Abstract
Die glutensensitive Enteropathie ist eine häufige, immunvermittelte, primär den Darm betreffende Erkrankung. Sie ist mit vielen anderen Autoimmunerkrankungen assoziiert. Während man bisher im Erwachsenenalter von „einheimischer Sprue“ sprach, wird die Erkrankung heute in jedem Alter als „Zöliakie“ bezeichnet. Pathophysiologisch kommt es unter der Voraussetzung bestimmter HLA-Eigenschaften zur Glutenunverträglichkeit. Gluten ist ein Getreideprotein, das für die Kleberbildung im Weizen verantwortlich ist. Es werden Autoantikörper gegen die Gewebstransglutaminase (körpereigenes Protein und Antigen) gebildet und es kommt zur Entzündung der Darmschleimhaut. Die Erkrankung kann klinisch vielfältig verlaufen – häufige Symptome sind bspw. Stuhlveränderungen, Antriebslosigkeit und durch Malabsorption verursachte Beschwerden.
Die Diagnose wird klassischerweise mittels Antikörperbestimmung im Serum und Duodenalbiopsie (Zottenatrophie und Kryptenhyperplasie) gestellt. Der zweifelsfreie Nachweis ist besonders wichtig, weil die Therapie der Erkrankung in einer lebenslangen, glutenfreien Diät besteht. Unter Einhaltung der Ernährungsvorschriften ist die Prognose gut, zumal sich auch das erhöhte Entartungsrisiko (intestinales Lymphom) wieder normalisiert.
Definition
- Definition: Entzündliche autoimmune Darmerkrankung durch lebenslange Unverträglichkeit gegen Gliadin-Fraktion des Glutens (Getreideprotein)
- Terminologie: Bis vor Kurzem altersabhängig (siehe unten); heute sollte man nach der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen neben der allgemeinen Bezeichnung „glutensensitive Enteropathie“ den Begriff „Zöliakie“ verwenden
- Veraltet: Bei Kindern: Intestinaler Infantilismus
- Veraltet: Bei Erwachsenen: Nicht-tropische oder einheimische Sprue
Epidemiologie
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Genetische Voraussetzung [2]
- Bedingung für die Manifestation einer Zöliakie sind bestimmte HLA-Eigenschaften
- Mögliche Auslöser einer Zöliakie bei entsprechender HLA-Voraussetzung
- Frühe und hohe Glutenexposition
- Gastrointestinale Infektionen
- Antibiotika und Veränderungen des Darmmikrobioms
Pathophysiologie
Glutenunverträglichkeit [1][2]
Gluten ist ein Getreide-Speicherprotein und Bestandteil von Weizen, mit Weizen verwandten Getreidesorten (Roggen, Gerste) und alten Weizensorten (Dinkel, Emmer, Einkorn). Es besteht aus den zwei Fraktionen Gliadin und Glutenin, die über den Dünndarm aufgenommen werden können. Im Weizenteig ist Gluten für die Kleberbildung verantwortlich und daher beim Backen so beliebt. Mehrere pathophysiologische Mechanismen führen am Ende zur Mukosaschädigung:
- Glutenproteine reagieren mit der Gewebstransglutaminase (tTG2, Autoantigen) in der Lamina propria des Darmepithels → Glutenproteine binden über HLA an antigenpräsentierende Zellen → Antigenpräsentierende Zellen aktivieren glutenspezifische entzündliche T-Lymphozyten → Cytokinausschüttung → Aktivierung weiterer Zellen, z.B. Fibroblasten- und Makrophagen → Produktion gewebsdestruktiver Enzyme
