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Geburtsablauf

Letzte Aktualisierung: 4.9.2023

Abstracttoggle arrow icon

Der Geburtsablauf stellt eine interdisziplinäre Herausforderung für Hebammen, ärztliches und pflegerisches Personal dar. Eine regelrechte Geburt verläuft in drei Phasen und beginnt mit den Eröffnungswehen, die die Eröffnungsperiode der Geburt einleiten. Die vollständige Eröffnung des Muttermundes markiert den Beginn der zweiten Phase, der sog. Austrittsperiode der Geburt, die mit der Geburt des Kindes endet. Die Nachgeburtsperiode schließt den Geburtsvorgang ab und endet mit der vollständigen Geburt der Nachgeburt (Plazenta). Mütterliche oder fetale Indikationen können eine künstliche Einleitung der Geburt notwendig machen. Ausführliche Informationen dazu finden sich im Kapitel Geburtseinleitung.

Zur Beurteilung des regulären Geburtsfortschritts sind die Beobachtung der Wehen und vaginale geburtshilfliche Tastuntersuchungen essenziell. Während Senkwehen und Vorwehen eine beginnende Geburt ankündigen, gehören die Eröffnungswehen bereits zu den Geburtswehen, ebenso wie die nachfolgenden Austrittswehen. Nach Geburt des Kindes führen die Nachgeburtswehen zur Geburt der Plazenta.

Das Management im Kreißsaal umfasst neben der Versorgung der Mutter auch die Überwachung des Kindes unter der Geburt, bspw. mittels CTG oder Mikroblutuntersuchung. Unter der Geburt auftretende Komplikationen können Maßnahmen zur Geburtsunterstützung oder -beendigung erforderlich machen. Detaillierte Inhalte dazu, inkl. Ablauf der Sectio caesarea, finden sich im Kapitel Operative Geburtshilfe.

Nach der Geburt verbleiben Mutter und Neugeborenes noch für eine gewisse Zeit im Kreißsaal, wo auch mögliche Geburtsverletzungen versorgt werden und i.d.R. die Kindervorsorgeuntersuchung U1 erfolgt. Informationen zur weiteren Betreuung von Mutter und Kind nach der Geburt werden im Kapitel Wochenbett abgehandelt.

Regelrechter Geburtsablauftoggle arrow icon

Eröffnungsperiode [1][2]

Austrittsperiode (veraltet: Austreibungsphase) [1][2][3]

Nachgeburtsperiode [1]

Besteht der V.a. eine unvollständige Plazenta oder eine Nebenplazenta, muss manuell nachgetastet und im Verlauf kürettiert werden!

Wehentoggle arrow icon

Wehen: Übersicht
Wehenform Zeitpunkt Charakteristika
Schwangerschaftswehen Alvarez-Wellen
  • Physiologisch ab 20. SSW
  • Geringe Intensität, hohe Frequenz
Braxton-Hicks-Kontraktionen (Übungswehen)
  • Physiologisch ab 20. SSW
  • Höhere Intensität, tetanisch, ganzer Bauch hart, max. 1 min
Senkwehen
  • 3–4 Wochen vor Geburt
  • Unkoordinierte Wehen mittlerer Intensität, die das Kind positionieren
Vorwehen
  • 3–4 Tage vor Geburt
  • Unregelmäßige Wehen hoher Intensität, kurz vor der Eröffnungsperiode alle 5–10 min; stellen den Kopf des Kindes im Becken richtig ein
Geburtswehen Eröffnungswehen
  • Koordinierte, regelmäßige, rhythmische Wehen hoher Intensität, zunächst alle 10 min, kurz vor Eröffnung alle 2–3 min; eröffnen den Muttermund
Austrittswehen
  • Nach vollständiger Muttermundseröffnung
  • Koordinierte regelmäßige Wehen von hoher Intensität, zunächst alle 4–10 min; dienen dem Austreten des Kindes
  • In der letzten Phase häufiger (alle 2–3 min) und verstärkt (Drücke von bis zu 200 mmHg) = Presswehen
Nachgeburtswehen
  • Minuten nach Geburt des Kindes
  • Unregelmäßige Kontraktionen niedriger Intensität, die innerhalb von 30 min zum Austritt der Plazenta führen
Nachwehen
  • Bis einige Tage nach Geburt

