Zusammenfassung
Das Meckel-Divertikel ist eine Aussackung im Bereich des Dünndarms und entsteht durch eine unvollständige Rückbildung des embryonalen Ductus omphaloentericus. Es gilt als häufigste Anomalie des Gastrointestinaltrakts und im Falle einer Entzündung (Meckel-Divertikulitis) als wichtige Differenzialdiagnose der akuten Appendizitis. Histopathologisch enthält es teilweise ektope Schleimhaut (meist Magenschleimhaut). Symptome entstehen insb. infolge der Säuresekretion dieser ektopen Magenschleimhaut (bspw. Ulzera, GI-Blutung), aber auch durch Komplikationen mit mechanischem Hindernis (bspw. Volvulus, Darminvagination). Fistelbildung und maligne Entartung sind sehr selten.
Meist bleibt das Meckel-Divertikel klinisch asymptomatisch und wird lediglich als Zufallsbefund bei operativen Eingriffen entdeckt. Als spezifische Diagnostik wird häufig die Na-99mTc-Pertechnetat-Szintigrafie eingesetzt, die die ektope Magenschleimhaut darstellen kann. Auch Ultraschall, radiologische und endoskopische Diagnostik sind möglich, in ihren Aussagen jedoch eingeschränkt. Zudem kann eine explorative Laparoskopie durchgeführt werden. Neben einer Hemmung der Säuresekretion besteht die Therapie des symptomatischen Meckel-Divertikels hauptsächlich in der operativen Entfernung. Asymptomatische Zufallsbefunde sollten nur bei Kleinkindern, großen Divertikeln oder V.a. maligne Entartung entfernt werden.
Definition
- Definition: Überrest des embryonalen Ductus omphaloentericus (Dottergang) [1]
- Echtes Divertikel: Fingerförmige Ausstülpung aller Wandschichten
- Lokalisation: Meist terminales Ileum
- Ca. 100 cm oral bzw. proximal der Ileozökalklappe [2][3][4]
- Immer gegenüber dem Mesenterium liegend (antimesenterial) [1][5]
- Länge: 0,4–11 cm [2]
Embryologie
- Bildung des Ductus omphaloentericus
- Nabelschleife bildet sich aus dem Mitteldarm
- Ductus omphaloentericus bildet sich am Scheitelpunkt der Nabelschleife
- Rückbildung des Ductus omphaloentericus
- Komplette Rückbildung: Physiologischerweise in der 6. Schwangerschaftswoche
- Unvollständige Rückbildung: Meckel-Divertikel
- Ausbleibende Rückbildung: Persistierender Ductus omphaloentericus
Beim Meckel-Divertikel handelt es sich um ein kongenitales echtes Divertikel als Überrest des embryonalen Ductus omphaloentericus! [5]
Pathologie
- Wandaufbau: Wie Dünndarmmukosa
- Histopathologie: Teilweise ektopes Gewebe vorhanden [2][5]
- Typischerweise Magenschleimhaut (30–50% der Fälle)
- Selten auch Pankreasgewebe, Duodenal- oder Kolonschleimhaut nachweisbar
Das Vorhandensein ektopen Gewebes begünstigt Komplikationen!
Epidemiologie
- Prävalenz: 1,5–3% [2][5]
- Lebenszeitrisiko für Komplikationen: 5% [2]
- Geschlechterverhältnis: ♂ > ♀ (ca. 2,5:1) [2]
- Altersgipfel: Keiner, da kongenital [6]
- 50–60% werden innerhalb der ersten 2 Lebensjahre symptomatisch [7]
- 15% werden erst nach dem 4. Lebensjahr symptomatisch [7]
Anhand der 2er-Regel lassen sich die ungefähren Werte merken: Bei etwa 2% der Bevölkerung (meist vor dem 2. Lebensjahr und 2-mal häufiger bei männlichem Geschlecht) kommt ein Meckel-Divertikel mit etwa 2 Inches (ca. 5 cm) Länge und 2 cm Durchmesser vor, das ca. 2 feet (ca. 60 cm) vor der Ileozökalklappe liegt. Es kann 2 Typen ektoper Schleimhaut enthalten! [2]
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Symptomatik
Das Meckel-Divertikel ist meist asymptomatisch! Symptome entstehen durch Komplikationen und entsprechen dann deren jeweiliger Klinik: [5]
- Schmerzlose blutige Stühle oder Teerstuhl durch Magensäureproduktion
- Bei Entzündung (Meckel-Divertikulitis): Symptome wie bei Appendizitis
- Siehe auch: Meckel-Divertikel - Komplikationen
Es gibt kein typisches Symptom eines Meckel-Divertikels! [2]
Symptome eines persistierenden Ductus omphaloentericus [7]
- Einstülpung des Bauchnabels mit sichtbarer Schleimhaut
- Flüssigkeits- und Stuhlentleerung aus dem Bauchnabel
Diagnostik
Allgemeine Diagnostik [2]
