Zusammenfassung
Die reaktive Arthritis ist eine entzündliche Zweiterkrankung der Gelenke wenige Tage bis mehrere Wochen nach bakterieller Erkrankung des Magendarmtraktes oder der Harnröhre. Die Erreger sind in der Gelenkflüssigkeit jedoch nicht zu finden. Meist sind nur wenige Gelenke der unteren Extremität betroffen. Kommen eine Entzündung der Augenbindehaut und der Harnröhre hinzu, wird auch vom urethro‐okulo‐synovialen Syndrom gesprochen (früher: „Reiter-Syndrom“). In den meisten Fällen heilt die Erkrankung spontan aus.
Epidemiologie
- Genetische Prädisposition mit Assoziation zu HLA-B27 (→ Seronegative Spondylarthritis)
- Das urethro‐okulo‐synoviale Syndrom betrifft vor allem junge Männer
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Nach Urethritis: Nach Gonorrhö (durch Gonokokken) und nicht-gonorrhoischer Urethritis (z.B. Chlamydia trachomatis, Ureaplasma urealyticum)
- Nach Enteritis: Nach Infektion durch Shigellen, Yersinien, Salmonellen, Campylobacter
Symptomatik
- Latenz: Symptome wenige Tage bis sechs Wochen nach Urethritis oder Enteritis
- Leitsymptome
- Arthritis: Oft asymmetrische, evtl. wandernde Oligoarthritis der unteren Extremität (Kniegelenk häufig betroffen)
- Sterile Urethritis
- Konjunktivitis/Iritis (Uveitis anterior)
- Psoriasiforme Dermatitis: Psoriasisähnliche Veränderung der Eichel (Balanitis circinata), übermäßige Verhornung der Fußsohlen und der Handinnenflächen (Keratoderma blennorrhagicum)
- Mögliche Begleitsymptome
- Fieber
- Sakroiliitis (siehe: Seronegative Spondylarthritis)
- Schmerzhafte Enthesiopathien (z.B. Achillodynie, siehe auch: Seronegative Spondylarthritis)
Can't see, can't pee, can't climb a tree.
Diagnostik
- Labor
- BSG und CRP↑
- Assoziation zu HLA-B27 [1]
- Stuhlkultur, Urinkultur, Urethralabstrich zur Erregerdiagnostik
- Bei Arthritis und intraartikulärem Erguss: Ggf. Gelenkpunktion erwägen (siehe auch: Synovialanalyse)
Therapie
- Infektsanierung (wenn nötig)
- Symptomatisch
- Physikalisch: Kryotherapie
- Nicht-steroidale Antirheumatika
- Basistherapie
- Bei hoch akutem Verlauf oder Iridozyklitis: Glucocorticoide
- Bei chronischem Verlauf: Sulfasalazin
Prognose
- In etwa 80% der Fälle selbstlimitierender Verlauf innerhalb eines Jahres
- Übergang in eine chronische rheumatische Erkrankung ist möglich
- Erhöhtes Risiko für einen längeren oder chronischen Verlauf bei HLA-B27-positiven Patienten [1]
Geschichte der Namensgebung
Der Namensgeber des früher verwendeten Begriffs „Reiter-Syndrom“, der deutsche Bakteriologe und Hygieniker Hans Reiter (1881–1969), war während der Zeit des Nationalsozialismus u.a. Präsident des Reichsgesundheitsamts (1933–1945) und Mitglied des Sachverständigenbeirats für Bevölkerungs- und Rassenpolitik im Reichsinnenministerium. Er war bspw. an der Planung von Typhusexperimenten an Häftlingen des Konzentrationslagers Buchenwald beteiligt [2][3]. Die Bezeichnungen „Morbus Reiter“ bzw. „Reiter-Syndrom“ werden deshalb in AMBOSS nicht mehr verwendet.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- M02.-: Reaktive Arthritiden
- Exklusive: Behçet-Krankheit (M35.2), Rheumatisches Fieber (I00)
- M02.0-: Arthritis nach intestinalem Bypass [0–9]
- M02.1-: Postenteritische Arthritis [0–9]
- M02.2-: Arthritis nach Impfung [0–9]
- M02.3-: Reiter-Krankheit [0–9]
- M02.8-: Sonstige reaktive Arthritiden [0–9]
- M02.9-: Reaktive Arthritis, nicht näher bezeichnet [0–9]
- M03.-*: Postinfektiöse und reaktive Arthritiden bei anderenorts klassifizierten Krankheiten
- Exklusive: Direkte Gelenkinfektion bei anderenorts klassifizierten infektiösen und parasitären Krankheiten (M01.-*)
- M03.0-*: Arthritis nach Meningokokkeninfektion (A39.8†) [0–9]
- Exklusive: Arthritis durch Meningokokken (M01.0-*)
- M03.1-*: Postinfektiöse Arthritis bei Syphilis [0–9]
- Clutton-Syndrom (A50.5†)
- Exklusive: Charcot-Arthropathie oder tabische Arthropathie (M14.6-*)
- M03.2-*: Sonstige postinfektiöse Arthritiden bei anderenorts klassifizierten Krankheiten [0–9]
- Postinfektiöse Arthritis bei: Enteritis durch Yersinia enterocolitica (A04.6†), Virushepatitis (B15–B19†)
- Exklusive: Virale Arthritiden (M01.4-*, M01.5-*)
- M03.6-*: Reaktive Arthritis bei sonstigen anderenorts klassifizierten Krankheiten [0–9]
- Arthritis bei infektiöser Endokarditis (I33.0†)
Lokalisation der Muskel-Skelett-Beteiligung
- 0 Mehrere Lokalisationen
- 1 Schulterregion
- 2 Oberarm
- 3 Unterarm
- 4 Hand
- 5 Beckenregion und Oberschenkel
- 6 Unterschenkel
- 7 Knöchel und Fuß
- 8 Sonstige
- 9 Nicht näher bezeichnete Lokalisation
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.