Abstract
Die Osteodystrophia deformans (Morbus Paget, Ostitis deformans) ist eine langsam progrediente, mono- oder polyostotische Skeletterkrankung. Sie ist durch einen hochgradig gesteigerten Knochenumbau charakterisiert, wobei der normale Lamellenknochen durch minderwertigen Faserknochen ersetzt wird. Die Ätiologie dieser häufigen und oft unerkannten Erkrankung ist unklar. Es erkranken zumeist Menschen jenseits des 40. Lebensjahres, die dann meist durch lokale Schmerzen und auch Knochenverbiegungen oder -neubildungen auffallen. Ist beispielsweise der Schädel betroffen, passen zuvor getragene Hüte nicht mehr. Diagnostisch hilft das konventionelle Röntgen oder die Bestimmung der alkalischen Phosphatase im Serum als Aktivitätsparameter. Die rein symptomatische Therapie umfasst die medikamentöse Unterdrückung der Schmerzen (NSAR) und Hemmung der gesteigerten Osteoklastenfunktion (Bisphosphonate).
Neben dieser Skeletterkrankung gibt es gleichnamige Erkrankungen wie den Morbus Paget der Mamille (s. Mammakarzinom) sowie den extramammären Morbus Paget, z.B. der Vulva (s. Vulvakarzinom).
Epidemiologie
- Geschlecht: ♂ > ♀
- Alter: Mit dem Alter nimmt die Prävalenz zu
- Zweithäufigste Skeletterkrankung nach Osteoporose (hohe Dunkelziffer)
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Klassifikation
- Monoostotische Osteodystrophia deformans (ca. ⅓ der Fälle)
- Polyostotische Osteodystrophia deformans (ca. ⅔ der Fälle)
Symptome/Klinik
- Ca. ⅓ der Patienten asymptomatisch
- Knochenschmerzen, manchmal mit erhöhter Hauttemperatur über den befallenen Knochen
- Häufigste Lokalisationen: Becken, Schädel, untere Extremität, Wirbelsäule
- Knochendeformierung
-
Schädelbefall (etwa 40%)
- Zunahme des Kopfumfangs möglich
-
Schwerhörigkeit
- Schallleitung gestört durch Ankylose der Gehörknöchelchen
- Schallempfindung gestört durch Kompression des N. vestibulocochlearis
Diagnostik
- Labor (siehe auch Laborkonstellation Knochenerkrankungen)
- Alkalische Phosphatase (AP) als Aktivitätsparameter↑↑
- Calcium normal
- Marker für den Abbau von Knochengewebe im Urin
- Pyridinium-Crosslinks (Desoxypyridinolin)
- Hydroxyprolin
- Konventionelles Röntgen
- Deformierter Knochen mit vergröberter Spongiosa und Osteolysen
- Verbreiterte Kompakta
- Knochenszintigraphie
- Suchtest für weitere knöcherne Läsionen
Differentialdiagnosen
Osteopetrose („Marmorknochenkrankheit“)
- Definition: Systemerkrankung, die zu einer generalisierten Sklerosierung des Skeletts führt (von lat. petrosus = "steinig")
- Ätiologie: Meistens handelt es sich um autosomal-dominant und autosomal-rezessiv vererbbare Erkrankungen
- Klinik
- Spontanfrakturen
- Beeinträchtigung der Hirnnerven
- Panzytopenie wegen Knochenmarkverdrängung → Gefahr der septischen Infektion
- Hepatosplenomegalie
- Schlechte Prognose bei früher Manifestation, bei späterem Auftreten mildere bis blande Klinik
- Diagnostik: Im Röntgen homogene, marmorierte Verdichtung der Knochenstrukturen
- Therapie: Versuche mit Knochenmarkstransplantation scheinen erfolgreich
Fibröse Dysplasie (Morbus Jaffé-Lichtenstein)
- Definition: Nicht vererbbarer Gendefekt mit Störung der Knochenneubildung
- Epidemiologie: Häufigste Knochenfehlbildung im Kindesalter
- Einteilung: Monostotisch (häufig), polyostotisch
- Klinik
- Knochenschmerzen
- Knochenverformung mit erhöhter Frakturanfälligkeit
- Sonderform: McCune-Albright-Syndrom
- Vor allem junge Frauen betroffen
- Zusätzlich hormonelle Störungen (z.B. Pigmentstörungen, Pubertas praecox)
- Diagnostik
- Alkalische Phosphatase↑
- Konventionelles Röntgen: Typischerweise osteolytische Herde mit umgebender Sklerose
- Ggf. Biopsie des Knochens
- Therapie: Bisphosphonate
- Verlauf: Erkrankung kann nach der Pubertät spontan sistieren
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differentialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Symptomatisch
- Bisphosphonate sind Mittel der Wahl (z.B. Tiludronat)
- Calcitonin weniger wirksam
- Vitamin D3 (z.B. Cholecalciferol) und Calcium
- NSAR bei Schmerzen
Komplikationen
- Spontanfrakturen
- Arthrose durch Gelenkfehlstellungen
- Hypakusis bei Schädelbefall
- Selten maligne Entartung in Osteosarkom (<1%)
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Historisches
- Berühmte Persönlichkeiten: Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901) litt unter einer seltenen autosomal-rezessiv vererbbaren Osteopetrose (Pyknodysostose). Der post-impressionistische Maler ist durch seine Plakate für das Pariser Varieté Moulin Rouge berühmt geworden. Als Poster hängen seine Werke des späten 19. Jahrhunderts in zahlreichen Studenten-WGs.
Meditricks
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- M88.-: Osteodystrophia deformans [Paget-Krankheit]
- M88.0: Osteodystrophia deformans der Schädelknochen
- M88.8-: Osteodystrophia deformans sonstiger Knochen [0–9]
- M88.9-: Osteodystrophia deformans, nicht näher bezeichnet [0–9]
Lokalisation der Muskel-Skelett-Beteiligung
- 0 Mehrere Lokalisationen
- 1 Schulterregion
- 2 Oberarm
- 3 Unterarm
- 4 Hand
- 5 Beckenregion und Oberschenkel
- 6 Unterschenkel
- 7 Knöchel und Fuß
- 8 Sonstige
- 9 Nicht näher bezeichnete Lokalisation
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.