Zusammenfassung
Bei den atypischen Parkinson-Syndromen (auch Parkinson-Plus-Syndrome genannt) handelt es sich um neurodegenerative Erkrankungen des Syndromkreises Parkinson. Zu ihnen werden die Multisystematrophie (MSA), die progressive supranukleäre Parese (PSP) und die kortikobasale Degeneration (CBD) gezählt. Der Ausschluss dieser atypischen Parkinson-Syndrome ist ein Bestandteil der Diagnosestellung beim Morbus Parkinson. Siehe hierzu auch: Diagnostik beim Parkinson-Syndrom
Die atypischen Parkinson-Syndrome zeigen die Kernsymptomatik aus Bradykinese, Rigor, Ruhetremor und posturaler Instabilität. Im Gegensatz zur Parkinson-Krankheit zeichnen sie sich aber je nach betroffener Hirnregion durch bestimmte zusätzliche Befunde oder einen anderen klinischen Symptomverlauf aus. Wichtige Hinweise auf ein atypisches Parkinson-Syndrom sind z.B. das schlechte Ansprechen der Symptomatik auf eine L-Dopa-Therapie oder eine frühe demenzielle Entwicklung.
Die Therapieoptionen der atypischen Parkinson-Syndrome sind limitiert und rein symptomatisch. L-Dopa ist i.d.R. nicht oder nur schwach wirksam. Die Prognose ist schlechter als bei der Parkinson-Krankheit.
Wichtige Hinweise auf ein atypisches Parkinson-Syndrom
Bei den folgenden Symptomen handelt es sich um Warnzeichen unterschiedlicher atypischer Parkinson-Syndrome, die jedoch nicht zwangsläufig für eine Erkrankung sprechen müssen. Dennoch sollte ihr Auftreten bei einer vermeintlichen Parkinson-Krankheit als Alarmsignal gewertet werden und Anlass zur kritischen Prüfung der ursprünglichen Diagnose geben.
- Nicht-Ansprechen auf hohe Dosen L-Dopa über mehrere Monate
- Frühzeitige und schwerwiegende Beteiligung des autonomen Nervensystems (orthostatische Hypotension, Synkopen, Impotenz / sexuelle Funktionsstörungen, Inkontinenz, Anhidrose)
- Symptome einer Kleinhirnerkrankung
- Positives Babinski-Zeichen; Steigerung der Muskeleigenreflexe
- Starke Dysphagie
- Antecollis
- Ausgeprägte Dysarthrie
- Supranukleäre vertikale Blickparese
- Frühzeitig auftretende posturale Instabilität und Stürze
- Apraxie
Vergleich klinischer Befunde der Parkinson-Krankheit mit atypischen Parkinson-Syndromen
Vergleich klinischer Befunde der Parkinson-Krankheit mit atypischen Parkinson-Syndromen | |||
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Parkinson-Syndrom | Führende Symptome | Weitere Charakteristika | |
Parkinson-Krankheit |
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Atypische Parkinson-Syndrome | |||
MSA-P |
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MSA-C | |||
PSP |
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CBD |
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Multisystematrophien (MSA)
- Kurzbeschreibung: Kernsymptom ist eine ausgeprägte autonome Dysregulation (insb. orthostatische Hypotonie). Hinzu kommen je nach Unterform entweder typisch parkinsonoide oder eher zerebelläre motorische Symptome.