- Gluten und in Weizen vorkommende Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) aktivieren direkt die angeborene Immunreaktion der Darmepithelzellen → Verstärkung der T-Zell-Aktivierung → Infiltration des Darmepithels mit zytotoxischen Lymphozyten
- Beide Mechanismen (die gewebsdestruktiven Enzyme und die intraepithelialen zytotoxischen Lymphozyten) führen zum entzündlichen Schleimhautumbau mit Zottenatrophie, beschleunigter Apoptose der Darmepithelien und kompensatorischer Kryptenhyperplasie → Verminderte Resorptionsleistung des Darmepithels/Malabsorption
- Aktivierte T-Lymphozyten stimulieren zudem B-Lymphozyten zur Produktion von Antikörpern gegen Gliadin und Gewebstransglutaminase
Symptome/Klinik
Mögliche Symptome können intestinal, extraintestinal, Zeichen der Malabsorption und sogar neurologisch-psychiatrisch sein. Die klassische Symptomatik mit Bauchschmerzen, Diarrhöen und Malabsorption sieht man heute seltener. [1][2]
Allgemeinsymptome
- Antriebslosigkeit, Müdigkeit
- Appetitlosigkeit
Intestinale Symptome
- Stuhlveränderungen: Diarrhö, Steatorrhö, Obstipation
- Abdominelle Beschwerden: Nausea, Erbrechen, Flatulenz, aufgeblähtes Abdomen, Bauchschmerzen
Malabsorption
- Gewichtsverlust, Muskelatrophie
- Gedeihstörung
- Eiweißmangelödeme
- Infektanfälligkeit
- Orale Aphthen
- Zahnschmelzdefekte
- Folgen eines Mangels an Vitaminen bzw. Spurenelementen
- Eisenmangel
- Mikrozytäre Eisenmangelanämie
- Zungenbrennen
- Rhagaden
- Vitamin-B12- und/oder Folsäuremangel
- Megaloblastäre Anämie
- Periphere Neuropathie
- Vitamin-K-Mangel
- Hämatome und Ekchymosen
- Calciummangel und Vitamin-D-Mangel
- Tetanie (Chvostek-Zeichen)
- Muskel- oder Knochenschmerzen
- Osteoporose
- Frakturen ohne adäquates Trauma
- Vitamin-A-Mangel
- Nachtblindheit
- Eisenmangel
Extraintestinale Symptome
- Psychiatrisch: Wesensveränderung, Übellaunigkeit, Konzentrationsstörung
- Neurologisch [6]: Ataxie, Neuropathie
- Hepatologisch: Fettleber, Transaminasenerhöhung
- Dermatologisch: Dermatitis herpetiformis Duhring (Erythem, Plaques, Bläschen)
- IgA-Mangel
- Infertilität
- Siehe auch: Zöliakie-assoziierte Erkrankungen
Die Symptomatik der Zöliakie ist sehr variabel – auch komplett asymptomatische Verläufe sind möglich!
Aufgrund der unterschiedlichen Manifestationen nennt man die Zöliakie auch das Chamäleon der Gastroenterologie!
Die Dermatitis herpetiformis Duhring ist eine Sonderform der Zöliakie!
Typische Symptomatik bei Kindern
- Gedeihstörung
- Wachstumsretardierung
- Muskelatrophie
- Schwund des Unterhautfettgewebes, Tabaksbeutelgesäß
- Intestinal
- Bauchschmerzen
- Glänzende, voluminöse, übelriechende Diarrhöen
- Aufgetriebenes Abdomen, Trommelbauch
- Verhaltens- und Wesensveränderung
- Eisenmangel
- Pubertas tarda (Amenorrhö)
Das typische Zöliakie-kranke Kind ist ein schlankes, missmutiges Kind mit aufgetriebenem Abdomen!
Assoziierte Erkrankungen
Die Liste der mit Zöliakie assoziierten Autoimmunerkrankungen ist lang. Ursache ist die gemeinsame genetische Prädisposition . Mehrere dieser Autoimmunerkrankungen werden unter den polyglandulären Syndromen zusammengefasst .
