Zusammenfassung
Die Luxation des Akromioklavikulargelenks (ACG-Luxation) ist eine der häufigsten Verletzungen des Schultergürtels und meist Folge eines Sturzes direkt auf die Schulter oder auf den ausgestreckten Arm. Die Einteilung erfolgt nach Rockwood und richtet sich u.a. nach der Luxationsrichtung der Clavicula. Am häufigsten tritt eine Rockwood-III-Verletzung auf, bei der die Clavicula nach kranial disloziert. Diagnostisch sind meist konventionelle Röntgenaufnahmen ausreichend, eine MRT kann jedoch insb. bei V.a. intraartikuläre Begleitverletzungen zusätzliche Informationen liefern. Die konservative Therapie besteht in der kurzfristigen Ruhigstellung (bspw. in einer Armschlinge oder einem Gilchrist-Verband), operativ gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher offener und arthroskopischer Methoden. In den letzten Jahren gewann das arthroskopische Vorgehen zunehmend an Bedeutung, jedoch gibt es momentan noch keine endgültige Empfehlung für ein Verfahren.
Epidemiologie
- 18–20/100.000 Personen/Jahr in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung
- Altersgipfel: 20–39 Jahre
- ♂ > ♀
- 9–12% aller Verletzung des Schultergürtels
- Häufigste Verletzung: Rockwood III
Zu den Risikofaktoren zählen ein männliches Geschlecht sowie ein junges Alter!
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Meist direkte Krafteinwirkung durch Sturz auf die Schulter
- Seltener indirekte Krafteinwirkung durch Sturz auf den ad- oder abduzierten Arm [1][2][3]
Klassifikation
Rockwood-Klassifikation [3][4][5]
Rockwood-Klassifikation der ACG-Luxation [3][4][5] | |||||
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Typ | Lig. acromioclaviculare | AC-Gelenkkapsel | Lig. coracoclaviculare | Deltotrapezoidale Faszie | Dislokation des AC-Gelenks (Röntgen) |
I |
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| — |
II |
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III |
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IV |
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V |
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VI |
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Veraltet: Tossy-Klassifikation
Pathophysiologie
- Biomechanischer und anatomischer Hintergrund
- Überdehnung oder Ruptur des Lig. acromioclaviculare → Horizontale Instabilität
- Überdehnung oder Ruptur des Lig. coracoclaviculare → Vertikale Instabilität
- Zu weiteren anatomischen Grundlagen siehe auch: Akromioklavikulargelenk
- Häufige Begleitverletzungen [6][7]: Verletzungen des Schultergelenks (v.a. glenohumerale Verletzungen wie bspw. SLAP-Läsion)
Symptomatik
- Schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit im Schultergelenk
- Hämatom, Schwellung
- Schonhaltung in Adduktion
Vorgehen in der Notaufnahme
- Anamnese und körperliche Untersuchung
- I.d.R. Selbstvorstellung
-
Anamnese mit Fokus auf Unfallhergang
- Bei vermutetem Arbeitsunfall: Meldung an die gesetzliche Unfallversicherung bzw. Vorstellung bei einem Durchgangsarzt (zur BG-lichen Aufnahme)
- Typische Klinik mit Schwellung und (Druck‑)Schmerzen im Bereich des AC-Gelenks
- Schmerzadaptierte Analgesie
- Bildgebung: Röntgen
- Schulter in zwei Ebenen: True-a.p. und axiale Aufnahme der Schulter
- AC-Gelenk Zielaufnahme nach Zanca
- Alexander-Aufnahme
- Planung der weiteren Therapie: Je nach Befund
Diagnostik
Klinische Untersuchung
- Lokaler Druckschmerz
