktion | Weitere Merkmale | Serum-Kreatinin |
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Limitierter Verlauf | Möglich, jedoch ohne vitale Bedrohung | ∅ |
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Schwerer Verlauf | ✓ | ✓ |
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Symptome/Klinik
Lokalisiertes Stadium (Frühsymptome)
- Manifestation im oberen Respirationstrakt (ca. 90% bei Erstdiagnose)
-
Chronische Rhinitis/Sinusitis (evtl. borkiger, blutiger Schnupfen)
- Ulzerationen im Nasenrachenbereich → Nasenseptumperforation → Sattelnase
- Chronische Otitis
-
Chronische Rhinitis/Sinusitis (evtl. borkiger, blutiger Schnupfen)
- Progression zum Generalisationsstadium: ca. 10% der Patienten verbleiben im lokalisierten Stadium
Oft zitierte Leitsymptome können blutig-borkiger Schnupfen und eine Sattelnase sein!
Generalisationsstadium (Spätsymptome)
- Allgemeinsymptome
- Fieber
- Nachtschweiß
- Gewichtsverlust
- Arthralgien
- Lungenbeteiligung (ca. 60%)
- „Therapieresistente Pneumonie“ mit Husten, Dyspnoe oder Hämoptysen
- Renale Beteiligung (ca. 50%)
- Glomerulonephritis (Pauci-Immun-Glomerulonephritis) → Rapid-progressive Glomerulonephritis mit pulmorenalem Syndrom möglich
- Hautläsionen (ca. 20%)
- Augenbeteiligung (ca. 50%)
- Konjunktivitis
- Episkleritis
- Retinale Vaskulitis
- Kardiale Beteiligung (ca. 10%)
- Perikarditis
- Vaskulitis der Koronararterien
- Selten Kardiomyopathie
- ZNS-Beteiligung und periphere Neuropathien (ca. 10%)
Chronische Infektionen im Nasen-Rachen-Bereich können erster klinischer Verdachtshinweis auf eine Granulomatose mit Polyangiitis sein!
Diagnostik
Besteht bei einem Patienten der Verdacht auf das Vorliegen einer Granulomatose mit Polyangiitis, sollte in jedem Fall eine Biopsie durchgeführt werden, um die Diagnose zu sichern. Sonstige Laboruntersuchungen wie bspw. die Bestimmung von cANCA-Antikörpern können die Verdachtsdiagnose zwar unterstützen, allerdings nicht bestätigen.
Labordiagnostik
Routine-Laboruntersuchungen zeigen häufig unspezifische Veränderungen.
- Blutbild
- Normozytäre, normochrome Anämie bei 50% der Patienten
- Leukozytose
- Thrombozytose
- Klinische Chemie
- Serologie
- cANCA (antineutrophile zytoplasmatische Antikörper) : hohe Spezifität für die Diagnose (positiv bei ca. 80–90% der Patienten im generalisierten Stadium)
- ANA (positiv bei 10–20% der Patienten)
- Rheumafaktor (positiv bei ca. 60–70% der Patienten)
- Urinstatus
- Urinsediment
„PC“= Bei Granulomatose mit „P“olyangiitis ist eine „c“ANCA-Erhöhung typisch!
Bildgebung
- Röntgen-Thorax
- I.d.R. unspezifische Zeichen
- Häufig: Solitäre oder multiple bipulmonale Rundherde
- CT Thorax
-
Solitäre oder multiple Rundherde
- Durchmesser von bis zu 10 cm
- Bevorzugt in den Unterfeldern, v.a. subpleural
- Bei bis zu 50% der Rundherde zeigt sich eine zentrale Einschmelzung (sog. Pseudokaverne)
- Milchglasartige Trübungen des Lungenparenchyms
-
Solitäre oder multiple Rundherde
Pathologie
- Histologie (Goldstandard)
- Nekrotisierende, teilweise granulomatöse Vaskulitis kleiner Gefäße
- Granulombildung (intra- und extravaskulär)
- Glomerulonephritis
Die Diagnose Granulomatose mit Polyangiitis wird durch eine Biopsie gesichert!
Therapie
Bei der Therapie der Granulomatose mit Polyangiitis sollte bei allen Patienten zunächst eine Remissionsinduktion durch eine initiale Immunsuppression durchgeführt werden. Wie diese Remissionsinduktion genau durchgeführt wird, ist abhängig vom Ausmaß der Erkrankung zu dem Zeitpunkt. Im Anschluss wird eine Therapie zur Remissionserhaltung durchgeführt.
Granulomatose mit Polyangiitis - Remissionsinduktion [3]
Entscheidend für die Wahl der Therapie ist das Vorliegen einer lebens- und organbedrohlichen Krankheitsaktivität.
Beurteilung der Krankheitsaktivität
Lebensgefahr oder Beteiligung lebenswichtiger Organe | KEINE Lebensgefahr oder Beteiligung lebenswichtiger Organe |
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Die Aufzählung lebensgefährlicher Manifestationen ist nicht vollständig und dient nur der Orientierung. Jeder Fall einer granulomatösen Polyangiitis muss individuell betrachtet werden!
