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Künstliche Ernährung

Letzte Aktualisierung: 9.8.2022

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Unter künstlicher Ernährung versteht man die Zufuhr von Nährstoffen über iatrogen geschaffene Zugänge (bspw. Ernährungssonden, ZVK). Dabei wird der physiologische Verdauungsweg teilweise oder ganz umgangen. Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn aufgrund von Erkrankungen oder Operationen eine orale Ernährung nicht möglich oder nicht ausreichend ist.

Die Einschätzung des Ernährungszustandes bei stationärer Aufnahme ist essenziell, da ein schlechter Ernährungszustand mit erhöhter Morbidität und Mortalität verbunden ist. Bei der Ernährung auf Intensivstation ist zum Ausgleich eines Mangelzustandes insb. die Krankheitsphase (bei schwerwiegender Erkrankung oder nach operativem Eingriff bzw. Trauma) zu berücksichtigen, um eine Hypo-, aber auch Hyperalimentation zu vermeiden. In der Akutphase herrscht eine katabole Stoffwechsellage vor, gekennzeichnet durch Glykogenolyse, Lipolyse und Proteolyse. Sie kann entweder in eine Post-Akutphase mit anaboler Stoffwechsellage und Resolution der Erkrankung oder in eine chronische Phase mit persistierender Inflammation sowie kataboler Stoffwechsellage übergehen. Störungen der Resorption und der gastrointestinalen Toleranz sind häufige Begleiterscheinungen, die den Ausgleich der Mangelernährung erschweren.

Oberste Maxime aller Ernährungstherapien ist die Verhinderung einer Mangelversorgung der zu behandelnden Person mit Nährstoffen, Vitaminen und Spurenelementen – dabei können verschiedene Ansätze kombiniert werden!

Grundsätzlich gilt für die Ernährungstherapie, die Wege der enteralen Ernährung im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten zu nutzen!

Nasogastrale Ernährungssonden

Diese Sonden können zur Ernährung über einen begrenzten Zeitraum genutzt werden (max. etwa 2 Wochen) .

  • Magensonde (bevorzugt )
    • Indikation/Anwendung
      • Enterale Ernährung bei unmöglicher bzw. unzureichender oraler Nahrungsaufnahme
      • Ableitung von Flüssigkeit aus dem Magen bei Magenentleerungsstörung mit rezidivierendem Erbrechen, z.B. bei Ileus
    • Anlage
      • Vorschub über Nase, Rachen und Speiseröhre in den Magen
      • Lagekontrolle durch Auskultation des Abdomens bei Luftinsufflation in die eingelegte Sonde: Bei korrekter Lage ist ein „Blubbern“ der Luft im Magen deutlich hörbar
    • Applikation von Nahrung
      • Nasogastral
      • Kontinuierlich oder als Bolus
      • Unabhängig vom Tag-Nacht-Rhythmus
      • Pausierung bei Gabe von Medikamenten, die sauren pH benötigen
      • Ggf. Berücksichtigung des gastralen Residualvolumens (GRV): Surrogatmarker für Magenentleerungsstörungen
  • Duodenalsonde/Jejunalsonde
    • Indikation
      • Erhöhtes Aspirationsrisiko
      • Erbrechen bei Magenentleerungsstörung
      • Gastraler Reflux
      • Nach abdominalchirurgischen Eingriffen
    • Anlage
      1. I.d.R. Vorschub unter endoskopischer Sicht durch den Mund und Rachen
      2. Platzierung des distalen Endes der Sonde im tiefen Duodenum bzw. Jejunum
      3. Positionierung zusätzlichen Lumens („Refluxschenkel“) der Sonde im Magen
      4. Ausleitung des proximalen Endes über den Rachen, aus einem Nasenloch
    • Applikation von Nahrung
      • Nasoduodenal oder -jejunal
      • Kontinuierlich über 24 h, möglichst über Pumpe
      • Unabhängig vom Tag-Nacht-Rhythmus
      • Pausierung bei Gabe von Medikamenten, die sauren pH benötigen
    • Nachteile
      • Jejunale Medikamentenabsorption fraglich
      • Höheres Verstopfungsrisiko durch geringeren Sondendurchmesser

Perkutane Ernährungssonden

Diese Sonden werden endoskopisch assistiert nach Punktion der Bauchdecke in den Magen oder in das Jejunum eingelegt und sind längerfristig nutzbar (Ernährungstherapie für >4 Wochen geplant).

  • Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG)
    • Anlage (Fadendurchzugsmethode)
      1. Endoskopische Luftinsufflation in Magen
      2. Diaphanoskopie: Lokalisierung der Punktionsstelle an Bauchwand
      3. Endoskopisch assistierte Magenpunktion
      4. Einführung eines Fadens über Punktionstrokar in Magen
      5. Endoskopische Zange: Erfassung des Fadens und orale Ausleitung
      6. Zwei Fadenenden
        • Eines über Bauchwand (Assistenz)
        • Andere am Mund (Endoskopierende)
      7. Sonde wird mit oralem Fadenende verknotet
      8. Zug am Fadenende über Bauchwand: Führung der Sonde zur Punktionsstelle
      9. Fixierung der Sonde durch innere Abschlussplatte
  • Abgewandelte Formen
    • PEJ-Sonde
      • Indikationen: Fehlender Magen, Magenentleerungsstörung
      • Anlage: Endoskopisch gesteuerte Punktion eines proximalen Jejunumabschnittes
    • Jet-PEG („Jejunal-tube-through“-PEG)
      • Indikation: Verlagerung einer PEG in eine PEJ
      • Anlage: Endoskopische assistierte Führung einer liegenden PEG-Sonde ins Jejunum
    • Direktpunktions-PEG
      • Indikationen: Verengung von Rachen oder Ösophagus, Karzinome von Rachen oder Ösophagus
      • Anlage: Endoskopische Gastropexie
        1. Diaphanoskopie: Lokalisierung der Punktionsstelle an Bauchwand
        2. Endoskopisch assistierte Magenpunktion mit speziellem Punktionsbesteck (z.B. PEXACT®): Fadendurchzug und Annähen des Magens an die Bauchdecke
        3. Endoskopisch assistierte Magenpunktion mit Trokar: Einführung einer Sonde mit magenseitiger Fixierung durch auffüllbaren Ballon

Bei Patienten mit fortgeschrittener Demenz soll die Ernährung nicht durch eine Perkutane Endoskopische Gastrostomie (PEG) erfolgen. (DGIM - Klug entscheiden in der Geriatrie)

Vergleich enteraler und parenteraler Ernährung
Enterale Ernährung Parenterale Ernährung
Bestandteile
Indikationen
Kontraindikationen
  • Substratverwertungsstörungen mit metabolischer Entgleisung (z.B. bei Multiorganversagen)
  • Hyperhydratation
Komplikationen

Bei Intensivpatienten soll frühzeitig mit einer bevorzugt enteralen Ernährung begonnen werden. (DGIM - Klug entscheiden in der internistischen Intensivmedizin)

Allgemeines Vorgehen [4]

Die Empfehlungen basieren weitestgehend auf der DGEM S2k-Leitlinie Klinische Ernährung in der Intensivmedizin.

Vor Einleitung einer Ernährungstherapie

Während der Ernährungstherapie

Screening auf ein ernährungsbedingtes Risiko bei Klinikaufnahme und gegebenenfalls Einleitung einer Ernährungstherapie sollen obligatorisch sein und mit validierten Methoden erfolgen!

Eine adäquate, der jeweiligen Krankheitsphase angepasste orale, bei entsprechender Indikation auch enterale oder sogar parenterale Ernährung soll integraler Bestandteil jeder medizinischen Therapie sein!

Patienten, deren Ernährungsbedarf nicht vollständig oral oder enteral gedeckt werden kann, sollten eine supplementierende parenterale Ernährung inklusive Vitaminen und Spurenelementen erhalten!

Eine parenterale Ernährung soll nicht durchgeführt werden, wenn eine ausreichende enterale Ernährung möglich ist, und eine enterale Ernährung soll nicht durchgeführt werden, wenn eine ausreichende orale Ernährung – gegebenenfalls mit Ernährungsberatung und unter Einsatz von Supplementen – möglich ist!

Siehe auch: DGIM - Klug entscheiden in der Ernährungsmedizin

Einschätzung des Ernährungszustandes [4]

  • DGEM-Kriterien für krankheitsspezifische Mangelernährung [4]
    • BMI <18,5 kg/m2 oder
    • Ungewollter Gewichtsverlust >10% innerhalb der letzten 6 Monate oder
    • BMI <20 kg/m2 PLUS ungewollter Gewichtsverlust >5% innerhalb der letzten 6 Monate oder
    • Nahrungskarenz >7 Tage oder
    • Subklinische, milde bis mäßige chronische Entzündung plus
      • Reduzierte Energieaufnahme ≤75% des geschätzten Energiebedarfs für ≥1 Monat oder
      • Verminderte Muskelmasse: Armmuskelfläche <10. Perzentile (oder Kreatinin-Größen-Index <80%) in Verbindung mit den laborchemischen Zeichen einer Krankheitsaktivität
  • Subjective Global Assessment (SGA): Auf Anamnese und körperlicher Untersuchung basierende subjektive Einschätzung des Ernährungszustandes
    • Siehe [7] oder unter Tipps & Links: SGA-Bogen bzw. DGEM-Screening auf Mangelernährung - den Ernährungszustand richtig einschätzen

Bestimmung des Energieumsatzes (Kalorienziel) [4]

