Zusammenfassung
Bei einer schmerzlosen Vergrößerung des Skrotums kommen verschiedene Krankheitsbilder infrage, die differenzialdiagnostisch bedacht werden müssen. Bei der Hydrocele testis handelt es sich um eine Flüssigkeitsansammlung im Skrotum, die bspw. postinfektiös, posttraumatisch oder durch ein Persistieren des Processus vaginalis testis bedingt sein kann. Die Hydrocele funiculi spermatici ist eine schmerzlose Flüssigkeitsansammlung in einem nicht-obliterierten Teil des Processus vaginalis testis auf Höhe des Samenstranges. Die Varikozele testis beschreibt eine Erweiterung des Venenkonvoluts im Hodenbereich. Diese kann primär durch eine venöse Abflussbehinderung oder sekundär durch eine Raumforderung im kleinen Becken hervorgerufen werden. Eine Spermatozele ist eine zystische Struktur des Nebenhodens, die vom Samenstrang ausgeht und i.d.R. infolge einer Abflussbehinderung entsteht.
Zur Diagnosestellung kommt neben der Klinik insb. die Sonografie zum Einsatz. Therapeutisch kann bei allen Krankheitsbildern operativ vorgegangen werden, wobei die Indikation jeweils streng geprüft werden muss.
Hydrocele testis
Definitionen
- Hydrocele testis: Schmerzlose Flüssigkeitsansammlung zwischen den serösen Hodenhüllen im Skrotum
- Hydrocele communicans: Wechselnde Mengen an Flüssigkeit in der Cavitas serosa scroti bei offenem Processus vaginalis testis
- Nicht-kommunizierende Hydrocele testis: Flüssigkeit in der Cavitas serosa scroti bei obliteriertem Processus vaginalis testis
- Sekundäre Hydrocele testis: Begleithydrozele aufgrund einer anderen Grunderkrankung
Epidemiologie
- Inzidenz: 6–58% aller männlichen Patienten (inkl. Kindern und Jugendlichen) [1]
Ätiologie
- Postentzündlich
- Bei Hodentumor
- Posttraumatisch
- Postoperativ
- Idiopathisch
- Juvenile Hydrozele: Meist Obliterationsstörungen des Processus vaginalis testis mit den Risikofaktoren
- Frühgeburtlichkeit
- Hodenhochstand und/oder Blasenekstrophie
- Bindegewebsdefekte
- Intraabdominelle Druckerhöhung
- Chronische respiratorische Insuffizienz
Klinik
- Prall-elastisches, vergrößertes, schmerzloses Skrotum (ca. 60% rechtsseitig)
Diagnostik
- Anamnese
- Schmerzen
- Trauma
- Größenzunahme/-abnahme
- Lokalisation
- Zeitraum
- Körperliche Untersuchung
- Inspektion, Palpation
- Diaphanoskopie
- Sonografie des Skrotums : Nachweis von echoarmer Flüssigkeit
Differenzialdiagnosen der Hydrocele testis
- Leistenhernie
- Skrotalhernie
- Varikozele testis
- Hoden- oder Nebenhodentumor
- Spermatozele
Therapie
Das Prozedere und operative Vorgehen im Kindes- bzw. Erwachsenenalter weichen voneinander ab, da die Hydrocele testis bei Kindern meist Folge einer Obliterationsstörung des Processus vaginalis testis ist.
