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Normaldruckhydrozephalus

Letzte Aktualisierung: 17.2.2022

Abstracttoggle arrow icon

Beim Normaldruckhydrozephalus (Normal Pressure Hydrocephalus, NPH) kommt es zu einer progredienten Symptomatik aus Gangstörung mit breitbasigem und kleinschrittigem Gangbild, Demenz und Urininkontinenz (Hakim-Trias). Die Ätiopathogenese der Erkrankung ist noch unzureichend verstanden. Der mittlere intrakranielle Druck ist normal, was namensgebend für die Erkrankung ist. In der Bildgebung des Kopfes kommen erweiterte innere Liquorräume bei normalen oder engen äußeren Liquorräumen zur Darstellung. Diagnostisch wegweisend ist ein Liquorablassversuch (Tap-Test), der zu einer vorübergehenden Besserung der Symptomatik führt. Durch eine dauerhafte Ableitung des Liquors über einen ventrikulo-peritonealen Shunt kommt es zur Besserung der Symptome.

Epidemiologietoggle arrow icon

  • Inzidenz: ca. 5 Fälle/100.000 Einwohner pro Jahr
  • Prävalenz: ca. 20 Fälle/100.000 Einwohner
  • Alter
    • Idiopathisch: Insb. >60 Jahre
    • Sekundär: Jedes Lebensalter

Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.

Ätiologietoggle arrow icon

Pathophysiologietoggle arrow icon

  • Möglicher Erklärungsansatz: Liquorresorptionsstörung → Auftreten von Scherkräften → Erweiterung des Ventrikelsystems → Diffusion des Liquors durch Ventrikelwände (Liquordiapedese) → Periventrikuläre Ödembildung → Lokale Durchblutungsminderung → Reduzierter Abtransport neurotoxischer Substanzen
  • Namensgebend für die Erkrankung: Normaler mittlerer intrakranieller Druck

Symptome/Kliniktoggle arrow icon

  • Hakim-Trias
    • Gangstörung (siehe Video unter Tipps & Links)
      • Verlangsamter, kleinschrittiger und breitbasiger Gang, die Füße sind nach außen rotiert; breitbasiges Stehen
      • Im Verlauf zunehmende Instabilität mit Fallneigung und Stürzen, Start- und Schritthemmung
    • Demenz
    • Urininkontinenz
      • Neurogene Blasenentleerungsstörung mit erhöhter Miktionsfrequenz und imperativem Harndrang
      • Zunehmendes Einnässen durch Fortschreiten der Gangstörung (die Toilette wird nicht erreicht) und abnehmendes Bewusstsein für den Harndrang infolge einer Frontalhirnstörung
  • Die Symptomatik ist chronisch progredient

Bei einer progredienten Gangstörung mit kognitiven Defiziten sollte die Differenzialdiagnose eines Normaldruckhydrozephalus abgeklärt werden!

Diagnostiktoggle arrow icon

  • Diagnostische Prinzipien
    1. Klinisches Bild des Normaldruckhydrozephalus in der neurologischen Untersuchung
    2. Bildgebung des Kopfes
    3. Diagnostische Liquorpunktion → Nachweis einer vorübergehenden Besserung des Gangbildes (Diagnosis ex juvantibus)
  • CT/MRT des Kopfes
    • Symmetrische Erweiterung der inneren Liquorräume bei normalen oder engen äußeren Liquorräumen (vergleichsweise enge oder verstrichene Sulci)
    • Abgerundete und ballonierte Vorder- und Temporalhörner der Seitenventrikel
    • Periventrikuläre Hypodensitäten („Polkappen“) im CT: Wahrscheinlich durch den Übertritt von Liquor (Liquordiapedese) und funktionelle Minderperfusion
    • Sehr häufig mikroangiopathische Marklager-Veränderungen
    • Evans-Index
      • Durchmesser beider Frontalhörner/maximaler transversaler Schädeldurchmesser
      • Werte >0,3 suspekt für Normaldruckhydrozephalus
  • Lumbalpunktion (Spinal-Tap-Test)
    • Durchführung
      • Gangtest über 10 Meter mit Messung der Geschwindigkeit und Schrittzählung
      • Entnahme von 30–50 mL Liquor cerebrospinalis
      • Erneute Gangprüfung (innerhalb der nächsten 24–48 h)
      • Alternative (wenig verbreitet): Kontinuierliche Liquordrainage mit Ableitung von 100–200 mL Liquor pro Tag über 2–5 Tage
    • Befunde
      • Klinisch: Vorübergehende Symptombesserung (erhöhte Schrittgeschwindigkeit bei geringerer Schrittanzahl)
        • Ausbleibende Besserung → Wiederholung der Lumbalpunktion am übernächsten Tag
      • Liquordiagnostik: Unauffällig bei Normaldruckhydrozephalus
  • Neuropsychologische Diagnostik [1]
  • Zusatzdiagnostik außerhalb der klinischen Routine

Differenzialdiagnosentoggle arrow icon

Die Differenzialdiagnosen des idiopathischen Normaldruckhydrozephalus umfassen v.a. verschiedene neurodegenerative Erkrankungen, die mit Gangstörungen einhergehen können. Komorbiditäten insb. mit einer Demenz vom Alzheimer-Typ oder einer vaskulären Demenz bestehen häufig.

