Zusammenfassung
Bei der Prophylaxe bzw. Behandlung eines Dekubitus (Druckgeschwür) sind interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie klare Absprachen nötig. Die Pflege der betroffenen Patient:innen inkl. der Durchführung aller präventiven Maßnahmen ist ein essenzieller Bestandteil der pflegerischen Arbeit. Der aktuelle Expertenstandard „Dekubitusprophylaxe in der Pflege“ gibt Empfehlungen zu präventiven Maßnahmen und sollte in jeder Einrichtung vorhanden sein. Neben der Ätiologie bzw. den Risikofaktoren und der Stadieneinteilung/Klassifikation des Dekubitus sollten die Pflegekräfte regelmäßig ihr Wissen über Differenzialdiagnosen, Risiko- und Hautassessments sowie präventive Maßnahmen auffrischen. Darüber hinaus ist es Aufgabe der Pflegekräfte, Patient:innen und ihre Angehörigen über die durchzuführenden Maßnahmen zu informieren, anzuleiten und ggf. zu beraten.
Die Behandlung eines entstandenen Dekubitus ist oft langwierig und mit einem hohen Kosten- und Personalaufwand verbunden. Zu Recht wird die Anzahl der entstandenen Druckgeschwüre in einer Einrichtung als Qualitätsmerkmal gewertet. Trotzdem muss bedacht werden, dass es Situationen gibt, in denen die Entstehung eines Dekubitus nicht zu verhindern ist. Dies gilt bspw. für die finale Phase des Lebens oder für Patient:innen in akuter Lebensgefahr, die nicht bewegt werden können.
Für weitere Informationen (insb. zur Klassifikation, Pathophysiologie und Therapie des Dekubitus) siehe auch: Dekubitus.
Risikofaktoren und Risikoeinschätzung
Risikofaktoren
- Beeinträchtigungen der Mobilität: Durch erhöhte und/oder verlängerte Druck- und/oder Scherkrafteinwirkungen
- Bettlägerigkeit bzw. Bewegungseinschränkungen (Kontrakturen )
- Störungen der Durchblutung: Schwächt die Toleranz der Haut gegenüber mechanischer Belastung, bspw. bei
- Beeinträchtigter Hautzustand: Durch eine erhöhte Anfälligkeit der Haut für Schädigungen, bspw. bei
- Bereits bestehendem Dekubitus
- Hautkrankheiten oder lokalen Irritationen (auch Narben) und Verletzungen
- Hautmazeration bei Harn- und/oder Stuhlinkontinenz
- Anatomischen Veränderungen (z.B. Skoliose, Amputation)
- Weitere (systemische) Faktoren: Bspw.
- Alter
- Fehlernährung (Adipositas oder Kachexie) und Dehydration
- Chronischer Alkohol-, Drogen- und Nikotinabusus
- Fieber
- Hypotonie
- Umgebungsbezogene Faktoren: Bspw. harte Matratzen, Falten im Bettlaken, Gegenstände im Bett
- Therapiebezogene Faktoren: Bspw. Zu- und Ableitungen, Schienen, Pflaster, Elektroden, Medikamente
Oftmals bedingen sich die Risikofaktoren gegenseitig: Wenn bspw. eine beeinträchtigte Mobilität vorliegt, geht diese häufig auch mit Kontinenzproblemen, Zu- und Ableitungen am Körper und ggf. Sensibilitätsstörungen einher. Dies wiederum kann zu einer Schwächung der Gewebetoleranz führen!
Risikoeinschätzung: Braden-Skala
Das Risiko kann unterstützend mithilfe geeigneter Skalen eingeschätzt werden, bspw. mit der Norton-, Waterlow-, Cubbin-Jackson- oder Braden-Skala. Zusätzlich ist eine klinische Inspektion und eine individuelle Beurteilung der Risikofaktoren durchzuführen. Weit verbreitet ist der Einsatz der Braden-Skala, die folgende Risikofaktoren beurteilt:
- Mobilität
- Aktivität
- Krafteinwirkung
- Sensorik
- Ernährung
- Feuchtigkeit
Für jede zu bewertende Kategorie gibt es vier Antwortmöglichkeiten, für die 1–4 Punkte vergeben werden. Wurden alle Kategorien eingeschätzt, werden die Punkte zusammengezählt. Möglich sind 6–24 Punkte. Je niedriger die Punktzahl, desto höher das Dekubitusrisiko. Das Ergebnis und weitere Risikofaktoren, insb. auch bei der Aufnahme vorhandene Wunden, sollten unbedingt dokumentiert werden.
