Abstract
Bei der Epiphyseolysis capitis femoris kommt es zur Lockerung und i.d.R. dorsokaudalen Abkippung des Hüftkopfes (bzw. Epiphyse) in der Wachstumsfuge vom Schenkelhals ohne adäquates Trauma. Die überwiegend übergewichtige Jugendliche betreffende Erkrankung führt in etwa 90% der Fälle zur Ablösung des Hüftkopfs – die Diagnosestellung ist dabei bei häufig milden und unspezifischen Leisten- oder Knieschmerzen schwierig. Die akute Verlaufsform mit plötzlicher Epiphysenlösung ist dagegen ein orthopädischer Notfall und tritt charakteristischerweise traumatisch (z.B. beim Schulsport) auf. Starke Schmerzen, Gehunfähigkeit und ein „verkürztes“ Bein in Außenrotationsstellung kennzeichnen den Zustand. Radiologisch werden immer beide Hüftgelenke in der sogenannten Lauensteinaufnahme und der Beckenübersichtsaufnahme beurteilt, da in etwa der Hälfte der Fälle die Erkrankung beidseitig auftritt. Die Therapie erfolgt immer operativ.
Epidemiologie
Ätiologie
- Multifaktoriell
- Übergewicht
- Genetische Faktoren
- Hormonelle Faktoren: Bspw. gehäuft bei Gonadeninsuffizienz
Symptome/Klinik
Epiphyseolysis capitis femoris lenta (90%)
- Diffuser Verlauf über mehrere Monate
- Schwierige Diagnose → wird häufig übersehen
-
Schmerzen in Leiste, Trochanter major
- Auch weiter distal in Oberschenkel oder Knie möglich
Epiphyseolysis capitis femoris acuta (10%)
- Plötzliche Epiphysenlösung
- Geht häufig aus der Lenta-Form hervor
- Orthopädischer Notfall
- Stärkste Schmerzen
- Ausgeprägtes Hinken evtl. völlige Gehunfähigkeit
- Fixiertes scheinbar verkürztes Bein in Außenrotation und Abduktion
Bei unspezifischen Knie-, Leisten- oder Oberschenkelschmerzen bei Jugendlichen immer an Epiphyseolysis capitis femoris denken!
In etwa 50% der Fälle sind beide Hüftgelenke betroffen!
Diagnostik
- Klinisch
- Eingeschränkte Innenrotation
- Drehmann-Zeichen: Flexion im Hüftgelenk nur bei gleichzeitiger Außenrotation und Abduktion möglich
- Für den detaillierten Untersuchungsablauf: siehe Orthopädische Untersuchung der Hüfte und des Iliosakralgelenks
- Konventionelles Röntgen der Hüfte in 2 Ebenen
- Aufnahmen: Beckenübersicht a.p. (Seitenvergleich!) und Hüftgelenk axial nach Lauenstein (in Rückenlage bei 45° Flexion und 45° Abduktion im Hüftgelenk)
- Befund
- Erweiterung und irreguläre Abgrenzbarkeit der Epiphysenfuge
- Höhenminderung der Epiphyse
- Dislokation des Femurkopfes nach dorsal und medial
- In der Lauenstein-Aufnahme Abrutschwinkel nach Southwick erhöht
Differenzialdiagnosen
- Morbus Perthes
- Coxitis fugax
- Coxa saltans
- Definition: Schnappen des Tractus iliotibialis über den Trochanter major
- Epidemiologie: Vor allem junge Frauen betroffen
- Klinik
- Gehen → Gleiten des Tractus iliotibialis über den Trochanter major → Fühlbares (evtl. hörbares) Schnappen
- Im Verlauf evtl. schmerzhafte Bursitis trochanterica
- Konservative Therapie
- Physiotherapie
- Lokale Infiltration von Lokalanästhetikum
- Bei persistierenden Beschwerden: Operative Versorgung
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Immer operativ
- Fixation mittels Spickdrähten bei einem Abrutschwinkel < 30°
- Prophylaktische Spickung der Gegenseite
- Ggf. Korrekturosteotomie nach Imhäuser bei einem Abrutschwinkel > 30°
Komplikationen
- Hüftkopfnekrose
- Chronische Einschränkungen der Beweglichkeit
- Sekundäre Koxarthrose (meist nicht vor der 5. Lebensdekade)
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- M93.-: Sonstige Osteochondropathien
- Exklusive: Osteochondrose der Wirbelsäule (M42.‑)
- M93.0: Epiphyseolysis capitis femoris (nichttraumatisch)
- M93.1: Kienböck-Krankheit bei Erwachsenen
- Erwachsenenosteochondrose des Os lunatum der Hand
- M93.2-: Osteochondrosis dissecans [0–9]
- M93.8-: Sonstige näher bezeichnete Osteochondropathien [0–9]
- M93.9: Osteochondropathie, nicht näher bezeichnet
- Apophysitis
- Epiphysitis
- Osteochondritis
- Osteochondrose
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.