Abstract
Beim Status epilepticus handelt es sich um einen nicht selbstlimitierend verlaufenden epileptischen Anfall bzw. mehrere in kurzem Zeitraum auftretende, nicht komplett reversible epileptische Anfälle. Prinzipiell können alle Anfallsformen in einen Status epilepticus übergehen. Wegen der drohenden Schädigung von Neuronen handelt es sich um einen neurologischen Notfall, der einer umgehenden Therapie bedarf.
Zum Notfallmanagement des Status epilepticus: Status epilepticus - AMBOSS-SOP
Definition
Drei klinische Situationen können einen Status epilepticus definieren: [1][2]
- ≥5 Minuten anhaltender bilateral-tonisch-klonischer Anfall
- ≥10 Minuten anhaltender fokal beginnender Anfall (mit oder ohne Bewusstseinsstörung) bzw. Absence
- Rezidivierende epileptische Anfälle in kurzer Abfolge, ohne eine vollständige Remission zwischen den Anfällen
Epidemiologie
- Inzidenz: 10–20 Fälle/100.000 Einwohner pro Jahr [3]
- Alter: Insb. höheres Lebensalter
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Ein Status epilepticus kann bei einem bekannten Epilepsiesyndrom, als Erstmanifestation einer Epilepsie oder als Ausdruck einer zerebralen oder systemischen Erkrankung auftreten.
- Auswahl ätiologischer Faktoren [3]
- Unzureichende Anfallssuppressiva-Spiegel
- Zerebrovaskuläre Erkrankungen
- Metabolische Erkrankungen
- Intoxikation oder Entzug (Alkohol, andere Drogen, Medikamente)
- Infektionen des ZNS
- Hypoxische Hirnschädigung
- Hirntumoren
- Elektrolytstörungen (Hyponatriämie, Hypokalzämie, Hypomagnesiämie)
- Schädel-Hirn-Trauma
Klassifikation
Die Klassifikation dient vor allem der Kommunikation und der Einschätzung, ob ein erneuter Anfall auf dem gleichen Fokus beruht.
Allgemein [1][2]
- Einteilung entlang vierer Achsen
- Semiologie
- Ätiologie
- EEG-Korrelate
- Alter
- Möglichst Einordnung in alle Achsen
1. Achse: Semiologie
Einordnung anhand der Kriterien „Motorik“ und „Bewusstseinsstatus“ :
- Mit prominenten motorischen Symptomen
- Konvulsiver SE (CSE; synonym: Bilateral-tonisch-klonischer Status epilepticus)
- Generalisierter Beginn
- Fokaler Beginn mit Evolution zum bilateral-klonisch-tonischen konvulsiven SE
- Unbekannter Beginn
- Myoklonischer SE
- Fokal motorischer SE
- Wiederholte fokal motorische Anfälle
- Epilepsia partialis continua
- Adversiver SE
- Okuloklonischer SE
- Iktale Parese
- Tonischer SE
- Hyperkinetischer SE
- Konvulsiver SE (CSE; synonym: Bilateral-tonisch-klonischer Status epilepticus)
- Ohne prominente motorische Symptome: Nicht-konvulsiver SE (NCSE)
- NCSE mit Koma
- Subtiler Status epilepticus: Sonderform des refraktären, generalisierten NCSE mit elektromechanischer Entkopplung; im EEG zeigt sich daher eine durchgehende epilepsietypische Aktivität, es lässt sich aber keine – oder lediglich eine sehr subtile – muskuläre Aktivität beobachten.
- NCSE ohne Koma
- Generalisiert (Absence-Status)
- Typischer Absence-Status
- Atypischer Absence-Status
- Myoklonischer Absence-Status
- Fokal
- Ohne Bewusstseinsstörung
- Aphasischer SE
- Mit Bewusstseinsstörung
- Unbekannt, ob fokal oder generalisiert
- Autonomer SE
- Generalisiert (Absence-Status)
- NCSE mit Koma
2. Achse: Ätiologie
- Bekannt
- Akut
- Im Verlauf nach Akutereignis
- Progressiv
- Im Rahmen eines Epilepsiesyndroms
- Unbekannt
3. Achse: EEG-Korrelate
- Fokus-Lokalisation
- Bezeichnung des Musters
- Morphologie
- Zeitabhängige Eigenschaften
- Modulation
- Einfluss einer Medikation auf die EEG-Korrelate
4. Achse: Alter
- Neugeborene (≤30 Tage)
- Kleinkinder (30 Tage bis 2 Jahre alt)
- Kinder (>2 Jahre bis 12 Jahre alt)
- Jugendliche und Erwachsene (>12 Jahre bis 59 Jahre alt)
- Senioren (≥60 Jahre)
Stadien des Status epilepticus [4]
- Initialer Status epilepticus: Erste 10 Minuten, spontanes Sistieren noch möglich
- Etablierter Status epilepticus: Dauer >10 Minuten (meist bis 30, max. bis 60 Minuten), kein Ansprechen auf Initialtherapie
- Refraktärer Status epilepticus: Dauer >30–60 Minuten, kein Ansprechen auf Initial- und Sekundärtherapie
- Suprarefraktärer Status epilepticus: Trotz kontinuierlicher Narkosetherapie klinisch oder elektroenzephalografisch persistierender Status epilepticus
Pathophysiologie
- Ungleichgewicht zwischen inhibitorischen(↓) und exzitatorischen(↑) Faktoren → Neuronale Hyperexzitabilität → Calciumeinstrom in Neurone → Zellschädigung
- Zerebraler Hypermetabolismus → Blutfluss↑ → Vasogenes Hirnödem
Diagnostik
Diagnosestellung
- Fremdanamnese erheben!