Häufig wird das Risiko zu Beginn der stationären Behandlung ersteingeschätzt. Es sollte aber eine regelmäßige Reevaluation durchgeführt werden, insb. bei gravierenden Zustandsveränderungen der Patient:innen und/oder nach hausintern festgelegten Zeitintervallen!
Dekubitus-Prädilektionsstellen
- Betroffen sind insb. Regionen über knöchernen Vorsprüngen
- Kreuz- und Steißbein
- Sitzbein
- Trochanter major
- Ferse
- Außenknöchel
Präventionsmaßnahmen und Hilfsmittel
Allgemeine Präventionsmaßnahmen
- Regelmäßige Positionsveränderungen bei gefährdeten Patient:innen i.d.R. nach folgendem Rhythmus: Rückenlage → 30° rechte Seitenlage → Rückenlage → 30° linke Seitenlage
- I.d.R. alle zwei Stunden : Je nach (Haut‑)Zustand , (druckentlastender) Eigenbewegung und den Risikofaktoren der Patient:innen kann eine Intervallverlängerung bzw. -verkürzung notwendig sein
- Hautbeobachtung und ggf. Fingertest: Bei jeder Positionsänderung durchführen
- Fersenposition und Druck auf Knochenvorsprünge überprüfen
- Keinen Druck bzw. keine Positionierung auf gerötete Stellen
- Auf Sonden, Katheter, Schienen sowie weitere Hilfsmittel und deren Position achten : Patient:innen sollten nicht auf Zu- oder Ableitungen bzw. Hilfsmitteln liegen, ggf. müssen Hilfsmittel angepasst oder gepolstert werden
- Mikropositionierungen durchführen : Zur Verbesserung der Durchblutung und Beweglichkeit
- Insb. bei Schmerzen, nachts oder wenn keine Makropositionsveränderung aufgrund des Zustandes möglich sind
- Mittels Schaumstoff, Handtüchern
- Im besten Fall alle 10–30 Minuten, ggf. stündlich
- Kopf abwechselnd in leichter Links-/Rechtslage positionieren
- Zusätzlich: Körperteile abwechselnd im Uhrzeigersinn unterpolstern, um die Position leicht zu verändern
- Positionierung in Bauchlage/135°-Lage
- Wird ggf. von Patient:innen nicht toleriert
- Kommt nur in Ausnahmefällen zum Einsatz
- Immer nur mit Hilfsmitteln und Unterpolsterung der Prädilektionsstellen
- Eigenbewegung fördern: Durch Motivation und Anleitung, jede Mikro- oder auch Makrobewegung ist positiv zu bewerten
- (Früh‑)Mobilisation (nach ärztlicher Anordnung): So oft wie möglich und angepasst an den Zustand der Patient:innen
- Bewegungsübungen bspw. in Grundpflege integrieren: Großer Nutzen, geringer Zeitaufwand
- Auf hautschonende Bewegungen achten: Um Scherkräfte zu vermeiden
- Auf Schmerzäußerungen bzw. nonverbale Schmerzzeichen achten
- Bei (vermuteter) gestörter Schmerzwahrnehmung: Insb. bei Patient:innen mit verminderter Sensorik , regelmäßige Positionsveränderungen durchführen
- Hautpflege: Auf Rötungen achten, ggf. Fingertest durchführen
- Auf saubere und trockene Haut achten
- pH-neutrale Hautreinigungsmittel verwenden
- Insb. bei Inkontinenz: Nach vorsichtiger Reinigung und Trocknung Hautschutzprodukte auftragen, die die natürliche Schutzbarriere der Haut unterstützen
- Ggf. feuchtigkeitsspendende Pflegeprodukte verwenden: Bei feuchter Haut Öl-in-Wasser-Emulsion, bei trockener Haut Wasser-in-Öl-Emulsion
- Prädilektionsstellen ggf. präventiv mit Auflagen abpolstern
- Zu vermeiden
- Salben und Cremes verwenden, die die Hautatmung einschränken
- Alkoholhaltige Produkte, bspw. Franzbranntwein
- Ätherische Öle
- Prophylaktische Verwendung von Desinfektionsmittel
- Gummi und Plastik auf der Haut
- Ernährung: Mangel- und Unterernährung durch regelmäßige Screenings vorbeugen [1]
- Nahrungsaufnahme überprüfen
- Größe, Gewicht, Umfang regelmäßig erheben
- Laborparameter zum Ernährungsstatus im Blut nach ärztlicher Anordnung erheben, bspw. Albumin, Hämoglobin, Hämatokrit, BZ-Spiegel, Leberfunktion, Folsäure, Vitamin B12
- Ggf. nahrungsergänzende Maßnahmen nach ärztlicher Anordnung: Insb. bei inadäquater Ernährung
- Edukation der Patient:innen und Angehörigen: Insb. über Risikofaktoren, Prophylaxemaßnahmen sowie ggf. Folgen eines Dekubitus
- Patient:in in die Pflegeplanung einbeziehen: Insb. auch um die Therapieadhärenz zu fördern
Fingertest
- Ziel: Ausschließen bzw. Erkennen eines Dekubitus
- Anwendung: Bei geröteten, aber intakten Hautstellen
- Durchführung
- Betroffene Stelle komprimieren (leicht eindrücken)
- Bei Weißfärbung der Haut und anschließender Rötung: Fingertest negativ → Kein Dekubitus → Positionierungsintervall verkürzen
- Bleibt die Haut auch unter Druck rot : Fingertest positiv → Dekubitus Grad I → Positionierungsintervall verkürzen
Auch wenn der Fingertest negativ ist, also im Moment kein Dekubitus vorliegt, sollten die geröteten Bereiche unverzüglich entlastet werden! Das Dekubitusrisiko ist hier erhöht!
