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Anaphylaxie und anaphylaktoide Reaktionen

Letzte Aktualisierung: 21.11.2023

Abstracttoggle arrow icon

Die Anaphylaxie bezeichnet eine akute, lebensbedrohliche Überempfindlichkeitsreaktion vom Typ 1, die durch eine plötzliche IgE-vermittelte Freisetzung von Histamin aus Mastzellen und Basophilen als Reaktion auf einen eigentlich harmlosen Auslöser (z.B. Lebensmittel, Insektenstiche, Medikamente) bedingt ist. Anaphylaktoide Reaktionen sind IgE-unabhängig und resultieren aus der direkten Aktivierung von Mastzellen. Zu den typischen Symptomen beider Reaktionen zählen Urtikaria, Angioödem, Stridor, Dyspnoe, Bronchospasmus, Kreislaufversagen, Erbrechen und Durchfall. Die Diagnose wird klinisch gestellt und basiert auf der Kombination aus typischen Symptomen sowie dem Vorhandensein eines bekannten oder vermuteten Auslösers. Der schnellstmögliche Beginn lebensrettender Maßnahmen (Adrenalin i.m., Expositionsstopp) bei Anaphylaxie oder anaphylaktoider Reaktion ist essenziell zur Vermeidung gravierender Komplikationen wie bspw. Atemversagen, Schock oder sogar Tod.

Definitiontoggle arrow icon

Epidemiologietoggle arrow icon

  • Inzidenz: 7–50/100.000 Einwohner jährlich
    • Ca. 1% aller Vorstellungen in der Notaufnahme
  • Todesfälle: 1–3/1 Mio. Einwohner jährlich
  • Geschlechterverteilung

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Ätiologietoggle arrow icon

  • Häufigste anaphylaxieauslösende Allergene
    • Im Kindesalter: Nahrungsmittel ca. 60%, Insektengift ca. 25%, Medikamente ca. 10%
    • Bei Erwachsenen: Am häufigsten Insektengift oder Medikamente, dann Nahrungsmittel

Pathophysiologietoggle arrow icon

Symptome/Kliniktoggle arrow icon

Prodromalsymptome

Charakteristische Symptome bei Anaphylaxie

Kein Symptom ist obligat, eine Anaphylaxie kann sich auch in Form einer uncharakteristischen Symptomatik zeigen!

Schweregradeinteilung in Anlehnung an Ring und Messmer [1]

Schweregrad einer anaphylaktischen Reaktion nach klinischer Symptomatik
Grad Haut- und Allgemeinsymptome Abdominelle Symptome Respiratorische Symptome Kardiovaskuläre Symptome
I
II
  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • Krämpfe
III
IV

Die Schweregradeinteilung einer anaphylaktischen Reaktion erfolgt nach dem jeweils lebensbedrohlichsten Leitsymptom!

Risikofaktoren für Anaphylaxie-Schweregrad III und IV

Verlaufs- und Sonderformentoggle arrow icon

  • Beginn
    • I.d.R. akut beginnend
    • Primär verzögert
  • Verlauf
    • Rasches Fortschreiten
    • Symptome können gleichzeitig oder nacheinander auftreten und haben keine spezifische Reihenfolge
  • Therapierefraktärität möglich
    • Protrahierte Reaktion: Persistierende Symptomatik trotz adäquater Therapie
    • Biphasische anaphylaktische Reaktion: Erneute Symptomatik 6–24 h nach initial erfolgreicher Therapie
  • Spontane Remission auf jeder Stufe möglich

Diagnostiktoggle arrow icon

  • Charakteristische Kriterien einer Anaphylaxie [2]
    • Plötzlich auftretende Hautsymptome zusammen mit
      • Respiratorischen Symptomen oder
      • Hypotonie bzw. deren Folgesymptomen
    • Plötzlich auftretende allergische Symptome an ≥2 Organsystemen nach Exposition mit wahrscheinlichem Allergen
    • Hypotonie nach Exposition mit bekanntem Allergen
  • Anamnese
    • Beschreibung des Akutgeschehens, weitere Symptome (bspw. Übelkeit, Brechreiz, Kopfschmerzen, thorakales Druckgefühl, Sehstörung, Pruritus)
    • Erfragen bekannter Allergien oder stattgehabter Reaktionen
  • Basisuntersuchung: Prüfung von Lebenszeichen, Puls und Blutdruck, Atmung, Haut und Schleimhaut
  • Nach Akutversorgung: Bestimmen von Mediatoren im Blut, insb.Serumtryptase

Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Wenn die Diagnosekriterien einer Anaphylaxie erfüllt sind, sollte eine entsprechende Therapie unverzüglich eingeleitet werden. Die folgenden Differenzialdiagnosen sollten nur bei Diagnoseunsicherheit oder schlechtem Ansprechen auf die initiale Therapie geprüft werden.