- "Shy-Drager-Syndrom"
- Epidemiologie [1]
- Prävalenz: Ca. 4:100.000
- Erkrankungsbeginn: Ca. 40.–60. Lebensjahr
- Durchschnittliche Krankheitsdauer: Ca. 10 Jahre
- Klinik
- Leitsymptom: Autonome Dysregulation häufig mit schwerer orthostatischer Dysfunktion und Synkopen
- Weitere vegetative Symptome: Bspw. Harninkontinenz/Harnverhalt, sexuelle Funktionsstörungen, Anhidrose
- Unterformen: Einteilung in zwei Unterformen entsprechend der motorischen Begleitsymptomatik
- MSA-P: Parkinson-Typ (Striatonigrale Degeneration)
- Symptomatik: Autonome Dysregulation und Parkinson-Syndrom
- MSA-C: Zerebellärer Typ (Olivopontozerebelläre Atrophie, OPCA)
- Symptomatik: Autonome Dysregulation und Kleinhirnsymptome wie Gangataxie, Dysarthrie (z.B. skandierende Sprache), Rumpfataxie, gestörte Feinmotorik, Blickrichtungsnystagmus
- MSA-P: Parkinson-Typ (Striatonigrale Degeneration)
- Weitere mögliche Symptome beider MSA-Formen
- Motorisch: Pyramidenbahnzeichen, Augenmotilitätsstörungen, Myoklonien, Dystonien (oft mit typischer Antecollis), Dysphagie, inspiratorischer Stridor
- Neuropsychiatrisch: Kognitive Störungen (z.B. Demenz, Frontalhirnsyndrom), Depression, Emotionale Abflachung, motivationale Defizite [2]
- Leitsymptom: Autonome Dysregulation häufig mit schwerer orthostatischer Dysfunktion und Synkopen
- Diagnostik/Differenzialdiagnostik
- Die Diagnosestellung erfolgt klinisch , siehe hierzu:
- Diagnostik beim Parkinson-Syndrom
- Differenzialdiagnostik des Parkinson-Syndroms
- Eine definitive Diagnosestellung ist nur durch eine histopathologische Post-mortem-Analyse möglich
- Die Diagnosestellung erfolgt klinisch , siehe hierzu:
- Differenzialdiagnostik der autonomen Dysfunktion
- Isolierte autonome Insuffizienz / Idiopathische orthostatische Hypotonie
- Störung der autonomen Funktion, die häufiger ältere (40.–70. Lebensjahr), männliche Patienten betrifft
- Klinik: Orthostatische Dysregulation mit lebensbedrohlichen Blutdruckabfällen (vor allem in Situationen der Blutredistribution, also z.B. bei Hitze, beim Aufstehen oder nach dem Essen), Stuhl- und Harninkontinenz und/oder erektiler Dysfunktion sowie Erlöschen des thermischen Regulationsvermögens. Nackenschmerzen werden von vielen als Prodromi geschildert.
- Siehe hierzu auch
- Orthostatische Synkope
- Basisdiagnostik bei Synkopen
- Isolierte autonome Insuffizienz / Idiopathische orthostatische Hypotonie
- Klinische Konsensuskriterien für eine wahrscheinliche MSA [1]
- Bei einem Erwachsenen (>30 Jahre) sporadisches, progredientes Auftreten einer Erkrankung, die einhergeht mit
- Autonomer Dysfunktion (entweder Harninkontinenz oder orthostatischem Blutdruckabfall ) sowie
- Vorliegen eines der folgenden Syndrome
- Parkinson-Syndrom mit geringem Ansprechen auf L-Dopa
- Symptome einer Kleinhirnerkrankung
- Bei einem Erwachsenen (>30 Jahre) sporadisches, progredientes Auftreten einer Erkrankung, die einhergeht mit
- Unterstützende Befunde der MSA in der Bildgebung
- MRT: Atrophie typischer Areale wie Putamen, Kleinhirn und Pons
- Nuklearmedizinische Verfahren: Typische Areale verminderter Aktivität in SPECT- und PET-Untersuchungen
- IBZM-Spect-Analyse: Prä- und postsynaptische Degeneration (verminderte Bindung)
- FDG-PET: Hypometabolismus in Putamen, Kleinhirn und Pons
- Histopathologie
- α-Synuklein-positive, oligodendrogliale, zytoplasmatische Einschlusskörperchen sind charakteristische Zeichen der MSA
- Therapie
- Keine kausale Therapie verfügbar → Supportive Maßnahmen und symptomatische Therapie stehen im Vordergrund
- Siehe hierzu: Supportive Therapien bei Parkinson-Syndromen
- I.d.R. schlechtes Ansprechen auf L-Dopa
- Keine kausale Therapie verfügbar → Supportive Maßnahmen und symptomatische Therapie stehen im Vordergrund
Progressive supranukleäre Blickparese (Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom)
- Kurzbeschreibung: Die Störung der willkürlichen Augenbewegungen ist das Kernsymptom dieses atypischen Parkinson-Syndroms. Ebenfalls charakteristisch ist eine Fallneigung nach hinten sowie eine frühe Dysphagie und Dysarthrie.