Wehenschmerzen [7][8]

  • Dauer einer Wehe ca. 20–60 s [9]
  • Frequenz abhängig von Wehenform
  • Zunehmende Schmerzen im Verlauf der Geburt
Wehenschmerzen [7][8]
Schmerzentstehung Schmerzweiterleitung Fasertyp und Schmerzcharakteristik
Eröffnungsperiode
Austrittsperiode

Im Geburtsverlauf wandert die Schmerzausstrahlung typischerweise von thorakolumbal nach sakral!

Blasensprungtoggle arrow icon

Formen des Blasensprungs

Diagnostik des Blasensprungs [3]

Management im Kreißsaaltoggle arrow icon

Vorstellung der Patientin mit fraglichem Geburtsbeginn [1][2][3]

Vorgehen unter der Geburt

Die regelmäßige Reevaluation und Zusammenschau der Befunde hilft, mögliche Komplikationen unter der Geburt und Kontraindikationen für eine vaginale Geburt früh zu erkennen!

Vaginale geburtshilfliche Tastuntersuchung (VU)

  • Vorbereitung
    • Aufklärung der Patientin über Notwendigkeit der Untersuchung
    • Einverständnis der Patientin einholen
    • Patientin entspannt in Rückenlage mit angewinkelten Beinen
    • Ggf. Entleerung der Blase
    • Händedesinfektion
    • Anlegen steriler Handschuhe
  • Durchführung: Einführen von zwei Fingern in die Vagina und Beurteilung von
  • Dokumentation der Befunde im Partogramm und Information der Patientin über mögliche Konsequenzen

Eine tastbare Nabelschnur (Nabelschnurvorfall) gilt als akuter Notfall mit Indikation zur notfallmäßigen Sectio caesarea!

Bishop-Score

Bishop-Score [1]
0 Punkte 1 Punkt 2 Punkte 3 Punkte
Lage der Portio Sakral Mediosakral Zentral
Konsistenz der Portio Derb Mittel Weich
Länge der Portio (in cm) 2 1 0,5 0
Weite des Muttermundes (in cm) Geschlossen 1 2 3
Höhenstand des vorangehenden Kindsteils in Bezug zur Interspinalebene (in cm), siehe auch: Höhenstand nach Hodge und de Lee 2 cm oberhalb der Interspinalebene 1 cm oberhalb der Interspinalebene 1 cm unterhalb der Interspinalebene

Subpartale antibiotische Therapie [12]

Mikroblutuntersuchung (MBU) des Kindes [1]

  • Definition: Entnahme kleiner Blutmenge aus dem kindlichen Skalp zur venösen Blutgasanalyse (Fetalblut)
  • Voraussetzung: Erfolgter Blasensprung bzw. Amniotomie
  • Indikation: Suspektes oder pathologisches Kardiotokogramm unter Geburt
  • Kontraindikationen
  • Vorbereitung und Durchführung
    • Steriles Material
      • Lanzette
      • Zwei Kornzangen
      • Amnioskop
      • Kleine und große Tupfer
      • Handschuhe
    • Unsteriles Material
    • Vorbereitung
      • Aufbau des notwendigen sterilen Materials auf einem kleinen Tisch neben dem Kreißbett
      • Positionierung der OP-Leuchte
      • Nach Möglichkeit Lagerung der Patientin in Steinschnittlage im Kreißbett
      • Aufklärung der Patientin über die bevorstehende Untersuchung, Vorführen des Amnioskops
    • Durchführung
      • Vaginale Tastuntersuchung zur Beurteilung der Muttermundöffnung
      • Vorsichtiges Einführen des Amnioskops bis zum kindlichen Kopf
      • Öffnen des Amnioskops durch Entfernen des Innenteils, Überprüfung der Sicht auf den kindlichen Kopf
      • Reinigung des Kopfes mit in Kornzange eingespanntem, großem Tupfer
      • Auftragen von Paraffinöl auf den kindlichen Kopf mit in Kornzange eingespanntem, kleinem Tupfer
      • Vorsichtige Stichinzision der Kopfhaut mittels Lanzette (neben der Geburtsgeschwulst!)
      • Auffangen des Bluttropfens mittels in Kornzange eingespanntem Kapillarröhrchen
      • Durchführung einer Blutgasanalyse
  • Fehlerquellen
Beurteilung und Konsequenzen einer Mikroblutuntersuchung [1][2][13]
pH-Wert Interpretation Weiteres Vorgehen
≥7,25
  • Normal
  • Bei Persistenz der CTG-Abweichung: Kontrolle nach 60 min
    • Bei zusätzlichen Pathologien früher!
7,21–7,24
  • Grenzwertig
  • Anleitung zum tiefen und regelmäßigen Atmen, ggf. O2-Gabe
  • Bei Persistenz der CTG-Abweichung: Erneute Kontrolle nach 30 min
    • Bei zusätzlichen Pathologien früher!
≤7,20

