Zusammenfassung
Der Tetanus (Wundstarrkrampf) wird durch eine Infektion mit dem Bakterium Clostridium tetani ausgelöst, dessen resistente Sporen ubiquitär vorkommen. Das bei Verletzungen aufgenommene Bakterium bildet Tetanustoxin, das im ZNS die Freisetzung inhibitorischer Neurotransmitter hemmt. Der wegfallende hemmende Einfluss führt zu einer unkontrollierten Aktivierung der α-Motoneurone und damit zu einer spastischen Tonuserhöhung der Muskulatur. Klinisch präsentiert sich das Krankheitsbild klassischerweise mit der Trias aus Trismus, Risus sardonicus und Opisthotonus. Daneben treten autonome Dysfunktionen auf. Durch eine Beteiligung der Atemmuskulatur kann es zum peripheren Atemstillstand kommen. Neben dieser generalisierten Verlaufsform sind lokale Formen möglich.
Die Therapie umfasst Wunddébridement, die Toxinneutralisierung mit Tetanus-Immunglobulin, die aktive Immunisierung sowie eine supportive intensivmedizinische Therapie. Die Letalität unter intensivmedizinischer Therapie liegt bei etwa 25%. Die Primärprävention durch Impfungen ist daher entscheidend. Nach der Grundimmunisierung (im Säuglingsalter) sollten bis zum 18. Lebensjahr zwei und danach alle zehn Jahre Auffrischungsimpfungen durchgeführt werden. Bei Verletzungen und nicht ausreichendem Impfschutz erfolgt eine Aktivimpfung und ggf. eine simultane Passivimpfung.
Epidemiologie
- Deutschland: 10–15 Fälle pro Jahr
- Weltweit: ca. 56.000 Todesfälle pro Jahr (2015), insb. in Südasien und Subsahara-Afrika [1]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Erreger
- Clostridium tetani (grampositives Stäbchen, obligat anaerob, Neurotoxinbildner, ubiquitäres Vorkommen)
- Infektionsweg
- Über verunreinigte Wunden (resistente Sporen ubiquitär vorhanden)
- Besondere Übertragungswege
- Neonataler Tetanus: Nabelschnurinfektion
- Maternaler Tetanus: Infektion nach unhygienischer Entbindung, Fehlgeburt oder Totgeburt
Pathophysiologie
- Ausreifung der Sporen und Vermehrung von Clostridium tetani unter anaeroben Wundverhältnissen
-
Produktion und Freisetzung von Tetanustoxin (syn. Tetanospasmin)
- Als zweites Endotoxin wird auch Tetanolysin freigesetzt, das die lokale Gewebsnekrose fördert und so möglicherweise zu für den Erreger günstigen Wundverhältnissen beiträgt
- Aufnahme und retrograder axonaler Transport des Toxins über α-Motoneurone ins ZNS
- Toxin hemmt Freisetzung der inhibitorischen Neurotransmitter γ-Aminobuttersäure (GABA) und Glycin in Interneuronen (Renshaw-Zellen)
- Wegfall des hemmenden Einflusses der Interneurone auf α-Motoneurone → Spastische Tonuserhöhung
Nicht der Erreger, sondern das freigesetzte Toxin verursacht das Krankheitsbild Tetanus!
Symptomatik
Inkubationszeit
- 2–14 Tage, seltener mehrere Wochen [2]
Allgemeine Symptome
- Grippeähnliche Symptome mit Kopfschmerzen und Müdigkeit
- Ggf. Erbrechen
Spezifische Symptome
Nach grippeähnlichen Symptomen führen spastische Tonuserhöhungen der Muskulatur zu den Tetanus-spezifischen Symptomen. Zunächst ist die Gesichtsmuskulatur betroffen, dann breiten sich die Symptome absteigend über den ganzen Körper aus. Neben diesem generalisierten Tetanus sind lokale Verlaufsformen möglich, siehe: Formen des Tetanus.
