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Fall: Älterer Mann mit Dyspnoe

Letzte Aktualisierung: 21.7.2023

Patientenvorstellungtoggle arrow icon

In die Notaufnahme wird nachts der adipöse 83-jährige Herr Schulz eingeliefert. Er leidet trotz O2-Zufuhr unter ausgeprägter Dys- und Tachypnoe.

Der Rettungsdienst berichtet, dass der Patient bei Eintreffen verängstigt und mit aufgestützten Armen an der Bettkante saß und schwer Luft bekam. Die Frau des Patienten hatte schon seit mehreren Wochen einen zunehmenden Leistungsabfall und eine Kurzatmigkeit ihres Mannes bemerkt. Er habe sich jedoch geweigert, zum Hausarzt zu gehen. Zur akuten Verschlechterung sei es vor etwa zwei Stunden gekommen. Anamnestisch bekannt ist eine seit mehreren Jahren bestehende KHK, eine Hypertonie, eine chronische Nierenerkrankung, eine chronische Herzinsuffizienz und ein Diabetes mellitus Typ 2.

Der Rettungsdienst hat dem Patienten schon Morphin (5 mg i.v.) verabreicht.

Vitalparameter bei Aufnahme:

An welche Differenzialdiagnosen musst du hinsichtlich der Dyspnoe in Bezug auf die bekannten Vorerkrankungen denken?toggle arrow icon

Fortsetzung Fallbericht

Der Rettungsdienst legt dir zur Befundung das EKG des Patienten vor.

Bei Patient:innen mit V.a. kardiale Erkrankungen muss immer schnellstmöglich eine EKG-Ableitung erfolgen, um bspw. einen akuten ST-Hebungsinfarkt oder Arrhythmien zu diagnostizieren!

Befunde das EKG!toggle arrow icon

EKG von Herrn Schulz

12-Kanal-EKG (Schreibgeschwindigkeit: 50 mm/s)

Zusatzfragen

Interpretiere die Befunde im EKG!

In der vorliegenden akuten klinischen Situation mit ausgeprägter Dyspnoe wäre eigentlich eine höhere Herzfrequenz zu erwarten. Was ist die wahrscheinlichste Ursache für die Normofrequenz bei diesem Patienten?

Fortsetzung Fallbericht

Nun wird der Patient körperlich untersucht. In der Lungenauskultation sind beidseits basal feuchte Rasselgeräusche festzustellen. Auffällig sind zudem ausgeprägte Unterschenkelödeme beidseits.

Wie lautet deine Verdachtsdiagnose und wie leitest du sie her?toggle arrow icon

Eine dekompensierte chronische Herzinsuffizienz ist die wahrscheinlichste Diagnose.

Wesentlicher „Motor“ der Ödembildung bei chronischer Herzinsuffizienz ist die Niere. Sie reagiert auf eine verringerte Durchblutung (durch Abnahme des Herzzeitvolumens) mit einer vermehrten Wasserretention (Aktivierung des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems = sekundärer Hyperaldosteronismus)!

Zusatzfragen

Wie sind die Beinödeme pathophysiologisch zu erklären?

Wie kannst du in der körperlichen Untersuchung ein venöses Stauungsödem von einem Lymphödem unterscheiden?

Welche weiteren Symptome solltest du in der Anamnese erfragen? Welche körperlichen Untersuchungsbefunde sind denkbar?toggle arrow icon

Zusatzfragen

Welches sind die beiden häufigsten Ursachen der Herzinsuffizienz?

Pathophysiologisch kann eine Unterteilung in systolische Herzinsuffizienz und diastolische Herzinsuffizienz erfolgen. Welche Mechanismen liegen diesen Formen zugrunde?

Welche akuten Maßnahmen kommen infrage, um die Symptomatik des Patienten zu verbessern?toggle arrow icon

Fortsetzung Fallbericht

Nach den ersten therapeutischen Maßnahmen stabilisiert sich der Zustand von Herrn Schulz und du wendest dich weiter der Diagnostik zu. Als Nächstes nimmst du Blut für eine Laboruntersuchung ab.

Welche Laborparameter sind besonders relevant?toggle arrow icon

Zusatzfragen

Welche Aussage lässt sich anhand von BNP oder NT-proBNP treffen?

Wie kommt es zur Ausschüttung von NT-proBNP (bzw. BNP) und was ist seine physiologische Wirkung?

Welche weiteren apparativen Untersuchungen veranlasst du?toggle arrow icon

Zusatzfrage

Welche Befunde erwartest du in der Röntgen-Thorax-Aufnahme?

Fortsetzung Fallbericht

Die Verdachtsdiagnose einer dekompensierten Herzinsuffizienz konnte diagnostisch bestätigt werden. Es besteht eine ausgeprägte Verminderung der linksventrikulären Ejektionsfraktion (30%) sowie eine pulmonale Stauung mit Lungenödem und beidseitige Pleuraergüsse. Die Laboruntersuchungen zeigen die bekannte chronische Nierenerkrankung (ohne Progredienz im Vergleich zu Vorwerten), ansonsten finden sich keine Auffälligkeiten.

Der Patient wird stationär aufgenommen. Am nächsten Tag triffst du zur Visite auch seine Ehefrau an. Sie erzählt dir, wie sich die Beschwerden ihres Mannes in den letzten Wochen entwickelt haben. So konnte Herr Schulz bereits seit 3 Wochen nicht mehr die Wohnung verlassen, da er die Treppenstufen zurück in den ersten Stock aufgrund von Luftnot nicht mehr bewältigen konnte. Innerhalb der Wohnung konnte er noch kurze Wege zurücklegen, musste jedoch auch hier immer wieder Pausen einlegen.