Abnabeln [2][14][15]

Vorgehen postpartal

Mögliche Komplikationen unter der Geburttoggle arrow icon

Der Geburtsablauf ist komplex und Komplikationen können in jeder Phase der Geburt unter Umständen auch unerwartet auftreten. Die folgenden Inhalte können demnach nur einen Überblick über mögliche Komplikationen bieten. Der klinische Blick und die interdisziplinäre Zusammenarbeit sind dabei unerlässlich! Für weiterführende Informationen u.a. zur interdisziplinären Zusammenarbeit siehe auch: Interdisziplinäre Notfälle im Kreißsaal und Interdisziplinäre Notfälle im Kreißsaal - Differenzialdiagnosen.

Verzögerungen im Geburtsablauf [2]

Protrahierte Geburt

Verdacht auf protrahierte Eröffnungsperiode [2]

Protrahierte Eröffnungsperiode

Protrahierte Austrittsperiode

Geburtsstillstand

Die Maßnahmen bei einer protrahierten Geburt bzw. einem Geburtsstillstand richten sich nach der Ursache, dem fetalen und maternalen Zustand sowie dem Geburtsfortschritt!

Blutungen unter der Geburt

Fetale Komplikationen

Analgesie unter der Geburttoggle arrow icon

Folgend sind v.a. die durch die Geburtshilfe und Hebammen durchgeführten Maßnahmen zur Schmerzlinderung dargestellt. Für das anästhesiologische Vorgehen siehe: Anästhesie zur Geburt!

Komplementäre Verfahren [2][17][18]

  • Allgemeine Maßnahmen [7]
    • Empathische Zuwendung und (emotionale) Unterstützung
    • Körperliche Bewegung
    • Massage
    • Wärmetherapie, bspw. mit Kirschkernkissen
    • Atemtechniken
  • Entspannungstherapie
    • Durchführung: Entspannende Musik, Biofeedback-­Methoden
    • Wirksamkeit: Keine ausreichende Evidenz, ggf. reduzierte Schmerzen
  • Hydrotherapie
    • Durchführung: Wasserbad
    • Wirksamkeit: Keine ausreichende Evidenz, ggf. reduzierte Schmerzen
  • Akupunktur und Akupressur [2]
    • Durchführung: Stimulation bestimmter Punkte durch feine Nadeln (Akupunktur) oder durch leichten Druck und kreisende Bewegungen mit den Fingerkuppen (Akupressur) während der Geburt
    • Wirksamkeit
      • Homogene Studienlage
      • Akupunktur: Signifikant reduzierter Bedarf an Analgetika, Periduralanästhesien und Wehenmitteln unter der Geburt, kein Unterschied bzgl. Geburtsmodus und Schmerzlinderung im Vergleich zur Kontrollgruppe
      • Akupressur: Signifikante Schmerzlinderung, aber kein Unterschied bzgl. Bedarf an Analgetika unter der Geburt im Vergleich zur Kontrollgruppe
  • Aromatherapie [2]
    • Durchführung: Raumsprays, ätherische Öle
    • Wirksamkeit
      • Sehr niedrige bis moderate Evidenz, ggf. verkürzte Geburtsdauer und Schmerzlinderung
      • Kein Unterschied bzgl. Geburtsmodus, Bedarf an Analgetika unter der Geburt und wichtigen Komplikationen im Vergleich zur Kontrollgruppe
  • Hypnose (z.B. Hypnobirthing) [2][19]
    • Durchführung: Selbsthypnose oder Hypnose
    • Wirksamkeit
      • Sehr niedrige bis niedrige Evidenz, heterogene Studienlage
      • Ggf. reduzierter Bedarf an Analgetika unter der Geburt
      • Ausmaß der Schmerzlinderung aufgrund heterogener Studiendesigns und -ergebnisse unklar
      • Kein Unterschied bzgl. Geburtsmodus und Geburtserleben im Vergleich zur Kontrollgruppe
  • Yoga [2]
    • Durchführung: Yoga während der Schwangerschaft und während der Geburt
    • Wirksamkeit: Niedrige Evidenz, ggf. reduzierte Schmerzen und folglich verbessertes Geburtserleben
  • Homöopathie: Keine Empfehlung aufgrund fehlender Evidenz [2]