- Trismus (Kieferklemme)
- Risus sardonicus (Teufelsgrinsen)
- Opisthotonus
- Durch äußere Sinnesreize (akustisch, optisch, mechanisch) auslösbare spastische Tonuserhöhungen in jeglicher Muskulatur
- Dysphagie
- Atemmuskulatur betroffen: Periphere Atemlähmung möglich
- Laryngospasmus: Obstruktion der oberen Atemwege
- Autonome Dysfunktion
- Meist erhöhter Sympathikotonus (Tachykardie, hypertensive Entgleisung)
- Seltener erhöhter Parasympathikotonus
- Bewusstsein: unbeeinträchtigt
Die autonome Dysfunktion, der Laryngospasmus und die Einbeziehung der Atemmuskulatur sind lebensbedrohlich!
Formen des Tetanus [3]
- Lokaler Tetanus: Wundstarrkrampf bleibt auf Extremität mit der Eintrittspforte beschränkt
- Lokale Muskelsteifigkeit
- Lokale Muskelspasmen
- Entwicklung hin zum generalisierten Tetanus möglich
- Zephaler Tetanus: Wundstarrkrampf bei Eintrittspforte im Kopf-Hals-Bereich (Sonderform des lokalen Tetanus)
- Kurze Inkubationszeit (1–2 Tage)
- Trismus
- Risus sardonicus
- Ggf. ipsilaterale Fazialisparese
- Generalisierter Tetanus: Vollbild mit Trismus, Risus sardonicus, Opisthotonus (s.o.)
- Neonataler Tetanus
- I.d.R. generalisierter Tetanus (s.o.)
- Meist kürzere Inkubationszeit als bei Erwachsenen (Median 5–7 Tage)
Diagnostik
- Klinische Diagnose
- Diagnosesicherung: Toxinnachweis
- Im Patientenserum (Nachweis von IgG gegen Tetanustoxoid mittels ELISA)
- Im Tierversuch: Mit Patientenserum/Wundmaterial inokulierte Maus stirbt mit tonischer Verkrampfung der Hinterbeine („Robbenstellung“)
- Kultureller Erregernachweis: Häufig nicht erfolgreich
Differenzialdiagnosen
- Intoxikation mit Strychnin
- Bakterielle Meningitis
- Intoxikation mit Parathion (E 605)
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Chirurgisches Wunddébridement
- Soll weitere Freisetzung von Tetanustoxin reduzieren
- Reduziert Risiko von Sekundärinfektionen
- Neutralisierung des zirkulierenden Toxins und aktive Immunisierung
- Gabe von humanem Tetanus-Immunglobulin (HTIG, Antitoxin)
- Zusätzliche i.m. Injektion in Wundränder
-
Aktive Immunisierung mit Tetanus-Totimpfstoff
- Applikation nicht in dieselbe Extremität wie das Tetanus-Immunglobulin
- Gabe von humanem Tetanus-Immunglobulin (HTIG, Antitoxin)
- Supportive Therapie
- Intensivmedizinische Versorgung
- I.d.R. Intubation und mechanische Beatmung notwendig
- Sedierung mit Propofol und Midazolam: Reduziert Muskelspasmen
- Alternativ beschrieben: Kombination von Propofol mit Dexmedetomidin
- Frühzeitige Tracheotomie erwägen
- Sedierung mit Propofol und Midazolam: Reduziert Muskelspasmen
- Antibiotische Therapie mit Metronidazol
- Behandlung von Muskelspasmen
- Benzodiazepine (unter Kontrolle der Atmung, ggf. bereits durch die Sedierung mit Midazolam abgedeckt)
- Nicht-depolarisierende Muskelrelaxanzien (bei beatmeten Patienten)
- Behandlung der vegetativen Dysregulation: Im Vordergrund steht die therapeutische Kontrolle von Blutdruck und Herzfrequenz
- Arterielle Hypertonie und Tachykardie: Können ggf. durch den Einsatz von Dexmedetomidin im Rahmen der Sedierung günstig beeinflusst werden, weitere Optionen sind:
- Clonidin (nicht zusammen mit Dexmedetomidin einsetzen)
- Magnesiumsulfat
