Zusammenfassung
Parasomnien sind unerwünschte Ereignisse, die während des Schlafens oder beim Übergang zwischen Schlaf- und Wachphase auftreten. Neben Insomnien gehören sie zu den häufigsten Schlafstörungen. Sie können sowohl im REM-Schlaf als auch im NREM-Schlaf auftreten.
Die häufigsten NREM-Parasomnien sind Somnambulismus (Schlafwandeln) und Pavor nocturnus (Nachtschreck). Die Ereignisse treten typischerweise während des ersten Drittels des Nachtschlafes auf und sind i.d.R. selbstlimitierend und nicht behandlungsbedürftig. Allerdings ist auf gute Schlafhygiene und beim Schlafwandeln zusätzlich auf eine sichere Schlafumgebung zu achten.
Von den REM-Schlaf-Parasomnien haben Albträume die höchste Prävalenz. Diese Träume mit bedrohlichen Inhalten treten bevorzugt in der zweiten Schlafhälfte auf, da der REM-Schlaf dann am ausgeprägtesten ist. Nach dem Aufwachen sind die Betroffenen schnell wieder orientiert und können sich i.d.R. an den Trauminhalt erinnern. Wiederholt auftretende Albträume und die damit einhergehenden Schlafstörungen können Stimmungsschwankungen auslösen. Hinzu kommen die Angst ins Bett zu gehen, kognitive und Verhaltensprobleme sowie Tagesschläfrigkeit und Einschränkungen im sozialen und schulischen bzw. beruflichen Bereich, sodass eine frühzeitige Behandlung wichtig ist. Die seltenere REM-Schlaf-Verhaltensstörung äußert sich als Ausführung heftiger Bewegungen und z.T. komplexer Handlungen im Schlaf. Man unterscheidet sekundäre und idiopathische Formen, wobei sich letztere im Verlauf häufig als das Prodrom einer neurodegenerativen Erkrankung herausstellen (insb. Parkinson-Krankheit).
Einteilung der Schlaf-Wach-Störungen
Einteilung der Schlaf-Wach-Störungen (angelehnt an ICD-11) [1] | ||||||
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Insomnien | Störungen des zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmus | Schlafbezogene Bewegungsstörungen | Parasomnien | |||
Beschreibung |
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(Haupt‑)Formen |
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Parasomnieformen
Parasomnieformen – Übersicht [2][3] | ||||
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Merkmale | Zeitpunkt | Schlafphase | Prävalenz | |
Schlafwandeln (Somnambulismus) |
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Pavor nocturnus |
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Albträume |
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REM-Schlaf-Verhaltensstörung |
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Ätiologie
Pathogenese
- Unklar
Risikofaktoren für Parasomnien
- Genetische Faktoren [2]
- Stresssituationen, bspw. Mobbing [4]
- Schlafmangel
- Fieber
Zusätzliche Risikofaktoren für Albträume
- Sensible Persönlichkeitsstruktur
- Schwere körperliche und/oder psychische Traumen (PTBS)
- Medikamente, bspw. Montelukast
- Assoziation mit psychosozialen Verhaltensproblemen [5]
Symptomatik
NREM-Schlaf-Parasomnien [3][6][7]
- Zeitpunkt: I.d.R. während des ersten Drittels des Nachtschlafes
- Gemeinsame Klinik
- Schlafwandeln
- Plötzliches Aufstehen aus dem Bett
- Auffälliges Verhalten
- Agitation, Desorientierung und verworrene Reaktion auf Ansprache, starrer Blick
- Abstruse Handlungen, wie z.B. das Urinieren in einen Schrank
- Risiko von Selbstgefährdung
- Pavor nocturnus
- Plötzliches Aufschrecken aus dem Schlaf mit Panikschrei und angstbesetztem Verhalten
- Autonome Erregung, bspw. Tachykardie, Tachypnoe, Erröten, Schwitzen, Muskeltonuserhöhung
- Abwehren jeglicher Beruhigungsversuche
REM-Schlaf-Parasomnien
- Zeitpunkt: I.d.R. im letzten Schlafdrittel, da der REM-Schlaf dann am ausgeprägtesten ist
- Albträume
- Bedrohliche Träume mit den Inhalten Verfolgung, Angst, Tod, Fallen oder Eingesperrtsein
- Autonome Erregung, bspw. Tachykardie, Tachypnoe, Erröten, Schwitzen, Muskeltonuserhöhung
- Beim Aufwachen rasche Reorientierung und i.d.R. vollständige Erinnerung an den Traum
- Folgen: Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Angst, ins Bett zu gehen, kognitive und Verhaltensprobleme, Tagesschläfrigkeit und Einschränkungen im sozialen und schulischen Bereich
Diagnostik
Basisdiagnostik
- (Fremd‑)Anamnese durch Eltern bzw. Partner, inkl.
- Beschreibung der Schlafstörung (Klinik) [7]
- Zeitlicher Einordnung der Symptomatik im Schlafverlauf
- Eigen- und Familienanamnese bezgl. schlafassoziierter Auffälligkeiten
- Wenn möglich häusliche Videodokumentation
- Körperliche Untersuchung
Erweiterte Diagnostik
Bei unklarer Symptomatik bzw. zum Ausschluss anderer Ursachen
- Psychiatrische/neurologische Untersuchung
- Wach-EEG und Polysomnografie
- Beim Schlafwandeln: Wach-EEG unauffällig, Schlaf-EEG mit erhöhter Schlaffragmentierung des Tiefschlafs und der Symptomatik vorausgehenden hochamplitudigen Deltawellen [8]
- Beim Pavor nocturnus: Wach-EEG unauffällig, Schlaf-EEG mit abnormer Unterbrechung der für den Tiefschlaf typischen Delta-Aktivität [7][9]
- Bei Alpträumen: Wach- und Schlaf-EEG unauffällig, Auftreten der Symptomatik in der REM-Schlafphase
- Weiterführende 16-Kanal-Polysomnografie oder 72-Stunden-Videometrie im Epilepsiezentrum (bei V.a. eine schlafgebundene Epilepsie) [7]
Der Pavor nocturnus wird (insb. durch die Eltern) häufig als Albtraum fehlgedeutet! Eine gezielte Anamnese ist daher entscheidend.
