Abstract
Paraneoplastisch ist ein Ausdruck für ein Phänomen, das neben („para“) einer malignen Tumorerkrankung („neoplastisch“) auftritt. Paraneoplastische Syndrome können theoretisch von jedem Malignom ausgehen und sich abhängig von den produzierten Substanzen ganz unterschiedlich präsentieren. Sehr häufig sind allgemeine Erscheinungen wie Tumorkachexien, erhöhte Thromboseneigung und Hyperthermie. Ein Karzinom, bei dem es sehr häufig und charakteristischerweise zu zahlreichen speziellen paraneoplastischen Symptomen kommt, ist das kleinzellige Lungenkarzinom. Die tumorinduzierte Hyperkalzämie ist wiederum sehr häufig für die meisten Malignome und beruht auf einer paraneoplastischen Produktion von PTHrP. Einige Paraneoplasien (z.B. Acanthosis nigricans maligna) entstehen praktisch nur bei Malignomen und sollten deshalb eine sofortige Tumorsuche nach sich ziehen.
Überblick
- Allgemeine paraneoplastische Begleiterscheinungen: Tumorkachexie, Hyperthermie, Thrombosen
- Spezielle Paraneoplasien
- Tumorinduzierte Hyperkalzämie
- SIADH
- Cushing-Syndrom
- Hypertrophe pulmonale Osteoarthropathie (Pierre-Marie-Bamberger-Syndrom)
- Thrombophlebitis migrans / Trousseau-Syndrom
- IgG4-assoziierte Dakryoadenitis und Sialoadenitis
-
Kutane Paraneoplasien
- Acanthosis nigricans maligna
- Erythema necroticans migrans
- Erythema gyratum repens
- Hypertrichosis lanuginosa acquisita
- Paraneoplastische neurologische Syndrome
Kutane Paraneoplasien
Acanthosis nigricans maligna
- Vorkommen: Insb. bei Adenokarzinomen des Magens
- Klinik: Gelbbraune bis schwarze, intertriginöse Pigmentierungen, die sich zu juckenden papillomatösen unscharf begrenzten Effloreszenzen entwickeln
- Lokalisation: Achseln, Genitalbereich, Nacken
- Schnelles Wachstum und verrukös-papulöse Oberfläche als DD zur Pseudoakanthosis!
- Differenzialdiagnose: Acanthosis nigricans benigna (Pseudoacanthosis nigricans) → Bei Diabetikern und adipösen Patienten konstitutionell auftretende, hyperpigmentierte Hautareale, teilweise mit weichen Fibromen besetzt (Hauptlokalisation: intertriginöse Hautareale, Nacken)
Jeder Nachweis einer Akanthosis nigricans maligna sollte eine Malignomsuche nach sich ziehen!
Erythema necroticans migrans
- Vorkommen: Gehäuft bei glucagonsezernierenden Pankreastumoren, aber auch bei u.a. Hepatitis B bzw. Hepatitis C, Bronchialkarzinom
- Klinik: Ausbildung multipler, sich zentrifugal ausbreitender, kreisförmiger Erytheme insbesondere im Bereich des Abdomens, Perineums und der unteren Extremitäten
Erythema gyratum repens
- Definition und Vorkommen: Sehr seltene, obligate kutane Paraneoplasie , die u.a. bei Mamma-, Bronchial-, Magen- und Harnblasen-Karzinom vorkommen kann
- Klinik
Paraneoplastische neurologische Syndrome
- Definition: Schädigungen spezifischer Strukturen des Nervensystems mit korrespondierenden klinisch-funktionellen Auswirkungen, ausgelöst durch onkoneuronale Antikörper
Onkoneuronale Antikörper
- Definition: Paraneoplastische, anti-neuronale Autoantikörper , deren Bildung durch die Einwirkung bestimmter neoplastischer Zellen und ihrer Mediatoren auf das Immunsystem induziert wird
- Klassische onkoneuronale Antikörper (Auswahl): Im Rahmen von Neoplasien gebildete Antikörper
- Anti-Hu-Antikörper, syn. antinukleärer neuronaler Antikörper 1 (ANNA-1)
- Häufigster onkoneuronaler Autoantikörper
- Zielantigene: Gruppe von RNA-bindenden Proteinen in Nervenzellkernen des ZNS und der Spinalganglien
- Bildung ist bei ca. 80% der Betroffenen auf ein kleinzelliges Bronchialkarzinom (SCLC) zurückzuführen
- Anti-Hu-Syndrom : Klinische Manifestation
- Paraneoplastische Kleinhirndegeneration
- Subakute sensible Polyneuropathie (Denny-Brown-Syndrom)
- Paraneoplastische Enzephalitis (siehe auch: Klassische paraneoplastische Enzephalitis)
- Anti-Ri-Antikörper, syn. antinukleärer neuronaler Antikörper 2 (ANNA-2)
- Seltenster klassischer onkoneuronaler Autoantikörper