- Klaviertastenphänomen bei Rockwood III und V
Röntgen [6][8][9][10]
- Schulter in zwei Ebenen: True-a.p. und axiale Aufnahme der Schulter
- Mögliche Befunde
- Weichteilschwellung
- Begleitverletzungen (z.B. Claviculafraktur)
- Dorsale Dislokation der Clavicula
- Mögliche Befunde
- Alexander-Aufnahme im Seitenvergleich [11]
- Durchführung
- Aufnahme in stehender oder sitzender Haltung
- Outlet-Aufnahme mit Cross-Body-Manöver
- Befund: Stellung der distalen Clavicula zum vorderen Acromionrand
- Durchführung
- AC-Gelenk Zielaufnahme nach Zanca im Seitenvergleich
- Durchführung
- Aufnahme in stehender oder sitzender Haltung
- Wenn möglich mit 10 kg Belastung
- Einfallswinkel des Röntgenstrahls um 10–15° nach kranial gerichtet
- Normwerte
- Mittlerer Abstand des coracoklavikulären Zwischenraums = 1,1–1,3 cm
- Mittlerer Abstand des akromioklavikulären Gelenkspaltes = 0,6–0,7 cm
- Befund: Erweiterung des akromioklavikulären Gelenkspaltes und des coracoklavikulären Zwischenraumes
- Durchführung
- Ggf. Belastungsaufnahme
- Nach Frakturausschluss durch vorangegangene Röntgendiagnostik
- Mit 5–10 kg pro Seite im Seitenvergleich
- Panoramaaufnahme: Wegen Strahlenexposition der Schilddrüse umstritten
- Alternativ: Beidseitige Einzelaufnahmen
Fakultative Diagnostik
- Sonografische Untersuchung des AC-Gelenks [8]
- Frontalebene: Erweiterter AC-Gelenkspalt , Gelenkerguss
- Sagittalebene: Erweiterter coracoklavikulärer Abstand , Zunahme des Abstandes bei Zug am Arm
- Zusätzlich: Beurteilung der Rotatorenmanschette
- MRT: I.d.R. nicht erforderlich
- Möglicher Einsatz
- Verdacht auf Begleitverletzungen
- Untersuchung des postoperativen Verlaufs
- Differenzierung zwischen akuter und chronischer Verletzung
- Möglicher Einsatz
- ACG-Injektionstest: Zur Identifizierung des Akromioklavikulargelenks als Ursache für chronische Schmerzen [12]
Differenzialdiagnosen
- Claviculafraktur (v.a. laterale Fraktur)
- AC-Gelenkarthrose
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Konservative Therapie [6][8][10][13][14]
- Indikation: Rockwood I–II, evtl. Rockwood III [15]
- Ziel der Therapie: Rasche Schmerzfreiheit und Wiedererlangung der Funktion
- Durchführung
- Initial: Symptomatische Ruhigstellung in Armschlinge oder Gilchrist-Verband (i.d.R. ca. 1–2 Wochen), Kühlen und schmerzadaptierte Analgesie (z.B. mit Ibuprofen )
- Physiotherapie: Sukzessiver Ausbau von Bewegungsausmaß und Kraft
- Fakultativ: Tapeverband zur schnelleren Schmerzreduktion
- Verhaltensempfehlung: Vermeidung von starken Belastungen und Kontaktsportarten bis zur Symptomfreiheit (ca. 6 Wochen)
- Wechsel auf sekundäre Operation: Bei Beschwerdepersistenz >3 Monate erwägen
Operative Therapie
- Indikation: Rockwood III (junge Betroffene <35 Jahre, überwiegende Überkopfarbeit, Sportler:innen) und Rockwood IV–VI
- Ziel der Therapie: Reposition und stabile Retention
Vorgehen [3][16][17]
- Lagerung: Beach-Chair-Lagerung
- Zugang
- Offen: Horizontale oder vertikale Schnittführung
- Arthroskopisch oder mini-open
- Verfahren
- Coracoklavikuläre Stabilisierung meist mit Faden-Button-System [18]
- Meist arthroskopischer oder mini-open Zugang
- Bohrkanal durch Clavicula und Proc. coracoideus
- Augmentation des verletzten Lig. coracoclaviculare mit kleinen Metallplättchen und reißfesten Kunststofffäden
- Ziel: Wiederherstellung der coracoklavikulären Distanz
- Ggf. Stabilisierung in horizontaler Ebene durch eine zusätzliche Cerclage des AC-Gelenks
