Zugang zu fachgebietsübergreifendem Wissen – von > 70.000 Ärzt:innen genutzt

5 Tage kostenfrei testen
Von ärztlichem Redaktionsteam erstellt & geprüft. Disclaimer aufrufen.

Hämoglobin

Letzte Aktualisierung: 23.1.2023

Abstracttoggle arrow icon

Hämoglobin ist das Hauptprotein der Erythrozyten. Es spielt die entscheidende Rolle im Sauerstofftransport und verleiht den Erythrozyten (und somit dem Blut) im oxygenierten Zustand die charakteristische rote Farbe. Es gehört zu den am besten untersuchten Proteinen überhaupt. Sein biochemischer Aufbau, die Unterschiede der verschiedenen Hämoglobintypen sowie die Mechanismen der Sauerstoffbindung sind von außerordentlicher Bedeutung für die Physiologie und Pathophysiologie des Sauerstofftransports und der Durchblutung: Störungen dieses Systems beeinträchtigen den gesamten Körper.

Hämoglobin ist ein Tetramer aus vier Globinketten, die jeweils ein Häm-Molekül gebunden haben.

Globin

Globine sind eine Familie von Proteinen, die sich durch ihre globuläre Form und durch eine spezielle Tasche, die sog. Globintasche, auszeichnen. Die Globintasche ermöglicht die Sauerstoffbindung, was speziesübergreifend die Hauptfunktion von Globinen darstellt.

  • Struktur
    • Größe: 16.000 Da pro Kette → 64.000 Da pro Tetramer
    • Sekundärstruktur: Reich an α-Helices
  • Unterarten
    • Werden mit griechischen Buchstaben bezeichnet: α, β, γ, δ, ε, ζ → Verantwortlich für die verschiedenen Hämoglobintypen
    • Wichtigstes Hämoglobin postnatal: HbA1 bestehend aus zwei α-Globin- und zwei β-Globin-Ketten
  • Funktion

Häm

Häm ist eine Komplexverbindung aus einem Porphyrinmolekül und einem Eisen-Ion.

  • Struktur: Häm besteht aus einem Porphyrinringsystem, dessen Seitenketten im Lauf der Synthese modifiziert worden sind.
    • Porphyrin: Organische Verbindung aus vier Pyrrolringen, die durch je eine Methingruppe verbunden werden.
  • Funktion: Sauerstoffbindung
  • Häm kommt nicht nur in Hämoglobin vor, sondern auch als prosthetische Gruppe in anderen Proteinen, z.B. in Myoglobin oder Cytochrom-c.

Hämoglobin besteht aus vier Globinketten, die jeweils ein Häm gebunden haben!

Es können verschiedene Hämoglobintypen und -varianten unterschieden werden. Während sich die Typen durch die enthaltenen Globinketten unterscheiden, versteht man unter Hämoglobinvarianten durch Reaktionen posttranslationär verändertes Hämoglobin – jeder Typ kann also in mehreren Varianten vorliegen!

Hämoglobintypen

Die Hämoglobintypen unterscheiden sich in der Zusammensetzung ihrer Globinketten. Daraus folgt eine Modulation der Sauerstoffaffinität: Das ist zum einen pränatal wichtig und spielt zum anderen bei Hämoglobinopathien klinisch eine Rolle.

  • Benennung: In Kurzform nach enthaltenen Ketten, bspw. α2β2 → Zwei α- und zwei β-Ketten
  • Adulte Hämoglobine : Synthese beginnt bereits während der Fetalperiode und wird nach der Geburt verstärkt fortgesetzt
  • Fetales Hämoglobin (HbF): Zwei α- und zwei γ-Ketten (α2γ2)
  • Embryonales Hämoglobin: Enthält auch ε- und ζ-Ketten
    • Nur in den ersten 8 Wochen nach Befruchtung von Bedeutung
    • Gower 1 (ζ2ε2), Gower 2 (α2ε2), Portland 1 (ζ2γ2), Portland 2 (ζ2β2)
  • Hb Barts: Vier γ-Ketten (γ4)
    • Normalerweise nur in Spuren vorhanden
    • Vermehrt bei Synthesestörung der α-Ketten (α-Thalassämie)
    • Extrem hohe O2-Affinität → Kaum O2-Abgabe möglich
  • HbH: Vier β-Ketten (β4)

Beim Erwachsenen liegt hauptsächlich HbA12β2) vor, Feten und Neugeborene besitzen noch überwiegend HbF (α2γ2), das aufgrund der fehlenden Bindungsmöglichkeit von 2,3-BPG eine viel höhere Sauerstoffaffinität aufweist!

