Zusammenfassung
Das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) bezeichnet eine seltene, immunologische Intoleranzreaktion, die zu einer Ablösung der Haut führt und insb. auf eine Vielzahl möglicher Medikamente (z.B. Sulfonamide, Allopurinol) zurückgeführt werden kann. Etwa 1–3 Wochen nach Kontakt mit dem Auslöser zeigen sich meist schmerzhafte Erosionen und Ulzerationen an Augen und Mund, die von Fieber und Krankheitsgefühl begleitet werden. Im Verlauf kommt es zu großflächigen nekrotischen Ablösungen der Epidermis, die an eine Verbrennung erinnern. Charakteristisch ist eine Mitbeteiligung der Schleimhäute (insb. Stomatitis und Cheilitis). Sind >30% der Hautfläche betroffen, wird die Erkrankung als toxische epidermale Nekrolyse bezeichnet. Therapeutisch müssen alle infrage kommenden Medikamente abgesetzt werden sowie eine Behandlung analog zur Verbrennungsmedizin erfolgen, um dem potenziell letalen Verlauf entgegenzuwirken.
Definition
- Seltene, immunologische Intoleranzreaktion mit Hautablösung und hoher Letalität
- Maximalvariante: Toxische epidermale Nekrolyse (TEN), siehe Klassifikation des Stevens-Johnson-Syndroms
- Veraltet: Lyell-Syndrom
- Früher wurden die toxische epidermale Nekrolyse als „Lyell-Syndrom“ und das Staphylococcal scalded skin syndrome als „staphylogenes Lyell-Syndrom“ bezeichnet. Um eine Verwechslung der grundsätzlich verschiedenen Erkrankungen zu vermeiden, sollte diese Terminologie unbedingt verlassen werden. Die hochdosierte Bolustherapie mit Glucocorticoiden ist eine mögliche Therapie der toxischen epidermalen Nekrolyse, beim Staphylococcal scalded skin syndrome hingegen absolut kontraindiziert, da sie zum Tod des Patienten führen kann.
Epidemiologie
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
- Pathogenese: Nicht abschließend geklärt
- Risikofaktoren: HIV-Infektion, bestimmte HLA-Phänotypen, Polymorphismen der für CYP-Enzyme kodierenden Gene
- Häufigste Auslöser
- Medikamente: Insb. Sulfonamide, Sulfasalazin, Phenobarbital, Lamotrigin, Allopurinol, SSRI und NSAR
- Weitere Auslöser
- Infektionen (insb. bei Kindern, bspw. mit Mycoplasma pneumoniae, CMV)
- Selten: Kollagenosen, maligne Erkrankungen, Impfungen, Graft-versus-Host-Disease u.a.
Klassifikation
- Einteilung nach Hautbefall
- <10% = Stevens-Johnson-Syndrom (SJS)
- 10–30% = SJS/TEN-Übergangsform
- >30% = Toxische epidermale Nekrolyse (TEN)
Symptomatik
- 1–3 Wochen nach Medikamenteneinnahme zunächst Prodromalphase mit schmerzhaften Erosionen und Ulzerationen
- Hohes Fieber, Krankheitsgefühl
-
Effloreszenz
- Stammbetonte, atypische, unscharf begrenzte Kreise (Kokarden), häufig Blasenbildung
- Großflächige nekrotische Ablösung der Epidermis (verbrennungsähnlich)
- Immer Beteiligung der Schleimhäute (insb. Stomatitis, Cheilitis)
Beim Stevens-Johnson-Syndrom sind obligat die Schleimhäute betroffen, während sie beim differenzialdiagnostisch zu berücksichtigenden Staphylococcal scalded skin syndrome ausgespart bleiben!
Diagnostik
- Anamnese: Insb. Medikamentenanamnese, HIV-Status
- Körperliche Untersuchung: Positives Nikolski-Phänomen I
- Hautbiopsie
- Histopathologisch ausgeprägte eosinophile Nekrose
- Subepidermale Spaltbildung und Ablösung der Epidermis
Differenzialdiagnosen
AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Therapie
- Absetzen der Medikamente, die als Auslöser in Frage kommen
- Weitere Behandlung analog zur Verbrennungsmedizin
- Volumensubstitution, Wundbehandlung
- Antibiotika bei Sepsis
- Evtl. hochdosierte Glucocorticoide (Wirksamkeit umstritten )
Glucocorticoide gehören beim Stevens-Johnson-Syndrom zur möglichen Therapie, sind jedoch beim differenzialdiagnostisch zu berücksichtigenden Staphylococcal scalded skin syndrome absolut kontraindiziert!
Komplikationen
- Akut
- Chronisch
- Haut: Irreguläre Pigmentierung, Alopezie
- Synechien der entzündeten Schleimhäute
- Ophthalmologische Komplikationen bei Augenbefall
- Frauen: Genitale Komplikationen
- Beeinträchtigung der Lungenfunktion
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2025
- L51.-: Erythema exsudativum multiforme
- L51.1: Bullöses Erythema exsudativum multiforme
- Stevens-Johnson-Syndrom
- L51.2-: Toxische epidermale Nekrolyse [Lyell-Syndrom]
- L51.20: Befall von weniger als 30% der Körperoberfläche
- L51.21: Befall von 30% der Körperoberfläche und mehr
- Schleimhautbefall
- L51.1: Bullöses Erythema exsudativum multiforme
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2025, BfArM.