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Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen

Letzte Aktualisierung: 26.9.2024

Zusammenfassungtoggle arrow icon

Bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) handelt es sich um eine Gruppe seltener chronisch-entzündlicher Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Im Gegensatz zur Neuromyelitis optica (NMO, Dévic-Syndrom), die als Entität schon lange beschrieben war und als charakteristische Merkmale die namensgebenden akuten Optikusneuritiden und transversen Myelitiden aufweist, umfasst der Formenkreis der NMOSD auch andere klinische Manifestationen wie Hirnstammsymptome. Entsprechend ist die NMO in den NMOSD aufgegangen und wird nicht mehr als eigenständige Entität gesehen.

Der Verlauf der NMOSD ist i.d.R. schubförmig. Antikörper gegen das Wasser-Kanalprotein Aquaporin 4 (Anti-AQP4-AK) können in 70% der Fälle im Serum nachgewiesen werden. Im MRT zeigen sich häufig langstreckige entzündliche Veränderungen des N. opticus und des Rückenmarks sowie Veränderungen in betroffenen Hirnarealen. Um eine residuelle Behinderung möglichst abzuwenden, müssen die Schübe mit hochdosierten Glucocorticoiden oder Apheresetherapie behandelt werden. Eine immunsuppressive Langzeittherapie sollte schnellstmöglich nach Diagnosesicherung begonnen werden, wobei für die Anti-AQP4-AK-positive NMOSD primär Eculizumab, Inebilizumab, Ravulizumab, Rituximab (Off-Label Use) und Satralizumab geeignet sind. Die wichtigste Differenzialdiagnose der NMOSD ist die Multiple Sklerose.

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Entstehung und Definition des Krankheitsspektrumstoggle arrow icon

  1. Beschreibung der Neuromyelitis optica (NMO, Dévic-Syndrom) (spätes 19. Jahrhundert) als chronisch-entzündliche ZNS-Erkrankung mit
  2. Entdeckung von Anti-Aquaporin-4-Antikörpern als pathophysiologischer Mechanismus hinter der NMO (Beginn des 21. Jahrhunderts) [1]
  3. Zusammenfassung der NMO und weiterer durch Anti-AQP4-AK verursachter chronisch-entzündlicher Krankheitsbilder: Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD)
  4. Festlegung von Diagnosekriterien für NMOSD
    • Anhand des Antikörperbefundes und
    • Auswahl klinischer Kardinalsymptome bei NMOSD
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Epidemiologietoggle arrow icon

Bei den NMOSD handelt es sich insgesamt um seltene Erkrankungen.

  • Inzidenz: 0,053 bis 0,4 Fälle/100.000 Einwohner:innen pro Jahr [2]
  • Prävalenz: 0,3 bis 4,4 Fälle/100.000 Einwohner:innen [2]
  • Manifestationsalter: Altersgipfel im 4. Lebensjahrzehnt
    • 4% im Kindesalter
  • Geschlecht: >> (9:1)
  • Auftreten: I.d.R. sporadisch, selten (3%) familiär gehäuft [3]
  • Assoziation mit Autoimmunerkrankungen: ⅓ der Erkrankten, darunter [4]

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

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Pathophysiologietoggle arrow icon

Wesentliches Merkmal ist eine Anti-Aquaporin-4-Antikörper-vermittelte Zerstörung von Astrozyten (Astrozytopathie). Somit liegt eine primär demyelinisierende ZNS-Erkrankung vor.

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Ätiologietoggle arrow icon

  • Unbekannt
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Klassifikationtoggle arrow icon

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Symptomatiktoggle arrow icon

Verlauf

Symptome nach Manifestationsort

Entsprechend der Pathophysiologie der NMOSD ergeben sich die Symptome infolge einer demyelinisierenden Entzündung an ZNS-Lokalisationen, an denen Aquaporin 4 exprimiert wird.