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Therapietoggle arrow icon

Therapie: Sofortmaßnahmen

Behandlungsschema bei Anaphylaxie

Sechs Szenarien in Abhängigkeit des Schweregrades

Grad Leitsymptome Therapie
I
II–III
IV

Weiterführende Therapie bei Anaphylaxie

Überwachung

  • Bis zur anhaltenden Remission
  • Möglichkeit eines biphasischen Verlaufs berücksichtigen
  • Bei allen schweren Reaktionen (≥Grad II): Stationäre Überwachung
  • Bei Anaphylaxien mit bedrohlicher Allgemeinreaktion: Intensivmedizinische Überwachung

Bei Entlassung

Notfallausrüstung zur Behandlung anaphylaktischer Reaktionen in der Praxis

In jeder ärztlichen Praxis sollte eine Ausrüstung zur Akuttherapie der Anaphylaxie vorhanden sein! Dies ist umso wichtiger, wenn vor Ort anaphylaxiefördernde Medikamente (insb. Präparate zur Immuntherapie und Chemotherapeutika) verabreicht werden!

Präventiontoggle arrow icon

Patienteninformationentoggle arrow icon

Quellentoggle arrow icon

  1. Ring et al.:Leitlinie zu Akuttherapie und Management der AnaphylaxieIn: Allergo J Int. Nummer: 23, 2014, doi: 10.1007/s40629-014-0009-1 . | Open in Read by QxMD p. 96-112.
  2. S2k-Leitlinie Akuttherapie und Management der Anaphylaxie - Update 2021.Stand: 1. Februar 2021. Abgerufen am: 23. November 2021.
  3. Fachinformation - Clemastin.. Abgerufen am: 19. November 2021.
  4. Fachinformation - Dimetinden.. Abgerufen am: 19. November 2021.
  5. Fachinformation - Cimetidin.. Abgerufen am: 19. November 2021.
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  8. Nicolai et al.: Erweiterte Maßnahmen der Reanimation bei Kindern: Schulungshandbuch. American Heart Association 2017, ISBN: 978-1-616-69607-8.
  9. Nicolai, Hoffmann: Kindernotfall-ABC - Kompendium für Notärzte und Kindernotärzte. 3. Auflage Springer 2019, ISBN: 978-3-662-49796-8.
  10. Nicolai: Pädiatrische Notfall- und Intensivmedizin. 5. Auflage Springer 2014, ISBN: 978-3-662-43660-8.
  11. Lott et al.:European Resuscitation Council Guidelines 2021: Cardiac arrest in special circumstancesIn: Resuscitation. Band: 161, 2021, doi: 10.1016/j.resuscitation.2021.02.011 . | Open in Read by QxMD p. 152-219.
  12. Reinhold et al.: Notfälle in Dermatologie und Allergologie. 2. Auflage Thieme 2012, ISBN: 978-3-131-16932-7.
  13. Trautmann, Kleine-Tebbe: Allergologie in Klinik und Praxis. Georg Thieme Verlag 2018, ISBN: 978-3-131-42183-8.
  14. Berner et al.: DGPI-Handbuch: Infektionen bei Kindern und Jugendlichen. 7. Auflage Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) 2018, ISBN: 978-3-132-40790-9.
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  19. Traidl-Hoffmann:Allergie – eine Umwelterkrankung!In: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz. Band: 60, Nummer: 6, 2017, doi: 10.1007/s00103-017-2547-4 . | Open in Read by QxMD p. 584-591.
  20. Perkins et al.:Kurzfassung der Leitlinien des European Resuscitation Council 2021In: Notfall + Rettungsmedizin. Band: 24, Nummer: 4, 2021, doi: 10.1007/s10049-021-00883-z . | Open in Read by QxMD p. 274-345.

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