Die physikalischen und komplementären Schmerztherapien können keine Analgesie, sondern bestenfalls eine Schmerzreduktion erzielen! [2]

Viele komplementäre Verfahren haben bei entsprechender Expertise keine Nebenwirkungen, bspw. Akupunktur und Akupressur, Hypnose und Aromatherapie! [2]

Spasmolytika

Lachgas [2][7][21][22]

Prinzipiell ist ein Lachgas-Sauerstoff-Gemisch (50%/50%) zur Schmerzlinderung unter der Geburt geeignet! [2]

Unbedingt zu beachten sind die obligaten Voraussetzungen zur Anwendung von Lachgas im Rahmen der Geburtshilfe! [23]

Der atemdepressive Effekt von Opioiden kann durch Lachgas deutlich verstärkt werden und ein rasches Atemwegsmanagement erfordern!

Systemische Opioide

Meptazinol (Meptid®) [7]

  • Prinzip: Intravenöse oder intramuskuläre Gabe von Meptazinol im ersten Abschnitt der Geburt [25]
  • Indikation: Auf Patientinnenwunsch bei mäßigen bis starken Wehenschmerzen [25][26]
  • Kontraindikation: Nur Unverträglichkeit
  • Durchführung
    • Intravenöse oder intramuskuläre Gabe einer gewichtsadaptierten Dosis [25]
    • Kombination mit einem Antiemetikum (z.B. Metoclopramid) empfohlen
  • Vorteile
    • Zulassung für die Anwendung in der Geburtshilfe (kein Off-Label Use)
    • Mütterliche und kindliche Komplikationen etwas seltener als bei der Verabreichung von Pethidin
  • Nachteile
  • Komplikationen: Übelkeit, Erbrechen, Atemdepression bei Mutter und Kind , fetale Azidose
Gewichtsadaptierte Dosierung von Meptazinol [25]
Körpergewicht in kg Dosierung
38–50 0,75 mL (75 mg)
51–69 1 mL (100 mg)
70–85 1,5 mL (150 mg)
86–100 1,75 mL (175 mg)
101–120 2 mL (200 mg)

Laut Fachinformation kann Meptazinol bei mäßigen bis starken Schmerzen im ersten Abschnitt der Geburt verabreicht werden! [25]

Aufgrund des erhöhten Risikos für eine Atemdepression sollte das Neugeborene nach der Geburt überwacht werden!