Therapieschemata
- Bei akuter Lebensgefahr oder Beteiligung lebenswichtiger Organe : Aggressive immunsuppressive Kombinationstherapie
- Glucocorticoide: Prednisolon p.o. +
- Immunsuppressivum: Cyclophosphamid oder Rituximab
- Cyclophosphamid als Bolustherapie i.v.
- oder Cyclophosphamid p.o. nach FAUCI-Schema
- Bei Therapie mit Cyclophosphamid: Vorgehen nach einem standardisierten Therapieprotokoll mit zusätzl. antiemetischer Therapie, Zystitisprophylaxe mit MESNA und Cotrimoxazol zur Pneumocystis-Prophylaxe
- oder Rituximab
- Bei Therapie mit Rituximab: Cotrimoxazol zur Pneumocystis-Prophylaxe
- Bei absoluter Notfallsituation: Plasmapherese mit Plasmaaustausch und Hochdosis-Glucocorticoide in einem entsprechenden Zentrum
- Indikation: Pulmonale Blutungen und/oder dialysepflichtige Niereninsuffizienz bzw. Patienten mit Serum-Kreatinin >5,7 mg/dL
- Ohne akute Lebensgefahr oder Beteiligung lebenswichtiger Organe: Immunsuppressive Kombinationstherapie
- Glucocorticoide: Prednisolon p.o. +
- Immunsuppressivum: Methotrexat (MTX) oder Mycophenolat-Mofetil
- Therapierefraktäre Patienten: Wechsel von Cyclophosphamid zu Rituximab und umgekehrt, ggf. Kombinationstherapien (möglichst im Rahmen von Studien)
- Nicht mehr empfohlen: Alleinige Gabe von Cotrimoxazol bei lokalisiertem, nicht-destruktivem HNO-Befall – wenn sollte Cotrimoxazol zum Remissionserhalt additiv zu einem anderen Immunsuppressivum verabreicht werden
Granulomatose mit Polyangiitis - Remissionserhaltung [3]
- Therapiedauer: Mind. 24 Monate nach Remission
- Therapieschema: Kombination aus Glucocorticoiden und einem Immunsuppressivum
- Wirkstoffe
- Immunsuppressiva
- Azathioprin (1. Wahl)
- oder Rituximab
- oder MTX
- oder Mycophenolat-Mofetil (Off-Label-Use)
- Reservemittel bei Unverträglichkeit : Leflunomid
- Glucocorticoide: Zusätzliche Gabe von Prednisolon
- Additive Therapieoption: Zusätzliche Gabe von Cotrimoxazol kann das Rezidivrisiko senken und Dosiseinsparungen bei Immunsuppressiva ermöglichen
- Immunsuppressiva
Prognose
- Ohne Therapie liegt die mittlere Überlebenszeit unter einem Jahr
- Bei optimaler Therapie
- 5-Jahres-Überlebensrate >85%
- Komplette Remissionen in 75% der Fälle, Rezidive sind aber häufig
- Hohe Frühmortalität von ca. 10% (im 1. Jahr) auch bei Therapie [4]
- Meistens durch infektiöse Komplikationen im Rahmen der immunsuppressiven Therapie
- Renale Beteiligung bestimmt entscheidend die Lebenserwartung
Organschäden im Krankheitsverlauf [5]
Organschaden | Häufigkeit |
---|---|
Taubheit | ca. 25% |
Proteinurie >500 mg/24 h | ca. 20% |
Chronifizierte borkige Rhinitis | ca. 15% |
Destruktionen der Nasennebenhöhlen | ca. 15% |
GFR-Einschränkung um 50% des Ursprungswerts | ca. 15% |
Subglottische Stenose | ca. 15% |
Diastolisch betonte art. Hypertonie | ca. 10% |
Lungenfibrose | ca. 10% |
Myopathie | ca. 10% |
Geschichte der Namensgebung
Seit 2011 empfehlen europäische und amerikanische rheumatologische Fachgesellschaften die Bezeichnungen „Morbus Wegener“ und „Wegener-Granulomatose“ durch „Granulomatose mit Polyangiitis“ zu ersetzen. Grund hierfür sind die umstrittene Vergangenheit des deutschen Pathologen Friedrich Wegener (1907–1990) während der Zeit des Nationalsozialismus und zunehmende Bestrebungen, Eponyme durch pathophysiologische Bezeichnungen zu ersetzen. Wegener war Mitglied der NSDAP, SA und des Nationalsozialistischen deutschen Ärztebundes (NSDÄB). Außerdem wird ihm die Beteiligung an Menschenexperimenten vorgeworfen, für die allerdings keine Beweise vorliegen. [6][7]
Meditricks
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- M31.-: Sonstige nekrotisierende Vaskulopathien
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.