  • Indirekte Kalorimetrie
  • Alternativen
    • Schätzformel nutzen: 24 kcal/kgKG/d
      • Als Bezugsgröße soll bei Nicht-Adipösen das aktuelle Körpergewicht herangezogen werden
      • Für Informationen zur Berechnung bei Adipositas siehe auch: Besondere Patientengruppen
    • Ermittlung über VCO2-Methode
  • Brennwerte der einzelnen Komponenten klinischer Ernährung

Bestimmung der individuellen Zufuhrrate [4]

Bei der Bestimmung der Zufuhrrate sind die Gesamtkalorien aller Makronährstoffe zu berücksichtigen (inkl. nicht-ernährungsbedingter Kalorien ). Die empfohlenen Zufuhrraten sind abhängig von der Krankheitsphase sowie der metabolischen bzw. gastrointestinalen Toleranz

  • Akutphase (Tag 1–7)
    • Beginn: Ausgleich von 75% des Energieumsatzes [6]
    • Ziel: Zufuhr von 100% des Energieumsatzes zum Ende der Akutphase
    • Steigerung: Entsprechend individueller metabolischer Toleranz bzw. deren Surrogatmarker
      • Insulinbedarf zum Erhalt einer Blutzuckerkonzentration <180 mg/dL
      • Plasmaphosphatkonzentration
    • Bei metabolischer Intoleranz: Definiert bspw. durch Blutzuckerspiegel >180 mg/dL trotz einer Insulinzufuhr von >4 IE/h oder einer Plasmaphosphatkonzentration <0,65 mmol/L
      • Reduktion der Zufuhr, bis keine Phosphatsupplementierung mehr notwendig ist
      • Ggf. Beendigung der Kalorienzufuhr mit Steigerung der Insulinzufuhr
  • Post-Akutphase (ca. ab Tag 7): Mind. 100% des Energieumsatzes
  • Chronische Phase (ca. ab Tag 7) : 100% des Energieumsatzes

Eine Hyperalimentation, also eine Ernährungstherapie über den Energiebedarf hinaus, soll in der akuten Phase einer kritischen Erkrankung nicht durchgeführt werden!

Für detaillierte Informationen zu Krankheitsphasen einer kritischen Erkrankung siehe auch: DGEM-Intensivmedizin-Tabelle 3

Postaggressionsstoffwechsel (Stressstoffwechsel)

Die Stoffwechsellage bei kritisch Kranken ist nicht konstant. Krankheitsschübe können die Stoffwechsellage und somit auch den Energiebedarf beeinflussen (metabolische Dynamik)!

Kohlenhydrate

Proteine/Aminosäuren

Lipide

  1. DGEM S2k-Leitlinie Klinische Ernährung in der Intensivmedizin. . Abgerufen am: 8. September 2020.
  2. Hartl, Kuppinger: Monitoring der künstlichen Ernährung bei kritisch kranken Patienten In: Intensivmedizin und Notfallmedizin. Band: 48, Nummer: 2, 2011, doi: 10.1007/s00390-010-0220-3 . | Open in Read by QxMD p. 99-108.
  3. Screening auf Mangelernährung (DGEM) .
  4. Seron-Arbeloa: Enteral Nutrition in Critical Care In: Journal of Clinical Medicine Research. 2013, doi: 10.4021/jocmr1210w . | Open in Read by QxMD .
  5. Singer et al.: Pragmatic approach to nutrition in the ICU: Expert opinion regarding which calorie protein target In: Clinical Nutrition. Band: 33, Nummer: 2, 2014, doi: 10.1016/j.clnu.2013.12.004 . | Open in Read by QxMD p. 246-251.
  6. Reignier et al.: Enteral versus parenteral early nutrition in ventilated adults with shock: a randomised, controlled, multicentre, open-label, parallel-group study (NUTRIREA-2) In: The Lancet. 2017, doi: 10.1016/s0140-6736(17)32146-3 . | Open in Read by QxMD .
  7. Robert Koch Institut: Prävention von Infektionen, die von Gefäßkathetern ausgehen In: Bundesgesundheitsblatt. Band: 60, Nummer: 2, 2017, doi: 10.1007/s00103-016-2488-3 . | Open in Read by QxMD p. 207-215.
  8. Yost et al.: Preoperative Nutritional Assessment with the Prognostic Nutrition Index in Patients Undergoing Left Ventricular Assist Device Implantation. In: ASAIO journal (American Society for Artificial Internal Organs : 1992). Band: 64, Nummer: 1, doi: 10.1097/MAT.0000000000000625 . | Open in Read by QxMD p. 52-55.
  9. Lomivorotov et al.: Evaluation of nutritional screening tools for patients scheduled for cardiac surgery. In: Nutrition (Burbank, Los Angeles County, Calif.). Band: 29, Nummer: 2, 2013, doi: 10.1016/j.nut.2012.08.006 . | Open in Read by QxMD p. 436-42.