- Klinik
Asphyxie in der Perinatalperiode
Abstract
Die Asphyxie des Neugeborenen ist eine der häufigsten Todesursachen in der Neonatalperiode. Häufig kommt es präpartal bereits durch Drogen- oder Medikamenteneinfluss zu einer Hemmung des kindlichen Atemzentrums, unter der Geburt zu Nabelschnurumschlingungen oder postpartal zur Verlegung der Atemwege. Die Asphyxie betrifft am schwersten das Gehirn. Je nach Ausprägung der Asphyxie kommt es zur hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie, die zu irreparablen neurologischen Schäden führen kann, wie z.B. der insbesondere bei Frühgeborenen auftretenden periventrikulären Leukomalazie. Nach zügiger Evaluation der Asphyxie ist eine sofortige Kühlung der Patienten über 72 Stunden einzuleiten, um den neurologischen Schaden so gering wie möglich zu halten.
Definition
- Asphyxie (griech. von asphyxia = „Stopp des Pulsschlags“): Bezeichnet einen Sauerstoffmangel im Blut, der durch einen unzureichenden Gasaustausch bedingt ist und mit einer Hyperkapnie und Azidose einhergeht. Im engeren Sinne wird der Begriff für einen Sauerstoffmangel in der Perinatalperiode verwendet.
- Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE): Bezeichnet die unzureichende Versorgung des Hirngewebes mit Sauerstoff (Hypoxie) und Blut (Ischämie). Sie ist Folge einer anhaltenden Asphyxie und geht mit neurologischen Defiziten einher.
Epidemiologie
- 3–9/1000 Neugeborene haben eine Asphyxie, 10–20% davon entwickeln eine Zerebralparese
- Asphyxie ist für ein Viertel aller Todesfälle in der Neonatalperiode verantwortlich
Wenn nicht anders angegeben, beziehen sich die epidemiologischen Daten auf Deutschland.
Ätiologie
Eine Asphyxie tritt in den meisten Fällen unter der Geburt auf, kann jedoch schon während der Schwangerschaft erfolgen. Wichtige und häufige Ursachen sind
- Vorfall der Nabelschnur, Nabelschnurumschlingung (NSU) des Halses
- Verlegung der Atemwege: Aspiration von Fruchtwasser („wet lung“) oder Mekoniumaspirationssyndrom
- Frühgeburtlichkeit → Lungenunreife → Pulmonale Globalinsuffizienz
- Suchtmittel-Missbrauch der Mutter (insb. Opioide)
- Medikamente (insb. bei Sectio caesarea in Vollnarkose)
Pathophysiologie
- Präpartal plazentarer oder postpartal pulmonaler Gasaustausch gestört → Minderversorgung der Organe mit Sauerstoff → Empfindlichkeit des ZNS: Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie → Intrazerebrale Gewebsazidose → Osmotische Dysregulation in den Zellen → Zelluläres Ödem → Apoptose
- Bei kurzer Hypoxie reagiert ein Neugeborenes mit einer primären Apnoe („blaue Asphyxie“) → Keine Reaktion des Atemzentrums im Verlauf bzw. nicht ausreichende Stimulation des Neugeborenen → Sekundäre Apnoe → RR↓ („weiße Asphyxie“) → Bradykardie → Herz-Kreislauf-Stillstand
Symptome/Klinik
- Postnatale Symptome
- Mögliche Folgen
- Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE)
- Akute Symptome
- Mild: 24 h Übererregbarkeit
- Moderat: Lethargie, muskuläre Hypotonie über 2–14 Tage
- Schwer: Stupor und Fehlen der Primitivreflexe
- Akute Symptome
- Porenzephalie (multizystische Enzephalopathie): Umschriebene, intrazerebrale Bildung von Hohlräumen unterschiedlichen Ausmaßes
- Epidemiologie: Selten
- Ursache: Prä- oder perinatale hypoxisch-ischämische Schlaganfälle
- Klinik
- Zerebralparesen
- Geistige Retardierung
- Zerebrales Krampfleiden
- Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (HIE)
Diagnostik
Sarnat-Score
- Indikation für eine Hypothermiebehandlung, wenn mindestens ein Kriterium erfüllt ist
- Asphyxiekriterien
- APGAR-Score in der 10. Minute <5
- Reanimation >10 Minuten