Pethidin (Dolantin®) [7][27]

  • Prinzip: Intravenöse oder intramuskuläre Gabe von Pethidin
  • Indikation: Auf Patientinnenwunsch bei starken Wehenschmerzen [26] [28]
  • Kontraindikationen: Siehe Pethidin
  • Durchführung
  • Nachteile
    • Längere Wirkdauer (ca. 2–4 h)
    • Eingeschränkte analgetische Wirksamkeit [29]
    • CTG-Veränderungen (verminderte Oszillation im CTG)
    • Aktiver Metabolit (Norpethidin)
    • Verminderte Überlebensfähigkeit bei Kindern mit Risikofaktoren
  • Komplikationen: Atemdepression bei Mutter und Kind, fetale Azidose, Bradykardie, Schwierigkeiten beim Stillen

Kurzwirksamere und nebenwirkungsärmere Opioide wie Remifentanil sind zu bevorzugen! [26]

Laut Fachinformation wird Pethidin nicht zur peripartalen Anwendung empfohlen! [27]

Aufgrund des erhöhten Risikos für eine Atemdepression soll das Neugeborene mind. für die ersten 6 h nach der Geburt überwacht werden! [7]

Lokale Nervenblockaden

Pudendusblockade [2][7][30]

Da N. ilioinguinalis und N. genitofemoralis die vordere Vulva versorgen, erreicht die Pudendusblockade keine komplette Analgesie im Zielgebiet! [7]

Infiltrationsanästhesie des Perineums [7][30]

Handgriffe zur Unterstützung der Geburttoggle arrow icon

  • Kristeller-Handgriff (Fundusdruck), umstritten! [2][31]
    • Definition: Umfassen des Fundus mit den Händen und Ausüben stetigen Drucks nach unten während der Wehe
    • Ziel: Geburt des Kopfes in der späten Austrittsperiode (wenn die Gebärende nicht genügend Kraft aufbringen kann)
    • Indikation: Sehr streng und zurückhaltend im Einzelfall unter Berücksichtigung der aktuellen Leitlinien
    • Bedingungen
      • Wehensynchrone Durchführung lediglich in der späten Austrittsperiode
      • Stetiger Austausch mit der Gebärenden oder Begleitpersonen
      • Einverständnis der Gebärenden
  • Ritgen-Handgriff: Bei verzögerter Kopfgeburt Greifen und Hochdrücken des kindlichen Kinns durch das Gewebe des Hinterdamms (zwischen Anus und Steiß)
  • Für operative Methoden der Geburtsunterstützung (bspw. Zangenextraktion und Vakuumextraktion) siehe: Operative Geburtshilfe

Die WHO lehnt den Kristeller-Handgriff ab!

Geburtsverletzungentoggle arrow icon

Verletzungen von Labien, Zervix oder Vagina [3]

  • Einteilung
    • Labienriss: Insb. durch starke Scherkräfte, meist oberflächlich und längs verlaufend, bedürfen i.d.R. keiner chirurgischen Versorgung (im Gegensatz zu quer verlaufenden Labienrissen) [32]
    • Zervixriss: Insb. durch Pressen gegen den nicht vollständig eröffneten Muttermund
    • Vaginalriss: Insb. bei Zangenentbindung
    • Klitorisverletzung (ca. 3%)
  • Therapie: Bei starker Blutung operative Versorgung unter adäquater Analgesie (siehe auch: Versorgung von Geburtsverletzungen)

Dammriss

Da der Damm bei der Geburt unter starker Spannung steht, gehört der Dammriss zu den häufigsten Geburtsverletzungen; dabei kommt es je nach Ausprägung zum Einreißen der Damm- und Vaginalhaut, der Beckenbodenmuskulatur sowie der Analsphinkteren.Ein Dammriss tritt bei bis zu 30% aller vaginalen Geburten auf.