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Diagnostiktoggle arrow icon

Diagnostische Prinzipien

  1. Anamnese und Untersuchungsbefund → Verdacht auf chronisch-entzündliche ZNS-Erkrankung
  2. Ausschluss von Differenzialdiagnosen mittels Bildgebung, Liquor- sowie weiterer Labordiagnostik, siehe insb.
  3. Anwendung der Diagnosekriterien der NMOSD

Bildgebung

  • Indikation
    • Jede Erstmanifestation mit V.a. NMOSD (sowohl kraniales als auch spinales MRT)
    • Verlaufsuntersuchungen insb. bei atypischer Klinik
  • Sequenzen
    • T1 (mit und ohne Gadolinium-Applikation), T2 nativ, jeweils axial und sagittal
    • Ggf. Dünnschichtaufnahmen bei Beteiligung des N. opticus oder Hirnstamms
  • Befunde

Liquordiagnostik

Antikörper-Diagnostik im Serum

  • Anti-AQP4-Antikörper: Antikörper gegen Aquaporin 4 (AQP4)
    • Indikation: Verdacht auf NMOSD
    • Befund
      • Positiv in 70% der Fälle [3]
      • Häufig: Serokonversion im Verlauf
      • Möglich: Seronegativität nach Therapie oder geringer Krankheitsaktivität
  • Hinweise
    • Antikörper-Diagnostik jeweils mittels zellbasiertem Testverfahren (Goldstandard)
    • Bei negativer Testung und fortbestehendem NMOSD-Verdacht: Wiederholung im Verlauf

Weitere Diagnostik [7]

Diagnosekriterien der NMOSD [8]

Diagnosekriterien der NMOSD mit Anti-AQP4-Antikörpern

Sämtliche Kriterien sind obligat

  1. Mind. ein Kardinalsymptom (siehe: Kardinalsymptome bei NMO-Spektrum-Erkrankungen) im Rahmen eines akuten Schubs
  2. Nachweis von Anti-AQP4-Antikörpern
  3. Ausschluss von Differenzialdiagnosen

Diagnosekriterien der NMOSD ohne Anti-AQP4-Antikörper (bzw. unbekanntem Anti-AQP4-Antikörper-Status)

Sämtliche Kriterien sind obligat

  1. Fehlen von Anti-AQP4-Antikörpern oder unbekannter Status
  2. Ausschluss von Differenzialdiagnosen
  3. Mind. zwei betroffene Regionen (siehe: Kardinalsymptome bei NMO-Spektrum-Erkrankungen) im Rahmen eines oder mehrerer akuter Schübe, die alle folgenden Subkriterien erfüllen
    1. Mind. ein Kardinalsymptom ist
    2. Nachweis örtlicher Dissemination (≥2 Kardinalsymptome)
    3. MRT-Kriterien des jeweils vorliegenden Kardinalsymptoms erfüllt

Kardinalsymptome bei NMO-Spektrum-Erkrankungen

Für die Anwendung in den Diagnosekriterien der NMOSD mit Anti-AQP4-Antikörpern bzw. Diagnosekriterien der NMOSD ohne Anti-AQP4-Antikörper werden sechs Kardinalsymptome (entsprechend den sechs möglicherweise beteiligten ZNS-Arealen) definiert:

  1. Optikusneuritis
  2. Akute Myelitis
  3. Area-postrema-Syndrom (episodenhafter Schluckauf oder Übelkeit und Erbrechen)
  4. Akutes Hirnstammsyndrom
  5. Symptomatische Narkolepsie oder akutes Zwischenhirnsyndrom (mit diencephalen NMOSD-typischen MRT-Läsionen)
  6. Symptomatisches zerebrales Syndrom (mit zerebralen NMOSD-typischen MRT-Läsionen)
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Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Die wichtigste Differenzialdiagnose der NMOSD ist die Multiple Sklerose.

Multiple Sklerose

  • Wesentlich häufiger als die NMOSD
  • Die sorgfältige differenzialdiagnostische Abgrenzung ist nicht zuletzt im Hinblick auf unterschiedliche Therapieansätze im Intervall wichtig!
  • Veraltet: Die Neuromyelitis optica wurde lange als Subtyp der Multiplen Sklerose klassifiziert, kann aber spätestens seit 2004 (Entdeckung der Anti-Aquaporin-4-Antikörper) als eigenständige Entität abgegrenzt werden.

