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Fall: Älterer Herr mit Gelbfärbung der Skleren

Letzte Aktualisierung: 21.2.2023

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Der 65-jährige Herr Hennes, ein Patient in normalem Ernährungs- und Allgemeinzustand, kommt zu Dir in die Notaufnahme. Er gibt an, nur gekommen zu sein, weil seiner Frau am Morgen eine Gelbfärbung seiner Augen aufgefallen sei. Er fühlt sich eigentlich wohl, auch wenn er in letzter Zeit etwas leicht ermüdbar sei. Abdominelle Beschwerden werden auf explizites Befragen verneint. Auf den ersten Blick fällt bei dem pensionierten Lehrer eine ausgeprägte Gelbfärbung beider Skleren auf.

Der Patient zeigt einen schmerzlosen Ikterus, vorrangig auszuschließende Diagnosen umfassen:

  1. Hepatitis (z.B. viral bedingt)
  2. Raumforderung im Bereich der abführenden Gallenwege (z.B. Pankreaskarzinom oder biliäres Karzinom)
  3. Leberzirrhose (z.B. toxisch)
  4. Hämolyse (z.B. bei autoimmunhämolytischer Anämie)
  5. Akute toxische Leberschäden (z.B. medikamentös induziert)
  6. Diffuse Lebermetastasierung oder Leberzellkarzinom
  7. Differenzialdiagnosen, die weniger wahrscheinlich sind:
  • Über welchen Zeitraum ist der Ikterus entstanden?
  • Bekannte Virushepatitis? Gelbsucht nach Bluttransfusionen vor Jahrzehnten? Impfstatus gegen Hepatitis A und B? Reisen in Endemiegebiete für Hepatitis A und E?
  • Ist eine Leberzirrhose schon bekannt? Hatte der Patient schon einmal Aszites ("Wasser im Bauch")? Bestehen Hinweise auf erhöhten Alkoholkonsum?
  • Werden neue Medikamente eingenommen?
  • Ist der Urin dunkel verfärbt? Der Stuhl hell?

Eine wichtige Differenzialdiagnose bei schmerzlosem Ikterus ist die virale Hepatitis. Nenne die drei häufigsten Formen und ihre Übertragungswege!

Angenommen Herr Hennes wäre kürzlich im Urlaub gewesen. Welche Reiseziele würden zum Verdacht auf eine Hepatitis E passen?

In der Medikamentenanamnese solltest Du explizit auch nach unregelmäßig eingenommenen Medikamenten wie z.B. Schmerztabletten oder Nahrungsergänzungsmitteln fragen, da diese oft vergessen werden. Manche Patienten nehmen außerdem pflanzliche Zubereitungen ein, die sie nicht als Medikamente ansehen, und die daher ohne Nachfrage oft unerwähnt bleiben!

Fortsetzung Fallbericht

Herr Hennes verneint die Einnahme von Medikamenten. Er weist keine Risikofaktoren für virale Hepatitiden auf und gibt an, seit circa 20 Jahren täglich eine Schachtel Zigaretten zu rauchen (= 20 Pack-Years). Alkohol trinke er nur zu größeren Feiern und dann eher in geringen Mengen. In der Familienanamnese erzählt Dir der Patient, dass sowohl Mutter, Tante als auch seine Großmutter an einem Mammakarzinom erkrankt waren. Auf Befragen bestätigt Herr Hennes, dass der Urin tatsächlich etwas dunkler und der Stuhl heller seien, aber das hätte ihn nicht weiter beunruhigt. Du führst als nächstes eine körperliche Untersuchung durch.

Worauf solltest Du bei der körperlichen Untersuchung besonders achten?

Fortsetzung Fallbericht

Neben dem gelblichen Hautkolorit fällt Dir auch eine pralle Resistenz ohne wesentlichen Druckschmerz unter dem Rippenbogen in der Medioklavikularlinie (MCL) rechts auf. Sonst finden sich keine auffälligen Befunde, insbesondere gibt es keinen Hinweis auf Leberhautzeichen oder Aszites.

Es gibt zwei wichtige Untersuchungszeichen mit Bezug zur Gallenblase - bei Herrn Hennes zeigt sich das Courvoisier-Zeichen. Welches Zeichen ist für die Cholezystitis typisch?

Video zur abdominellen Untersuchung (insbesondere Leber und Gallenblase)

Fortsetzung Fallbericht

Du klärst Herrn Hennes über den Bedarf einer weiteren Abklärung auf und veranlasst eine Aufnahme auf eine internistische Station Deines Krankenhauses, um weitere Untersuchungen durchzuführen. Als erstes entscheidest Du Dich für eine Laboruntersuchung des Blutes.

Bei der Anordnung von Laboruntersuchungen sollten immer zuerst allgemeine Untersuchungen wie beispielsweise die Bestimmung der Transaminasen durchgeführt werden. Erst wenn diese Untersuchungen auffällige Werte zeigen, werden spezifischere Parameter (wie z.B. Hepatitis-Serologie oder Autoantikörper) eingesetzt, um die genaue Ursache einzugrenzen.