Nenne die Kriterien der unterschiedlichen Stadien nach NYHA und ordne Herrn Schulz dem passenden Stadium zu!toggle arrow icon

Frau Schulz berichtet, ihr Mann habe üblicherweise schon bei leichter körperlicher Belastung Beschwerden gehabt. Somit ist Herr Schulz dem NYHA-Stadium III zuzuordnen.

NYHA-Stadium Subjektive Beschwerden
I Herzerkrankung (objektiver Nachweis einer kardialen Dysfunktion) ohne körperliche Limitation
II

Beschwerden bei stärkerer körperlicher Belastung (z.B. Bergaufgehen oder Treppensteigen)

III Beschwerden bei leichter körperlicher Belastung (z.B. Gehen in der Ebene)
IV Beschwerden in Ruhe

Zusatzfrage

Bei Herrn Schulz bestehen Adipositas, arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2 sowie eine Dyslipoproteinämie. Unter welchem Begriff lässt sich dieses kardiovaskuläre Risikocluster zusammenfassen?

Welche langfristige pharmakologische Therapie würdest du Herrn Schulz empfehlen?toggle arrow icon

Bei Herrn Schulz liegt eine Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion im Stadium III nach NYHA vor. Demnach sollte er als Basismedikation einen ACE-Hemmer, einen Betablocker und einen Mineralocorticoidrezeptor-Antagonisten sowie einen SGLT2-Inhibitor erhalten. Diese Medikamente sind prognoseverbessernd und sollten daher bei Fehlen von Kontraindikationen unbedingt verordnet werden!

Zusätzlich sollte aufgrund der peripheren Ödeme ein Schleifendiuretikum verabreicht werden. Diese lindern insb. die Symptome der venösen Stauung, verbessern allerdings nicht die Prognose!

Medikamentöse Therapie der Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion
Medikament NYHA-Stadium Anmerkungen
I II III IV

ACE-Hemmer

(✓)

Neprilysin-Inhibitoren: Sacubitril (Kombinationswirkstoff ARNI; Angiotensinrezeptor-/Neprilysin-Inhibitor

Betablocker

(✓)

Mineralocorticoidrezeptor-Antagonisten

SGLT2-Inhibitoren

Diuretika

(✓) (✓) (✓) (✓)

Parenterale Eisengabe, bevorzugt Eisencarboxymaltose i.v.

(✓) (✓) (✓) (✓)

Prognoseverbessernde Medikamente: ACE-Hemmer, AT1-Rezeptor-Blocker, Betablocker, Mineralocorticoidrezeptor-Antagonisten, ARNI, SGLT2-Inhibitoren, Ivabradin!

Symptomverbessernde Medikamente: Diuretika, Eisenpräparate (wenn i.v. verabreicht), Digitalisglykoside !

ACE-Hemmer oder AT1-Rezeptor-Blocker, ARNI, Betablocker und Mineralocorticoidrezeptor-Antagonisten sollten in kleinen Schritten und unter aktiver Überwachung der Nebenwirkungen möglichst bis zur Zieldosis gesteigert werden! Diuretika und Digitalisglykoside werden dagegen so niedrig wie möglich dosiert.

Unter medikamentöser Herzinsuffizienztherapie sollten regelmäßige Laborkontrollen erfolgen – insb. der Nierenretentionsparameter und Elektrolyte (v.a. Kalium)!

Zusatzfrage

Worauf ist bei der Gabe von Diuretika zu achten?

Bonusfragentoggle arrow icon

„Ich habe mal gehört, dass einseitige Pleuraergüsse bei Herzinsuffizienz häufiger rechtsseitig auftreten. Warum ist das so?“ fragt dich ein Famulant bei der gemeinsamen Visite. Was antwortest du ihm?

Welche Therapieoptionen gibt es, wenn bei einer fortgeschrittenen Herzinsuffizienz bereits alle anderen konservativen und chirurgischen Optionen ausgeschöpft sind?

Oberärztlicher Kommentartoggle arrow icon

Die Inzidenz der Herzinsuffizienz steigt insb. in den Ländern des Globalen Nordens – daher sollte das Wissen über die Erkrankung zum „Einmaleins“ von Internist:innen und Allgemeinmediziner:innen gehören. Gründe für die Zunahme der Häufigkeit sind u.a. die insg. gestiegene Lebenserwartung sowie verbesserte therapeutische Möglichkeiten bei vorangegangenen kardiovaskulären Ereignissen (z.B. verbesserte Überlebenschancen beim Myokardinfarkt).

Das Verständnis des Pathomechanismus von systolischer Herzinsuffizienz und diastolischer Herzinsuffizienz sowie der möglichen Auswirkungen von Vorwärtsversagen und Rückwärtsversagen ist notwendig, um das klinische Bild nachvollziehen und Therapieentscheidungen treffen zu können.

Insb. bei multimorbiden Menschen (wie auch hier im Fallbeispiel) hat die Herzinsuffizienz eine hohe Prävalenz. Im Behandlungskonzept müssen daher oft auch Begleiterkrankungen berücksichtigt werden, wie arterielle Hypertonie, KHK, metabolisches Syndrom und chronische Nierenerkrankung.

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