Therapie der Hydrocele testis im Kindesalter [1]
- Säuglinge/Kleinkinder
- Spontane Rückbildung möglich → (zunächst „watchful waiting“)
- OP-Indikationen
- Sehr großer Befund
- Kommunizierende Hydrozele mit wechselnder Größe
- Begleitende Leistenhernie
- Bei Patienten ≥1 Jahr : OP [1] [2]
Therapie der Hydrocele testis im Erwachsenenalter
- Konservatives/beobachtendes Vorgehen bei
- Kontraindikationen für operative Therapie
- Asymptomatischer Hydrozele
- Therapie der Grunderkrankung bei sekundärer Hydrocele testis
- Operativ nur bei symptomatischer Hydrozele
- Indikationen
- Lokale Beschwerden
- Einschränkung der körperlichen Aktivität
- Beeinträchtigung der Ästhetik
- Kontraindikationen
- Gerinnungsstörung
- Begleithydrozele bei Neoplasien oder entzündungsbedingt
- Durchführung, siehe: Operative Therapie der Hydrocele testis
- Indikationen
- Punktion oder Sklerosierung bei Ablehnen einer Operation [2]
Operative Therapie der Hydrocele testis
Prozedere
- Verweildauer
- Meist ambulante Operation
- Stationäre Operation bei
- Älteren Patienten mit erhöhtem Operationsrisiko
- Komorbiditäten
- Sehr großer Hydrozele
- Alter <3–6 Monate, Frühgeburtlichkeit [1]
- OP-Zeitpunkt
- Erwachsene: Elektiver Eingriff
- Kinder: Nach Vollendung des 1. Lebensjahres
- Aufklärung [3]
- Verletzung von Ductus deferens und Gefäßen
- Verletzung des Nebenhodens
- Rezidiv-Hydrozele
- Hämatom und Schwellung
- Infektionen
- Nachblutung
Patientenvorbereitung im OP [4]
- Lagerung: Rückenlagerung
- Desinfektionsgrenzen: Bauchnabel bis Mitte des Oberschenkels
Operatives Vorgehen bei offenem Processus vaginalis testis (Hydrocele communicans) [4]
- Prinzip: Hohe Ligatur des offenen Processus vaginalis
- Offene Operation
- Zugang: Suprainguinal mit Inzision der Scarpa-Faszie
- Weitere Operationsschritte
- Isolieren und Anschlingen von Funiculus spermaticus und Processus vaginalis
- Vas deferens und Vasa testicularia von Processus vaginalis abpräparieren
- Zirkuläres Öffnen und Anklemmen der Ränder von Processus vaginalis
- Präparation des Processus vaginalis bis zum inneren Leistenring und Verschluss mittels Tabaksbeutelnaht
- Resektion des überschüssigen Processus vaginalis, Fixieren des Stumpfes unter M. obliquus internus abdominis
- Schichtweiser Wundverschluss
- Laparoskopische Operation: Ligierung des Bruchsacks ohne vorherige Durchtrennung mit einem nicht-resorbierbaren Faden
Operatives Vorgehen bei nicht-kommunizierender Hydrocele testis [3][4]
- Zugang: Skrotal
- Spannen der Skrotalhaut über der Hydrozele und gefäßschonende Inzision entlang der Langer-Hautlinien oder der medianen Raphe [3]
- Durchtrennen der Tunica dartos und der Fascia spermatica externa
- Stichinzision der Hydrozelenwand (Fascia spermatica interna und Lamina parietalis), im Anschluss Eröffnen der Hydrozelenhülle mit der Schere
- Häufige Verfahren [3]
- Hydrozelen-Operation nach Klapp-Lord
- Indikation: Kleine, dünnwandige Hydrocele testis
- Durchführung: Katheterisierung des Hydrozelenrandes, Plikation und Raffen der Hydrozelenwand
- Hydrozelen-Operation nach van Bergmann
- Indikation: Dickwandige Hydrocele testis
- Durchführung: Zirkuläre Resektion eines Teils der Hydrozelenwand und fortlaufende Umstechung des Resektionsrandes
- Hydrozelen-Operation nach Winkelmann-Jaboulay
- Indikation: Kleine, dünnwandige Hydrocele testis
- Durchführung: Zirkuläre Resektion eines Teils der Hydrozelenwand mit Vereinigung der Ränder hinter dem Samenstrang
