Zusammenfassung
Die Subluxation des Radiuskopfes (auch Morbus Chassaignac bzw. Chassaignac-Lähmung genannt) tritt meist bei kleineren Kindern nach ruckartigem Zug am ausgestreckten Arm auf. Klinisch resultiert eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung mit Extensions- und Supinationshemmung („Pronatio dolorosa“). Die Diagnose erfolgt meist rein klinisch bei typischer Beschwerdesymptomatik, sodass auf eine Röntgenaufnahme verzichtet werden kann. Bereits ambulant kann somit eine Reposition des Radiuskopfes erfolgen, bspw. durch Supination und anschließende Flexion des Unterarmes bei gleichzeitigem Druck auf den Radiuskopf. Eine Ruhigstellung oder gar operative Therapie ist i.d.R. nicht notwendig.
Definition
- Subluxation des Caput radii unter das Ligamentum anulare radii
- Der Terminus Radiusköpfchen ist anatomisch falsch: Es gibt nur einen Radiuskopf – dieser ist beim Kleinkind jedoch knorpelig und verformbar!
Epidemiologie
- Häufigkeitsgipfel: Meist Kinder zwischen dem 1. und 4. Lebensjahr [1][2]
- Im Kindesalter: Häufigste Verletzung des proximalen Radius
- Durchschnittsalter <2 Jahre
- Bei Erwachsenen: Sehr selten
- Geschlecht: ♀ > ♂
- Körperseite: Links > rechts [3]
- Rezidivrisiko: Ca. 25% [2]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Unfallhergang
- Rascher Zug nach oben am ausgestreckten Arm
- Typisches Beispiel: Ein an der Hand geführtes Kind stolpert oder läuft auf die Straße und wird vom Erwachsenen rasch hoch- bzw. zurückgezogen
- Auch möglich durch Sturz
Symptomatik
- Schmerzhafte Bewegungseinschränkung
- Schmerzen am (lateralen) Ellenbogen
- Extensions- und Supinationshemmung im Ellenbogengelenk
- Kind hält den Arm unter starken Schmerzen in schlaffer Flexions- und Pronationsstellung („Pronatio dolorosa“)
- Keine Schwellung oder Deformität
- Keine Begleitverletzungen oder -symptome [2]
Vorgehen in der Notaufnahme
- Anamnese und körperliche Untersuchung
- I.d.R. Selbstvorstellung (in Begleitung der Eltern)
- Typischer Unfallhergang (Zug an ausgestrecktem Arm)
- Typische Symptomatik mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung („Pronatio dolorosa“) und Druckschmerz am proximalen Unterarm/Ellenbogen
- Kontrolle von pDMS und Begleitverletzungen
- Bildgebung: Nicht nötig bei eindeutiger Klinik [1][2]
- Therapie: Ambulante manuelle Reposition (siehe: Manuelle Reposition der Radiuskopf-Subluxation)
Diagnostik
- Klinische Diagnose
- Bildgebung nicht nötig
Differenzialdiagnosen
- Radiuskopf-Subluxation im Rahmen einer Monteggia-Fraktur
- Radiuskopffraktur
- Cave: Eine im Kindesalter nicht anatomisch reponierte Radiuskopf-Fraktur kann zu Wachstumsstörungen führen
- Als Langzeitfolge droht ein Cubitus valgus
- Suprakondyläre Humerusfraktur
- Olecranonfraktur
- Kindesmisshandlung
- Arthritis
Das Fehlen von Begleitverletzungen und -symptomen bei der Radiuskopf-Subluxation ist ein wichtiger Hinweis, um die Diagnose zu sichern bzw. eventuelle Differenzialdiagnosen ausschließen zu können!
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Manuelle Reposition der Radiuskopf-Subluxation
- Keine Anästhesie nötig
- Kind sitzt, wenn möglich, auf dem Schoß der Begleitperson
- Ausgangsposition: Ellenbogen in 90° Flexion und Pronation (Schonhaltung)
- Eine Hand unterstützt den Ellenbogen des Kindes und übt Druck auf den Radiuskopf aus, die andere umfasst den Unterarm des Kindes
- Reposition unter
- Supinationsbewegung, anschließend max. Flexion des Ellenbogengelenks
- Hyperpronationsbewegung bzw. forcierter Pronation, meistens unter Extension des Ellenbogengelenks [6]
- Nachsorge: Keine Röntgenkontrolle oder Schonung/Ruhigstellung nötig, i.d.R. sofortige volle Funktionsfähigkeit
- Bei erfolgloser Reposition
- Röntgen des Ellenbogens a.p. und seitlich
- Nach Ausschluss einer Fraktur: Erneuter Repositionsversuch
- Bei erneuter erfolgloser Reposition: Ruhigstellung mittels Oberarmgipsschiene für max. 3 Tage
- Meist währenddessen spontane Reposition
- Wenn nicht: Erneuter manueller Repositionsversuch nach Gipsabnahme
- Prognose: Sehr gut bei rechtzeitiger Reposition
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- S53.-: Luxation, Verstauchung und Zerrung des Ellenbogengelenkes und von Bändern des Ellenbogens
- S53.0: Luxation des Radiuskopfes
- Articulatio humeroradialis
- Exklusive: Monteggia-(Luxations‑)Fraktur (S52.21)
- S53.0: Luxation des Radiuskopfes
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.