„α always, becomes β, γ goes“ (frei aus dem Englischen: α ist immer vorhanden, β kommt hinzu, γ verschwindet).

Hämoglobinvarianten

CO-Vergiftung
Kohlenstoffmonoxid entsteht bei Verbrennungen mit unzureichender Sauerstoffzufuhr (z.B. bei defekten Öfen oder Schornsteinanlagen) sowie Schwelbränden und ist außerdem in Autoabgasen enthalten. Atmet man vermehrt Kohlenmonoxid ein, kommt es zur Kohlenmonoxid-Intoxikation, die – je nach Schweregrad – unterschiedliche Symptome aufweist und bis hin zum Tod führen kann. Ursächlich ist einerseits die Blockade des Hämoglobins, wodurch es nicht mehr für den Sauerstofftransport zur Verfügung steht. Andererseits kommt es zu einer Linksverschiebung der Sauerstoffbindungskurve, weshalb gebundener Sauerstoff schlechter an das Gewebe abgegeben wird.

HbA1c
Glykohämoglobin (HbA1c) ist ein wichtiger diagnostischer Langzeitparameter beim Diabetes mellitus. Wegen der Erythrozytenlebensdauer von 120 Tagen ermöglicht die Bestimmung des Anteils von HbA1c an der Gesamthämoglobinmenge eine Einschätzung des Blutzuckerspiegels über die letzten Wochen, der aufgrund der Irreversibilität der Glykierung nicht kurzfristig manipuliert werden kann. Das heißt: Je höher die Glucosekonzentration im Blut im zeitlichen Mittel über Wochen, desto höher ist der HbA1c-Wert.

Methämoglobinämie
Durch einen Mangel an dem Enzym Methämoglobinreduktase kann es zu einem vermehrten Anfall von Methämoglobin im Blut kommen. Man bezeichnet diesen Zustand als Methämoglobinämie, die auch noch andere Ursachen haben kann. Je nach Schweregrad fallen die Symptome sehr unterschiedlich aus. Ab einem Methämoglobinanteil von 60–70% im Blut ist die Methämoglobinämie lebensbedrohlich.

Die Synthese von Hämoglobin erfolgt in den Erythroblasten. Die Globinketten und das Häm werden dabei zunächst getrennt voneinander synthetisiert.

Hämsynthese

Häm kommt nicht nur im Hämoglobin, sondern in fast jeder Zelle vor. Die herausragende Bedeutung für den Sauerstofftransport im Hämoglobin rechtfertigt aber eine Abhandlung an dieser Stelle. Es erfolgt ein Überblick über die wichtigsten Schritte der komplizierten Hämsynthese.

Das Schlüsselenzym der Hämsynthese ist die δ-Aminolävulinsäuresynthase, sie benötigt als Cofaktor PALP!

Synthese der δ-Aminolävulinsäure im Mitochondrium

Synthese der δ-Aminolävulinsäure im Mitochondrium
Reaktion Substrat

Enzym

(Cofaktor)

Produkt Besonderheiten
1. Synthese von α-Amino-β-Ketoadipinsäure
2. Spontane Decarboxylierung
  • α-Amino-β-Ketoadipinsäure

Synthese und Modifikation des Porphyrinringsystems im Zytoplasma

Synthese und Modifikation des Porphyrinringsystems im Zytoplasma
Reaktion Substrat

Enzym

(Cofaktor)

Produkt
3. Bildung des Pyrrolrings
  • δ-ALA-Dehydratase
4. Bildung eines linearen Tetrapyrrols
  • 4 Porphobilinogen + H2O
  • Lineares Tetrapyrrol + 4 NH3
5. Bildung des Porphyrinringsystems und Modifikation diverser Seitenketten
  • Lineares Tetrapyrrol

Weitere Modifikation des Porphyrinringsystems sowie Einbau des Eisenions im Mitochondrium

Weitere Modifikation des Porphyrinringsystems im Mitochondrium
Reaktion Substrat

Enzym

(Cofaktor)

Produkt
6. Weitere Modifikationen des Porphyrinringsystems
7. Einbau Fe2+
  • Protoporphyrin
  • Ferrochelatase

Der Erythrozytenabbau geschieht zum größten Teil in Makrophagen in der roten Milzpulpa. Dann findet der Abbau des Hämoglobins auch sofort in diesen Makrophagen statt. Werden Erythrozyten außerhalb von Makrophagen zerstört, so wird Hämoglobin zuerst an das Transportprotein Haptoglobin gebunden und dem mononukleären Phagozytensystem (MPS) zugeführt.

  • Schicksal der einzelnen Bestandteile des Hämoglobins

Hämabbau

Der Abbau des Häms findet in den Makrophagen des monozytären Phagozytensystem statt.