Demenzielle Veränderungen gehören nicht zum normalen Alterungsprozess. Eine frühzeitige Diagnostik ermöglicht die Einordnung und ggf. Behandlung der Erkrankung!

Gegen die Diagnose eines Normaldruckhydrozephalus sprechen asymmetrische motorische Defizite, Demenz ohne Gangstörung und dominierende Symptome einer kortikalen Demenz!

AMBOSS erhebt für die hier aufgeführten Differenzialdiagnosen keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Therapietoggle arrow icon

Operative Liquor-Shunt-Anlage

  • Prinzip
  • Indikation: Normaldruckhydrozephalus und Vorliegen positiver prädiktiver Faktoren für Therapie
    • Prädiktive Faktoren für Therapieerfolg
      • Gangstörung dominiert klinisches Bild und trat vor kognitiven Defiziten auf
      • Kognitive Defizite gering oder moderat
      • Kurze Krankheitsdauer (<2 Jahre)
      • Besserung der Symptomatik durch diagnostischen Liquorablass
      • Fehlende zerebrale Atrophie
    • Prädiktive Faktoren für schlechtes Ansprechen
      • Lange Krankheitsdauer (>2 Jahre)
      • Klinisches Bild von schwerer Demenz dominiert
      • Kortikale Demenz
      • Kognitive Defizite als Erstsymptomatik
      • Ausgeprägte zerebrale Atrophie
  • Formen
    • Ventrikuloperitonealer Shunt (VP-Shunt)
      • Standardverfahren
      • Ventilformen
        • Hydrostatische Ventile (heute i.d.R. Gravitationsventile)
        • Einstellbare Ventile
        • Kombinierte Ventile mit Gravitationsventil und einstellbarer Komponente
    • Ventrikuloatrialer Shunt (VA-Shunt)
      • In Einzelfällen indiziert
      • Höhere Langzeitkomplikationsrate
    • Lumboperitonealer Shunt (LP-Shunt)
  • Nachsorge
    • Klinische Vorstellung: 6 Wochen und 6 Monate nach Shunt-Anlage, dann jährlich (bei unkompliziertem Verlauf)
    • Eine Symptombesserung tritt innerhalb einiger Wochen ein
    • Verlaufsbildgebung:
      • Postoperativ: Kraniales CT und Röntgen des Shuntverlaufs
      • Im ersten Jahr nach Operation: Kraniales CT
      • Einige Wochen nach Änderung des Ventilöffnungsdrucks: Kraniales CT
  • Komplikationen nach Shunt-Anlage

Alternativ

  • Regelmäßige Lumbalpunktionen
    • Indikation: Multimorbide Patienten mit hohem Operationsrisiko, sonstige Kontraindikationen gegen OP
  • Keine medikamentösen Therapieoptionen

Prognosetoggle arrow icon

  • Nach Shunt-OP klinische Verbesserung bei 70–90% der Patienten
    • Bei begleitenden Demenzerkrankungen bessert sich häufig nur die Gangstörung
  • Ohne OP: Progrediente Verschlechterung

Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023toggle arrow icon

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

Quellentoggle arrow icon

  1. S1-Leitlinie Normaldruckhydrozephalus, 2018.Stand: 8. März 2018. Abgerufen am: 15. Februar 2022.
  2. Brandt et al.: Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. 6. Auflage Kohlhammer 2012, ISBN: 3-170-21674-0.
  3. Hacke (Hrsg.): Neurologie. 14. Auflage Springer 2016, ISBN: 978-3-662-46891-3.
  4. Linn et al. (Hrsg.): Atlas Klinische Neuroradiologie des Gehirns. 1. Auflage Springer 2011, ISBN: 978-3-540-89568-8.
  5. Wallesch, Förstl (Hrsg.): Demenzen. 2. Auflage Thieme 2012, ISBN: 978-3-131-36912-3.
  6. Lieb et al.:NormaldruckhydrozephalusIn: Der Radiologe. Band: 55, Nummer: 5, 2015, doi: 10.1007/s00117-014-2797-1 . | Open in Read by QxMD.
  7. Jaraj et al.:Prevalence of idiopathic normal-pressure hydrocephalusIn: Neurology. Band: 82, Nummer: 16, 2014, doi: 10.1212/WNL.0000000000000342 . | Open in Read by QxMD.
  8. Brean et al.:Prevalence of probable idiopathic normal pressure hydrocephalus in a Norwegian population.In: Acta Neurologica Scandinavia. Band: 118, Nummer: 1, 2008, doi: 10.1111/j.1600-0404.2007.00982.x . | Open in Read by QxMD.