Spezielle Präventionsmaßnahmen
- Dekubitus an der Ferse vermeiden
- Regelmäßige Hautinspektion
- Ferse frei von Druck positionieren
- Knie in 5–10°-Beugestellung mit Unterpolsterung
- Druck auf weitere Prädilektionsstellen vermeiden
- Hinweise zur Vermeidung von Dekubitus an Zu- und Ableitungen
- Zusätzliche Hautinspektionen an den gefährdeten Hautstellen: >2×/Tag
- Korrekte Verwendung der Zu- und Ableitungen überprüfen: Insb. Lage, Größe, Material
- Sofortige Entfernung bei Kontraindikationen
- Spezielle Hautpflege
- Regelmäßige Lagewechsel bspw. bei Sonden
- Präventive Auflagen zur Polsterung benutzen
- Hinweise zur Positionierung im Rollstuhl
- Zeitlich begrenzt
- Transfer möglichst mit Hilfsmitteln, die den Druck und die Scherkraft reduzieren
- Keine Positionierung auf erythematöse Stellen
- Körperstabilität, ggf. mit Unterstützung, und Handlungs-/Bewegungsfreiheit im Rollstuhl sicherstellen
- Druck auf die Prädilektionsstellen möglichst gering halten
- Vor der Positionierung: Hautinspektion der Prädilektionsstellen
- Herunterrutschen der Patient:innen im Rollstuhl vermeiden
- Füße auf dem Boden bzw. auf den Fußstützen positionieren
- Auf adäquate Kniebeugung und Achillessehnenstreckung achten: Fußstützen nicht zu hoch einstellen, damit die Achillessehne nicht gedehnt wird und die Knie zu stark gebeugt sind
- Hüfte, Knie und Füße in 90°-Stellung
- Druckentlastende Sitzunterlage: Insb. für Patient:innen mit Querschnittslähmung vom Expertenstandard empfohlen
Hilfsmittel
- Weichlagerungssysteme mit Druckverteilung : Insb. für Risikopatient:innen empfohlen und Standardmatratzen vorzuziehen
- Nicht empfohlen für Patient:innen, die sich eigenständig bewegen können und/oder bei denen die (Eigen‑)Bewegung gefördert werden soll
- Achtung: Weiterhin regelmäßige Positionsveränderungen und andere Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe notwendig
- Druckentlastende Sitzunterlage: Insb. für Patient:innen mit Querschnittslähmung vom Expertenstandard empfohlen
- Wechseldrucksysteme mit Druckentlastung Insb. für Patient:innen, bei denen eine höher frequente Umpositionierung aufgrund der Erkrankung nicht möglich ist
- Prädilektionsstellen in die Mitte einer „Luftzelle“ positionieren, damit sie tatsächlich entlastet werden
- Achtung: Weiterhin regelmäßige Positionsveränderungen und andere Maßnahmen zur Dekubitusprophylaxe notwendig
- Kombinierte Systeme: Matratzen, die automatisch oder manuell die beiden oben genannten Systeme miteinander kombinieren
- Mikrostimulationssysteme: Durch Federn oder Automatik werden (Eigen‑)Bewegungen zurück auf die Patient:innen übertragen
- Kriterien zur Auswahl eines passenden Systems
- Nach Priorisierung der Pflege- und Therapieziele: Insb. Förderung der Eigenbewegung und ggf. mögliche negative Auswirkungen durch bewegungseinschränkende Hilfsmittel
- Gefährdete Körperstellen
- Gewicht der Patient:innen
- Kosten-Nutzen-Abwägung
- Präferenzen und Wünsche der Patient:innen