  1. Hämoxygenase (prosthetische Gruppe: Cytochrom-P450): Verbraucht NADPH + H+ und O2 und setzt CO frei
    • Öffnet das Porphyrinringsystem und setzt das Eisenion frei
    • Blaues desoxygeniertes Häm wird zu grünem Biliverdin verstoffwechselt
  2. Biliverdinreduktase: Verbraucht NADPH + H+

Bei der Reaktion der Hämoxygenase wird Kohlenstoffmonoxid (CO) freigesetzt!

Blaue Flecke/Hämatome
Hämatome, die sich farblich stark unterscheiden, deuten auf Verletzungen zu verschiedenen Zeitpunkten hin. Somit können sie ein Zeichen für wiederholte Unfälle, eine erhöhte Blutungsneigung oder Misshandlung sein.

Bilirubin

Bilirubin ist das Endprodukt des Hämabbaus. Es hat für den Körper keinen weiteren Nutzen und muss ausgeschieden werden, höhere Konzentrationen können sogar toxisch wirken (siehe z.B. Kernikterus ). Bilirubin ist fettlöslich, zum Transport im Blut wird es daher an Albumin gebunden und muss zur weiteren Ausscheidung „wasserlöslich gemacht“ (konjugiert) werden.

Ikterus
Ist der Bilirubinstoffwechsel gestört, lagert sich der Farbstoff in der Haut ab und es kommt zu einem Ikterus. Die Ursachen hierfür sind verschieden.

Hämoglobinopathien bezeichnen eine Vielzahl genetisch bedingter Veränderungen des Hämoglobins. Weltweit beträgt die Prävalenz circa 7%, mit starken regionalen Unterschieden. Die epidemiologisch relevantesten Formen sind die Thalassämien und die Sichelzellkrankheit.

Thalassämien

Als Thalassämien werden Synthesestörungen der Globinketten bezeichnet, die zu einer verminderten oder sogar fehlenden Produktion der betroffenen Kette führen. Der Name kommt vom altgriechischen Wort für Meer („thalassa“) – Thalassämien treten insbesondere um das Mittelmeer herum auf. Die hohe Prävalenz dort wird mit dem Selektionsdruck durch die Malaria erklärt – Thalassämien erhöhen die Resistenz gegenüber dem Malariaerreger Plasmodium falciparum. Die Benennung erfolgt nach dem betroffenen Globinkettentyp: Prinzipiell sind Thalassämien jeder Kette vorstellbar und auch beschrieben, die bei weitem größte Relevanz haben aber die α- und β-Thalassämie.

α-Thalassämie

Bei einer α-Thalassämie ist die Synthese von α-Globin-Ketten gestört. Da es zwei Genloci für die α-Kette gibt und diese ja auf zwei Chromosomen liegen, gibt es also insgesamt vier α-Kettengene. Der Schweregrad der Erkrankung hängt davon ab, wieviele der vier Genloci von der Mutation betroffen sind.

  • Vorkommen: Hauptsächlich Südostasien
  • Pathophysiologie: Mutation in α-Kettengen
    • Vier Gene pro Person → Symptomatik je nach Anzahl betroffener Gene
      • Ein Gen: kaum Symptomatik
      • Zwei Gene: Minor-Form, milde Anämie
      • Drei Gene: Major Form, starke Vermehrung der pathologischen Hämoglobine HbH (β4), Hb Barts (γ4) → Schwere Anämie, Transfusionspflichtigkeit
      • Vier Gene: Betroffene außerhalb des Mutterleibs nicht lebensfähig

β-Thalassämie

Die β-Thalassämie ist die häufigste Form in Europa. Für die β-Kette gibt es nur einen Genlocus, sodass jede Person zwei β-Ketten-Gene besitzt. Je nachdem ob ein Gen oder beide betroffen sind, unterscheidet man eine Thalassaemia minor von einer Thalassaemia major.

  • Vorkommen: Hauptsächlich um das Mittelmeer
  • Pathophysiologie: Mutation im β-Kettengen (Zwei Gene → Thalassaemia minor oder major)

Sichelzellkrankheit

Die Sichelzellkrankheit ist eine weitere wichtige Hämoglobinopathie. Ihr liegt eine Mutation im β-Kettengen zugrunde, die allerdings nicht zu fehlendem β-Globin führt, sondern zu pathologisch veränderten β-Ketten. Diese bedingen veränderte instabile Erythrozyten, die man wegen ihrer typischen Form auch Sichelzellen nennt. Es folgt nicht nur eine hämolytische Anämie, sondern auch eine Neigung zu Verschlüssen kleiner Gefäße mit entsprechenden Durchblutungsstörungen.