Gegenüberstellung von NMOSD und Multipler Sklerose

Gegenüberstellung von NMOSD und Multipler Sklerose
NMOSD Multiple Sklerose
Verlauf
  • I.d.R. Schubförmig
  • Selten monophasisch
  • Keine chronisch-progredienten Verläufe
  • Schubförmig
  • Chronisch-progredient (insb. sekundär)
Optikusneuritis Seite
  • Ein- oder beidseitig
  • I.d.R. einseitig
Ausprägung
  • Hochgradiger Visusverlust
  • Häufig ausgeprägtes residuelles Defizit
  • Erblindung möglich
  • Meist gering- oder mäßiggradiger Visusverlust
  • I.d.R. gute Rückbildung
  • Erblindung sehr selten
MRT
  • Häufig langstreckige Veränderung
  • Häufig Einbeziehung des Chiasma opticum
VEP
  • Latenzverlängerung und ggf. Amplitudenreduktion
  • Latenzverlängerung
Myelitis Ausprägung
MRT
  • Häufig ausgedehnte longitudinale Myelonläsionen (≥3 Wirbelkörpersegmente)
  • Teils ödematös aufgetrieben
  • Myelonläsionen i.d.R. kurzstreckig und umschrieben
cMRT Zerebrale Läsionen
  • Häufig keine oder wenige
  • Meist vorhanden
Läsionsorte
  • In eher MS-untypischer Lokalisation und Konfiguration, etwa
    • Periependymal im Hirnstamm
    • Langstreckige, diffuse Balkenläsionen
    • Subkortikal oder im tiefen Marklager (häufig als ausgedehnte, konfluierende Läsionen, sowohl uni- als auch bilateral)
Liquor Oligoklonale Banden
  • Positiv in 10–20% der Fälle, häufig passagerer Befund
  • Positiv in 95–97% der Fälle, persistierend
MRZ-Reaktion
  • I.d.R. negativ
  • Sehr häufig positiv
Zytologie
  • Normale Zellzahl oder leichte lymphomonozytäre Pleozytose
Anti-AQP4-Antikörper im Serum
  • Positiv in 70% der Fälle
  • Negativ

Weitere Differenzialdiagnosen

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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Therapietoggle arrow icon

Die Behandlung der NMOSD umfasst zwei Therapiesäulen:

  1. Schubtherapie: Hochdosierte Glucocorticoide, ggf. Apheresetherapie
  2. Langzeittherapie: Immunmodulatorische Therapie, bspw. mit Rituximab (Off-Label Use) , Eculizumab, Inebilizumab, Ravulizumab oder Satralizumab

Schubtherapie [9]

  • Beginn: Frühstmöglich

Glucocorticoid-Hochdosistherapie

Apheresetherapie

  • Ziel: Entfernung von Antikörpern aus der Zirkulation
  • Indikation
    • Primäre Therapie
    • Eskalationstherapie (schnellstmöglich) bei unzureichender Remission unter Glucocorticoidtherapie
  • Verfahren
  • Hinweise
    • Beide Verfahren vergleichbar wirksam
    • Wirksamkeit unabhängig vom Antikörper-Status
    • Ggf. Wiederholung bei unzureichender Remission

Langzeittherapie [7][9]

  • Beginn: Schnellstmöglich nach Diagnosesicherung
  • Dauer: Möglichst dauerhaft
  • Hinweise
    • Vor immunsuppressiver Therapie
    • Beginn oder Wechsel einer Immuntherapie: Zusätzlich überlappende Gabe oraler Steroide über 3–6 Monate
    • Bei nicht-tolerierbaren Unverträglichkeiten oder UAW: Wechsel auf andere Therapie (nach Abklingen der UAW)
    • Bei Schüben unter laufender Behandlung [9]
      • Umstellung auf (anderes) Medikament der 1. Wahl
      • Bei Anti-AQP4-AK-negativer NMOSD unter Behandlung mit Rituximab
        • Umstellung auf Tocilizumab oder
        • Kombination mit klassischem Immunsuppressivum
    • Beachte notwendige Vor-, Begleit- und ggf. Nachuntersuchungen (sowie Besonderheiten bei der Umstellung von anderen Therapien) [7]
    • Viele der Wirkstoffe als Off-Label Use
      • Beachtung der entsprechenden Aufklärungs- und Dokumentationspflichten
      • Nicht umstellen, wenn Verlauf stabil und Verträglichkeit gut
NMOSD - initiale Therapieauswahl [9]
Anti-AQP4-AK positiv Anti-AQP4-AK negativ
1. Wahl
2. Wahl (alle Off-Label Use)

Die bei Multipler Sklerose angewandten verlaufsmodifizierenden Therapien sind bei NMOSD nicht wirksam oder können die Erkrankung verschlechtern (gilt bspw. für Interferon-β, Natalizumab, Alemtuzumab und Fingolimod)!

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Prognosetoggle arrow icon

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.

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