Bei Vorliegen folgender Erkrankungen sollte der Ausschluss einer Zöliakie erwogen werden:
Autoimmunerkrankungen [1][2]
- Diabetes mellitus Typ 1 [1]
- Autoimmunthyreoiditis (Hashimoto-Thyreoiditis, Morbus Basedow) (Risiko bis zu 3–7%)
- Autoimmunhepatitis, primär sklerosierende Cholangitis, primär biliäre Zirrhose
- Kollagenosen (systemischer Lupus erythematodes, Sjögren-Syndrom)
- Morbus Addison
- Juvenile Polyarthritis
Syndromale Erkrankungen
- Ulrich-Turner-Syndrom
- Trisomie 21 (Risiko bis zu 5–12%)
- Williams-Beuren-Syndrom
Dermatologische Erkrankungen
- Psoriasis
- Autoimmunalopezie
- Dermatitis herpetiformis Duhring (Risiko bis zu 2–4%)
Neurologisch-psychiatrische Erkrankungen [6]
Weitere Erkrankungen
- Transaminasenerhöhung
- IgA-Mangel
- Asthma bronchiale
- Osteopathie (Osteomalazie, Osteoporose)
- Mikroskopische Kolitis
- Reizdarmsyndrom
- Lymphoproliferative Erkrankungen
Verlaufs- und Sonderformen
Symptomatische Zöliakie [1][5]
- Einteilung in
- Klassische Zöliakie: Intestinale Symptomatik bei bestätigter Zöliakie (positive Serumantikörper und Marsh Typ 2–3)
- Vorwiegend extraintestinale Symptomatik, z.B. Misslaunigkeit, chronische Hepatitis, Dermatitis herpetiformis Duhring (gastrointestinale Symptome können fehlen)
Subklinische Zöliakie
- Positive Zöliakie-spezifische Antikörper UND positive Dünndarmbiopsie OHNE Symptome
- Unter glutenfreier Diät keine erkennbare Verbesserung
- Fallen meist durch Screening auf (z.B. Verwandte 1. Grades von Personen mit Zöliakie)
- Akute Verschlechterung durch enterale Stressoren wie Virusinfekte möglich
Potentielle Zöliakie
- Positive Zöliakie-spezifische Antikörper ohne Symptome UND negative Dünndarmbiopsie
Refraktäre Zöliakie [2]
- Definition: Persistierende oder neue Zottenatrophie und intestinale oder extraintestinale Symptome trotz glutenfreier Diät über mind. 12 Monaten (Diätfehler ausschließen!) bei initial erhöhten Zöliakie-Antikörpern und meist Normalisierung der Antikörper unter glutenfreier Diät
- Epidemiologie: Selten (1,5% der Patienten mit Zöliakie) [1]
- Klinik
- Persistenz/Wiederauftreten von Diarrhöen unter glutenfreier Diät (>4 Wochen)
- Müdigkeit, Leistungsminderung
- B-Symptomatik
- Formen
- Typ 1: Keine Vermehrung intraepithelialer Lymphozyten, benigne, 5-Jahres-Überlebensrate 80–96%
- Typ 2: Ausgeprägte Klinik, schwer behandelbar, geht zu 50% in ein Enteropathie-assoziiertes T-Zell-Lymphom über, hohe Mortalität, 5-Jahres-Überlebensrate 44–58%
- Diagnostik
- Diät überprüfen
- Ösophagogastroduodenoskopie mit Nachweis von Marsh Typ-3-Enteropathie
- Ausschluss von Differentialdiagnosen
- Histopathologische Zusatzuntersuchungen (Immunhistochemie und Molekularpathologie) an tiefen Duodenalbiopsien
- Schnittbildgebung (CT, MRT: LK-Vergrößerung?)
- Ileokoloskopie (mit Biopsien aus terminalem Ileum)
- Ggf. Dünndarmendoskopie und Kapselendoskopie (zum Ausschluss einer ulzerativer Jejunitis und EATL), weitergehende Labordiagnostik
- Therapie
- Typ 1 und 2: Anbindung an Zentrum mit Erfahrung in der Therapie der refraktären Zöliakie
- Medikamentöse Therapieoptionen abhängig von der Ausprägung der Symptomatik, Alter und Multimorbidität
- Typ 1: Budesonid, Azathioprin, Oligopeptid-basierte Sonden-/Trinknahrung, Calcineurin-Inhibitor, Anti-TNF-α-Antikörper
- Typ 2: Budesonid, Cladribin, Chemotherapie (CHOP-Schema), autologe Stammzelltransplantation nach Chemotherapie
Diagnostik
Durch die atypischen Manifestationen (atypische Symptome, assoziierte Grunderkrankungen) beträgt die Verzögerung der Diagnosestellung weiterhin mehrere Jahre, trotz heute guter diagnostischer Möglichkeiten.