Die wichtigste apparative Untersuchung mit dem geringsten Aufwand ist im vorliegenden Fall die Abdomensonografie.

Welche Befunde sind in der Abdomensonografie nach Genese des Ikterus ggf. zu erwarten?

Bei der im vorliegenden Fall anzutreffenden klinischen Konstellation ist die Abdomen-Sonografie die am schnellsten zielführende diagnostische Maßnahme! Das Ergebnis erlaubt eine sinnvolle Weichenstellung für weitere diagnostische Maßnahmen sowohl in der Bildgebung sowie im Labor!

Fortsetzung Fallbericht

Die angeforderten Laborwerte zeigen im kleinen Blutbild keine Auffälligkeiten. Transaminasen sind geringgradig erhöht, die Cholestaseparameter sind deutlich erhöht, insbesondere das direkte Bilirubin. Im Oberbauch-Sonogramm zeigt sich eine Choledochuserweiterung (auf 2cm; normal bei erhaltener Gallenblase bis 0,8cm) und auch eine Erweiterung der intrahepatischen Gallenwege. Der Bereich des Pankreaskopfes ist luftüberlagert schwer einsehbar, jedoch zeigt sich im Schwanzbereich eine Erweiterung des Ductus pancreaticus. Aufgrund dieses Befundes ist eine weitere Untersuchung des Blutes zunächst nicht vorrangig, deshalb entscheidest Du Dich, weitere apparative Untersuchungen zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose einer Raumforderung der ableitenden Gallenwege durchzuführen.

Nehmen wir an, die Ultraschalluntersuchung hätte keine Erweiterung der Gallen- und Pankreaswege gezeigt, welche Laboruntersuchungen wären dann indiziert gewesen?

Grundsätzlich gilt es, mittels ausreichend sensitiver Bildgebung die Oberbauchorgane im Detail zu beurteilen sowie ggf. eine Biopsie von suspektem Gewebe zu gewinnen und im besonderen Fall aufgrund der Cholestase den Abfluss der Gallenflüssigkeit sicherzustellen. Eine rationale Vorgehensweise wäre daher im vorliegenden Fall die Durchführung von:

Die MRCP stellt aufgrund der fehlenden Invasivität die bevorzugte Möglichkeit zur Darstellung der Gallen- und Pankreaswege dar, wenn zunächst keine Indikation zur Intervention besteht! Ist dagegen bspw. eine Steinextraktion oder Papillotomie erforderlich (bzw. besteht hochgradiger Verdacht auf die Notwendigkeit), wird eine ERCP durchgeführt!

Wie beurteilst Du die vorliegenden Ergebnisse der Bildgebung? (Antwort siehe Bildbeschreibung)

ERCP

Abdomen-CT

Sollten vor der Durchführung der Kontrastmittel-CT weitere Laboruntersuchungen vorgenommen werden? Was gilt es weiterhin anamnestisch zu beachten?

Fortsetzung Fallbericht

Die Endosonografie und das Abdomen CT ergaben den Nachweis eines Pankreaskopftumors mit Kompression des Ductus choledochus und des Ductus pancreaticus ohne Infiltration von Nachbarorganen. Zudem zeigten sich keine Lymphknotenmetastasen oder abdominellen Fernmetastasen. Herr Hennes wird über die Befunde im Beisein seiner Ehefrau aufgeklärt. Auch das weiterführende Staging erbringt keinen Hinweis auf Metastasen. In der anschließenden Tumorfallkonferenz wird die Therapie geplant. Des Weiteren wird die Anbindung an die psychoonkologische Betreuung eingeleitet.

Welche Untersuchungen sind zum Staging eines Pankreaskopfkarzinoms erforderlich?

In der Therapie onkologischer Erkrankungen hat sich die Durchführung einer interdisziplinären Tumorfallkonferenz zur Diskussion von Diagnose und Therapieoptionen etabliert. Die Teilnehmer setzen sich je nach Patient und Erkrankung zusammen und umfassen in der Regel Internisten (mit Fachgebietsbezeichnung Hämatoonkologie), Radiologen, Chirurgen sowie Pathologen (und je nach Erkrankung weitere Vertreter der spezielleren Fachgebiete). In die Therapieplanung fließen auch immer der Allgemeinzustand des Patienten (z.B. Bestimmung des Karnofsky-Index) sowie weitere prognosebeeinflussende Parameter wie Begleiterkrankungen und psychosoziale Faktoren ein!

Therapie der Wahl nach Ergebnis der Tumorkonferenz ist die operative Pankreasresektion in Kombination mit einer adjuvanten Chemotherapie in kurativer Absicht.