- Osteosynthese mit Bosworth-Schraube zwischen Clavicula und Proc. coracoideus
- Akromioklavikuläre Stabilisierung
- Hakenplatte : Haken der Platte kommen unter Acromion zu liegen, während Platte mit Schrauben auf der Clavicula angebracht wird
- Transartikuläre K-Draht-Osteosynthese mit Zuggurtung
- Coracoklavikuläre Stabilisierung meist mit Faden-Button-System [18]
- Chronische AC-Gelenksverletzung
- Kombinierte Verfahren: Faden-Button-System(e) ggf. mit autologem Sehnengraft
- Weaver-Dunn-Technik: Resektion der lateralen Clavicula, Absetzen des Lig. coracoacromiale am Acromion und Re-Insertion an die Clavicula
Nachbehandlung
Die Nachbehandlung sollte grundsätzlich unter Berücksichtigung der klinikinternen Standards erfolgen und immer auch an den individuellen Operations- und Heilungsverlauf angepasst werden. Für die generelle operative Nachsorge siehe auch: Nachsorge in der Orthopädie und Unfallchirurgie
- Ruhigstellung für 1–3 Tage (z.B. in Gilchrist-Verband oder Schulter-Abduktionskissen)
- Physiotherapie: Beginn nach Aufheben der Ruhigstellung
- Passive Bewegungsübungen mit Limitation auf 90° Abduktion und Flexion für 6–8 Wochen
- Anschließend passiv frei beweglich und Beginn aktiver Bewegungen ohne Belastung
- Ausnahme: Implantate wie Hakenplatte oder K-Draht-Osteosynthese
- Ab 12. postoperativer Woche Kraftaufbau mit Belastung
- Ggf. Metallentfernung: Entfernung je nach Implantat nach 6 Wochen möglich
- Nachbehandlung in Anlehnung an die Empfehlungen der DGOU siehe auch: Nachbehandlung bei Luxation des Akromioklavikulargelenks
Komplikationen
- Allgemeine Komplikationen siehe: Komplikationen nach Knochenbruch und Komplikationen nach Osteosynthese
- Komplikationen der Luxation des Akromioklavikulargelenks (unabhängig vom therapeutischen Regime)
- Postoperative Komplikationen
- Tendenz zu keloidartigen Narben
- Häufig unterschiedlich stark ausgeprägter Repositionsverlust
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Nachsorge
Folgende Nachbehandlungsvorschläge basieren auf den Empfehlungen der DGOU [19]. Diese Schemata der physiotherapeutischen Nachbehandlung sind jedoch an den individuellen Heilungsverlauf anzupassen und sollten grundsätzlich auch unter Berücksichtigung der klinikinternen Standards erfolgen.
Für das allgemeine postoperative stationäre Management inkl. durchzuführender ärztlicher Verlaufskontrollen sowie für Empfehlungen zur Schmerztherapie und Thromboseprophylaxe siehe: Nachsorge in der Orthopädie und Unfallchirurgie
Nachbehandlungsschema bei osteosynthetischer Versorgung
Phase 1 – Ziel: Wundheilung und Abschwellung
- Tag 1–3 postoperativ: Bewegungsstabilität
- Ruhigstellung der Schulter (z.B. in der Armschlinge oder im Gilchrist-Verband)
- Freie Bewegung der Gelenke distal der Schulter ohne Limit
- Physiotherapeutische Anleitung zum Eigentraining und Verhaltenstherapie
- Röntgenkontrolle der Schulter vor Entlassung
Phase 2 – Ziel: Passive und aktive Beweglichkeit
- Tag 4–Woche 12 postoperativ
- Ca. 12. Woche postoperativ
- Röntgenkontrolle
- Metallentfernung in Abhängigkeit vom Röntgenbefund
Phase 3 – Ziel: Reintegration in den Alltag
- Nach der Metallentfernung: Belastungsstabilität
- Freie Beweglichkeit der Schulter in alle Richtungen
- Muskelaufbautraining
- Stütztraining
- Individuelle Belastungssteigerung bis zur Vollbelastung
Phase 4 – Ziel: Volle Belastbarkeit
