Abstract
Im Sammelsurium der Neurologie sind seltene Erkrankungen aufgeführt, die bei den Examensfragen meist nur als Falschantworten (sog. „Distraktoren“) in Multiple-Choice-Fragen fungierten. Eine Kenntnis dieser Erkrankungen ist somit nicht zwingend erforderlich. Da manche von ihnen aber häufiger auftauchten, sind sie hier einmal zentral gesammelt.
Subakute Myelooptikoneuropathie (SMON)
Kleine-Levin-Syndrom
- Epidemiologie: Fast ausschließlich Jungen betroffen [1]
- Ätiologie
- Genaue Pathogenese unbekannt
- Wahrscheinlich autoimmunologische Genese
- Manifestation häufig in Zusammenhang mit einer Infektion
- Klinik
- Phasenweises Auftreten von Hypersomnie mit exzessivem Schlafbedürfnis (16–18 Stunden pro Tag)
- Konfuse Reaktionen nach dem Aufwachen mit psychiatrischen, kognitiven oder Verhaltensauffälligkeiten (bspw. sexuelle Enthemmung oder Essattacken)
- In den Zwischenphasen klinisch unauffällig
- Diagnostik
- Polysomnografie (PSG) mit Multiplem Schlaflatenztest (MSLT)
- Verkürzte Einschlaflatenz
- Verlängerung der (Nacht‑)Schlafdauer
- Verlängerung des 1. Schlafstadiums und des Tiefschlafs
- Reduktion von SWS-Phasen
- SPECT: Hypoperfusion von Thalamus, Basalganglien und frontotemporalen Arealen
- CT/MRT: Normalbefund
- Polysomnografie (PSG) mit Multiplem Schlaflatenztest (MSLT)
- Differenzialdiagnosen
- Narkolepsie
- Sekundäre Hypersomnien
- Schlafassoziierte Atmungs- oder Bewegungsstörungen
- Therapie: Kein einheitliches Schema
- Ggf. Therapieversuch mit Lithium, Carbamazepin oder Phenytoin
- Methylphenidat kann Off-Label versucht werden
- Prognose: Häufig Spontanremission bis zum Erwachsenenalter
Kuru-Krankheit
- Ätiologie: Prionenerkrankung, die sich epidemieartig bei einem bestimmten Stamm (den sog. "Fore") auf Papua-Neuguinea fand, die das Gehirn ihrer verstorbenen Stammesmitglieder verzehrten. Das Auftreten sistierte mit dem Verbot des Kannibalismus 1954
- Klinik: Zerebelläre Ataxie, Muskelzittern, pathologisches Lachen und rascher letaler Ausgang
Gerstmann-Sträussler-Scheinker-Syndrom
- Ätiologie: Prionenerkrankung, bei der sich Amyloidplaques vornehmlich im Kleinhirn ablagern
- Klinik: Zerebelläre Ataxie, Dysarthrie, Nystagmus und letaler Ausgang. Zu einer Demenz kommt es in der Regel erst spät oder gar nicht
Metachromatische Leukodystrophie
- Ätiologie: Die Ursache liegt in einer defekten Arylsulfatase A
- Klinik: Bereits im Kindesalter zunächst schlaffe, später spastische Paresen; Visusverlust (durch Atrophie des N. opticus); Demenz; Choledocholithiasis
Globoidzell-Leukodystrophie (Morbus Krabbe)
- Ätiologie: Die Ursache dieser autosomal-rezessiven Erkrankung liegt in einer Mutation des GALC-Gens, die zu einer verminderten oder fehlenden Aktivität des lysosomalen Enzyms Galactocerebrosidase (GALC) führt
- Pathophysiologie: Wahrscheinlich Akkumulation toxischer Myelin-Abbauprodukte (Psychosin) und Bildung sog. Globoidzellen (große Speicherzellen) → Demyelinisierungen bis hin zur Dezerebration
- Klinik: Schwere mentale und motorische Defizite; typisch: Sehverlust (Optikusatrophie), zunehmende Versteifung der Glieder und opisthotone Körperhaltung
Adrenoleukodystrophie
- Ätiologie: Die Ursache liegt in einer X-chromosomal vererbbaren Mutation des ABC-Transporters
- Klinik: Auftreten meist im Kindesalter, mit relativ rascher Degeneration, ausgeprägter Demenz und letalem Ausgang
- Therapie: Versuch der Symptomreduktion durch Kombination von diätetischer Therapie mit Gabe von „Lorenzos Öl“
Morbus Niemann-Pick
- Definition: Gruppe autosomal-rezessiver Lipidspeicherkrankheiten, bei denen Cholesterin und Sphingolipide in Lysosomen in verschiedenen Geweben (hauptsächlich in Leber, Milz, Knochenmark und Gehirn) akkumulieren
- Pathophysiologie: Typ IA mit fehlerhafter Sphingomyelinase, beim Typ C in fehlerhaften NPC-Proteinen (v.a. NPC1)
- Klinik: Progressive Neurodegeneration (Typ IA und C)
Morbus Tay-Sachs (GM2-Gangliosidose Typ I)
- Definition: Autosomal rezessiv vererbte Krankheit aus der Gruppe der Lipidspeicherkrankheiten
- Pathophysiologie: Aufgrund eines Defektes oder Mangels der Hexosaminidase A akkumulieren Ganglioside intrazellulär
- Klinik: Rascher Abbau physischer und psychischer Fähigkeiten; Beginn ab dem 6. Lebensmonat, Patienten versterben meist um das 4. Lebensjahr
Morbus Gaucher
- Definition: Häufigste lysosomale Lipidspeicherkrankheit
- Pathophysiologie: Verringerte Aktivität der Glucocerebrosidase führt zur Anreicherung von Glucosylceramid in Zellen des retikuloendothelialen Systems
- Klinik: Vergrößerung von Leber und Milz, Störungen des Skelettsystems, hämatologische Veränderungen, in seltenen Fällen Neurodegeneration, Krampfanfälle und Lungenbefall, bei Säuglingen Fütterstörungen
- Diagnostik: Bestimmung der Aktivität der Glucocerebrosidase in Leukozyten oder Haut-Fibroblasten
Central-core-Myopathie
- Ätiologie: Angeborene Myopathie
- Klinik: Proximal betonte Muskelschwäche, Entwicklungsverzögerung, Kyphoskoliose und Hüftdysplasie (u.v.a.m.)
