Abstract
Die transiente globale Amnesie (TGA) ist eine akut auftretende Gedächtnisstörung unbekannter Ursache. Sie geht sowohl mit einer anterograden (keine Speicherung neuer Gedächtnisinhalte) als auch – in variablem Ausmaß – mit einer retrograden Amnesie (eingeschränkter Abruf alter Gedächtnisinhalte) einher. Die Betroffenen sind unruhig und wirken ratlos; häufig stellen sie wiederholt Fragen zu Situation und Zeit. Zur eigenen Person sind die Betroffenen allerdings immer orientiert. Eine Vigilanzminderung oder fokal-neurologische Defizite treten nicht auf. Unspezifische Begleitsymptome wie leichte Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindelsymptomatik können vorkommen. Bei klassischer Präsentation ist keine Zusatzdiagnostik notwendig. Aus differentialdiagnostischen Erwägungen können ein cMRT (typisch für die TGA: hyperintense punktförmige Diffusionsstörungen im Hippocampus) und ein EEG in Betracht gezogen werden. Die Symptomatik bildet sich innerhalb von 24 Stunden spontan zurück. Es verbleibt eine Erinnerungslücke für die Zeit der Gedächtnisstörung.
Epidemiologie
- Inzidenz: 3–8 Fälle/100.000 Einwohner pro Jahr[1]
- Alter: Häufigkeitsgipfel zwischen 50.–70. Lebensjahr (selten vor dem 40. Lebensjahr)[1]
- Geschlecht: ♂ = ♀[2]
- Saisonale Häufung: Wintermonate[2]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Vorübergehende Hippocampus-Funktionsstörung unbekannter Ursache
- Wahrscheinlich multifaktorielle Genese bei suszeptiblen Individuen
- Möglicherweise auslösende Faktoren
- Physische Belastung
- Sport
- Schwere Arbeit
- Geschlechtsverkehr (postkoital)
- Kälte-/Hitzeexposition
- Psychische Belastungssituationen
- Emotionaler Stress
- Schmerzen
- Physische Belastung
- Assoziation mit Migräneanamnese (bei jüngeren Patienten unter 56 Jahren)[1]
Symptome/Klinik
- Akut einsetzende Episode; Dauer von 1–24 Stunden (im Mittel 6–8 Stunden)
- Anterograde Amnesie
-
Retrograde Amnesie
- Komplexe erlernte Fähigkeiten wie z.B. Fahrradfahren oder Kartenspielen können ausgeführt werden
- Orientierung zur eigenen Person ist erhalten
- Patienten wirken unruhig und ratlos, stellen immer wieder dieselben Fragen (insb. zur Situation und zur Zeit)
- Leichte unspezifische Begleitsymptome (Übelkeit, Kopfschmerzen, Benommenheit) möglich
Diagnostik
Klinische Diagnosestellung
- Bei eindeutiger Symptomatik und (Fremd‑)Anamnese: Klinische Diagnosestellung
- Diagnosekriterien (nach Kaplan sowie Hodges und Warlow)
- Akute anterograde Amnesie (Einsetzen fremdbeobachtet)
- Dauer mind. 1 Stunde und Rückbildung innerhalb von 24 Stunden
- Keine fokal-neurologischen oder weiteren kognitiven Defizite
- Keine Vigilanzminderung
- Keine Desorientierung zur Person
- Im Vorfeld kein Schädel-Hirn-Trauma, keine epileptischen Anfälle
- Leichte unspezifische Begleitsymptome möglich (Übelkeit, Kopfschmerzen, Benommenheit)
Zusatzdiagnostik
- Indikation
- Nicht eindeutige oder unpassende Symptomatik
- Kardiovaskuläre Risikofaktoren
- Junge Patienten (<50 Jahre)
- MRT des Kopfes: Nachweis typischer Läsionen im Hippocampus stützt klinische Diagnose
- DWI: Bilateral hyperintense punktförmige Läsionen in CA1-Region des Hippocampus (ADC-Korrelat: hypointens)
- Optimaler Zeitpunkt: 24–72 Stunden nach Symptombeginn[2]
- EEG: Zum Ausschluss einer transienten epileptischen Amnesie (insb. bei wiederholten amnestischen Episoden)
- Bei TGA unauffällige oder unspezifische Befunde
Differentialdiagnosen
- Transiente epileptische Amnesie (TEA)
- Transitorische ischämische Attacke oder ischämischer Schlaganfall im Stromgebiet der A. cerebri posterior mit Einbeziehung des Hippocampus
- Psychogene Amnesie
- Herpes-simplex-Enzephalitis
- Limbische Enzephalitis
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differentialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Keine Therapie
- Beruhigung des Betroffenen (und der besorgten Angehörigen)
- Entlassung bei gewährleisteter häuslicher Betreuung möglich, ansonsten kurze stationäre Überwachung
Prognose
- Spontane Rückbildung innerhalb von 24 Stunden (eine Erinnerungslücke für die TGA bleibt)
- Rezidiv(e) bei 12–18% der Betroffenen[2]
- Im Verlauf kein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, epileptische Anfälle oder kognitive Einschränkungen[3]
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- G45.-: Zerebrale transitorische Ischämie und verwandte Syndrome
- Inklusive: Zerebrale transitorische ischämische Attacke [TIA]
- Exklusive: In der Bildgebung nachgewiesener korrelierender Infarkt (I63.‑), Zerebrale Ischämie beim Neugeborenen (P91.0)
- Die folgenden fünften Stellen sind bei der Kategorie G45 zu benutzen:
- 2: Komplette Rückbildung innerhalb von 1 bis 24 Stunden
- 3: Komplette Rückbildung innerhalb von weniger als 1 Stunde
- 9: Verlauf der Rückbildung nicht näher bezeichnet
- G45.0-: Arteria-vertebralis-Syndrom mit Basilaris-Symptomatik
- G45.1-: Arteria-carotis-interna-Syndrom (halbseitig)
- G45.2-: Multiple und bilaterale Syndrome der extrazerebralen hirnversorgenden Arterien
- G45.3-: Amaurosis fugax
- G45.4-: Transiente globale Amnesie [amnestische Episode]
- Exklusive: Amnesie o.n.A. (R41.3)
- G45.8-: Sonstige zerebrale transitorische Ischämie und verwandte Syndrome
- G45.9-: Zerebrale transitorische Ischämie, nicht näher bezeichnet
- Drohender zerebrovaskulärer Insult
- Spasmus der Hirnarterien
- Zerebrale transitorische Ischämie o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.