Einteilung [33]

Einteilung der Dammrisse
Schweregrad des Dammrisses Beschreibung
Riss von Kutis und Subkutis ohne Beteiligung der Dammmuskulatur
II° Riss der Dammmuskulatur ohne Beteiligung des M. sphincter ani externus

III°

IIIa°

M. sphincter ani externus <50% durchtrennt

IIIb° M. sphincter ani externus >50% durchtrennt
IIIc° M. sphincter ani externus durchtrennt mit Beteiligung des M. sphincter ani internus
IV° Zusätzliche Beteiligung des Rektums

Diagnostik [33]

  • Inspektion und Palpation von Vagina, Anus und Rektum
  • Bei unklaren Wundverhältnissen
    • Diagnosestellung durch ärztliches Personal auf Facharztniveau
    • Den höhergradigen Riss wählen

Risikofaktoren für höhergradige Dammrisse (DR III° und IV°) [33]

Komplikationen bei höhergradigen Dammrissen (DR III° und IV°) [3][33]

Prävention [2][33]

Zur Verringerung des Risikos für (insb. höhergradige) Dammrisse können verschiedene Maßnahmen während der Austrittsperiode durchgeführt werden .

Episiotomie

Als Episiotomie bezeichnet man die operative Erweiterung des Geburtskanals. Die Indikation ist individuell zu stellen und wird heutzutage restriktiver gestellt als noch vor einigen Jahren .

Indikationen

Durchführung

Mögliche Schnittführungen

Die Durchführung des Schnittes kann in drei unterschiedliche Richtungen erfolgen. Von den aktuellen Leitlinien wird die mediolaterale Schnittführung empfohlen. [2] [33]

  • Mediolaterale Schnittführung: Meistgewählte Schnittführung
  • Mediane Schnittführung
    • Schnitt
    • Vorteile: Vergleichsweise wenig Beschwerden postpartal
    • Nachteile
      • Erhöhtes Risiko für höhergradige Dammrisse
      • Nur durch Sphinkterotomie erweiterbar
  • Laterale Schnittführung: Nur noch selten durchgeführt

Reißt der Schnitt nach einer medianen Schnittführung weiter, geschieht dies in Richtung Anus. Dadurch kann es zu Verletzungen von Sphinkter und Darm kommen!

Versorgung von Geburtsverletzungentoggle arrow icon

Zeitpunkt und Setting

  • Nach Geburt der Plazenta
  • I.d.R. im Kreißsaal

Vorbereitung

Indikationen [2]

Durchführung [2][33]

Bei der Naht der Geburtsverletzung ist im Sinne einer optimalen Wundheilung darauf zu achten, möglichst wenig Nahtmaterial und Knoten zu verwenden. Sind mehrere Strukturen verletzt, erfolgt i.d.R. zunächst die Naht der Vagina, gefolgt von der Dammnaht und der Versorgung der Labien und Klitoris. Bei höhergradigen Dammrissen werden vorher die betroffenen Strukturen des Rektums und ggf. Zervixrisse versorgt. Das Nahtmaterial sollte resorbierbar sein.

Naht der Vagina

Wichtig ist die Darstellung und exakte Adaptation des Hymenalsaums und Introitus, um die korrekte Rekonstruktion des Damms und der Vagina zu ermöglichen.

  • Nahtmaterial: Fadenstärke 3-0 oder 2-0, bspw. mit Vicryl®
  • Durchführung
    • Darstellung des oberen Wundwinkels durch Einführen und Spreizen der Finger oder mithilfe eines Spekulums
    • Anfang der Naht kranial des oberen Wundwinkels
    • Abstand zwischen den Stichen ca. 1 cm
    • Fortlaufende Naht bis zum Hymenalsaum und Abschluss mittels chirurgischem Knoten

Naht des Damms [2]

  • Nahtmaterial: Fadenstärke 3-0 und/oder 2-0, bspw. mit Vicryl®
  • Durchführung: Ggf. mehrschichtiges Vorgehen notwendig
    • Naht der Dammmuskulatur
      • Fortlaufende Naht bspw. mittels Vicryl® 2-0 vom Introitus Richtung Anus
      • Insb. im Bereich des Centrum tendineum perinei, direkt unterhalb des Introitus, nach lateral ausladend stechen
    • Hautnaht
      • Intrakutane Hautnaht
        • Mit bspw. Vicryl® 2-0: Nutzung des Fadens der Dammnaht (Richtung Introitus)
        • Mit bspw. Vicryl® 3-0: Nutzung des dünneren Fadens (Beginn am Introitus oder der Gegenseite mit einem Knoten)
      • Querstich und chirurgischer Knoten