- Kardioselektive Betablocker, auf Intensivstation am ehesten kurzwirksame Wirkstoffe wie z.B. Esmolol
- Arterielle Hypertonie und Tachykardie: Können ggf. durch den Einsatz von Dexmedetomidin im Rahmen der Sedierung günstig beeinflusst werden, weitere Optionen sind:
Prognose
- Letalität unter intensivmedizinischer Therapie etwa 25% [4]
- Letalität beim neonatalen Tetanus deutlich höher
Prävention
Tetanus-Impfung [5]
- Die STIKO empfiehlt allen Menschen die Impfung gegen Tetanus (als Standardimpfung)
- Grundimmunisierung: Ab dem Alter von 2 Monaten
- Auffrischungsimpfungen: Regelmäßig alle 5–10 Jahre (siehe unten)
- Siehe auch: STIKO-Impfkalender
- Impfstoff: Totimpfstoff (Toxoidimpfstoff)
- Kombinationsimpfstoffe (mit Diphtherie und ggf. Pertussis, Poliomyelitis, Haemophilus influenzae Typ b, Hepatitis B)
- Siehe auch: Tetanus-Impfstoffe
- Grundimmunisierung: Innerhalb des 1. Lebensjahres
- 3 Impfdosen im Alter von 2, 4 und 11 Monaten
- Mit Sechsfach-Impfstoff empfohlen
- Auffrischungsimpfungen
- Kinder bis ≤17 Jahre: 2 Auffrischungsimpfungen (mit 5–6 Jahren sowie 9–16 Jahren)
- 1. Auffrischungsimpfung als Tdap-Impfung
- 2. Auffrischungsimpfung als Tdap-IPV-Impfung
-
Erwachsene ab 18 Jahren: Auffrischungsimpfung (1 Impfdosis) alle 10 Jahre
- Einmalig als Tdap-Impfung (Diphtherie, Tetanus, Pertussis), bei entsprechender Indikation inkl. Polio
- Danach als Td (Tetanus, Diphtherie)
- Kinder bis ≤17 Jahre: 2 Auffrischungsimpfungen (mit 5–6 Jahren sowie 9–16 Jahren)
- Nachholimpfung
- Indikation: Bei allen Personen mit fehlender, unvollständiger oder ungeklärter Grundimmunisierung
- Impfschema: 3 Impfdosen
- Postexpositionelle Impfung: Siehe Tetanus-Impfschema bei Verletzungen
Eine durchgemachte Erkrankung verleiht keine Immunität. Deswegen gelten die Impfempfehlungen für alle Menschen!
Bei jeder Auffrischungsimpfung gegen Tetanus (auch im Verletzungsfall) sollte die Indikation für eine Pertussis-Impfung geprüft und ggf. ein Kombinationsimpfstoff (Tdap bzw. Tdap-IPV) verwendet werden!
Impfschema bei Verletzungen [5]
Überprüfung der Impfindikation
Kernfragen
- Wundverhältnisse: Wie sieht die Wunde aus? (saubere geringfügige Wunde vs. alle anderen)
- Impfstatus: Gab es vorausgegangene Tetanusimpfungen? Wenn ja, wie viele?
- Impfabstand: Wann wurde die letzte Tetanusimpfung durchgeführt?
Impfschema anhand der Kernfragen
Tetanus-Impfschema bei Verletzungen [5] | |||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Saubere geringfügige Wunden | Alle anderen Wunden | ||||||
Anzahl der Impfungen | Aktive Immunisierung | Passive Immunisierung | Aktive Immunisierung | Passive Immunisierung | |||
Unbekannt/ungeimpft | Ja*1 | Ja*1 | Ja*1 | Ja*1 | |||
1–2 | Nein | ||||||
≥3 | Letzte Impfung vor ≥10 Jahren: Ja*1 | Nein | Letzte Impfung vor ≥5 Jahren: Ja*1 | Nein | |||
Letzte Impfung vor <10 Jahren: Nein | Letzte Impfung vor <5 Jahren: Nein | ||||||
*1 Bei Indikation zur Impfung siehe auch: Impfstoffauswahl und Durchführung der Tetanus-Postexpositionsprophylaxe |
Besonders gefährdet sind Patienten mit schlechten Durchblutungsverhältnissen, Immunsuppression und Erkrankungen mit Schädigung der Hautbarriere (z.B. Ekzeme)!