- Live-OP-Videos siehe: Hydrozelenoperation - GeSRU-Operationsvideos
- Hydrozelen-Operation nach Klapp-Lord
Hydrocele funiculi spermatici
- Definition: Schmerzlose Flüssigkeitsansammlung in einem nicht-obliterierten Teil des Processus vaginalis testis im Bereich des Samenstrangs
- Klinik: Rundliche, meist schmerzlose Schwellung entlang des Samenstrangs
- Therapie
- Konservativ/beobachtend: Bei kleinem bzw. asymptomatischem Befund
- Operativ: Bei großem Lokalbefund
- Vorgehen
- Inguinale Hodenfreilegung
- Exzision der Hydrocele funiculi spermatici
- Hohe Unterbindung des Processus vaginalis
- Vorgehen
Varikozele testis
Definition
- Varikozele testis: Erweiterung des Venenkonvoluts im Hodenbereich (Plexus pampiniformis)
Epidemiologie[2]
- Inzidenz
- Ca. 20% aller erwachsener Männer, ca. 25-40% aller Männer in einer infertilen Beziehung
- 90% linksseitig
- 2% rechtsseitig
- 8% beidseitig
- Ca. 20% aller erwachsener Männer, ca. 25-40% aller Männer in einer infertilen Beziehung
- Alter: Häufigkeit steigt mit dem Alter
Ätiologie
- Primäre Varikozele testis (idiopathisch)
- Stauung in Folge einer Abflussbehinderung
- Meist linksseitig (90%) aufgrund der rechtwinkligen Mündung der V. testicularis in die V. renalis
- Sekundäre Varikozele testis (symptomatisch)
- Stauung in Folge einer Kompression der V. testicularis [5]
- Beidseitig möglich, insb. durch eine Raumforderung im Retroperitoneum (z.B. M. Ormond, Lymphom) oder postthrombotisch (Plexus pampiniformis)
Klinik
- Meist asymptomatisch
- Initial schmerzlose Vergrößerung des Skrotums
- Missempfindung und Schmerzen durch Größenzunahme möglich
- Fertilitätsstörungen [5]
- Klassifikation nach Dubin und Amelar
- Grad 0: Subklinische Varikozele (nur Doppler-sonografisch feststellbar)
- Grad I: Nur unter Valsalva-Manöver tastbar
- Grad II: Unter Ruhebedingungen tastbar, aber nicht sichtbar
- Grad III: Unter Ruhebedingung sicht- und tastbar
Diagnostik
- Untersuchung im Liegen und Stehen: Palpatorisch weiche Stränge im Skrotum, entlang des Samenstranges, Gefäßknäuel („Sack voller Würmer“)
- Vergrößerung bei Valsalva-Manöver
- Verkleinerung bei Lageänderung („Hinlegen“) bei primärer Varikozele
- Sonografie
- Beurteilung des Hodenvolumens [2]
- Beurteilung des Plexus pampiniformis bei Varikozele: ≥3 dilatierte Venen
- Grad I: >2 mm Durchmesser
- Grad 2: >3 mm Durchmesser
- Grad 3: >3,3 mm Durchmesser oder 1 mm Zunahme des Durchmessers bei Valsalva-Manöver
- Beurteilung der Niere
- Ausschluss von pathologischen Strukturen im Retroperitoneum
- Farb-Doppler-Sonografie
- Bei sekundärer Varikozele: Bildgebung des Retroperitoneums (bspw. CT oder MRT)
- Bei Infertilität/Kinderwunsch: Zusätzlich
- Spermiogramm: Oligozoospermie oder Azoospermie möglich
- Bestimmung von FSH, LH, Testosteron und Prolaktin [2]
Differenzialdiagnosen
Komplikationen
- Fertilitätsstörung
- Verringerung des Hodenvolumens [2]
Therapie bei primärer Varikozele
Indikationen
- Erwachsene
- Beschwerden (Schmerzen, kosmetische Beeinträchtigung)
- Bei Subfertilität ohne andere Genese: Ggf. Verbesserung der Spermienqualität und damit der Fruchtbarkeit
- Nur unter folgenden Voraussetzungen
- Varikozele
- Kinderwunsch über ein Jahr
- Oligospermie
- Nachweis der weiblichen Fertilität
- Zeit, postoperativ bis zu 2 Jahre auf eine Spontanschwangerschaft zu warten
- Nur unter folgenden Voraussetzungen
- Kinder
- Höhergradiger Befund (Grad III): Erhalten der Keimzellfunktion