- Nabelarterien-pH <7,0
- Arterieller pH während der ersten Lebensstunde <7,0
- Arterielles Basendefizit >15 mmol/L
- Enzephalopathiekriterien
- Bewusstseinseintrübung
- Muskuläre Hypotonie/Hypertonie
- Auffällige Reflexe
- Krampfanfälle
- EEG (untere Amplitude <5 μV, obere <10 μV)
- Asphyxiekriterien
Weitere Diagnostik
- Laborparameter
- Weder Laktat, Transaminasen, Kreatinin oder Protein S100 konnten sich als prädiktive Parameter durchsetzen
- Ggf. neue Erfolge mit VEGF-Messungen
- ZNS-Sonographie
- Perfusionsmessung und morphologische Veränderung
- Anhand des arteriellen Flussprofils: Einteilung Hirnödem Grad 1–3
- MRT: Langzeitbeobachtung morphologischer Veränderungen
Therapie
- Hypothermiebehandlung bei 33,5°C Körpertemperatur für 72 Stunden
- Bei respiratorischem Versagen: Intubation und Beatmung
- Bei kardialem Versagen: Reanimation beginnen
Komplikationen
- Langfristige Schäden bei Hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie (HIE)
- Parasagittale Hirnschädigung
- Nekrosen der kortikalen grauen Substanz, insb. Motorkortex: Folge sind spastische Paresen
- Periventrikuläre Leukomalazie
-
Ischämische, meist beidseitige Läsionen im Bereich der periventrikulären weißen Substanz (deszendierende Fasern des Motorkortex)
- Treten insb. bei Frühgeborenen mit Asphyxie auf
- Im Verlauf kommt es zur Zystenbildung (∅ bis 3 cm) in dieser Region
- Milde Schädigung: Meist Fasern der unteren Extremität betroffen (spastische Diplegie)
- Schwere Schädigung: Alle Fasern betroffen (spastische Tetraplegie)
- Therapie: Keine kausale Therapie möglich → Langjährige Physiotherapie zur frühen Förderung der motorischen Fähigkeiten
-
Ischämische, meist beidseitige Läsionen im Bereich der periventrikulären weißen Substanz (deszendierende Fasern des Motorkortex)
- Status marmoratus
- Schädigungen der Basalganglien: Choreoathetotische Auffälligkeiten, meist Reifgeborene betroffen
- Selektive neuronale Nekrose
- Häufigste Form: Mentale Entwicklungsverzögerung, zerebrale Krampfanfälle
- Parasagittale Hirnschädigung
- Beeinträchtigung der myokardialen Kontraktilität bei 30–50%
- Akutes Nierenversagen bei 50–70% (meist konservativ behandelbar, selten dialysepflichtig)
- Hämatopoese: Knochenmarksdepression, Thrombozytopenie
- Leber/Gastrointestinaltrakt: Transaminasenanstieg, bei schwerer Minderperfusion des Darmes NEK möglich
Es werden die wichtigsten Komplikationen genannt. Kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Prognose
- Milde HIE: Nahezu immer neurologisch unauffällig
- Moderate HIE: 50–60% versterben bzw. weisen moderate bis schwere neurologische Defizite* auf
- Schwere HIE: Etwa 80% versterben bzw. weisen schwere neurologische Defizite* auf
(*Defizite siehe unter Komplikationen)
Kodierung nach ICD-10-GM Version 2019
P20.-: Intrauterine Hypoxie
- Inklusive:
- Abnorme fetale Herzfrequenz
- Fetal oder intrauterin:
- Anoxie
- Asphyxie
- Azidose
- Distress
- Gefahrenzustand
- Hypoxie
- Mekonium im Fruchtwasser
- Mekoniumabgang
- Exklusive: Intrakranielle Blutung durch Anoxie oder Hypoxie (P52.‑)
- P20.0: Intrauterine Hypoxie, erstmals vor Wehenbeginn festgestellt
- P20.1: Intrauterine Hypoxie, erstmals während Wehen und Entbindung festgestellt
- P20.9: Intrauterine Hypoxie, nicht näher bezeichnet
P21.-: Asphyxie unter der Geburt
- Exklusive: Intrauterine Hypoxie oder Asphyxie (P20.‑)
- P21.0: Schwere Asphyxie unter der Geburt
- P21.1: Leichte oder mäßige Asphyxie unter der Geburt
- P21.9: Asphyxie unter der Geburt, nicht näher bezeichnet
- Anoxie
- Asphyxie
- Hypoxie
Quelle: In Anlehnung an die ICD-10-GM Version 2019, DIMDI.