- Anamnese
- Insb. Hinweise auf Komplikationen
- Siehe: Meckel-Divertikel - Komplikationen
- Körperliche Untersuchung und Laboruntersuchungen, siehe:
Spezifische Diagnostik [2][5][7][8]
Da Meckel-Divertikel meist als Zufallsbefund im Rahmen anderweitiger operativer Eingriffe entdeckt oder über Komplikationen symptomatisch werden, erfolgt eine präoperative Diagnostik nur selten. [5]
- Sonografie: Blind endendes Segment des Dünndarms [2]
- Radiologische Diagnostik
- Fraktionierte Magen-Darm-Passage [7]
- Dünnschicht-CT [2]
- MRT des Dünndarms nach Sellink [7]
- Angiografie: Darstellung der Arterie, die das Meckel-Divertikel versorgt [2]
- Nuklearmedizinische Diagnostik
- Na-99mTc-Pertechnetat-Szintigrafie [2][5] (siehe auch: Tc-99m)
- Intravenöse Gabe von Tc-99m-Pertechnetat (1,1–3,7 MBq/kgKG) [8]
- Serielle Aufnahmen mit der Gammakamera (über 30–60 min) [8]
- Szintigrafie mit markierten Erythrozyten [7]
- Na-99mTc-Pertechnetat-Szintigrafie [2][5] (siehe auch: Tc-99m)
- Endoskopische Diagnostik
- Explorative Laparoskopie [7]
Therapie
Konservative Therapie
- Asymptomatische Meckel-Divertikel bedürfen keiner Therapie
- Für die spezifische Therapie möglicher Komplikationen siehe: Meckel-Divertikel - Komplikationen
Operative Resektion eines Meckel-Divertikels [2][5][7][8][9][10]
- Zugang: Laparoskopisch oder mediane Laparotomie
- Indikation
- Symptome bzw. Komplikationen
-
Asymptomatische Meckel-Divertikel
- Inzidentell intraoperativ gefunden beim Kleinkind
- Größe >2 cm
- Maligne Entartung
- Durchführung
- Aufsuchen des terminalen Ileums
- Durchmusterung des ganzen Dünndarms von aboral nach oral
- Freilegung des Divertikels
- Ligatur der Gefäßversorgung
- Resektion/Abtragung des Divertikels bzw. des divertikeltragenden Darmabschnitts
- Tangentiale Abtragung mit linearem Klammernahtgerät
- Keilresektion
- Ileumsegmentresektion mit End-zu-End-Anastomose (siehe: Dünndarmsegmentresektion)
- Ggf. Serosanaht mit Einzelknopfnähten über die Klammernahtreihe
- Prüfung des resultierenden Darmlumens
- Postoperative Therapie
- Je nach stattgehabter (primärer) Operation (siehe: Postoperatives Management nach Darmchirurgie)
- Magensonde
- Kostaufbau
- OP-Tag: Schluckweise trinken
- Ab dem 1. postoperativen Tag: Leichte Kost
Operative Resektion eines persistierenden Ductus omphaloentericus
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnosen des nicht-blutenden Meckel-Divertikels [2][11]
- Akute Appendizitis
- Divertikulose des Dünndarms
- Darminvagination
- Ileus
- Volvulus
- Innere Hernie
- Siehe auch: Differenzialdiagnosen des akuten Abdomens
Differenzialdiagnosen des blutenden Meckel-Divertikels [2]
- Divertikulose des Dickdarms
- Pathologien des Analkanals
- Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
- Benigne und maligne Tumoren des Darms, bspw. Kolonpolypen
- Gastroduodenale Ulkuskrankheit
- Invagination
- Endometriose
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Komplikationen
Die Komplikationen eines Meckel-Divertikels sind stark altersabhängig: Während Kinder <4 Jahren v.a. durch eine mechanische Obstruktion der Darmpassage auffallen, sind bei Erwachsenen Blutungen die häufigste Manifestation. Auch Entzündungen und Littré-Hernien treten v.a. bei Erwachsenen auf, die maligne Entartung insb. im höheren Alter. Da die Komplikationsrate mit zunehmendem Alter sinkt, übersteigt das Risiko für postoperative Komplikationen bei Entfernung irgendwann das Risiko für spontane Komplikationen bei Belassen eines Meckel-Divertikels.
Komplikationen durch ektope Säuresekretion
Blutung [2][7]
- Häufigkeit: 40–60% (häufigste Komplikation)
- Symptome
- Leitsymptom: Blutiger Stuhl bzw. Teerstuhl
- Bei akuter Blutung : Ggf. Kreislaufinsuffizienz bzw. hypovolämischer Schock
- Bei chronischer Blutung: Ggf. normozytäre, normochrome Anämie [7]
- Therapie siehe: Gastrointestinale Blutung
Eine gastrointestinale Blutung ist die häufigste Komplikation des Meckel-Divertikels!