Fortsetzung Fallbericht

Herr Hennes wird über die therapeutischen Möglichkeiten aufgeklärt und willigt in eine Operation mit anschließender Chemotherapie ein. Da das Duodenum nicht infiltriert ist, wird eine pyloruserhaltende partielle Duodenopankreatektomie durchgeführt. Nach kurzem Aufenthalt auf der Intensivstation kann der Patient auf die chirurgische Normalstation übernommen werden. Mobilisation und Kostaufbau gestalten sich problemlos, sodass Herr Hennes nach zwei Wochen das Krankenhaus verlassen und sich in ambulante Chemotherapie begeben kann.

In der Familienanamnese erzählt Herr Hennes, dass Mutter, Tante und seine Großmutter an einem Mammakarzinom erkrankt waren. Diese Anamnese lässt auf ein hereditäres Mammakarzinom schließen, welchen Zusammenhang kannst Du zu Herrn Hennes Erkrankung herstellen?

Im Rahmen des Pankreaskarzinoms können paraneoplastische Syndrome auftreten, eines davon ist die Thrombophlebitis migrans. Welche Symptome sind hierfür typisch?

Nach der körperlichen Untersuchung hattest Du das erste Mal den Verdacht auf eine Raumforderung der ableitenden Gallenwege (z.B. ein Pankreaskopfkarzinom). Welchen Stellenwert haben Tumormarker in der Diagnose von Malignomen?

Ein klassischer Fall, der an einer Schnittstelle von Innerer Medizin und Chirurgie liegt. Es ist hier wie immer wichtig, Wert auf Anamnese und körperliche Untersuchung zu legen, um die wegweisenden Befunde nicht zu übersehen. Entscheidend ist beim Vorliegen eines Ikterus die Frage nach Schmerzen. Liegen abdominelle Beschwerden vor, ist fast immer eine akute Ursache im Bereich der abführenden Gallenwege (insbesondere Choledocholithiasis) zu finden. Das im vorliegenden Fall genannte Courvoisier-Zeichen bei schmerzlosem Ikterus lässt sich in der Klinik zwar nicht so häufig feststellen (da es sich um ein Spätsymptom handelt), kommt aber im Rahmen der mündlichen Prüfung regelmäßig zur Sprache.

Bei Vorliegen eines Ikterus ist generell ein systematisches Vorgehen nach pathophysiologischen Gesichtspunkten sinnvoll, bei dem zwischen prä-, intra- und posthepatischer Genese unterschieden werden sollte.

An dem hier dargestellten Fall ist weiterhin der Stellenwert der einzelnen diagnostischen Schritte besonders deutlich zu sehen. Die Verfahren sollten nach Aufwand, Belastung bzw. Risiken, Aussagekraft und Kosten ausgewählt werden. Im vorliegenden Fall erlaubt die kostengünstige, risikofreie und schnell durchgeführte Abdomensonografie dem erfahrenen Untersucher bereits eine starke Eingrenzung der Differenzialdiagnosen. So ist dagegen bspw. die ERCP unter dem Gesichtspunkt von Risiken nur dann indiziert, wenn eine unmittelbare therapeutische Konsequenz wie Papillotomie und/oder Steinextraktion damit verknüpft ist. Wichtig ist auch zu wissen, welche charakteristischen Befunde in der Bildgebung (z.B. Double-Duct-Sign) auftreten können.

Grundsätzlich ist beim präoperativen Staging eines Malignoms die Bestimmung der Tumorausdehnung (T-Stadium), die Untersuchung des zugehörigen Lymphknoten-Gebietes (N-Stadium), die Frage nach Fernmetastasen (M-Stadium) sowie die Bestimmung der Tumormarker notwendig! Anhand der Einsicht des chirurgischen Situs sowie der pathologischen Aufarbeitung des Tumorresektats erfolgt ein postoperatives Staging, um die Prognose genauer abzuschätzen und das weitere therapeutische Vorgehen zu planen.

Der Stellenwert der Patientenaufklärung über Therapieentscheidungen unter Berücksichtigung von Prognose und Risiken in einem geduldig und empathisch geführten Gespräch muss hoch angesetzt werden. Die Einbeziehung von nahen Bezugspersonen ist sinnvoll, muss aber mit allen Beteiligten vorab abgesprochen sein. In einem unzureichend vorbereiteten Gespräch wird einem oft klar, dass wichtige Informationen fehlen oder auch ärztliche Kenntnisse zum vorliegenden Krankheitsbild unvollkommen sind. Ein präzises Wissen zu Entität, Stadium, Prognose und therapeutischen Möglichkeiten bei Tumorerkrankungen unter Einbeziehung des gesamten Fachwissens der Spezialisten einer Tumorkonferenz ist essenziell. Die patientenseitigen Voraussetzungen (Allgemeinzustand, Begleiterkrankungen, psychosoziale Faktoren) müssen in die Entscheidung einfließen. Um diesen Zielen möglichst nahe zu kommen, kann es hilfreich sein, sich in die Lage des Patienten zu versetzen und zu überlegen, wie man selbst in dieser Situation entscheiden würde.

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