Abstract
Retinale Gefäßverschlüsse umfassen arterielle und venöse Verschlüsse von Netzhautgefäßen.
Arterielle Verschlüsse (Zentralarterienverschluss, Arterienastverschluss) äußern sich durch einen plötzlichen, schmerzlosen und massiven Visusverlust im betroffenen Areal. Funduskopisch zeigt sich eine abgeblasste, ödematöse Netzhaut typischerweise mit einem „kirschroten Fleck“ im Bereich der Fovea. Therapieversuche sind meist ohne Erfolg, da es sehr schnell zur irreversiblen Schädigung der Netzhaut kommt, sodass insbesondere bei Makulabeteiligung die Prognose für die Sehfähigkeit sehr schlecht ist.
Da die Retina strenggenommen ein Teil des Gehirns ist und ihre arterielle Gefäßversorgung über die hirnversorgende A. carotis interna erfolgt, ist ein arterieller retinaler Gefäßverschluss als Sonderform des ischämischen Schlaganfalls zu werten. Sowohl die Akuttherapie (systemische Lysetherapie) als auch die Sekundärprophylaxe (Therapie zugrunde liegender Risikofaktoren) entspricht daher derjenigen des ischämischen Schlaganfalls.
Venöse Verschlüsse (Zentralvenenverschluss, Venenastverschluss) sind deutlich häufiger als arterielle Verschlüsse und zeigen oft einen weniger fulminanten Verlauf. Diagnostisch wegweisend ist die Funduskopie, wo sich streifige Einblutungen in der Retina zeigen. Im Verlauf ist die Fluoreszenzangiografie ein wichtiges Diagnostikum zur Unterscheidung in die ischämische und die nicht-ischämische Form. Prognostisch kann es zu dauerhaftem Visusverlust und bei der ischämischen Form zu einem Neovaskularisationsglaukom kommen, es kann aber auch eine Besserung der Sehfähigkeit auftreten.
Definition
Durchblutungsstörung der Retina aufgrund eines Verschlusses der A. centralis retinae (Zentralarterienverschluss) bzw. eines Arterienastes (Arterienastverschluss) oder aufgrund eines Verschlusses der V. centralis retinae (Zentralvenenverschluss) bzw. eines Venenastes (Venenastverschluss)
Epidemiologie
- Retinale Venenverschlüsse: Zweithäufigste vaskuläre Erkrankungen der Netzhaut (nach der diabetischen Retinopathie)
- Retinale Arterienverschlüsse: Selten
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Arterienverschluss
- Häufig embolisch (A. carotis oder Vorhöfe des Herzens sind meist die Quelle)
- Selten entzündlich (Riesenzellarteriitis)
Venenverschluss
- Zirkulationsstörung des Bluts in der Zentralvene bzw. den Venenästen
- Durch internistische Grunderkrankungen
- Durch okuläre Grunderkrankungen
- Glaukom
- Retinale Vaskulitis
Symptome/Klinik
Arterienverschluss
- Zentralarterienverschluss: Plötzliche einseitige, schmerzlose Erblindung (bzw. massiver Visusverlust, Lichtscheinwahrnehmung)
- Zum Notfallmanagement nach ophthalmologischer Diagnose des Zentralarterienverschlusses siehe: Schlaganfall - AMBOSS-SOP
- Arterienastverschlüsse: Plötzlich auftretende Skotome oder Visusreduktion im betroffenen Areal
Venenverschluss
- Visusverschlechterung
- Meist subakuter Beginn und chronischer Verlauf
- Venenastverschlüsse können auch asymptomatisch verlaufen
Verlaufs- und Sonderformen
Amaurosis fugax (lat.: flüchtige Blindheit)
- Definition: Plötzlich einsetzender, Sekunden bis Minuten anhaltender, schmerzloser Funktionsverlust mit spontaner Normalisierung des Sehens, meist einseitig
- Ätiologie: Meist Netzhautischämie durch einen transienten Verschluss der A. centralis retinae durch Mikroembolie
- Kardiovaskulär (Arteriosklerose, Stenose und atheromatöse Plaques der A. carotis, kardiale Thromben)
- Vaskulitiden (z.B. Arteriitis temporalis, Panarteriitis nodosa etc.)
- Kollagenosen (insb. Lupus erythematodes)
- Diagnostik und Therapie
- Zum Notfallmanagement siehe: Schlaganfall und TIA - AMBOSS-SOP
- Umfelddiagnostik und Therapie der Grunderkrankung im Sinne der Sekundärprävention der TIA, inkl.