Ulzera [2][3][5]
- Symptome
- Teils asymptomatisch
- Epigastrische Schmerzen, insb. nachts bzw. bei Nüchternheit (Besserung durch Antazida oder Nahrungsaufnahme)
- Evtl. Blutungszeichen (Anämie, Hämatemesis, Meläna)
- Therapie
Meckel-Divertikulitis [1][2][5]
- Häufigkeit: 10–20%
- Symptome: Wie bei Appendizitis
- Zunächst diffuse Bauchschmerzen (viszeraler Schmerz), anschließend Schmerzwanderung (somatischer Schmerz)
- Vegetative Symptomatik: Übelkeit, Erbrechen, Inappetenz, Wind- und Stuhlverhalt
- Fieber
- Komplikation: Freie Perforation bei 0,5% [1]
- Therapie
Komplikationen durch mechanisches Hindernis
Invagination [5][12]
- Häufigkeit: 5–6% der Fälle von Invagination bei Kindern durch Meckel-Divertikel bedingt
- Symptome
- Leitsymptom: Akut einsetzende kolikartige Schmerzen (plötzliches Schreien), oft mit Anziehen der Beine
- Erbrechen (im Verlauf gallig)
- Druckschmerzhaftes Abdomen
- Oft „freie Intervalle“ ohne Schmerzen
- Starke Beeinträchtigung, Blässe bis hin zur Schocksymptomatik
- Spätsymptom: „Himbeergeleeartiger“, blutiger Stuhl bzw. rektale Blutentleerung bei digitaler Untersuchung
- Therapie siehe: Darminvagination
Dünndarm-Volvulus [2][4]
- Häufigkeit: 5,5%
- Definition: Achsendrehung des Darms um das Meckel-Divertikel oder das Filum terminale
- Symptome
- Akut einsetzende Schmerzen (periumbilikal)
- Übelkeit und Erbrechen (im Verlauf gallig)
- Geblähtes Abdomen ohne Meteorismus
- Spätsymptome: Peritonitis, Schock
- Therapie: Notfallmäßige OP mit Detorquierung der verdrehten Darmschlingen und Dünndarmsegmentresektion (mit Entfernung des Meckel-Divertikels)
Ileus bzw. mechanische Obstruktion [2]
- Häufigkeit: Häufigste Komplikation bei Kindern <4 Jahren
- Symptome
- Starke kolikartige Schmerzen, i.d.R. mit akutem Beginn
- Übelkeit, „schwallartiges“ Erbrechen
- Inkomplette Symptomatik bei Subileus
- Spätsymptome: Meteorismus, Stuhl- und Windverhalt, Schock
- Körperliche Untersuchung: Ggf. Peritonismus/Abwehrspannung, hochgestellte Darmgeräusche, ggf. palpable Resistenz
- Therapie siehe: Ileus
Littré-Hernie [2]
- Definition: Inkarzeration eines Meckel-Divertikels in einer Hernie
- Symptome: Siehe Ileus - Symptome/Klinik
- Therapie: Siehe: Leistenhernie - Therapie
Komplikationen anderer Ursache
Maligne Entartung [1][2][10]
- Häufigkeit: Selten
- Mögliche Malignome
- Neuroendokrine Tumoren (NET)
- Häufig asymptomatisch
- Symptome durch lokales Wachstum oder Metastasierung
- Ggf. Karzinoid-Syndrom
- GIST
- Weitere Dünndarmtumoren wie Leiomyome, Angiome und Neurofibrome
- Inselzellhyperplasie
- Neuroendokrine Tumoren (NET)
Intraoperative Komplikationen
- Darmverletzung
- Intraoperative Blutung
- Verletzung umliegender Organe (bspw. Ureter)
- Nervenverletzungen
- Notwendigkeit einer Stoma-Anlage (Ileostomie)
- Bei minimalinvasivem Operationsverfahren: Notwendigkeit der Konversion auf ein offenes Verfahren
- Siehe auch: Intraoperative Komplikationen bei darmchirurgischen Eingriffen
Postoperative Komplikationen
- Frühe Komplikationen
- Nahtinsuffizienz
- Perioperative Infektion, bspw. nosokomiale Wundinfektion, sekundäre Peritonitis, Abszess oder Sepsis
- Späte Komplikationen
- Gallensäureverlustsyndrom
- Motilitätsstörungen des Darms
- Kurzdarmsyndrom
- Narbenhernie
- Adhäsionen
- Siehe auch: Postoperative Komplikationen bei darmchirurgischen Eingriffen
Bei Erwachsenen ist das Risiko für postoperative Komplikationen höher als das Risiko für spontan auftretende Komplikationen, weshalb man hier als Therapieoption nur in begründeten Fällen die operative Resektion wählt!
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- Q43.-: Sonstige angeborene Fehlbildungen des Darmes
- Q43.0 Meckel-Divertikel
- Inkl.: Persistenz: Dottergang, Persistenz: Ductus omphaloentericus
- Q43.0 Meckel-Divertikel
- C17.-: Bösartige Neubildung des Dünndarmes
- C17.3: Meckel-Divertikel
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.