- Verkleinertes Hodenvolumen : Ggf. Volumennormalisierung
- Nicht indiziert ist eine Varikozelentherapie bei
- Azoospermie oder starker Oligo-Astheno-Teratozoospermie
- Beschwerdefreiheit oder Nicht-Einschränkung der Fertilität (normales Spermiogramm)
Therapieverfahren [2][5][6]
- Generelles Ziel: Komplette Unterbrechung des venösen Rückflusses
- Mikrochirurgische subinguinale Resektion: Ligation der dilatierten Venen unter Erhalt von A. testicularis und Lymphgefäßen [5]
- Offen-chirurgische Verfahren (meist mit mikrochirurgischer Resektion des Plexus pampiniformis)
- Nach Bernardi: Retroperitoneale Ligatur der V. testicularis
- Nach Ivanissevich: Ligatur der Venen in Höhe des inneren Leistenrings
- Nach Palomo: Durchtrennung von A. und V. testicularis
- Laparoskopische Verfahren insbesondere bei beidseitigen Varikozelen [2]
- Sklerosierung/Embolisierung [2]
- Antegrade Varikozelensklerosierung
- Skrotale Präparation einer Plexusvene
- Phlebografie zur Darstellung des korrekten Abflusses über die V. testicularis interna links in die V. renalis bzw. rechts in die V. cava
- Injizieren eines Sklerosierungsmittels
- Retrograde Varikozelensklerosierung oder -embolisation
- Transfemorale Präparation
- Phlebografie der V. spermermatica interna
- Injektion eines Sklerosierungsmittels
- Antegrade Varikozelensklerosierung
- Live-OP-Videos siehe Varikozelenoperation - GeSRU-Operationsvideos
Komplikationen der Therapie
- Hydrozele
- Hodenatrophie
- Verletzung des Ductus deferens
Therapie bei sekundärer Varikozele
- Beseitigung der Ursache
Prognose
- Ohne Therapie: Ggf. Beeinträchtigung von Fertilität und Hodenvolumen
- Mit Therapie: Ggf. Persistenz (29%), Hydrozele, Hodenatrophie
- Bei mikrochirurgischer Therapie geringere Persistenz- und Hydrozelenrate
Spermatozele
Definition
- Spermatozele: Zystische Struktur des Nebenhodens, ausgehend vom Samenstrang und i.d.R. Spermien enthaltend
Epidemiologie
- Inzidenz: Ca. 1–7%
- Alter: Häufigkeit steigt mit dem Alter
Ätiologie
- Idiopathisch
- Postentzündlich (z.B. nach Epididymitis)
- Posttraumatisch
Klinik
- Schmerzlose Vergrößerung des Skrotums oder kleine kugelige Struktur am oberen Hodenpol
- Ggf. Schmerzen oder enorme Größe
Diagnostik
- Klinik
-
Sonografie des Skrotums
- Typischerweise echofrei zystische Raumforderung, ausgehend vom Nebenhoden
- Ggf. tubuläre Ektasie des Rete testis
Differentialdiagnosen
- Hydrocele testis
- Varikozele testis
- Hoden- oder Nebenhodentumor
Therapie
- Bei asymptomatischen Spermatozelen keine Therapie notwendig
- Ggf. operative Therapie
- Indikationen: Schmerzen, störende Größe
- Durchführung
- Skrotale Hodenfreilegung: Inzision der Tunica vaginalis visceralis
- Freilegung der Spermatozele
- Ligatur der Basis und Entfernen der Spermatozele (Belassung des Nebenhodens)
Die operative Therapie führt i.d.R. zur Sterilität der betroffenen Seite!
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- N43.-: Hydrozele und Spermatozele
- Inklusive: Hydrozele des Funiculus spermaticus, des Testis oder der Tunica vaginalis testis
- Exklusive: Angeborene Hydrozele (P83.5)
- N43.0: Funikulozele
- N43.1: Infizierte Hydrozele
- N43.2: Sonstige Hydrozele
- N43.3: Hydrozele, nicht näher bezeichnet
- N43.4: Spermatozele
- P83.-: Sonstige Krankheitszustände mit Beteiligung der Haut, die für den Fetus und das Neugeborene spezifisch sind
- P83.5: Angeborene Hydrozele
- I86.-: Varizen sonstiger Lokalisationen
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.