- Epidemiologie: Manifestiert sich im frühen Kindesalter
Lance-Adams-Syndrom
- Klinik: Myoklonien verschiedener Form (evtl. in Kombination mit Asterixis und zerebellärer Ataxie)
- Ätiologie: Posthypoxische Hirnschädigung
Polyneuropathie mit Riesenaxonen (Giant-Axon-Neuropathy)
- Einordnung: Sehr seltene, autosomal-rezessive, chronisch-degenerative Erkrankung
- Klinik: Bereits in der Kindheit typische Zeichen einer Polyneuropathie, kann schon in der ersten Lebensdekade letal enden
Tolosa-Hunt-Syndrom (Orbitaspitzensyndrom, Ophthalmoplegia dolorosa)
- Ätiologie: Granulomatöse Entzündung im Bereich des Sinus cavernosus bzw. der Fissura orbitalis superior
- Klinik
- Einseitige Schmerzen um das Auge herum
- Im Verlauf ipsilaterale Ophthalmoplegie (Paresen des III, IV und/oder VI Hirnnerven)
- Diagnostik: MRT-Kopf mit Kontrastmittel
- Therapie: Prednisolon
- Prognose: Rückbildung der Paresen innerhalb von Wochen bis Monaten (ggf. unvollständig), auch Spontanremission und Rezidive möglich
Crampus-Faszikulationssyndrom
- Ätiologie: Autoimmunologische oder paraneoplastische Genese
- Klinik: Es liegt eine generelle Übererregbarkeit peripherer Nerven vor, was sich in spontanen Faszikulationen und Myoklonien äußert
Empty-Sella-Syndrom
- Ätiologie: Häufige Normvariante, bei der eine liquorgefüllte Sella turcica als Folge einer Fehlanlage des Diaphragma sellae vorliegt (Einstülpung von liquorgefülltem Subarachnoidalraum in die Sella turcica)
- Klinik: Durch Kompression der Hypophyse kann es zu endokrinen Störungen kommen
HTLV-1-Myelopathie (Tropische spastische Paraparese)
- Epidemiologie: Verbreitung in den Tropen
- Klinik: Vielfältiges klinisches Bild, ähnliche Symptomatik wie Multiple Sklerose oder amyotrophe Lateralsklerose (könnte zudem aber auch noch Arthritis, Uveitis, Alveolitis, Polymyositis u.v.m aufweisen)
Pantothenatkinase-assoziierte Neurodegeneration (PKAN) (früher: Hallervorden-Spatz-Syndrom)
- Pathophysiologie: Eisenablagerung im gesamten Gehirn, vornehmlich in den Basalganglien, sog. „Neurodegeneration with Brain Iron Accumulation“ (NBIA)
- Epidemiologie: Krankheitsmanifestation ist üblicherweise im Kindesalter
- Klinik: Extrapyramidalmotorische Störungen wie Rigor, Tremor, Choreoathetose, Dystonie, Demenz oder Pyramidenbahnzeichen
- Geschichte der Namensgebung: Der Begriff „Hallervorden-Spatz-Syndrom“ wird in AMBOSS nicht verwendet, da die Neurologen Julius Hallervorden (1882–1965) und Hugo Spatz (1888–1969) während der Zeit des Nationalsozialismus u.a. an Gehirnen von Menschen forschten, die aufgrund ihrer psychischen oder körperlichen Behinderung getötet wurden. Sie nutzten diese Hirnschnitte (die sog. „Hallervorden-Sammlung“) bis in die 1960er-Jahre zu Forschungszwecken. [2]
Okulogyre Krise
- Definition: Krampfhafte, unwillkürliche Augenbewegungen nach aufwärts
- Ätiologie: Medikamentös/psychogen induziert; Basalganglien-Erkrankung
Morbus Fabry
- Einordnung: Lysosomale Sphingolipidose
- Ätiologie: Seltene X-chromosomal-rezessiv übertragene Erkrankung; hauptsächlich sind Jungen betroffen
- Epidemiologie: Manifestationsalter je nach Aktivität der α-Galaktosidase A im Kindes- bis Jugendalter oder in der sechsten bis achten Lebensdekade
- Pathophysiologie: Mangel an α-Galaktosidase A → Akkumulation des Stoffwechselzwischenproduktes Globotriaosylceramid, das in Lysosomen nicht weiter abgebaut werden kann → Ansammlung im Endothel von Gefäßen, im Epithel von Organen und in Zellen der glatten Muskulatur → Erkrankung vieler Organsysteme
- Klinik
- Frühsymptome
- Periodisch auftretende akrodistale Parästhesien in Form von brennenden Schmerzen („Fabry-Krisen“)
- An- oder Hypohidrose
- Unspezifische gastrointestinale Beschwerden
- Angiokeratome
- Hornhauttrübung
- Katarakt
- Spätsymptome
- Kardiomyopathie
- Zerebrovaskuläre Läsionen (TIA und Schlaganfall)
- Fabry-Nephropathie
- Frühsymptome
- Therapie: Enzymersatztherapie mit α-Galaktosidase A