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Idiopathische Skoliose

Letzte Aktualisierung: 13.11.2023

Abstracttoggle arrow icon

Die idiopathische Skoliose ist eine sich während des Wachstums entwickelnde Deformität der Wirbelsäule mit seitlicher Verbiegung selbiger und Verdrehung der Wirbelkörper. Die meisten Skoliosen treten erstmals im 10.–12. Lebensjahr (Adoleszentenskoliose) mit einer rechtskonvexen Krümmung im Brustwirbelbereich auf. Zunächst haben die Patienten keine Symptome, sodass die Erkrankung in der Regel zufällig auffällt. Die progrediente Fehlstatik begünstigt degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und die fortschreitende Thoraxdeformität kann zur Einschränkung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit führen. Diagnostisch werden Aufnahmen der gesamten Brust- und Lendenwirbelsäule im Stehen angefertigt. Therapeutisch sind zunächst Krankengymnastik und Korsettbehandlung indiziert. Operative Verfahren sind bei ausgeprägten Skoliosen oder schnell progredientem Krankheitsverlauf in Erwägung zu ziehen.

Definitiontoggle arrow icon

Epidemiologietoggle arrow icon

  • Geschlecht: > (6:1)
  • Alter: Häufigkeitsgipfel 10.–12. Lebensjahr (die Skoliose fällt meist während eines Wachstumsschubes auf)

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Ätiologietoggle arrow icon

Es wird angenommen, dass idiopathische Skoliosen durch ein Missverhältnis des Wachstums von dorsalen und ventralen Wirbelkörperanteilen entstehen. Das Wachstum der Wirbelbögen bleibt hinter dem der Wirbelkörper zurück, so dass das Höhenwachstum der Wirbelkörper behindert wird, was wiederum eine Rotation der Wirbelkörper bedingt. Die Seitabweichung der Wirbelsäule ist Folge der Rotation der Wirbelkörper.

Fehlhaltungen (skoliotische Haltung im Stehen oder Sitzen), asymmetrische sportliche Aktivität mit seitendifferentem Muskelzug (z.B. Speerwerfer oder Fechter) oder die Händigkeit haben keinen Einfluss auf die Entstehung einer Skoliose. Ein erwiesener statischer Grund für eine Skoliose kann eine Beinlängendifferenz (von >2 cm) sein (siehe symptomatische Skoliose unter Differenzialdiagnosen).

Klassifikationtoggle arrow icon

  • Nach Alter
    • ≥11. Lebensjahr: Adoleszentenskoliose
      • Häufigste Form (ca. 90%), vor allem Mädchen betroffen, meist rechtskonvexe Krümmung im Thorakalbereich
    • 4–10 Jahre: Juvenile Skoliose
      • = , meist rechtskonvexe Krümmung im Thorakalbereich mit progredienter Verschlechterung
    • 0–3 Jahre: Infantile Skoliose
      • > , oft linkskonvexe Krümmung im Thorakalbereich, ungünstige Prognose
    • Sonderform Säuglingsskoliose
      • Zeigt sich meist linkskonvex als langgestreckter, thorakolumbaler, C-förmiger Bogen mit wenig Rotationsanteil
  • Nach der Hauptkrümmung und der Höhe ihres Scheitels (der Krümmungsmitte)
    • Lumbal: Zwischen L1/2 und L4
    • Thorakolumbal: Zwischen Th12 und L1
    • Thorakal: Zwischen Th6 und Th11/12
    • Hochthorakal: Zwischen Th2 und Th6
  • Nach dem Krümmungsmuster
    • C-förmige Skoliosen, S-förmige Skoliosen, Doppel-S-Skoliosen (Triple-Skoliosen)
  • Nach dem Grad der Reversibilität
    • Funktionelle Skoliose: Reversible Biegung der Wirbelsäule aufgrund einer Haltungsasymmetrie
    • Strukturelle Skoliose: Nicht-reversible Biegung der Wirbelsäule; im Röntgenbild sind strukturelle Veränderungen der Wirbelsäule sichtbar

Symptome/Kliniktoggle arrow icon

Verlaufs- und Sonderformentoggle arrow icon

Diagnostiktoggle arrow icon

Klinische Untersuchung

Untersuchung im Stehen von hinten und zunächst vorhandene Beinlängendifferenz ausgleichen!

  • Inspektion
  • Adams-Vorbeugetest (wichtigste klinische Untersuchung)
    • Thorakale Rotation (Rippenbuckel): Verstärkung bei Vorbeugung
    • Lumbale Rotation (Lendenwulst): Verstärkung bei Vorbeugung

Thorakale Rotation und Lendenwulst liegen immer auf der konvexen Seite der Deformität!