  • Vorkommen: Hauptsächlich im tropischen Afrika und östlichen Mittelmeerraum
  • Genetik: Punktmutation im β-Ketten-GenAustausch von Glutamat durch Valin → Bildung von pathologischem HbS an Stelle von HbA1
  • Pathophysiologie:
    • Durch Valin: Entstehung eines hydrophoben Bereichs in der Globinkette → Hämoglobin kann zu Fibrillen aggregieren
    • HbS-Fibrillen beeinträchtigen Form der Erythrozyten
    • Fibrillenbildung durch niedrigen O2-Partialdruck begünstigt → Sichelzellkrisen unter Belastung

Viele Hämoglobinopathien werden autosomal-rezessiv vererbt. Während homozygote Mutationen meist zu schweren Defekten führen oder von vornherein letal sind, leiden heterozygote Mutationsträger meist nur unter milden Symptomen. Dazu gehört oft eine hämolytische Anämie bedingt durch defektes Hämoglobin!

Hämoglobin-Aufbau

Nenne Beispiele für weitere hämhaltige Proteine neben Hämoglobin!

Hämoglobintypen und -varianten

Aus welchen Globinketten ist das fetale Hämoglobin zusammengesetzt? Welchen wichtigen Vorteil hat es gegenüber dem adulten Hämoglobin?

Durch welche chemische Reaktion entsteht Glykohämoglobin (HbA1c) und welche diagnostische Bedeutung hat es?

Durch welche Reaktion entsteht aus Hämoglobin Methämoglobin (MetHb)? Worin besteht die Gefahr bei einer vermehrten Bildung?

Ein kleiner Teil des im Blut befindlichen CO2 wird als Carbaminohämoglobin an Hämoglobin gebunden transportiert. An welcher Position des Hämoglobins bindet es?

Hämoglobinsynthese

Welches sind die Ausgangsstoffe der Hämsynthese?

Welches ist das Schlüsselenzym der Hämsynthese, welchen Cofaktor benötigt es und welcher Stoff wird in seiner Reaktion freigesetzt?

Bei der Hämsynthese wird δ-Aminolävulinsäure in den Mitochondrien gebildet und anschließend ins Zytoplasma transportiert. Welche weiteren Reaktionsschritte folgen?

Hämoglobinabbau

Wo findet der Abbau des Hämoglobins statt und welche Rolle spielt Haptoglobin dabei?

Beschreibe den von der Hämoxygenase katalysierten ersten Schritt des Hämabbaus! Welche Stoffe werden verbraucht, welche freigesetzt?

Wie wird Biliverdin in Bilirubin umgewandelt?

Wie unterscheiden sich unkonjugiertes (indirektes) und konjugiertes (direktes) Bilirubin in ihrem Löslichkeitsverhalten?

Was geschieht bei der Konjugation des Bilirubins in der Leber? Welches Enzym ist beteiligt?

Hämoglobinopathien

Welche Erbkrankheit wird durch eine Punktmutation in der β-Kette des Hämoglobins verursacht?

In Kooperation mit Meditricks bieten wir durchdachte Merkhilfen an, mit denen du dir relevante Fakten optimal einprägen kannst. Dabei handelt es sich um animierte Videos und Erkundungsbilder, die auf AMBOSS abgestimmt oder ergänzend sind. Die Inhalte liegen meist in Lang- und Kurzfassung vor, enthalten Basis- sowie Expertenwissen und teilweise auch ein Quiz sowie eine Kurzwiederholung. Eine Übersicht aller Inhalte findest du im Kapitel „Meditricks“. Meditricks gibt es in unterschiedlichen Paketen – für genauere Informationen empfehlen wir einen Besuch im Shop.

Hämsynthese

Inhaltliches Feedback zu den Meditricks-Videos bitte über den zugehörigen Feedback-Button einreichen (dieser erscheint beim Öffnen der Meditricks).

  1. Schmidt et al. (Hrsg.): Physiologie des Menschen: mit Pathophysiologie. 31. Auflage Springer 2010, ISBN: 978-3-642-01651-6 .
  2. Rassow et al.: Duale Reihe Biochemie. 2. Auflage Thieme 2008, ISBN: 978-3-131-25352-1 .
  3. Behrends et al.: Duale Reihe Physiologie. 1. Auflage Thieme 2009, ISBN: 978-3-131-38411-9 .
  4. Berg et al.: Biochemie. 7. Auflage Springer Spektrum 2012, ISBN: 978-3-827-42988-9 .
  5. Klinke, Silbernagl: Lehrbuch der Physiologie. 4. Auflage Thieme 2005, ISBN: 3-137-96004-5 .