Anamnese und körperliche Untersuchung [1][2][4][7]
- Stuhlanamnese und -inspektion
- Symptome, insb. Zeichen der Malabsorption und Mangelernährung
- Familienanamnese
- Zöliakie-assoziierte Erkrankungen
- Insb. bei Diabetes mellitus Typ 1, Autoimmunthyreoiditis, Trisomie 21 und Dermatitis herpetiformis Duhring sollte eine Zöliakie ausgeschlossen werden
- Alle weiteren Zöliakie-assoziierten Erkrankungen: Kritisch auf Symptome einer Zöliakie achten und Zöliakiediagnostik erwägen
Voraussetzung für die weitere Diagnostik
- Diagnostik muss unter glutenhaltiger Ernährung erfolgen (unbedingt bei Verdachtsdiagnose aufklären) [2]
- Wurde die glutenfreie Diät bereits begonnen, soll eine Glutenbelastung über mehrere Wochen erfolgen
- Glutenbelastung sollte Normalkost sein
- Glutenzufuhr je nach Alter 6–18 g/d
- Antikörperbestimmung vor und unter Glutenbelastung
- Bei ausgeprägten Beschwerden zeitnahe Biopsie, bei geringeren Beschwerden/Beschwerdefreiheit Antikörperbestimmung frühestens nach 4 und spätestens nach 12 Wochen
- Wenn die Antikörper unter Glutenbelastung negativ bleiben: Normalkost empfehlen
- Nachkontrollen bei Kindern und Jugendlichen
- Antikörperbestimmung alle 6 Monate über 2 Jahre; wenn nach 2 Jahren die Antikörper negativ geblieben sind und Symptome fehlen, gilt die Glutenbelastung als negativ
- Erneute Antikörperkontrolle nach 5 und 10 Jahren
Die Diagnostik sollte stets unter glutenhaltiger Ernährung erfolgen!
Serologie (Blut)
- Basisdiagnostik: Transglutaminase-IgA und Gesamt-IgA
- Indikation
- Klinischer Hinweis auf Zöliakie
- Personen mit erhöhtem Risiko für eine Zöliakie (erstgradig Verwandte mit Zöliakie, Zöliakie-assoziierte Erkrankungen) auch ohne das Vorliegen von Symptomen
- Transglutaminase-IgA (tTG-AK): Wichtigster serologischer Marker für Zöliakie
- Endomysium-IgA (EmA-AK): Alternative zu tTG-IgA
- Gesamt-IgA
- Zöliakie-Patienten haben häufiger IgA-Mangel (Gesamtbevölkerung ca. 0,2%, bei Personen mit Zöliakie 2–3%)
- Bei IgA-Mangel: Bestimmung von Transglutaminase-IgG oder ausnahmsweise Deamidiertes-Gliadin-Antikörper-IgG (DGP-IgG; deamidierte Gliadin-Peptid-IgG)
- Indikation
- HLA-DQ2/-DQ8
- Indikation: Aufgrund des hohen negativen prädiktiven Werts HLA-Typisierung zum Ausschluss einer Zöliakie bei
- Erhöhtem Risiko für Zöliakie UND negativer Antikörperdiagnostik zum Ausschluss einer Zöliakie
- Diskrepanten Befunden
- Personen mit fraglicher Zöliakiediagnose und glutenfreier Diät >2 Monate, bei denen eine Glutenbelastung erwogen wird
- HLA-DQ-Gluten-Tetramer kann möglicherweise Zöliakie auch unter glutenfreier Diät identifizieren, Evidenz noch nicht ausreichend nachgewiesen
- Indikation: Aufgrund des hohen negativen prädiktiven Werts HLA-Typisierung zum Ausschluss einer Zöliakie bei
- Veraltet: Der Nachweis von Anti-Gliadin-Antikörpern (AGA-IgA und -IgG) wird nicht mehr empfohlen, der positive prädiktive Wert ist sehr niedrig, sie scheinen eher ein Hinweis für eine erhöhte Darmpermeabilität zu sein. Antikörper gegen deamidiertes Gliadin hingegen sind spezifischer als Antigliadin-Antikörper, jedoch weniger spezifisch als tTG-AK und EmA-AK. Ihr Nachweis kann bei IgA-Mangel alternativ zu tTG-IgG erwogen werden [8]
Ösophagogastroduodenoskopie
- Durchführung einer ÖGD mit Biopsieentnahme aus dem Duodenum ist Goldstandard zur Diagnosestellung
- Kapselendoskopie: Zu erwägen bei speziellen Fragestellungen oder Personen, bei denen eine Endoskopie unmöglich ist; hier kann jedoch keine Biopsieentnahme erfolgen
Indikation zur ÖGD
- Positive tTG-AK oder EmA-AK
- Bei asymptomatischen Personen mit erhöhtem Risiko