- Epidemiologie [1]
- Prävalenz ca. 10:100.000
- Verlauf
- Erkrankungsbeginn: Ca. 65. Lebensjahr
- Durchschnittliche Krankheitsdauer: 8 Jahre
- Klinik
- Leitsymptomatik: Progressive supranukleäre Blickparese = Störung der willkürlichen Augenbewegungen
- Anfangs Verlangsamung der Sakkaden
- Progression bis zur kompletten Ophthalmoplegie möglich
- Reflexartige nukleäre Augenbewegungen bleiben erhalten
- Zeitliches Auftreten je nach Unterform variabel
- Weitere mögliche Merkmale der Blickparese
- Auftreten von Doppelbildern
- Rarefizierung des Lidschlags
- Ungewollter Blepharospasmus
- Akinetisches Parkinson-Syndrom
- L-Dopa resistent
- Frühe posturale Instabilität, häufige Stürze (insb. nach hinten)
- Selten Tremor
- Weitere Symptome
- Frühe Dysphagie und Dysarthrie
- Dystonien
- Frontalhirnsyndrom mit Persönlichkeitsveränderungen, Reizbarkeit, verminderter Motivation, Depression
- Kognitive Defizite: Orientierungsstörungen, Bradyphrenie, im Verlauf Demenz
- Schlafstörungen
- Leitsymptomatik: Progressive supranukleäre Blickparese = Störung der willkürlichen Augenbewegungen
- Unterformen
- Richardson-Syndrom (PSP-RS) = Hauptform
- Frühes Auftreten der Blickparesen
- Symmetrisches Parkinson-Syndrom, das axial betont ist
- Frühe demenzielle Entwicklung
- PSP-Parkinson-Syndrom (PSP-P)
- Spätes Auftreten der Blickparesen
- Asymmetrisches Parkinson-Syndrom, eher peripher betont
- Pure akinesia with gait freezing (PSP-PAGF)
- Häufig Mischformen mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen
- Richardson-Syndrom (PSP-RS) = Hauptform
- Diagnostik/Differenzialdiagnostik: Eine definitive Diagnosestellung ist nur durch eine histopathologische Post-mortem-Analyse möglich
- Die Diagnosestellung erfolgt klinisch, i.d.R. im Rahmen der Differenzialdiagnostik eines Parkinson-Syndroms
- Siehe hierzu
- Diagnostik des Parkinson-Syndroms
- Differenzialdiagnostik des Parkinson-Syndroms
- Siehe hierzu
- Unterstützende Befunde der Bildgebung
- MRT: Sog. Mickey-Mouse-Zeichen (axiale Darstellung) bzw. Kolibri-Zeichen (sagittale Darstellung) durch Atrophie des Mesencephalons
- Nuklearmedizinische Verfahren: Typische Areale verminderter Aktivität in SPECT- und PET-Untersuchungen
- Die Diagnosestellung erfolgt klinisch, i.d.R. im Rahmen der Differenzialdiagnostik eines Parkinson-Syndroms
- Histopathologie
- Makroskopisch: Symmetrische Atrophie des Mesencephalons
- Mikroskopisch: Tau-positive Ablagerungen → Tauopathie
- Therapie
- Keine kausale Therapie verfügbar → Supportive Maßnahmen und symptomatische Therapie stehen im Vordergrund
- Siehe hierzu: Supportive Therapien bei Parkinson-Syndromen
- I.d.R. schlechtes Ansprechen auf L-Dopa
- Keine kausale Therapie verfügbar → Supportive Maßnahmen und symptomatische Therapie stehen im Vordergrund
Kortikobasale Degeneration
- Kurzbeschreibung Neben der typischerweise streng asymmetrischen Parkinson-Symptomatik (Hemiparkinson-Syndrom) stehen insb. muskuläre Symptome wie Myoklonien und Dystonien im Vordergrund. Außerdem charakteristisch ist das sog. Alien-limb-Phänomen, bei dem der Patient eine Extremität als fremd wahrnimmt.