Naht der Zervix

  • Nahtmaterial: Bspw. Vicryl rapid® [37]
  • Durchführung
    • Spekulumeinstellung der Zervix und des Muttermundes
    • Fassen der Muttermundslippe mit atraumatischen Klemmen zur besseren Darstellbarkeit
    • Naht mittels Einzelknopfnähten
      • Erste Naht: Im Sinne einer Haltenaht an der Zirkumferenz des Muttermundes, Fäden mithilfe einer Klemme auf Zug halten
      • Zweite Naht: Knapp oberhalb des kranialen Wundwinkels
      • Weitere Einzelknöpfe dazwischen (von kranial nach kaudal)
    • Entfernen der Haltenaht

Naht der Rektumvorderwand und des Sphinkters

Ein Dammriss III° und IV° sollte aus forensischen Gründen durch ärztliches Personal auf Facharztniveau versorgt werden .

Naht von Labien und Klitoris

Nachbereitung

  • Digital-rektale Tastuntersuchung
    • Ausschluss übersehener rektaler Verletzungen
    • Kontrolle des Sphinkters
    • Ausschluss der Durchstechung des Rektums von vaginal
  • Weitere Maßnahmen
    • Antiphlogistika, bspw. Ibuprofen
    • Lokale Kühlung zur Abschwellung
    • Information der Patientin über Art des Risses, Verhaltensregeln und Komplikationen
    • Zusätzlich ab Dammriss III°
      • Weiche Kost, Laxantien für mind. 2 Wochen
      • Tägliche Reinigung mit fließendem Wasser, besonders nach Stuhlgang
      • Ggf. verlängerte antibiotische Therapie über 5 Tage

Langfristige Nachsorge bei DR III° und DR IV° [33]

Es sollte eine fachärztliche Untersuchung nach 3 Monaten erfolgen. Dabei sollte insb. auf eine etwaige anale Inkontinenz geachtet werden.

  • Anamnese: Flatusinkontinenz, Stuhldrang, Inkontinenz bei flüssigem Stuhl, Inkontinenz bei festem Stuhl
  • Inspektion und vaginale/rektale Palpation
  • Beckenbodentraining durch Physiotherapie empfehlen
  • Bei therapierefraktären Beschwerden: Überweisung in ein Zentrum mit entsprechender Spezialisierung

Management bei Folgegeburten bei DR III° und DR IV° [33]

  • Elektive Sectio caesarea anbieten
  • Bei Spontanentbindung
    • Aktives Miteinbeziehen der Patientin im Geburtsverlauf
    • Entscheidungsfreiheit der Patientin bzgl. Entbindungsposition
    • Dammschutz
    • Langsame Kopfentwicklung des Kindes
    • Zurückhaltender Einsatz einer mediolateralen Episiotomie

Patienteninformationentoggle arrow icon

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Positives Erleben im Kreißsaal – S3-Leitlinie zur vaginalen Geburt am Termin (Juli 2021)

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Kodierung nach ICD-10-GM Version 2023toggle arrow icon

O34.-: Betreuung der Mutter bei festgestellter oder vermuteter Anomalie der Beckenorgane

O42.-: Vorzeitiger Blasensprung

Entbindung

  • O80: Spontangeburt eines Einlings
    • Inklusive
      • Keine oder minimale geburtshilfliche Maßnahmen
      • Normale Entbindung
      • Spontangeburt aus Schädellage
      • Spontane Vaginalgeburt eines Einlings
  • O81: Geburt eines Einlings durch Zangen- oder Vakuumextraktion
  • O82: Geburt eines Einlings durch Schnittentbindung [Sectio caesarea]

Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2023, DIMDI.

Quellentoggle arrow icon

  1. Kainer et al.: Facharztwissen Geburtsmedizin. Urban & Fischer 2016, ISBN: 978-3-437-23752-2.
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  3. Leitlinie zum Management von Dammrissen III. und IV. Grades nach vaginaler Geburt.Stand: 1. Dezember 2020. Abgerufen am: 29. Dezember 2021.
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