Konventionelles Röntgen

  • Beinlängendifferenz ausgleichen
  • Messung der seitlichen Krümmung nach Cobb (in der a.p.-Aufnahme)
    • Hauptkrümmung: Stärkste Abweichung der Wirbelsäule vom Lot
    • Nebenkrümmung: Kompensatorische Abweichung ober- und unterhalb der Hauptkrümmung
    • Neutralwirbel: Wirbel am Wendepunkt der Seitverbiegung → Richtungswechsel der Krümmung
    • Cobb-Winkel: Tangentiales Lot entlang der Deckplatte des kranialen Neutralwirbels und Bodenplatte des kaudalen Neutralwirbels → Schnittpunkt in Richtung der Konkavität der Krümmung
  • Schätzung der Rotation (nach Nash und Moe)
  • Beurteilung der Skelettreife anhand der lateralen Ossifikation der Darmbeinkammapophyse nach Risser (prognostische Relevanz)
    • Stadium 0 und V können radiologisch miteinander verwechselt werden
Stadium 0 Apophyse noch nicht sichtbar
Stadium I Beginn der seitlichen Ossifikation der Apophyse
Stadium II Apophyse bis <50% des Beckenkammumfangs verknöchert
Stadium III Apophyse bis <75% des Beckenkammumfangs verknöchert
Stadium IV Beginn der Verschmelzung von Apophyse und Os ilium
Stadium V Vollständige Verschmelzung von Apophyse und Os ilium
  • Bending-Aufnahmen der Wirbelsäule : Beurteilung der Flexibilität der Krümmungen

Jedes Kind im Schulalter muss klinisch an der Wirbelsäule untersucht werden, um eine Skoliose auszuschließen. Die Skoliose ist meist ein Zufallsbefund!

Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Symptomatische Skoliose

  • Nach Wirbelkörperdeformierungen: Z.B. durch Tumor oder Trauma
  • Statisch (Beinlängendifferenz >2 cm)
  • Kongenital
    • Fehlbildung der Wirbelkörper
      • Z.B. Assimilationsstörung: Eine numerische Variation an den Grenzen der Wirbelsäulenabschnitte wird als Übergangswirbel oder Assimilationswirbel bezeichnet
        • Hemisakralisation: L5 ist einseitig mit dem Kreuzbein verschmolzen
        • Hemilumbalisation: S1 ist einseitig unabhängig vom Sakrum als freier Wirbel vorhanden
    • Systemerkrankungen: z.B. Neurofibromatose Typ I

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Therapietoggle arrow icon

  • Behandlung abhängig vom Cobb-Winkel
    • Cobb-Winkel <20°: Physiotherapie
    • Cobb-Winkel von 20 bis 40–50°: Physiotherapie und Korsettbehandlung
    • Cobb-Winkel von >50° oder schnell progrediente Skoliose: Operation
      • Bei thorakalen Skoliosen: Operation bereits bei >40° erwägen
  • Korsettbehandlung
    • Möglichst 23 h/Tag
    • Aufhalten der Progredienz, aber keine Verbesserung der Ursprungssituation möglich
  • Skolioseoperation
    • Verschiedene operative Techniken und Zugänge möglich (ventraler, lateraler, dorsaler oder kombinierter Zugang)
    • Spondylodese: Verblockung der Wirbelkörper, die durch Plattenosteosynthese oder Anlage eines Fixateur interne durchgeführt werden kann. Ziel dabei ist eine Korrektur der Verkrümmungs- und Rotationsfehlstellung
    • Risiken und Komplikationen:

Patienteninformationentoggle arrow icon

Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023toggle arrow icon

  • M41.-: Skoliose
    • Inklusive: Kyphoskoliose
    • Exklusive: Angeborene Skoliose: o.n.A. (Q67.5), lagebedingt (Q67.5), durch Knochenfehlbildung (Q76.3); kyphoskoliotische Herzkrankheit (I27.1), nach medizinischen Maßnahmen (M96.‑)
    • M41.0-: Idiopathische Skoliose beim Kind [0–9]
    • M41.1-: Idiopathische Skoliose beim Jugendlichen [0–9]
    • M41.2-: Sonstige idiopathische Skoliose [0–9]
    • M41.3-: Thoraxbedingte Skoliose [0–9]
    • M41.4-: Neuromyopathische Skoliose [0–9]
    • M41.5-: Sonstige sekundäre Skoliose [0–9]
    • M41.8-: Sonstige Formen der Skoliose [0–9]
    • M41.9-: Skoliose, nicht näher bezeichnet [0–9]

Lokalisation der Muskel-Skelett-Beteiligung

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

Quellentoggle arrow icon

  1. S1-Leitlinie Idiopathische Skoliose im Wachstumsalter.Stand: 1. Oktober 2009. Abgerufen am: 2. November 2017.
  2. Hefti et al. : Kinderorthopädie in der Praxis. 3. Auflage Springer 2015, ISBN: 978-3-642-44994-9.
  3. Imhoff et al.: Checkliste Orthopädie. 3.. Auflage Thieme 2014, ISBN: 978-3-131-42283-5.
  4. Wittenberg et al.:Spondylolyse und SpondylolistheseIn: Der Orthopäde. Band: 27, Nummer: 1, 1998, doi: 10.1007/s001320050202 . | Open in Read by QxMD p. 51.
  5. Matussek: Kinderorthopädie und Kindertraumatologie. 1. Auflage Springer 2013, ISBN: 978-3-642-39922-0.

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