- Epidemiologie [1]
- Prävalenz <1:100.000
- Verlauf
- Erkrankungsbeginn: I.d.R. nach dem 60. Lebensjahr
- Durchschnittliche Krankheitsdauer: Maximal 8–10 Jahre
- Klinik
- Extrapyramidalmotorische Symptomatik mit über lange Zeit einseitigem Parkinson-Syndrom (= Hemiparkinson-Syndrom)
- Ohne Ruhetremor
- Frühe posturale Instabilität mit gehäuften Stürzen
- Asymmetrische Myoklonien und Dystonien
- Alien-limb-Phänomen (betroffene Extremität wird vom Patienten als fremd wahrgenommen)
- Neuropsychiatrische Beteiligung
- Aphasie
- Ideomotorische Apraxie
- Im Verlauf demenzielle Entwicklung
- Selten: Frühe demenzielle Veränderungen ähnlich der frontotemporalen Demenz vom Verhaltenstyp
- Selten: Depression und Angststörungen
- Weitere Symptome: Störungen der Augenbewegungen mit Blickparesen/Doppelbildern
- Histopathologie
- Makroskopisch: Asymmetrische parietale Atrophie
- Mikroskopisch: Tau-positive Ablagerungen → Tauopathie
- Diagnostik/Differenzialdiagnostik
- Die Diagnosestellung erfolgt klinisch , siehe hierzu:
- Diagnostik beim Parkinson-Syndrom
- Differenzialdiagnostik des Parkinson-Syndroms
- Eine definitive Diagnosestellung ist nur durch eine histopathologische Post-mortem-Analyse möglich
- Die Diagnosestellung erfolgt klinisch , siehe hierzu:
- Therapie
- Keine kausale Therapie verfügbar → Supportive Maßnahmen und symptomatische Therapie stehen im Vordergrund
- Siehe hierzu: Supportive Therapien bei Parkinson-Syndromen
- Motorische Symptomatik
- Schwer beeinflussbar
- Ggf. in Frühstadien leichte Symptomverbesserung durch L-Dopa und Dopaminagonisten möglich
- Dystonien
- Lokale Botulinumtoxin-Injektionen der betroffenen Gebiete
- Keine kausale Therapie verfügbar → Supportive Maßnahmen und symptomatische Therapie stehen im Vordergrund
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- G23.-: Sonstige degenerative Krankheiten der Basalganglien
- G23.0: Hallervorden-Spatz-Syndrom
- Pigmentdegeneration des Pallidums
- G23.1: Progressive supranukleäre Ophthalmoplegie [Steele-Richardson-Olszewski- Syndrom]
- Progressive supranukleäre Parese
- G23.2: Multiple Systematrophie vom Parkinson-Typ [MSA-P]
- G23.3: Multiple Systematrophie vom zerebellären Typ [MSA-C]
- G23.8: Sonstige näher bezeichnete degenerative Krankheiten der Basalganglien
- Kalzifikation der Basalganglien
- Neurogene orthostatische Hypotonie [Shy-Drager-Syndrom]
- Exklusive: Orthostatische Hypotonie o.n.A. (I95.1)
- G23.9: Degenerative Krankheit der Basalganglien, nicht näher bezeichnet
- G23.0: Hallervorden-Spatz-Syndrom
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.