I.d.R. ist die Diagnose klinisch so eindeutig, dass auf eine apparative Diagnostik verzichtet werden kann!
Bei einer atypischen Symptomatik, Frequenzzunahme des Auftretens oder zusätzlichen Symptomen sollte eine erweiterte Abklärung erfolgen!
Differenzialdiagnosen
- Epilepsie, insb. nächtliche Frontallappenepilepsie (NFLE) oder Rolando-Epilepsie
- Psychiatrische Erkrankungen
- Medikamentennebenwirkung bzw. Folge von Drogen- und/oder Alkoholabusus
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Allgemeine Maßnahmen [3][6]
- Gesunde Ernährung
- Regelmäßiger Sport
- Schlafhygiene
Zusätzlich bei NREM-Schlaf-Parasomnien (Schlafwandeln und Pavor nocturnus) [3][7]
- Umsetzen der Empfehlungen zur Schlafhygiene und zur Schlafumgebung
- Bei Kindern zusätzlich
- Ausführliche Beratung der Eltern über die Einordnung der Symptomatik als Entwicklungsphänomen mit spontanem Sistieren bis zur Pubertät
- Ggf. antizipatorisches Wecken
- Kein Wecken während der Symptomatik!
- Beim Schlafwandeln zusätzlich: Sicherung der Schlafumgebung zuhause und in ungewohnter Umgebung, um Verletzungen zu vermeiden
- Bei ausgeprägter, persistierender Symptomatik
- Hypnose
- Ggf. intermittierende medikamentöse Therapie, bspw. mit Clonazepam (zugelassen ab dem Säuglingsalter)
- Dosierung Kinder
- Dosierung Erwachsene
Zusätzlich bei REM-Schlaf-Parasomnien (Albträumen)
- Nach dem Aufwachen aus einem Albtraum: Kurz den Trauminhalt erzählen lassen und dann beruhigend das Wiedereinschlafen fördern
- Verhaltenstherapie, inkl. Imagery Rehearsal Therapy [10]
- Bei Vorkommen im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung: Ggf. gezielte Traumatherapie
Emotional belastende Reizeinwirkung v.a. im Rahmen des Medienkonsums begünstigt Parasomnien und ist insb. abends dringend zu vermeiden!
Von allen Parasomnien haben Albträume die höchste Relevanz und sollten insb. wegen der damit einhergehenden psychosozialen Belastungen frühestmöglich behandelt werden!
Es ist wichtig, sich mit der Angstthematik auseinanderzusetzen und Ängste zu überwinden, um eine Aufrechterhaltung der Albträume zu verhindern!
Prognose
- I.d.R. spontanes Sistieren bis zum Jugendalter
- Lebenslanges Auftreten möglich
Sonderform: REM-Schlaf-Verhaltensstörung
- Definition: Parasomnie mit intermittierendem Verlust der physiologischen Muskelatonie in der REM-Schlaf-Phase
- Epidemiologie
- Ätiologie
- Idiopathisch
- Sekundär/Symptomatisch: Assoziation mit anderen ZNS-Störungen, z.B.
- Medikamenteneinnahme: Insb. Antidepressiva, MAO-B-Hemmer, Betablocker
- Intoxikation- oder Entzugssyndrome von Alkohol oder Drogen
- Strukturelle Läsionen
- Narkolepsie
- Symptome: Mit variabler Frequenz auftretende, ausgeprägte motorische Aktivität während des Traums in der REM-Schlaf-Phase, insb.
- Vokalisieren
- Bewegungen: Einfach oder komplex
- Nach Erwachen
- Direkte Reorientierung
- Bewegungen selbst nicht erinnerlich
- Trauminhalte oft passend zu ausgeführten Bewegungen
- Diagnostik: (Fremd‑)Anamnese und Video-Polysomnografie im Schlaflabor
- Therapie
- Wenn möglich Behandlung der Ursache
- Ggf. symptomatische Therapie zur Verhinderung von Verletzungen
- Verhaltensmaßnahmen
- Allgemeine Prinzipien der Schlafhygiene
- Schaffen einer sicheren Schlafumgebung
- Medikamentös (geringe Evidenz und Off-Label Use!)
- Ausgeprägte Symptome: Clonazepam
- Milde Symptome: Melatonin
- Verhaltensmaßnahmen
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
F51.-: Nichtorganische Schlafstörungen
- Exklusive: Schlafstörungen (organisch) (G47.‑)
- F51.0: Nichtorganische Insomnie
- F51.1: Nichtorganische Hypersomnie
- Exklusive: Hypersomnie (organisch)(G47.1), Narkolepsie (G47.4)
- F51.2: Nichtorganische Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus
- Psychogene Umkehr:
- Schlafrhythmus
- Tag-Nacht-Rhythmus
- 24-Stunden-Rhythmus
- Exklusive: Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus (organisch) (G47.2)
- Psychogene Umkehr:
- F51.3: Schlafwandeln [Somnambulismus]
- F51.4: Pavor nocturnus
- F51.5: Albträume [Angstträume]
- Angsttraumstörung
- F51.8: Sonstige nichtorganische Schlafstörungen
- F51.9: Nichtorganische Schlafstörung, nicht näher bezeichnet
- Emotional bedingte Schlafstörung o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.