- Zielantigene: Gruppe von RNA-bindenden Proteinen in Nervenzellkernen des ZNS
- Typische klinische Manifestation: Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom
- Anti-Yo-Antikörper, syn. Purkinje Cell Antibody 1 (PCA-1)
- Bildung überwiegend auf gynäkologische Neoplasien zurückzuführen (insb. Ovarial- und Mammakarzinom sowie Endometriumkarzinom)
- Anti-Yo-Syndrom : Klinische Manifestation typischerweise als paraneoplastische Kleinhirndegeneration
- Anti-Amphiphysin
- Zielantigen: Amphiphysin, ein Proteinbestandteil synaptischer Vesikel
- Bildung ist häufig, aber nicht ausschließlich auf Mammakarzinome zurückzuführen
- Typische klinische Manifestation: Stiff-Person-Syndrom; andere Manifestationen möglich, z.B. paraneoplastische Enzephalitis
- Anti-Hu-Antikörper, syn. antinukleärer neuronaler Antikörper 1 (ANNA-1)
- Fakultativ onkoneuronale Antikörper: Antikörper, die auch ohne zugrunde liegende Neoplasien auftreten können
- Siehe auch: Fakultativ paraneoplastische Enzephalitiden
Auswahl paraneoplastischer neurologischer Syndrome
- Paraneoplastische Enzephalitis (insb. klassische paraneoplastische Enzephalitiden)
- Paraneoplastische Kleinhirndegeneration
- Denny-Brown-Syndrom
- Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom
- Stiff-Person-Syndrom
- Myasthenia gravis (als Paraneoplasie)
- Lambert-Eaton-Syndrom
Paraneoplastische Kleinhirndegeneration
- Ätiologie: Zerstörung zerebellärer Neurone (paraneoplastische Zerebellitis), vermittelt durch Autoantikörper
- Vorkommen
- Generell selten (1% aller Karzinompatient:innen)
- Überwiegend bei Frauen mittleren Alters
- Symptome
- Häufig initial Sensibilitätsstörungen und Schmerzen an Extremitäten
- Kleinhirnsymptomatik: Ataxie, Gangunsicherheit, Dysdiadochokinese, Intentionstremor
- Sonst vielgestaltige Symptomatik
- Diagnostik
- Laboruntersuchung
- Serum und/oder Liquor: Bestimmung antineuronaler Antikörper
- Liquor: Lymphomonozytäre Pleozytose, oligoklonale Banden
- Bildgebung
- Ganzkörper-FDG-PET: Zur Tumorsuche
- cMRT: Oft ohne oder mit lediglich unspezifischem Befund
- Laboruntersuchung
- Verlauf: Rasch progredient, bei unzureichender onkologischer Therapie schnell tödlich
Die Symptomatik der paraneoplastischen Kleinhirndegeneration tritt meist schon Monate vor der Diagnose eines Primärtumors auf!
Denny-Brown-Syndrom
- Ätiologie
- Entzündlicher Neuronenverlust in Hinterwurzeln und Spinalganglien (paraneoplastische Ganglionitis)
- Durch Einwirkung paraneoplastischer Autoantikörper, insb. Anti-Hu-Antikörper, v.a. bei kleinzelligem Bronchialkarzinom
- Symptome: Subakute sensible Polyneuropathie
- Symmetrische Parästhesien und Hypästhesien
- Störung der Propriozeption, sensible Ataxie
- Störung vegetativer Funktionen, insb. der vegetativen Regulation
Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom
- Ätiologie: Entzündlicher Neuronenverlust in Hirnstamm (Hirnstamm-Enzephalitis) und Kleinhirn (Cerebellitis)
- Paraneoplastisch, insb. durch Anti-Ri-Antikörper, v.a. bei Mamma- und Bronchialkarzinomen (bei Kindern häufig primäre Hirntumoren)
- Idiopathisch
- Symptome
Das Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom ist keine Epilepsieform, sondern eine (oft paraneoplastische) Hirnstamm-Enzephalitis.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2022
- G13.-:* Systematrophien, vorwiegend das Zentralnervensystem betreffend, bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- G13.0*: Paraneoplastische Neuromyopathie und Neuropathie
- Karzinomatöse Neuromyopathie (C00–C96†)
- Sensorische paraneoplastische Neuropathie, Typ Denny-Brown (C00–D48†)
- G13.1*: Sonstige Systematrophien, vorwiegend das Zentralnervensystem betreffend, bei Neubildungen
- Paraneoplastische limbische Enzephalopathie (C00–D48†)
- G13.0*: Paraneoplastische Neuromyopathie und Neuropathie
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2022, DIMDI.