- Status generalisierter tonisch-klonischer Anfälle: Klinische Diagnose
- Bei anderen Formen: Diagnose über Klinik, Fremdanamnese und ggf. EEG-Befund
Weitere Diagnostik
- Bei nicht bekannter Epilepsie
- Bei Status epilepticus mit Bewusstlosigkeit: Notfallmäßige diagnostische Abklärung wie bei einem Koma unklarer Ätiologie
- Siehe: Koma - AMBOSS-SOP
- Bei Status epilepticus ohne Bewusstlosigkeit: Ursachenabklärung wie nach jedem ersten epileptischen Anfall
- Bei Status epilepticus mit Bewusstlosigkeit: Notfallmäßige diagnostische Abklärung wie bei einem Koma unklarer Ätiologie
- Bei bekannter Epilepsie
- Anfallssuppressiva-Spiegel im Serum überprüfen, Abnahme möglichst vor Akuttherapie
- EEG
- Weitere Diagnostik (Labor, Kopfbildgebung, Liquordiagnostik) im Einzelfall
Therapie
Zum Notfallmanagement bei Status epilepticus siehe: Status epilepticus - AMBOSS-SOP
Allgemein
- Ziele
- Unterbrechung des Status epilepticus
- Therapie kausaler Ursachen (wenn möglich)
- Sofortmaßnahmen
- Schutz des Patienten vor Verletzungen (ggf. umlagern, polstern, Gefahrenquellen entfernen)
- Freihalten der Atemwege
- Monitoring der Vitalparameter (Pulsoxymetrie, Blutdruck, EKG)
- Legen mind. eines i.v. Zugangs in anfallssicherer Lage (bspw. in der Mitte des Unterarms, aber nicht in der Ellenbeuge!)
- Ggf. O2-Gabe, Atemwegssicherung und kontrollierte Beatmung
Anfallssuppressive Therapie
- Stufenschema zur Therapie des bilateral-tonisch-klonischen Status epilepticus (des Erwachsenen)
- Stufe 1 (schnellstmöglich): Benzodiazepin
- 1. Wahl: Lorazepam i.v.
- 2. Wahl: Clonazepam i.v., Midazolam i.v. oder Diazepam i.v.
- Stufe 2 (etablierter Status epilepticus): Aufsättigung mit Levetiracetam, Valproat, Fosphenytoin, Phenytoin, Phenobarbital oder Lacosamid
- Stufe 3 (refraktärer Status epilepticus): Eskalation auf Intensivstation mit Narkotika wie Propofol, Midazolam oder Thiopental, jeweils individuelle Therapieentscheidung
- Stufe 1 (schnellstmöglich): Benzodiazepin
- Für Details (insb. Dosierungen) siehe: Status epilepticus - Medikamentöse Stufentherapie
Der Status bilateral-tonisch-klonischer Anfälle ist ein lebensbedrohlicher Notfall! Zur Durchbrechung muss das o.g. Stufenschema schnell und in ausreichender Dosierung angewendet werden!
Komplikationen
- Entwicklung eines Hirnödems
- Kardiopulmonale Dysregulation
- Folgen exzessiver Muskelarbeit
- Elektrolytstörungen (Hyperkaliämie, Hyponatriämie)
- Metabolische Azidose (Lactatazidose) oder/und respiratorische Azidose (Ventilationsstörung)
- Hyperthermie
- (Wirbel‑)Frakturen
- Rhabdomyolyse, akute Nierenschädigung
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
Die Letalität beträgt etwa 10% [3][5] .
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.
Epilepsie
Epilepsie – Teil 1: Ätiologie, Pathophysiologie, Klinik, Diagnostik
Epilepsie – Teil 2: Therapie
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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023
- G41.-: Status epilepticus
- G41.0: Grand-Mal-Status
- Status mit tonisch-klonischen Anfällen
- Exklusive: Epilepsia partialis continua [Kojewnikow-Syndrom] (G40.5)
- G41.1: Petit-Mal-Status
- Absencenstatus
- G41.2: Status epilepticus mit komplexfokalen Anfällen
- G41.8: Sonstiger Status epilepticus
- G41.9: Status epilepticus, nicht näher bezeichnet
- G41.0: Grand-Mal-Status
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.