- Ab 15./16. Woche postoperativ: Übergang zur Trainingsstabilität
- Funktionstraining, ggf. Rehasport und -nachsorge
- Ab 4. Monat postoperativ
- Wiederaufnahme des sportartspezifischen Trainings für zyklische Sportarten
- Ab 7. Monat postoperativ
- Wiederaufnahme von Kontaktsport des sportartspezifischen Trainings für azyklische Sportarten, inkl. Wurf- und Ballsportarten
Nachbehandlungsschema bei Versorgung mittels Bandnaht (z.B. TightRope®-System)
Phase 1 – Ziel: Wundheilung und Abschwellung
- Tag 1–3 postoperativ
- Ruhigstellung der Schulter im Schulter-Abduktionskissen (Tag und Nacht)
- Freie Bewegung der Gelenke distal der Schulter
- Physiotherapeutische Anleitung zum Eigentraining und Verhaltenstherapie
- Röntgenkontrolle: Entfällt
Phase 2 – Ziel: Passive und aktive Beweglichkeit
- Tag 3–Woche 3 postoperativ: Bewegungsstabilität
- Beginn mit Pendelübungen im Schultergelenk
-
Passives Bewegen der Schulter unter physiotherapeutischer Anleitung
- Abduktion/Adduktion: 30°/0°/0°
- Flexion/Extension: 30°/0°/0°
- Innen-/Außenrotation: 80°/0°/0°
- Keine Stützbelastung
- 3.–6. Woche postoperativ
- Tragen des Schulter-Abduktionskissens nur in der Nacht
- Aktiv assistierte Bewegung der Schulter bis 60° unter physiotherapeutischer Anleitung
- Abduktion/Adduktion: 60°/0°/0°
- Flexion/Extension: 60°/0°/0°
- Innen-/Außenrotation: 80°/0°/0°
- Keine Stützbelastung
- Ca. 6. Woche postoperativ
- Röntgenkontrolle
- 6.–8. Woche postoperativ
Phase 3 – Ziel: Reintegration in den Alltag
- 8.–12. Woche postoperativ: Komplette Bewegungsstabilität
- Freie Beweglichkeit der Schulter in alle Richtungen
- Muskelaufbautraining
- Dehnungsübungen
Phase 4 – Ziel: Volle Belastbarkeit
- 12.–16. Woche postoperativ: Belastungsstabilität
- Individuelle Belastungssteigerung bis zur Vollbelastung
- Stütztraining
- Ab 16. Woche postoperativ: Übergang zur Trainingsstabilität
- Funktionstraining, ggf. Rehasport und -nachsorge
- Ab 4. Monat postoperativ
- Wiederaufnahme des sportartspezifischen Trainings für zyklische Sportarten
- Ab 7. Monat postoperativ
- Wiederaufnahme von Kontaktsport und sportartspezifischen Trainings für azyklische Sportarten, inkl. Wurf- und Ballsportarten
Prognose
- I.d.R. gutes funktionelles Ergebnis (sowohl nach operativer als auch nach konservativer Therapie)
- Vollbelastung der Schulter nach ca. 3–4 Monaten möglich
- Posttraumatische AC-Gelenkarthrose in ca. 30% der operativ bzw. 50% der konservativ behandelten Fälle [13]
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- S43.-: Luxation, Verstauchung und Zerrung von Gelenken und Bändern des Schultergürtels
- S43.0-: Luxation des Schultergelenkes [Glenohumeralgelenk]
- S43.1: Luxation des Akromioklavikulargelenkes
- S43.2: Luxation des Sternoklavikulargelenkes
- S43.3: Luxation sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Schultergürtels
- S43.4: Verstauchung und Zerrung des Schultergelenkes
- Kapselanteil der Rotatorenmanschette
- Lig. coracohumerale
- Lig. glenohumerale (superius) (medius) (inferius)
- S43.5: Verstauchung und Zerrung des Akromioklavikulargelenkes
- S43.6: Verstauchung und Zerrung des Sternoklavikulargelenkes
- S43.7: Verstauchung und Zerrung sonstiger und nicht näher bezeichneter Teile des Schultergürtels
- Verstauchung und Zerrung des Schultergürtels o.n.A.
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.
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