- >3-fach erhöhte Antikörper
- <3-fach erhöhte Antikörper: Nur, wenn der 2. Antikörpernachweis positiv ist; sonst zuerst serologische Kontrolle nach 3–6 Monaten
Verzicht auf ÖGD [9][10][11]
Bei Kindern und Jugendlichen mit Zeichen einer Malabsorption kann eine Diagnosestellung ohne Histologie erfolgen, wenn folgende Kriterien erfüllt sind :
- tTG-IgA >10-fach erhöht UND
- Positive EmA-IgA (aus einer zweiten unabhängigen Blutprobe) UND
- Nachweis von HLA-DQ2 oder -DQ8 UND
- „Diagnosis ex juvantibus“: Klinische Besserung durch glutenfreie Diät
Makroskopisch endoskopische Befunde bei Zöliakie
- Atrophie der Schleimhaut
- Wellige Muscheloberfläche („scalopping“) der duodenalen Kerckring-Falten
- Pflastersteinrelief (gefelderte, eingekerbte Mukosa durch Furchen und Risse)
Biopsieentnahme
- Zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose sind 6 Dünndarmbiopsien aus verschiedenen Duodenalabschnitten (ÖGD) notwendig: Je 2 Biopsien aus Bulbus duodeni, mittlerem und distalem Duodenum
- Histologische Befundung durch Pathologie, siehe: Modifizierte Marsh-Oberhuber-Klassifikation
- Erneute Biopsien können bei Nichtansprechen der Therapie notwendig werden
Mikroskopisch endoskopische Befunde bei Zöliakie
- Zottenatrophie
- Kryptenhyperplasie
- Intraepitheliale Lymphozytenproliferation (IEL) pro 100 Enterozyten
Diagnosestellung Zöliakie
- Kriterien zur Diagnosestellung [1]
- Positive Serologie (bei asymptomatischen Personen >3-fach erhöhter AK-Titer) UND
- Positive Histologie (Marsh 2–3) UND
- Serologische Besserung unter glutenfreier Diät
- Folgende Laborparameter können bei Erstdiagnose mitbestimmt werden: Blutbild, Vitamin B12, Folsäure, Ferritin, Transaminasen, Calcium, Nüchternblutzucker, Vitamin D (25-OH-Cholecalciferol), alkalische Phosphatase, Zink, TSH
Der erste diagnostische Schritt bei V.a. eine Zöliakie ist die Bestimmung von Zöliakie-spezifischen Antikörpern (tTG oder EmA). Der Goldstandard zur Diagnosesicherung ist die Duodenalbiopsie!
Bei einem IgA-Mangel, der gehäuft bei Zöliakie-Patienten auftritt, müssen Transglutaminase-IgG oder Deamidiertes-Gliadin-Antikörper-IgG bestimmt werden!
Pathologie
Typ 0 | Typ 1 | Typ 2 | Typ 3 | |
---|---|---|---|---|
Zotten |
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|
| |
Krypten |
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| ||
Intraepitheliale Lymphozytenproliferation (IEL)/100 Enterozyten [12] [13][14] |
|
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Interpretation
- Marsh 1: Unzureichend zur Diagnosestellung, kann viele Ursachen haben (z.B. Nahrungsmittelallergien, Infektionen), positiver prädiktiver Wert für Zöliakie 15% [5]
- Marsh 2–3: Zusammen mit positiver Serologie kann die Diagnose Zöliakie gestellt werden, typisch und häufig ist Marsh 3
- Die Bedeutung und Notwendigkeit der Subklassifikation in 3a, b, c wird aktuell kontrovers diskutiert [7]
Zum Vergleich: Normalbefunde
Differentialdiagnosen
Weitere Weizen-abhängige Erkrankungen [1][2]
- Weizenallergie
- Pathophysiologie: IgE- und/oder T-Zell-vermittelte Immunreaktion gegen verschiedene Weizenproteine
- Klinik: Akutes Auftreten der Symptome Minuten bis Stunden nach Exposition
- Haut und Schleimhäute (Mund, Nase, Augen): Jucken, Schwellung, Urtikaria, atopisches Ekzem
- Respirationstrakt: Atemnot, (Bäcker‑)Asthma
- GI-Trakt: Diarrhö, Übelkeit, Erbrechen, Krämpfe, Blähungen
- Diagnostik: IgE-RAST oder Pricktest
- Therapie: Verzicht auf weizenhaltige Nahrungsmittel
- Sonderform: Eosinophile Ösophagitis
- Weizensensitivität [15]