- Saubere, geringfügige Wunden
- Patienten ohne Impfung bzw. mit unklarem Impfstatus: Immer Simultanimpfung (aktive und passive Immunisierung)
- Patienten jeglichen Alters mit unvollständiger Grundimmunisierung oder letzter Tetanus-Auffrischungsimpfung vor ≥10 Jahren: Nur Aktivimpfung
- Patienten mit ≥3 erfolgten Impfungen und Tetanus-Auffrischungsimpfung innerhalb der letzten 10 Jahre: Keine Impfung erforderlich
- Alle anderen Wunden
- Patienten ohne Impfung, mit <3 Aktivimpfungen bzw. unklarem Impfstatus: Immer Simultanimpfung (aktive und passive Immunisierung)
- Patienten mit ≥3 erfolgten Impfungen
- Nur Aktivimpfung: Nur bei ≥5 Jahre zurückliegender letztmaliger Tetanus-Auffrischungsimpfung
- Keine Impfung erforderlich: Bei Tetanus-Auffrischungsimpfung innerhalb der letzten 5 Jahre
Impfstoffauswahl und Durchführung der Tetanus-Postexpositionsprophylaxe [5]
- Aktive Immunisierung
- Bei Kindern <6 Jahren: Kombinationspräparat DTaP
- Bei Kindern/Jugendlichen ≥6 Jahren sowie Erwachsenen mit indizierter Pertussis-Impfung: Kombinationspräparat Tdap
- Bei Erwachsenen ohne Indikation zur Pertussis-Impfung: Kombinationspräparat Td
- Simultanimpfung: Gleichzeitige aktive und passive Immunisierung [6]
- Passivimpfstoff (Tetanus-Immunglobulin)
- Aktivimpfstoff in o.g. Dosierung
- Applikation an kontralateralen Körperstellen
Meldepflicht
Gemäß dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) besteht keine bundesweite Meldepflicht für Tetanus im Allgemeinen. Es gibt jedoch eine amtliche Meldepflicht für einige Situationen und Erreger.
- Arztmeldepflicht
- Nach IfSGMeldeVO (nur in Sachsen )
- Namentliche Meldepflicht bei Verdachts-, Erkrankungs- und Todesfällen
- Nach ThürIfKrMVO und IfSAG M-V (nur in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern )
- Nicht-namentliche Meldepflicht bei Erkrankungs- und Todesfällen
- Nach IfSGMeldeVO (nur in Sachsen )
- Labormeldepflicht
- Nach IfSGMeldeVO (nur in Sachsen )
- Namentliche Meldepflicht bei Erregernachweis, soweit die Nachweise auf eine akute Infektion hinweisen
- Nach IfSAG M-V (nur in Mecklenburg-Vorpommern )
- Nicht-namentliche Meldepflicht bei Erregernachweis
- Nach IfSGMeldeVO (nur in Sachsen )
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Tetanus
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- A33: Tetanus neonatorum
- A34: Tetanus während der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes
- A35: Sonstiger Tetanus
- Inklusive: Tetanus o.n.A.
- Exklusive: Tetanus: neonatorum (A33) während der Schwangerschaft, der Geburt und des Wochenbettes (A34)
- Z23.-: Notwendigkeit der Impfung [Immunisierung] gegen einzelne bakterielle Krankheiten
- Z23.5: Notwendigkeit der Impfung gegen Tetanus, nicht kombiniert
- Z27.-: Notwendigkeit der Impfung [Immunisierung] gegen Kombinationen von Infektionskrankheiten
- Exklusive: Impfung nicht durchgeführt (Z28)
- Z27.1: Notwendigkeit der Impfung gegen Diphtherie-Pertussis-Tetanus [DPT]
- Z27.2: Notwendigkeit der Impfung gegen Diphtherie-Pertussis-Tetanus mit Typhus-Paratyphus [DPT+TAB]
- Z27.3: Notwendigkeit der Impfung gegen Diphtherie-Pertussis-Tetanus mit Poliomyelitis [DPT+Polio]
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.