Zusammenfassung
Angeborene Fehlbildungen kommen bei ca. 3% aller Neugeborenen vor. Der Einfluss von teratogenen Noxen (bspw. Alkohol, Nikotin, Medikamente) spielt dabei in ca. 2–5% eine ursächliche Rolle. Je früher der Embryo/Fötus den Noxen ausgesetzt ist, desto schwerwiegender sind i.d.R. die Folgeschäden. Weitere mögliche Ursachen angeborener Entwicklungsstörungen sind mütterliche Erkrankungen, genetische Störungen und Infektionen (siehe: Embryofetopathien durch Infektionserreger). In ca. 50% der Fälle ist jedoch keine eindeutige Ursache nachweisbar. Für Recherchen über mögliche Einflüsse und Auswirkungen von Medikamenten während der Schwangerschaft und Stillzeit ist die eingerichtete Datenbank des Pharmakologischen Instituts der Charité empfehlenswert (www.embryotox.de).
Dysmelie
- Kurzbeschreibung: Angeborene Störung der embryonalen Entwicklung der Extremitäten (zwischen 29. und 46. Tag) mit unterschiedlichem Ausprägungsgrad.
- Ursachen: Unterschiedlich, es kommen bspw. Sauerstoffmangel oder verschiedene Medikamente (u.a. Thalidomid) in Frage
- Formen
- Fehlanlage der Gliedmaßen (griech. mélos = „Glied“) und/oder der Finger (griech. dáktylos = „Finger“)
- Amelie: Fehlen einer kompletten Extremität
- Phokomelie: Ansatz von Hand bzw. Fuß unmittelbar an Schulter bzw. Hüfte
- Bekanntestes Beispiel: Thalidomid-Embryopathie
- Ektromelie: Sammelbegriff für Hypo- und/oder Aplasien einzelner oder mehrerer langer Röhrenknochen mit resultierender Fehlstellung der Extremität
- Peromelie/Perodaktylie: Amputationsstumpfartige Anlage einer Extremität, eines Fingers bzw. von Zehen
- Polymelie/Polydaktylie: Überzählige Gliedmaßen/Finger
- Oligodaktylie, Adaktylie: Fehlen einzelner oder aller Finger bzw. Zehen
- Syndaktylie: Verwachsung einzelner Finger bzw. Zehen
- Fehlanlage der Gliedmaßen (griech. mélos = „Glied“) und/oder der Finger (griech. dáktylos = „Finger“)
Drogen
- Alkohol
- Fetale Alkoholspektrumstörung (fetales Alkoholsyndrom, Alkoholembryopathie)
- Epidemiologie
- Häufigste Ursache einer teratogenen Schädigung bei Kindern (1:1.000 bis 1:500)
- Häufigste vermeidbare Ursache der Intelligenzminderung [1]
- Klinisches Bild
- Wachstumsauffälligkeiten: Geringes Geburtsgewicht, geringe Geburtslänge
- Faziale Auffälligkeiten: Kurze Lidspalten, schmale Oberlippe, verstrichenes Philtrum, ggf. Hypertelorismus, abfallende Lidachsen, fliehendes Kinn
- ZNS-Auffälligkeiten: Mikrozephalie, Sprachentwicklungsstörung, Intelligenzminderung
- Angeborene Fehlbildungen: Herzfehler (z.B. VSD), urogenitale Fehlbildungen (z.B. Hypospadie)
- Differenzialdiagnosen
- Prognose
- Meist irreversible gehirntoxische Schädigung mit Persistenz der Symptome
- Epidemiologie
- Fetale Alkoholspektrumstörung (fetales Alkoholsyndrom, Alkoholembryopathie)
- Nikotin
- Erhöhte Abortrate
- Erhöhte perinatale Mortalität
- Wachstumsretardierung und Untergewicht
- Gefahr einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte erhöht
- Opioide
- Atemdepression
- Entzugssyndrom
Medikamente (Auswahl)
- Thalidomid (Contergan®): Thalidomid-Embryopathie
- Bekanntes Beispiel für ein Medikament, dessen Nebenwirkung lange Zeit unterschätzt/ignoriert wurde
- Früher als rezeptfreies Schlaf- und Beruhigungsmittel eingesetzt, heute nur noch sehr begrenzte Indikation: Z.B. bei Multiplem Myelom
- Klinik des Neugeborenen:
- Symmetrische Amelie (Fehlen der ganzen Extremität) oder Phokomelie (Hände bzw. Füße setzen unmittelbar an Schultern bzw. Hüften an) insbesondere der oberen Extremitäten
- Anotie (Fehlen von Ohren)
- Viele weitere Fehlbildungen möglich
- Diazepam
- Sedierende Wirkung : Postnatale Atemdepression, Zyanose, Trinkschwäche, Muskelhypotonie (Floppy-Infant-Syndrom), Lethargie, Temperaturregulationsstörungen
- Entzugssymptomatik : Muskelhypertonie, Hyperreflexie, Irritabilität, Tremor, schrilles Schreien, epileptische Anfälle
- Phenprocoumon
- Skelettfehlbildungen (z.B. hypoplastische Nase)
- Fehlbildungen des zentralen Nervensystems (Optikusatrophie, Intelligenzminderung)
- Mikrophthalmie
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- Q86.-: Angeborene Fehlbildungssyndrome durch bekannte äußere Ursachen, anderenorts nicht klassifiziert
- Exklusive: Jodmangel bedingte Hypothyreose (E00–E02); Nichtteratogene Wirkungen von Substanzen, die transplazentar oder mit der Muttermilch übertragen werden (P04.‑)
- Q86.0: Alkohol-Embryopathie (mit Dysmorphien)
- Q86.1: Antiepileptika-Embryopathie
- Embryofetales Hydantoin-Syndrom
- Q86.2: Warfarin-Embryopathie
- Embryopathie durch Cumarine
- Q86.8-: Sonstige angeborene Fehlbildungssyndrome durch bekannte äußere Ursachen
- Q86.80: Thalidomid-Embryopathie
- Q86.88: Sonstige angeborene Fehlbildungssyndrome durch bekannte äußere Ursachen
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.