- Definition: Kontrovers diskutiertes, diffuses Krankheitsbild mit fehlender oder nur geringer Entzündung in der Dünndarmhistologie
- Pathophysiologie: Möglicherweise Aktivierung des angeborenen Immunsystems vermutlich durch in Weizen vorkommende Amylase-Trypsin-Inhibitoren (ATIs) oder bestimmte Kohlenhydrate (FODMAPs (fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole), v.a. Fructane. ATIs aktivieren darmeigenes Immunsystem, das Entzündungen durch T-Zellen in der Peripherie stimuliert [15]
- Klinik: Symptome beginnen Stunden oder Tage nach Exposition
- GI-Trakt: Diarrhö, Schmerzen, Blähungen
- Extraintestinal: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Knochen-/Gelenkschmerzen, Aufmerksamkeitsdefizitstörung
- Diagnostik: Ausschluss von Zöliakie und Weizenallergie bei glutenabhängigen Symptomen
- Therapie: Glutenfreie Diät mit anschließendem Testen der individuellen Glutenschwelle
- Acrodermatitis enteropathica
- Definition: Seltene, angeborene (autosomal-rezessive) Zinkresorptionsstörung durch einen Defekt des Zinkionentransport-Gens
- Klinik
- Beginn im Säuglingsalter
- Chronisch-rezidivierende Durchfälle
- Gedeihstörung
- Rote, krustige, blasige Hauterscheinungen (v.a. perioral, perinasal und an Fingern und Zehen)
- Ggf. weitere Beschwerden (Wundheilungsstörungen, psychische Auffälligkeiten)
- Diagnostik: Zinkkonzentration im Plasma erniedrigt
- Therapie: Lebenslange Zinksubstitution
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differentialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
Lebenslange glutenfreie Diät (GFD) [1][2]
- Indikation
- Klassische, symptomatische, refraktäre Zöliakie
- Subklinische Zöliakie: Über Möglichkeit der glutenfreien Diät aufklären (unabhängig von Begleiterkrankungen)
- Verzicht auf: Weizen, Roggen, Gerste sowie Grünkern, Dinkel, Kamut, Emmer, Einkorn
- Vermeidung glutenhaltiger Zusatzstoffe in primär nicht-glutenhaltigen Lebensmitteln, z.B. Wurstwaren (CAVE: Bei Medikamenten wird nicht angegeben, wenn sie Gluten enthalten!)
- Separate Lagerung glutenfreier und glutenhaltiger Lebensmittel (z.B. darf glutenfreies Brot nicht mit normalem Brot in einem Korb zusammenliegen)
- Erlaubte Nahrungsmittel: Reis, Mais, Kartoffeln, Sojabohnen, Buchweizen, Hirse, Quinoa, Amaranth, Maniok, ggf. Hafer
- Ernährungsberatung durch eine Diätfachkraft
Weiteres
- Kontakt zur Deutschen Zöliakie-Gesellschaft herstellen
- Substitution von Mikroelementen bei Malnutrition und Malabsorption, ggf. parenteral
- Bei sekundärem Lactasemangel: Vermeiden von Milchprodukten bis zur Besserung
- Nach ergänzender medikamentöser Therapie wird umfangreich geforscht, es gibt bereits erste vielversprechende Ergebnisse
Die Behandlung der glutensensitiven Enteropathie besteht im lebenslangen Verzicht auf glutenhaltige Nahrungsmittel!
Auch Erwachsene mit subklinischer Zöliakie sollten über die Möglichkeit der glutenfreien Diät aufgeklärt werden!
Verlaufskontrolle/Nachsorge
- Zeitpunkt: Regelmäßig, bei Kindern mind. jährliche Follow-up-Untersuchung während des Wachstums [1]
- Durchführung
- Anamnese der Diätadhärenz (Rücksprache mit DiätberaterIn)
- Körperliche Untersuchung und BMI-Bestimmung
- Antikörperbestimmung (inkl. Gesamt-IgA) [1][16]
- Komplikationen und Komorbiditäten eruieren
- Bei Kindern: Gewichts-, Längen- und Pubertätsentwicklung
- Gutes Ansprechen (bei klassischer Zöliakie)
- Bei ca. ⅔ der Patienten erfolgt klinische Besserung innerhalb weniger Wochen
- Unauffällige Serologie 3–12 Monate nach Diätbeginn
- Entzündung der Dünndarmmukosa kann jedoch noch Jahre nachweisbar sein!