- Reduktion kardiovaskulärer Risikofaktoren, ggf. ASS
- Bei Arteriitis temporalis: Hochdosisglucocorticoidtherapie
- Komplikationen
- Zentralarterienverschluss
- TIA (transitorische ischämische Attacke)
- Schlaganfall
Die Amaurosis fugax ist die TIA des Auges! Sie muss als Warnsignal betrachtet und bzgl. ihrer Ursachen gründlich abgeklärt werden!
Diagnostik
Arterienverschluss
-
Ophthalmoskopie (beim Zentralarterienverschluss gesamte Netzhaut betroffen, beim Arterienastverschluss lokalisierte Veränderungen)
- Grau-weiße Verfärbung der Retina durch Ödem der Nervenfaserschicht
- Kirschroter Fleck in der Fovea centralis
- Enggestellte Gefäße
- Zusätzlich immer interdisziplinäre Abklärung ursächlicher Systemerkrankungen (insb. Doppler-Sonografie der Karotiden, Evaluation von kardiovaskulären Risikofaktoren)
Venenverschluss
-
Ophthalmoskopie
- Zentralvenenverschluss: Streifen- oder punktförmige Blutung in allen vier Netzhautquadranten
- Venenastverschluss: Streifen- oder punktförmige Blutung in den betroffenen Arealen
- Cotton-Wool-Herde
- Makulaödem
- Papillenödem
- Fluoreszenzangiografie (im Verlauf): Wichtig zur Unterscheidung von ischämischer und nicht-ischämischer Form
Therapie
Arterienverschluss
- Systemische Thrombolysetherapie nach Ausschluss von Kontraindikationen möglich
- Oft frustran bei rasch einsetzender dauerhafter ischämischer Schädigung der Retina
- Probatorische Bulbusmassage, augendrucksenkende Medikation oder Parazentese in Kombination mit Hämodilution und Calciumantagonisten → Peripherisierung des Thrombus und Verbesserung der Perfusion
- Zur Notfalltherapie des akuten Zentralarterienverschlusses siehe: Systemische Lysetherapie bei Schlaganfall - AMBOSS-SOP
Venenverschluss
- Im Akutstadium Hämodilution (Senkung des Hämatokrit auf ca. 35%)
- Laserbehandlung (panretinale Laserkoagulation) beim ischämischen Zentralvenenverschluss mit Neovaskularisationen, Rubeosis iridis und evtl. beim Makulaödem
- Intravitreale Medikamenten-Injektionen (VEGF-Inhibitoren, Steroide)
Komplikationen
Venenverschluss
Insbesondere bei der ischämischen Form kann es durch Netzhautischämie zur Ausschüttung von vasoproliferativen Substanzen (VEGF) kommen
- Rubeosis iridis mit Neovaskularisationsglaukom
- Gefäßneubildungen
- Netzhautablösung
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
Arterienverschluss
- Zentralarterienverschluss: Hochgradiger Visusverlust (Fingerzählen, Lichtscheinwahrnehmung)
- Arterienastverschluss: Visusverlust/Gesichtsfeldeinschränkung je nach Lokalisation der Ischämie
Venenverschluss
- Visusprognose ist mäßig bis schlecht: Variation zwischen sehr guten Ergebnissen bis hin zur schmerzhaften Erblindung möglich (Drittel-Regel zur Prognose: Verbesserung des Visus vs. Visus bleibt konstant vs. Visusverschlechterung)
- Insbesondere bei ischämischer Form schlechtere Prognose
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2022
- H34.-: Netzhautgefäßverschluss
- Exklusive: Amaurosis fugax (G45.3‑)
- H34.0: Transitorischer arterieller retinaler Gefäßverschluss
- H34.1: Verschluss der A. centralis retinae
- H34.2: Sonstiger Verschluss retinaler Arterien
- Arterieller retinaler Gefäßverschluss:
- Arterienast
- partiell
- Hollenhorst-Plaques
- Retinale Mikroembolie
- Arterieller retinaler Gefäßverschluss:
- H34.8: Sonstiger Netzhautgefäßverschluss
- Venöser retinaler Gefäßverschluss:
- Anfangsstadium
- partiell
- Venenast
- zentral
- Venöser retinaler Gefäßverschluss:
- H34.9: Netzhautgefäßverschluss, nicht näher bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2022, DIMDI.