- Histologische Besserung i.d.R. Wochen bis Monate nach Beginn der Diät
- Prozedere bei unzureichendem Ansprechen (trotz Therapieadhärenz)
- Diätfehler ausschließen
- Nach Hinweisen für eine refraktäre Zöliakie suchen
- Ggf. Diagnoseüberprüfung mit erneuter Biopsieentnahme
Komplikationen
Komplikationen einer Zöliakie [1]
- Refraktäre Zöliakie
- Ulzerative Jejunitis
- Definition:
- Multiple Dünndarmulzerationen bei zugrunde liegender Zöliakie
- Komplikation der refraktären Zöliakie und Vorstufe des EATL mit Dünndarmulzerationen
- Diagnostik
- Histologie der refraktären Zöliakie Typ 2 (Zottenatrophie, Verlust der Oberflächen-Antigene (CD3/CD8), T-Zell-Klonalität) und zusätzlich Ulzerationen
- Ausschluss eines EATL
- Therapie
- Budesonid
- Ernährungstherapie
- Cladribin
- Chemotherapie (CHOP)
- Autologe Stammzelltransplantation nach Hochdosistherapie
- Definition:
- Gastrointestinale Malignome
- Enteropathie-assoziiertes T-Zell-Lymphom (EATL)
- Epidemiologie: Sehr selten; mittleres Alter bei Diagnosestellung ca. 60 Jahre
- Ätiologie: In ca. 80% der Fälle mit Zöliakie assoziiert
- Ursprung: Intraepitheliale T-Zellen
- Lokalisation: Häufig proximales Jejunum
- Klinik: Unspezifisch (Bauchschmerzen, Erbrechen, Diarrhö, Gewichtsverlust, gastrointestinale Blutung)
- Diagnostik
- Endoskopie (ÖGD, Ileokoloskopie, Dünndarmendoskopie, ggf. Kapselendoskopie)
- Histologie (Nachweis eines hochmalignen T-Zell-Lymphoms)
- Schnittbildgebung (CT, MRT)
- Knochenmarkpunktion
- Therapie
- Budesonid
- Ernährungstherapie
- Chemotherapie (CHOP)
- Operativ: Primäre Resektion insb. bei drohenden Komplikationen
- Autologe Stammzelltransplantation nach Hochdosischemotherapie
- Adenokarzinom des Dünndarms
- Erhöhtes Risiko für Non-Hodgkin-Lymphome
- Sekundärer Lactasemangel
- Enteropathie-assoziiertes T-Zell-Lymphom (EATL)
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prävention
Der Zusammenhang von Einführung glutenhaltiger Kost bei Säuglingen und der Manifestation einer Zöliakie wird umfangreich erforscht und diskutiert. Es wird die Einführung glutenhaltiger Kost zwischen dem vollendeten 4. und 12. Lebensmonat empfohlen. Bei Einführung sollten die Mengen glutenhaltiger Nahrung gering sein und die Mutter sollte idealerweise noch stillen. [1][17]
Meditricks
In Kooperation mit Meditricks bieten wir dir Videos zum Einprägen relevanter Fakten an. Die Inhalte sind vielfach auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend. Viele Meditricks gibt es in Lang- und Kurzfassung zur schnelleren Wiederholung. Eine Übersicht über alle Videos findest du in dem Kapitel Meditricks.
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2021
- K90.-: Intestinale Malabsorption
- Exklusive: Nach gastrointestinalem chirurgischem Eingriff (K91.2)
- K90.0: Zöliakie
- Einheimische (nichttropische) Sprue
- Gluten-sensitive Enteropathie
- Idiopathische Steatorrhoe
- C86.2: T-Zell-Lymphom vom Enteropathie-Typ
- Inklusive: Enteropathie-assoziiertesT-Zell-Lymphom
- K52.9: Nichtinfektiöse Gastroenteritis und Kolitis, nicht näher bezeichnet
- Als nichtinfektiös bezeichnet
- Diarrhoe
- Enteritis
- Ileitis
- Jejunitis
- Sigmoiditis
- Exklusive:
- Als nichtinfektiös bezeichnet
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2021, DIMDI.